Erst vor einigen Jahren habe ich Worte für das gefunden, was mich eine lange Zeit in meiner Kindheit traurig gemacht hat. Doch ich hatte keine Bezeichnung für das, was geschah. Und es geschah auch nicht sehr viel – zumindest oberflächlich betrachtet. Was geschah, war fast nicht sichtbar – nur spürbar. Beinahe 20 Jahre lang fehlten mir Begriffe, bis ich in meinem Studium vor einigen Jahren Pierre Bourdieu begegnete. In einem Seminar las ich Textstellen aus „Die feinen Unterschiede“ (1). Darin hatte Bourdieu beschrieben, wie so etwas Subtiles wie Geschmack über soziale Inklusion oder Ausgrenzung entscheiden kann. Erst nach und nach begriff ich seitdem, dass ich einen ostdeutschen Habitus hatte. Wahrscheinlich bis heute habe.
Ich war sieben Jahre alt und die Leute sagen von kleinen Kindern, dass sie sehr flexibel und anpassungsfähig sind. Sicher. Aber vieles sitzt in diesem Alter auch schon fest, ist verinnerlicht ohne, dass man sich dessen unbedingt bewusst ist. Ein Teil unseres Wesens ist fertig, er entsteht durch die Kultur, die uns umgibt, durch die Sprache und die Musik, die wir hören, die Bilder, die wir sehen, das Essen, das wir essen und vieles mehr. All das, was uns vertraut ist, unsere Normalität, prägt wie wir „ticken“. Dies ist der sogenannte Habitus.
Kulturkonsum macht Leute
Bourdieu hat in „Die feinen Unterschiede“ das Soziologische und das Ökonomische im Raster der Kultur zusammengebracht. Er sagt (es ist sein erster Satz und er gibt die Richtung des Buches vielsagend vor):
„Auch kulturelle Güter unterliegen einer Ökonomie, doch verfügt diese über eine eigene Logik.“
Der Rest des Buches untersucht mit wissenschaftlichen Werkzeugen, was das für eine Logik ist. Die Bedingungen, die sich als eine Art unsichtbarer Spielregeln beschreiben lassen, können auch „Distinktion“ genannt werden. Sie besteht aus dem Schaffen von Unterschieden und die zugehörige Praxis ist ständige Abgrenzung. Distinktion gab es immer schon, sie scheint nahezu zum Menschen zu gehören, einprogrammiert zu sein in dessen Nervenbahnen. Sie trennt Klassen und Kulturen auf eine mal mehr, mal weniger subtile Art. So war französisch früher eine Adelssprache und wer gelehrt war, konnte noch bis in das 20. Jahrhundert hinein Latein – es verschwindet erst seit kurzem (und selbst das werden manche noch bestreiten). Manche Unterschiede sind weniger offensichtlich, eben feiner.
So fällt an der Frau im karierten Mantel in der U-Bahn auf den ersten Blick vielleicht niemandem der Wohlstand auf. Doch: Denjenigen, die einen Blick für die feinen Unterschiede haben, die Codes kennen, denen fällt er auf und sie werden sich vielleicht ein kleines bisschen mehr gemein mit der Frau machen, als mit jeder anderen. Denn wenngleich der Mantel auf den ersten Blick von der geschmähten „Stange“ einer schwedischen Klamottenkette sein könnte, bei genauerer Betrachtung schließen an den zusammengenähten Stellen die Karos auf eine stilvolle Art miteinander ab. Hier hat jemand nicht nur wahllos Stoff zerschnitten und im Akkord in Bangladesch aneinandergenäht. Nein, es wurde auf ein für Leute wie mich unsichtbares Detail geachtet – bei diesem Mantel gab es mehr Verschnitt. Dafür ist das Muster perfekt.
Destinktion unter Kindern
Wenn ich heute mit meiner Mutter über meine Kindheit und dieses Gefühl des Ausgegrenzt-seins spreche, dann ist sie verwundert und denkt an ein (aus ihren Augen) ganz normales Mädchen, das mal kurz Probleme hatte, weil es gehänselt wurde. Die feinen Unterschiede sind für uns wohl tatsächlich sehr schwer zu greifen, über Generationen hinweg kaum zu verstehen, aber als Kind habe ich sie gespürt, ohne einen Begriff dafür zu haben. Im Detail gab es viele kleine Unterschiede. Das fängt an bei Frisur, Kleidung und Schuhe. Mein Plüschtier-Bataillon sah anders aus, ostiger und daran konnte auch meine kleine ALF-Klemmfigur nichts ändern, die ich heiß und innig liebte (da ich ALF heiß und innig liebte, vielleicht, weil ich mich manchmal ähnlich deplatziert fühlte). Als es „in“ war, Stickeralben zu bestücken und die Sticker untereinander zu tauschen, hatte ich zwar welche. Aber aufgrund der preislichen Unterschiede (die dann gar nicht mehr so fein waren), waren darunter weniger Plüschige und weniger Glitzernde als bei anderen Kindern. Mit mir wollte man nicht so gerne tauschen.
