Wenigstens diese Belastung hat der Europäische Gerichtshof den deutschen Sozialkassen erspart: Jobcenter dürfen spätestens nach einem halben Jahr ihre Zahlungen an arbeitslose Ausländer aus anderen Mitgliedstaaten einstellen. Selbstverständlich war das keineswegs: Bisher haben die Europarichter selten eine Gelegenheit ausgelassen, die EU zu einer Transferunion auszuweiten. Der Generalanwalt, dem das Gericht sonst meist folgt, hatte denn auch dafür plädiert, das Füllhorn zumindest etwas stärker zu öffnen. Die von ihm geforderte Einzelfallprüfung hätte den Behörden einen Berg an Arbeit beschert.
Angesichts der Migrationswelle vom Balkan nach Deutschland ist dieses Urteil eine Erleichterung. Klar ist nun: Weder Kurzzeitjobber noch Migranten, die nur vortäuschen, auf Arbeitssuche zu sein, müssen auf Dauer alimentiert werden. Doch ausgestanden sind die rechtlichen Unsicherheiten damit noch nicht. Beim Bundessozialgericht liegen noch einige Verfahren auf Halde, die andere Fallkonstellationen betreffen. Die wichtigste: Was gilt für die sogenannten Aufstocker, die ein Minigewerbe angemeldet haben, aber großenteils von Hartz IV leben? Für die Freizügigkeit von wirklich oder vorgeblich Selbständigen gelten in Europa andere Regeln als für die von Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden.
Für eine Entwarnung ist es deshalb viel zu früh. Sichert der Schulbesuch von Kindern der ganzen Familie einen eigenständigen Anspruch auf Sozialleistungen, wie der Generalanwalt meint? Dazu haben sich die Luxemburger Richter erst einmal ausgeschwiegen. Kindergeld bekommt ohnehin, wer sich legal hier aufhält – selbst für Kinder übrigens, die gar nicht hier leben, sondern im Heimatland geblieben sind. Sozialrechtler streiten zudem, ob statt Hartz IV womöglich hilfsweise Sozialhilfe gezahlt werden muss. Auch über den pauschalen Ausschluss von Arbeitslosen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts muss Luxemburg auf Geheiß des Landessozialgerichts von Nordrhein-Westfalen noch einmal urteilen. Und nach fünfjährigem Aufenthalt gilt sowieso das bedingungslose Gebot der Gleichbehandlung. An all die politischen und juristischen Instanzen in Brüssel, Straßburg und Luxemburg hat die deutsche Politik so viel an Entscheidungsbefugnissen, Zuständigkeiten und somit Macht abgetreten, dass ihr kaum noch Handlungsspielraum bleibt.
Das ist einer der ganz vielen Bausteine dafür, dass Europa vor einer zwangsweisen
Entscheidung steht – entweder es wickelt sich teilweise wieder rückwärts ab und wird zu einer besseren Freihandelszone. Oder es integriert sich weiter und wird zu einem Bundesstaat.
Denn die bisherige Grauzonenlösung, die sich mit dem Euro noch ausgeweitet hat, spielt nur den Rechspopulisten in die Hände. Und die wollen weder weiter- noch rückabwickeln, sondern Europa wieder in hasenreine Nationalstaaten zerteilen. Ihnen spielt das “so viel an Entscheidungsbefugnissen, Zuständigkeiten und somit Macht abgetreten, dass ihr kaum noch Handlungsspielraum bleibt.” in die Hände.
Spätestens dann, wenn sich Grossbritannien mit einem Referendum aus der EU verabschiedet, schlägt die Stunde der wahrheit auch für die anderen EU-Staaten. Entweder noch halb freiwillig oder durch rechtsnationale Übernahmen der Regierungen ein paar Jahre später.
Gruss,
Thorsten Haupts