Das letzte Wort

Auf der Empörungswelle

Seit einer Woche rollt eine Empörungswelle um die Welt. In Island, Großbritannien und Argentinien hat sie sogar die Regierungs- beziehungsweise den Staatschef getroffen. Die „Panama-Papiere“, die von einem einzelnen Informanten stammen sollen, zeigen an Beispielen, was im Prinzip jedermann wusste: Viele Wohlhabende wickeln ihre Geschäfte und Geldanlagen über Briefkastenfirmen ab, damit nicht jeder sieht, wer dahintersteckt. So ist es nicht nur in der Karibik, sondern auch in Liechtenstein, auf den Britischen Jungferninseln, im amerikanischen Bundesstaat Delaware. Bis zu einer Gesetzesänderung siedelten sich auf den 13 Bauernhöfen im nordfriesischen Norderfriedrichskoog Konzerne wie die Deutsche Bank und Lufthansa mit Tochterfirmen an, um Gewerbesteuer zu sparen.

Die Steueroase in Schleswig-Holstein zeigt: Oft geht es bei der Nutzung von Scheinunternehmen ohne echte Geschäftstätigkeit vor Ort zwar um Steuerflucht, nicht aber unbedingt um kriminelles Verhalten. Abgaben durch eine geschickte Gestaltung des Firmengeflechts zu sparen kann durchaus legal sein, auch wenn dies internationalen Konzernen wie Google oder Starbucks viel Kritik einträgt. Und schon der Datendiebstahl vor drei Jahren bei Anbietern diskreter Trusts („Offshore-Leaks“) brachte etwa den verstorbenen Industrieerben Gunter Sachs ins Zwielicht. Eine Nachprüfung der Steuerbehörden ergab indes keinen Grund zur Beanstandung.

Ohnehin kann es vielerlei Gründe dafür geben, Transaktionen unter einem Deckmantel zu tätigen oder Kapital über eine Tarnfirma oder einen Treuhandfonds zu verwalten. Mal soll die Ehefrau nichts von der Mätresse erfahren, deren Luxusleben finanziert wird. Oder der missratene Sohn soll um sein Pflichtteil gebracht werden. Auch kann dies ein vernünftiger Weg sein, um Haftungsrisiken zu begrenzen, oder eine illegale Methode, um Vermögen vor Gläubigern zu verstecken. In manchen Ländern dient das als Schutz vor Entführung und Erpressung. Beim Kauf von Immobilien, Kunstwerken oder innovativen Firmen lässt sich so verhindern, dass der Preis in die Höhe schnellt.

Doch zur Wahrheit gehört auch: Oft dient die Zwischenschaltung solcher Firmenvehikel der Verschleierung von Finanzströmen aus dunklen Quellen. So können Rauschgifthändler ihre Einnahmen reinwaschen, so lässt sich Schmiergeld überweisen oder Schwarzgeld investieren. Dass ausgerechnet Deutschland ein Paradies für Geldwäscher sein soll, wie Aktivisten wissen wollen, ist allerdings ein grotesker Vorwurf. Die Bundesregierung bereitet sich derzeit darauf vor, eine neue EU-Richtlinie hierüber in nationales Recht zu überführen – es ist die vierte Direktive auf diesem Feld.

Schon mehrfach sind hierzulande Geldwäschegesetz und Strafgesetzbuch verschärft worden. Banken und Versicherer müssen ihre Kunden systematisch überprüfen und Verdachtsfälle den Behörden melden. Dass dies, obwohl vorgeschrieben, in vielen anderen Branchen kaum geschieht, mag man bedauern. Doch ist es kein guter Weg, die Überwachung der Bürger immer mehr auszuweiten, indem jeder Kunsthändler, Immobilienmakler oder Schiffsverkäufer als Hilfssheriff zwangsverpflichtet wird – zumal das meist ausgerechnet jene fordern, die sonst dem Staat nicht einmal erlauben wollen, Daten auf dem Smartphone eines islamistischen Massenmörders auszuwerten.

Ohnehin ist die breitangelegte Selbstvermarktung der „Enthüllungen“ fragwürdig – nicht nur, weil deutsche Bürger mit Zwangsgebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Kampagne privater Zeitungshäuser subventionieren. Vor allem leben die Veröffentlichungen von der Unterstellung, die Einschaltung von Briefkastenfirmen sei generell verwerflich. So werden die angeprangerten Prominenten aus Politik, Sport und Wirtschaft unter Generalverdacht gestellt.

Das ist umso fahrlässiger, als die Redaktionen sich weigern, die Dokumente den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen – man wolle nicht der „verlängerte Arm der Staatsanwaltschaft“ sein. So lassen sich die Anschuldigungen freilich schwer überprüfen – oder gar widerlegen. Steuerfahndern und anderen Ermittlern bleibt nur, auf der Basis von Veröffentlichungen bei den Betroffenen nachzuhaken. Die aber haben womöglich noch schnell etwaige Beweise beiseitegeschafft. Bemerkenswert ist zudem, dass gerade jene Kreise die Anonymisierung von Geldtransfers zum Skandal machen, die sonst ein Grundrecht – geradezu ein Gebot – auf Verschlüsselung einer jeden E-Mail geltend machen.

Politiker sollten sich jetzt nicht von vordergründiger Aufgeregtheit treiben lassen. Das von Bundesjustizminister Heiko Maas geplante „Transparenzregister“ für den „wirtschaftlich Berechtigten“ hinter einer jeden Firma gibt es im Finanzsektor längst; für andere Branchen folgt er damit nur Vorgaben aus Brüssel. Und auch wenn die Finanzminister von Bund und Ländern prompt nach weiteren Meldepflichten und Gesetzesverschärfungen rufen: Schon jetzt machen sich Bankmitarbeiter strafbar, wenn sie sehenden Auges bei Geldwäsche helfen. Das Institut kann sogar geschlossen werden. Viel mehr geht nicht.

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