Das letzte Wort

Erbschaftsteuer bringt die Bundesregierung in Bedrängnis

Niederlagen vor Gericht kommen selten überraschend. Häufig zeichnen sie sich schon in der mündlichen Verhandlung ab, wenn die Fragen von der Richterbank besonders bohrend werden. Das war auch der Eindruck in Sachen Erbschaftsteuer, über die das Bundesverfassungsgericht am Dienstag verhandelt hat. Niemand dürfte sich überrumpelt fühlen, wenn das Gericht wesentliche Teile der Erbschaftsteuer im Herbst kippt. Besonders schlimm wird es allerdings, wenn die Zweifel so fundamental werden, dass sie von jedem im Gerichtssaal geteilt werden – selbst von der Seite, die die Steuer eigentlich leidenschaftlich verteidigen sollte.

Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Michael Meister, gab noch sein Bestes, die üppigen Privilegien für Betriebsvermögen in Deutschland zu rechtfertigen. Wer hierzulade Unternehmensanteile erbt, muss schon ziemlich dusslig oder besonders großherzig sein, wenn er Steuern auf sein Erbe zahlt. In der ganz überwältigenden Zahl der Fälle muss er das nämlich nicht tun – entweder weil das Unternehmen verspricht, über fünf bis sieben Jahre Arbeitsplätze zu sichern. Oder weil es schlicht zu klein ist, um mit der damit verbundenen Bürokratie behelligt zu werden. Das trifft auf ungefähr 94 Prozent der Unternehmen in Deutschland zu. Da wird die Ausnahme zur Regel – und die Steuer ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.

Während Meister zur Ehrenrettung noch tapfer den Mittelstand mit seinen Tausenden ehrwürdigen Familienunternehmen anführte, wurde der Rechtsvertreter der Bundesregierung, der Tübinger Finanzrechtsprofessor Christian Seiler, von den Richtern in der Verhandlung weich gekocht. So lange bis er Dinge sagte, die man von der Bundesregierung in solch einem Verfahren eher nicht erwartet. Das muss nicht unbedingt gegen Seiler sprechen: Man muss schon ein hartgesottener Politprofi sein, um die Finessen des Berliner Kuhhandels in Karlsruhe überzeugend vertreten zu können.

Die Kapitulation kam nicht mit einem Paukenschlag, sie vollzog sich schleichend. Noch am Vormittag hatte sich Seiler ganz ordentlich geschlagen: Haarklein entlarvte er die Fadenscheinigkeit des Bundesfinanzhofs, mit der sich dieser des ersten Falles nach der Reform 2009 bemächtigte, um ihn triumphierend nach Karlsruhe zu tragen – obwohl all die derzeit diskutierten Fragen darin allesamt keine Rolle spielen.

Fünf Stunden und eine Mittagspause später nahm das Unglück jedoch langsam seinen Lauf. Sicherlich, die entsprechenden Regelungen seien „nicht ganz konturscharf“, formulierte Seiler noch vorsichtig. Aber er wisse gar nicht, wie der Gesetzgeber das präziser formulieren könne. „Meine intellektuelle Kapazität reicht dafür nicht aus.“ Der Richterbank dagegen fiel gleich eine ganz Reihe von Formulierungsvorschlägen ein. Sie monierte, dass der Gesetzgeber nicht mal den Ansatz gemacht habe, die Regelung präziser zu gestalten.

Mühe hatte Seiler auch, die Grenze von zwanzig Mitarbeitern für die Unternehmen zu rechtfertigen, die von den erleichterten Regeln profitierten. Für diese Zahl gebe es keine innere Logik, räumte er ein. „Es könnten auch zehn oder fünfzehn sein.“ Wenig später noch ein Rettungsversuch durch Vorwärtsverteidigung: Sicherlich, es gebe „Reparaturbedarf“, aber der treffe nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Rechtsprechung, mahnte Seiler. Dieser Gegenschlag traf ins Leere, stattdessen teilte das Bundesverfassungsgericht selbst großzügig aus: In einer Art Gesamtschau zählte der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof all die Schwächen des Gesetzes auf und resümierte süffisant: „Das ist so, als würden Sie eine chemische Lösung immer weiter verdünnen. Irgendwann haben Sie keine chemische Lösung mehr.“

Daraufhin wurde auch Seiler schwach: „Dieses Gesetz hat Fehler“, gab er offenherzig zu, ganz so, als dürfe er jetzt endlich frei reden. „Ich bin auch kein Freund davon.“ Immerhin warnte er noch davor, das ganze Gesetz zu verwerfen: „Bitte sagen Sie ganz konkret, was der Gesetzgeber wie formulieren soll. Sonst sehen wir uns in drei Jahren wieder.“ Und das kann wirklich niemand wollen. Die Bundesregierung am allerwenigsten.

 

 

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