Wostkinder

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Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Ost und West.

Unsoziale Marktwirtschaft

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Ist der Markt sozial oder bedarf es eines Sozialsystems um den Zustand des Sozialen in der Marktwirtschaft zu gewährleisten? Für Ludwig Erhard war der Markt ausreichend sozial. Seine Ideologie setzt sich mit Gerhard Schröder durch.

1989 stand im chinesischen Horoskop im Zeichen der Schlange. Ebenso das Jahr 2001 (die Anschläge vom 11. September) und nun auch 2013, von dem wir noch nicht wissen, was es uns nebst eines neuen Papstes bringen wird. Gefühlt befinden wir uns gerade wieder in einer größeren Umbruchphase. Bezeichnenderweise steht die Schlange genau dafür. Wenige Menschen würde es wohl wundern, wenn im Angesicht der vielen uns bedrohenden Krisen (bekannt aus Büchern, Fernsehen und dem Feuilleton) ein einschneidendes Ereignis geschähe. Meinen Gedanken möchte ich jedoch gen Vergangenheit wandeln lassen.

Dazu ein Blick aus der Vogelperspektive: Mit dem Fall der Mauer 1989 wurde das Ende des „Ost-West-Konfliktes“ (Kalter Krieg) eingeläutet, der 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sein endgültiges Ende fand. Ein wesentlicher Teil dieses Konfliktes war der Rüstungswettlauf zwischen den Blöcken (Ost und West), von dem man dachte, er wäre nun endlich beendet. Und tatsächlich sanken die Militärausgaben der USA bis zum nächsten Jahr der Schlange. Schon 2001 begannen die Ausgaben wieder zu steigen und erreichten 2004 neue Höchststände. Im Jahr 2011 betrug der Anteil an den weltweiten Militärausgaben rund 41 %. Der zweitgrößte Investor dieser Art, China, schaffte es immerhin auf ca. 8 %. Ein nicht unwesentlicher Teil der Militärbudgets fließt auch heute noch in die Erforschung neuer Technologien, die im späteren Verlauf nicht selten zu Produkten des Massenmarktes werden. Zum Beispiel das Internet oder Miniaturdrohnen für den Hausgebrauch.

Während dieses Konfliktes waren die Rüstungsausgaben ein Mittel der wirtschaftlichen Kriegsführung. Jener Block, der die Ausgaben als Erstes nicht mehr finanzieren konnte, verlor das Spiel. Dabei zeichneten sich die beiden Blöcke des Ost-West-Konfliktes u. a. durch unterschiedliche Wirtschaftssysteme aus. Der Kapitalismus auf der westlichen und die Planwirtschaft auf der östlichen Seite.

Der Wechsel in die deutsche Perspektive zeigt, dass in der BRD nicht mit dem Kampfbegriff Kapitalismus agiert wurde, sondern mit der Bezeichnung „Soziale Marktwirtschaft“. Das klingt zunächst anheimelnd, doch ergibt sich die Gespaltenheit des Begriffes durch die Frage, ob der Markt bereits sozial sei. Ludwig Erhard, der als Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft gilt, beantwortet diese Frage seinerzeit mit einem klaren „Ja“. Und so waren es dann Konrad Adenauer und Alfred Müller-Armack [1], die für das Soziale in der Marktwirtschaft sorgen mussten. Es ist etwas umstritten, sicher aber nicht zu verwegen, anzunehmen, dass der soziale Faktor in der bundesdeutschen Marktwirtschaft auch dem Dasein der DDR geschuldet war. Für die BRD gab es nicht nur den geostrategischen Kampf gegen einen entfernten Feind, wie für die USA, sondern eine räumlich bedingte Auseinandersetzung mit dem konkurrierenden System innerhalb des eigenen Kulturkreises. Darauf musste auch gesellschaftlich reagiert werden. Diese Auseinandersetzung gewann 1989 der Kapitalismus.

© Marco HerackReisstand auf dem Fusion Festival 2012.

Mit dem Fall der Mauer und einhergehend der Einheit, galt die Soziale Marktwirtschaft für die meisten Menschen in der DDR als ein Versprechen. Im westlichen Deutschland hingegen war es der Kohl’sche Optimismus und der Glaube an die D-Mark, der die ökonomischen Grundlagen für die politische Möglichkeit der Einheit schuf. Aus der Retrospektive heraus können wir leicht sagen, dass die zur Einheit getätigten Versprechen nicht eingehalten wurden. Doch der unbedingte Glaube an die Stärke der D-Mark, die Soziale Marktwirtschaft (Reichtum) für alle bringt, war real. Man glaubte daran. Das System war zu diesem Zeitpunkt bereits zur Ideologie gereift.

