Zuhause sein. Wenn ich beschreiben müsste, wie es sich im Großen und Ganzen anfühlt, auf dem 31C3, dem 31. Chaos Communication Congress, herumzulaufen, das wäre meine Antwort. Leute bauen Rohrpostanlagen, stellen 3D-Drucker hin, lernen zusammen stricken, machen Star Trek Origami und produzieren eigene Lichtbildausweise. Wer etwas kann und versteht, der versucht, das Wissen und Können an andere weiter zu geben. Das Mindset der meisten hier, das ist es, was sich heimisch anfühlt. In Hamburg treffen sich einmal jährlich all jene, die ansonsten mit dem Stempel „Freak“ auf der Stirn herumlaufen. Auch wenn ich weder programmieren kann, noch irgendwie weiter in die Funktionalitäten von Linux oder Crypto bewandert bin, bin ich einer dieser Freaks. Im CCH sind wir nicht mehr alleine. Hier teilt man meine politischen Ideale nicht nur, man versucht, mit ihnen im Herzen die Gesellschaft zu hacken. Und hier stellen sich Leute in Schlangen, wie man sie aus den Erzählungen über die DDR kennt.
In der Keynote der Herzen, dem Vortrag von Stefan Pelzer und Philipp Ruch, die im Rahmen des Zentrum für politische Schönheit „Mit Kunst die Gesellschaft hacken“, fühlte ich mich so zuhause wie selten. Es gibt Leute, die finden es nicht wirklich befriedigend, wie sich Menschenrechtsorganisationen für Menschenrechte einsetzen. Da bekam Amnesty International erst einmal ordentlich sein Fett weg: Mit Schiffchen falten für Flüchtlinge hilft man wie vielen Flüchtlingen genau? Ein wenig enttäuscht und ein wenig gehässig werden diese und andere Aktionen der größten Menschenrechtsorganisation Deutschlands aufgelistet und gezeigt, dass deren riesige Anzahl an Unterstützer nicht sonderlich viel für all jene zu bewirken scheint, deren Mandat man vertritt: Die Menschen, deren Rechte mit Füßen getreten werden.
Amnesty macht noch andere Aktionen, als nur Schiffchen zu falten, so viel sei hinzugefügt. Es werden in „Urgent-Action-Netzwerken“ auch innerhalb kurzer Zeit Menschen mobilisiert, die Faxe, Briefe und Mails schreiben. Amnesty stolz:
„Binnen weniger Stunden treten Tausende Menschen in über 85 Ländern in Aktion: Sie appellieren per Fax, E-Mail oder Luftpostbrief an die Behörden der Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden. Bei den Adressaten gehen Tausende von Appellschreiben aus aller Welt ein. Es ist dieser rasche und massive Protest, der immer wieder Menschenleben schützt.“
Wie genau Mails, Faxe und Luftpostbriefe diese Menschen schützen ist mir auch nach dem Erklärvideo nur mittelmäßig klar. Das Zentrum für Politische Schönheit findet diese Art der Arbeit für die Menschenrechte jedenfalls frustrierend und sucht andere Wege, Dinge konkret zu ändern. In ihrem Vortrag stellten Stefan Pelzer und Philipp Ruch drei ihrer bekannteren Aktionen vor. Darunter die berüchtigte 25.000-Euro-Kopfgeld-Jagd, die dafür sorgen sollte, die Mitglieder der sogenannten „Panzerfamilie“ durch Hinweise auf deren mögliche andere Delikte in den Knast zu schaffen.
Schön fand ich die Aktion zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls, in der sie darauf aufmerksam machten, wie zynisch es ist, angesichts der Mauer, die um Europa herum geschaffen wird, eine Mauer, die reale Menschenleben fordert, sich selbst zu feiern und dafür geil zu finden, dass man vor 25 Jahren einem Regime ein Ende machte, welches Flüchtlinge abknallte und ertrinken ließ. Um auf diesen Zynismus aufmerksam zu machen, ließ das Zentrum für Politische Schönheit die Mauerkreuze flüchten. Diese Aktion bestand einerseits darin, die Mauerkreuze zur neuen Mauer an die Außengrenzen der EU zu bringen und andererseits wurden Flüchtlingshelfer mit Bolzenschneider und Flex in Bussen genau dorthin geschafft, um den ersten Europäischen Mauerfall zu ermöglichen. All das ging nicht so glatt, wie vielleicht erhofft und am Ende wurde keinem Flüchtling wirklich zum Eintritt in die EU verholfen. Aber man hat es versucht, hat Busse gechartert, Menschen mit Bolzenschneidern transportiert, hat sich vielleicht auch strafbar gemacht und massiv gestört. Besser als Schiffchen falten und E-Mails schreiben allemal.
Hier gilt: Nicht nur meckern – machen! Wer macht, hat Recht – nimm die Dinge in die Hand, die du ändern willst. Gestalte. Gib dich nicht mit dem ab, das man dir als das Substrat dessen anpreist, das durch Tradition und Konvention als das beste und einzigmögliche herausgekommen sein soll. Hacke deine Gesellschaft, hacke deinen Kapitalismus, hacke deine Politik.
Und hacke die Schlange, in der du anstehst, um dir einen Hoodie von diesem Event zu erjagen. „Wenn du eine Schlange siehst, dann stell dich in dem Moment an, in dem du sie siehst“ – das war die Erkenntnis des letzten Jahres, als wir die lange Merchandising-Schlange immer gemieden hatten und dachten, wir könnten ja darauf warten, dass sie kürzer würde – und so gingen wir leer aus. Also stellten wir uns diesmal sofort an, als wir an ihr vorbeiliefen, wie früher eben, in der DDR. „Oh“ Eine Schlange! Da stell ich mich doch besser mal an!“ Wir ließen den Talk sausen, den wir eigentlich hatten sehen wollen und besorgten ein paar Bier, um die Zeit des Wartens zu verkürzen. Es dauerte fast anderthalb Stunden, ehe wir unsere Beute ergatterten. Eine witzige Stunde, in der die Schlange durch Engel neu arrangiert wurde, damit sie überhaupt in das Foyer des CCH passte; in der man einander zuprostete, wenn man wieder an bekannten Gesichtern vorüber lief; und in der man beobachten konnte, wie Zeitgenoss_innen aus der Schweiz sich im Vorbeigehen einen Stehtisch eroberten, den sie fortan als mobile Bar mit sich führten. Um diesen standen sie lässig gelehnt im Kreis, prosteten sich zu und verkürzten die Wartezeit auf diese Weise enorm.
Hier wandeln Menschen herum, die sich für als unangenehm empfundene Tatsachen, von anderen als “Realität” bezeichnet, gerne kreative “Hacks” einfallen lassen. Resignation? Iwo! Dies hier ist ein neuer Sonnenaufgang.