Nach mehr als fünf Monaten in Untersuchungshaft kommt Thomas Middelhoff, ehemaliger Top-Manager und mutmaßlicher Wirtschaftskrimineller, nun wohl bald auf freien Fuß. Sein Anwalt hat nach eigenen Angaben die Kaution von knapp 900.000 Euro eingesammelt, die das Gericht festgesetzt hat. Middelhoff selbst dürfte dazu nichts beigesteuert haben: Aus der Justizvollzugsanstalt heraus hat er Privatinsolvenz beantragt, und der vorläufig eingesetzte Insolvenzverwalter hat bisher offenbar wenig Vermögenswerte auffinden können.
Die Entscheidung, den 61 Jahre alten Mann (vorerst) freizulassen, ist nicht zu kritisieren. Die lange Untersuchungshaft hat – so das Gericht in seiner Begründung – den befürchteten Fluchtanreiz vermindert, weil sie ihm auf eine spätere Strafhaft anzurechnen wäre. Dass er auch seine beiden Pässe abgeben musste (von denen er einen dem Gericht zunächst nicht vorgelegt hatte) und sich zudem regelmäßig auf dem Polizeirevier melden muss, bedeutet dagegen wenig. Sein Hauptwohnsitz im französischen Saint-Tropez steht ohnehin zum Verkauf und wäre auch mit dem Personalausweis zu erreichen. Auch ein Untertauchen in den Vereinigten Staaten, wo er Geschäftsverbindungen hatte, scheint wenig wahrscheinlich.
Leider hat die Entscheidung den Beigeschmack, dass sie von einer verdeckten Kampagne der Strafverteidiger beflügelt wurde. Die Erlaubnis, aus Middelhoffs Krankenakte zu zitieren, ist typisch für das, was Anwälte und Medienberater bei Rechtsstreitigkeiten von Managern und Unternehmen heutzutage „Litigation-PR“ nennen. Sie versuchen, das Blatt der öffentlichen Meinung zugunsten ihrer Kunden zu wenden – und sogar Druck auf die Justiz auszuüben (wofür weisungsgebundene Staatsanwälte empfänglicher sind als unabhängige Richter).
Sicher: Der frühere Vorstandschef von Bertelsmann und Arcandor ist krank, vielleicht sogar schwer. Aber das ist auch bei Untersuchungshäftlingen nicht automatisch ein Grund zur Haftverschonung. Hinzu kommt die unappetitliche „Anti-Folter-Kampagne“, die seine Anwälte angestoßen haben wie einst die Sympathisanten der „Rote Armee Fraktion“. Die Grünen-Rechtspolitikerin Renate Künast ist begeistert auf diesen Zug aufgesprungen; Amnesty International – als Kenner echter Foltermethoden – war deutlich zurückhaltender.
Gefängnisleitung und Nordrhein-Westfalens Justizminister dementieren hingegen unisono, dass Middelhoff rund um die Uhr im Viertelstunden-Rhythmus geweckt worden sein soll, um einen Selbstmord zu verhüten. Vielmehr habe er eine Verlegung in eine Gemeinschaftszelle heftig abgelehnt und sich bei den Wachtmeistern für die freundliche Behandlung bedankt. Da steht also Aussage gegen Aussage. In Erinnerung ist: Der Vorsitzende Richter, der Middelhoff gleich im Gerichtssaal verhaften ließ, hat ihm in der Urteilsbegründung vorgeworfen, das Gericht so sehr belogen zu haben, wie er es in seinem ganzen Berufsleben noch nicht erlebt habe.
Dass seine Erkrankung auf die Belastungen durch die anfängliche Kontrolle zurückzuführen sei, ist jedenfalls eine wilde Behauptung – die unerwartete Verurteilung und Verhaftung dürften ein größerer Schock gewesen sein. Auch Middelhoffs Gewichtsverlust ist nur auf den ersten Blick erschreckend: Derselbe Effekt trat auch beim Fußballfunktionär Uli Hoeneß ein, als der aus seiner Villa am Tegernsee in eine Gefängniszelle umziehen musste.
Das Schicksal des einst so erfolgreichen Spitzenmanagers ist dennoch tragisch. Für seine Gesundheit kann man ihm nur die Daumen drücken. Die Revision, die er gegen seine Verurteilung zu drei Jahren Haft ohne Bewährung angestrengt hat, verheißt wenig Erfolg. Das Urteil war zwar über die Maßen hart. Dafür könne man sonst „viele Kiefer brechen“, heißt es unter Strafverteidigern in Anspielung auf die sonst recht milde Spruchpraxis deutscher Richter. Doch liegt die Erfolgsquote von strafrechtlichen Revisionen am Bundesgerichtshof unter 15 Prozent. Und gegen ein Strafmaß Rechtsmittel einzulegen, ist praktisch aussichtslos. Offene Rechtsfragen, Beweisprobleme oder Formfehler sind dagegen nicht zu erkennen.
Auch finanziell sieht es für Middelhoff düster aus. Wenn der Insolvenzverwalter keine weiteren Besitztümer aufspürt, könnte es sogar sein, dass das Gericht sein Insolvenzverfahren gar nicht erst eröffnet. Denn dazu müsste der Schuldner wenigstens die Prozesskosten bezahlen können. Auch eine Befreiung von seinen Schulden, die eigentlich nach drei bis fünf Jahren winkt, ist keineswegs sicher: Manche Gläubiger argwöhnen, dass er der Gerichtsvollzieherin in seiner „eidesstattlichen Versicherung“ nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Das aber wäre einer von mehreren denkbaren Versagungsgründen.
Hinzu kommt, dass der Ex-Manager zwar einiges Vermögen auf seine Familie übertragen hat. Der Unternehmensberater Roland Berger, einer seiner zahlreichen Gläubiger, hat dies aber schon vor Gericht angefochten. Und die Forderungen gegen Middelhoff, die insgesamt gegen ihn in diversen Zivilprozessen geltend gemacht werden, belaufen sich fast auf eine halbe Milliarde Euro.