Folgerichtig wurde die Soziale Marktwirtschaft im Staatsvertrag von 1990 zwischen der Bundesrepublik und der DDR als gemeinsame Wirtschaftsordnung für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vereinbart [2]. Dieser schriftlichen Vergewisserung zum Trotze, wollte es aber nicht so recht funktionieren. Ein kurzer Boom, gewiss, doch keine blühenden Landschaften. Dieser ausbleibende dauerhafte Boom stellt für die meisten Menschen im Osten das gebrochene Versprechen dar. Es gab nicht nur nicht den Platz an der Sonne. Es wurde vielfach nicht mal irgendwie gut. Wenden wir uns gen Westen, stellte der ausbleibende Boom vor allem ein kalkulatorisches Problem dar. Die Einheit verschlang mehr finanzielle Ressourcen als geplant, damit musste ein geeintes Deutschland umgehen. Tat es aber nicht. Stattdessen wurde der Osten problematisiert und der Westen zu etwas davon Abgegrenztem stilisiert. Dieser Vorgang kanalisierte sich in Begriffen wie dem „Besserwessi“ oder „Jammerossi“ in seiner negativ besetzten Konnotation. Die strukturellen Probleme des Westens konnten sich in dieser Phase der Schuldsuche unverändert ausbreiten. Es fehlte der Blick für die Sache.

Schröder schafft uns ab

Es ist an dieser Stelle verlockend, den Bogen zu Schröder und seiner Agenda 2010 zu schlagen, die sich gestern zum zehnten Male jährte (mp3-dradio). Doch liegt darin nicht der Anfang allen Übels, sondern nur seine stärkste Ausprägung. Der Prozess an sich begann unmittelbar mit der Einheit und der Schaffung der Sonderwirtschaftszone Ostdeutschland. Offiziell wurde sie nie eingeführt, doch reichte die Schaffung verschiedener Rahmenbedingungen innerhalb Deutschlands aus, um sie inoffiziell entstehen zu lassen. Niedrigere Löhne und Subventionen nach dem Gießkannen-Prinzip prägten das Bild im Osten.

Eine Innerdeutsche Lohndifferenz, die zur Lohnkonkurrenz führte. Begleitet von Fördergeldern lohnte sich der Fabrikbau im Osten. Es ist kein Zufall, dass Mitte der 90iger die ersten Anzeichen der empirisch nicht sonderlich gut ausgearbeiteten „Generation Praktikum“ zu vermerken sind. Ich lass sie als gesetzt gelten, denn mir geht es um den dahinterstehenden Faktor der Elterngeneration, die auf den Lohndruck reagierten. Die Eltern (West) nahmen ihre im Boom aufgebauten Vermögen in die Hand und transferierten dieses Geld zu ihren Kindern, die sich damit zunächst ein Leben in der vermeintlichen Freiheit leisten konnten. Die Vorboten dessen, was wir heute Dienstleistungsgesellschaft nennen. Arbeiter in Selbstorganisation, ohne Festanstellung und ob des fehlenden gewerkschaftlichen Druckes in ihrer Position nicht gefestigt.

Mit diesem Akt der Quersubventionierung reagierte der Westen auf den Lohndruck aus dem Osten und reproduzierte diesen Druck in den Arbeitsmarkt hinein. Der Prozess verstärkte sich dann durch die Supranationalisierung der Konzerne, die lernten, dass sie mittlerweile an nahezu jedem Ort der Welt produzieren und liefern können. Gehen wir an dieser Stelle wieder in die Vogelperspektive, dann griffen die Mechanismen der Marktwirtschaft zu Ungunsten der Arbeitnehmer. Sie trieben ihren eigenen Preis nach unten. Besiegelt wurde dieser Vorgang durch die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und der Agenda-Politik. Das bereits bestehende Verhalten der Gesellschaft wurde gesetzlich verankert und durch den Staat über 1-Euro-Jobs, Leiharbeit, Lohn-Aufstocker, Finanzmarktderegulierung u. Ä. nicht nur bestätigt, sondern dynamisiert. Das war der Moment, in dem der Markt als sozial definiert wurde. Oder anders formuliert: Das Siegersystem „Kapitalismus“ hat sich in Gänze ausgebreitet.

Und jetzt?

Mittlerweile leben viele Menschen, die das (was sie mit sich selbst tun) Arbeit nennen, von diesen innerfamiliären Transfergeldern. Die Entwicklung zwischen der Hoffnung, die in den 90igern aufkeimte, und dem erbitterten Ende im Heute lässt sich anhand des Werkes von Katja Kullmann nachvollziehen. Wer nicht auf diese Transferleistung zurückgreifen kann, muss sich im Zweifelfall an den Staat wenden. Bei all dem beschäftigt sich unsere gesamtdeutsche Gesellschaft heute wieder nur mit Schuldigen. Die Griechen. Die Italiener. Die Spanier. Die Portugiesen. Zeitweise auch die Engländer und die Franzosen. Das Schöne ist, für unsere diffuse Angst findet sich immer ein Schuldiger. Und ist Angela nicht willig, so gründet sich eine Partei und ist dagegen.

Auch Staaten unterliegen der Supranationalisierung. Dieser Prozess ist nicht mehr aufzuhalten. Die Folge ist, dass Schröder wohl der letzte Kanzler war, der selbstbestimmt gestalten konnte. Dabei unterwarf er sich freiwillig den Gegebenheiten, statt Weichen zu stellen. Ich kann da nicht klatschen. Es half im kurzfristigen Wettbewerb, doch was hat es uns, nicht nur an Sozialausgaben erspart, sondern an Sozialem gekostet? Seit Schröder reden wir nur noch über Geld. Auch die Einnahmen des aktuellen SPD-Kanzlerkandidaten. Selbst die Reden zur deutschen Einheit beschäftigten sich letztes Jahr ausschließlich mit der Thematik Geld. Sie nannten es Europa.

 

[1] Müller-Armack war bei Weitem kein Heiliger. Er kritisierte an der liberalen Wirtschaftspolitik u. a., dass sie dazu führe, dass die Wirtschaft nicht kriegsfähig sei. Ihm wäre es lieber gewesen, die Wirtschaft hätte ein paar Schwächen könnte dafür aber jederzeit auf die Produktion von kriegswichtigem Gerät umstellen. Nebst Ingenieurskunst wäre es sicher interessant zu hinterfragen, ob der heute noch hohe Anteil der Waffenhersteller an der deutschen Wirtschaft auch dieser Ideologie zu verdanken ist.

[2] Deutschland setzte die Soziale Marktwirtschaft auch in der EU durch. Ungeklärt bleibt bis heute jedoch die Antwort auf die Frage, was genau sozial ist. Ist der Markt sozial oder bedarf es eines Sozialsystems um den Zustand des Sozialen in der Marktwirtschaft zu gewährleisten? Die Existenz eines Sozialsystems hingegen sichert noch lange nicht die Existenz des Bürgers, wie aktuell in Griechenland gesehen werden kann. Die Ausgestaltung scheint so flexibel, dass die Begrifflichkeit „Soziale Marktwirtschaft“ nur noch eine leere Hülse ist. Eine Phrase ohne Wert, die sich schnell daher sagen lässt.


20 Lesermeinungen

  1. Califax75 sagt:

    DDR-Wirtschaft
    Unter dem Aspekt der negativen Auswüchse des entfesselten und globalisierten Kapitalismus sollte man sich viell. das Wirtschaftssystem der DDR nochmals genauer ansehen. Entgegen der landläufigen Meinung ist es nämlich keineswegs bewiesen, das diese nicht funktioniert hätte! Als negativ hierbei muss erachtet werden, dass durch einige gravierende Fehlentscheidungen von einzelnen Personen das System sich in bestimmten Teilbereichen deutlich schlechter darstellte, als es hätte sein müssen, hierbei zu nennen die Zwangsverstaatlichung 1972 der Kleinprivatbetriebe, schlechte Bezahlung von Ingenieuren, Vernachlässigung von bestimmten Industriezweigen, riesige Subventionen für Grundnahrungsmittel usw.
    Auf der anderen Seite haben wir viele Dinge, auch nicht materieller Art, die deutlich positiver erscheinen und auch damit die Enttäuschung vieler Ostdeutscher erklären, an allererster Stelle zu nennen die Garantie eines Arbeitsplatzes für jeden, ja es herrschte sogar latenter Arbeitskräftemangel, damit einhergehend weniger soziale Kälte, bessere Förderung und Weiterqualifizierung im Beruf, langfristigere Planung und Stabilität der Produktion, Bau von Fabriken in strukturschwachen Regionen.

    Eine fortschrittlichere Variante, der DDR-Planwirtschaft, das NÖSPL, wurde nach einer kurzen Blütezeit in den Sechziger Jahren alsbald von den SED-Funktionären wieder zurückgefahren.

    Wer hätte das gedacht, DDR-Haushaltgeräte waren per TGL langlebiger produziert worden als Westgeräte, hielten teilweise doppelt so lang. In der Planwirtschaft ein Segen, für die Marktwirtschaft ein Fluch. So hielten sie für den Quelle-Katalog teilweise zu lange, und wurden ausgelistet.

  2. […] blogs.faz.net/wost/2013/03/15/unsoziale-marktwirtschaf […]

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