Klar: Meine Eltern hatten auch einfach nicht so irre viel Geld – aber andere Eltern auch nicht. Viel mehr, denke ich, spielte hier eine Rolle, dass meinen Eltern nicht so ganz aufging, dass sich schon Kinder soziale Anerkennung über Statussymbole erkauften. Heute bin ich ihnen dankbar, dass sie da nicht mitgemacht haben. Wenngleich ich mich damals sicher manches Mal beschwerte und gern mehr gehabt hätte. Mehr Sticker, mehr Barbies und Anziehsachen für sie, mehr Spiele für den Gameboy (und vielleicht nicht nur den Gameboy, sondern NES oder Supernintendo wie andere Kinder… die Möglichkeiten waren ja schier unendlich und ich war alles andere als darin geübt, mit der riesigen Auswahl an Konsumgütern auf eine angemessene Weise umzugehen). In der Schule hatten alle Kinder einen Pelikan Tuschkasten, nur ich nicht, ich hatte einen Noname-Kasten. Erst, als im Gymnasium mein Kunstlehrer darauf bestand, dass es der von Pelikan sein müsse, besorgte man mir eben diesen. Erst, als mein Gymnasial-Musiklehrer mir in der Sechsten einen Vogel zeigte, als ich nach dem Kontakt zu einem Keyboard-Lehrer fragte, bekam ich ein Klavier. Und Klavierunterricht, den andere schon seit ihrem fünften Lebensjahr gehabt hatten. Was anderen völlig Selbstverständlich war (etwa die Mitgliedschaft im Sportverein), wurde bei mir häufig erst von außen angeregt.
Gewollt und nicht gekonnt
Bis ich etwa 14 Jahre alt war, hatte ich das dumpfe Gefühl, dass mit meiner Kleidung (verglichen mit der Kleidung der anderen) etwas nicht in Ordnung war. Erst mit 14 fand ich meinen Stil, wurde langsam sicherer in der Auswahl meiner Klamotten. Ich begann, aus der „Not“ eine Tugend zu machen und ausgetragene Klamotten (aus dem Second Hand oder von meinem Vater) anzuziehen. Denn jetzt war ich eben „alternativ“ und machte das zum persönlichen Stil und fühlte mich damit ganz wohl. Auch setzte ich in diesem Alter bewusst auf den Besitz einer Levis Jeans und eines Levis Sweatshirts (die ich beide solange trug, bis sie auseinanderfielen), um wenigstens ein kleines bisschen an die anderen anschließen zu können. Doch der eigentliche „Trick“ lag darin, es mit der Assimilation insgesamt eher aufzugeben. Mir wurde es zum ersten Mal egal, was andere über mich dachten und als ich in der Abizeitung den Titel „die mit den freakigsten Klamotten“ abstaubte, war ich stolz darauf. Ich war ich. Wie ich sein wollte und konnte. Die ersten sieben Jahre war ich nur gewollt, nicht gekonnt gewesen.
Aus der Distanz betrachtet wundert es mich heute nicht. Über die Mode in der DDR gibt es eine eigene Episode des Podcasts „Staatsbürgerkunde“. Und ich spare mir darauf verweisend einmal die Ausführlichkeit. Fest steht aber, dass die Mode der DDR anders war und auch vom Westen nicht selten belächelt. Die Kleidung war, wenn sie nicht gerade aus dem „Exquisit“ kam, wenig vielfältig oder gar glamourös. Nicht jede_r war so stilvoll wie Katharina Thalbach, als sie 1974 von Sibylle Bergemann fotografiert wurde (zu sehen in einem Youtube-Video). Aber: Dass wir im Vergleich mit dem Westen eher … unmodisch aussahen, das war gerade uns Kindern bewusst.
Vor der Wende, in meinem Fall vor unserer Ausreise, sah das noch anders aus: Unsere Mutti fanden wir hübsch (und das war sie natürlich auch!) und unsere Kleidung gefiel uns gut, so wie sie war (wenn sie nicht gerade kratzte oder juckte, wie so manche Strumpfhose – aber das dürfte ein sehr internationales Problem sein). Das, was ich als „normal“ kennengelernt hatte, war nun aber nicht gerade deckungsgleich mit westlichem Geschmack. Und so merkte ich nach dem Umzug in den Westen unterbewusst schon recht früh, dass ich nicht so ganz „reinpasste“. Dieses Gefühl wurde in den Anfangsjahren nach der Wende nur bestärkt: Jeder Besuch im Osten, bei den Verwandten, den Cousinen, den Freunden, machte es schlimmer. Wie „schlecht“ dort alle angezogen waren. Zumindest fand ich das plötzlich. Es war mir schrecklich peinlich. Dennoch hatte ich nie gelernt, wie das „richtig“ ging, wie man sich im Taubertal eigentlich anzuziehen hatte. Alle taten es ja, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt (alle Einheimischen zumindest). Bourdieu bringt das Problem mit dem Begriff Habitus auf den Punkt:
„Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist.“
Die Rönicke aus der DDR
So wie ich war, wollte ich viele Jahre lang nicht sein. Doch das lag nicht nur am Habitus. Hinzu kamen die Klischees und Stereotype über Ossis. Allen voran das legendäre Titelbild des Satiremagazins Titanic um die Wende, das mit der „Zonen-Gaby“. Vielleicht war dieses Titelbild gar nicht mehr nötig, um den Wessis einen Freifahrtsschein zum Lustig-machen über Ossis zu geben. Jedenfalls wurden Sprache, Klamotten, (fehlender) Geschmack, Filme und Serien, Musik und vieles mehr sehr ausgiebig durch den Kakao gezogen. Ossi zu sein war peinlich. Und es wurde von einigen Mitschülern geradezu zelebriert, sich darüber lustig zu machen. In der ersten Klasse wie auch nach dem Wechsel aufs Gymnasium in der fünften Klasse, fanden sich immer ein paar Kinder, die sich der kursierenden Witze dankend annahmen. „Die Rönicke aus der DDR“ – mehr musste man gar nicht sagen. Allein das reichte schon, um abzuqualifizieren.
Über wen ein solches Bild, stereotyp und voller Klischees, gezeichnet wird, der ist nur schwer ein freier Mensch. Immer wieder wird er auf solche Klischees zurückgeworfen sein, sich in Schubladen wiederfinden und dagegen angehen müssen. Angeheizt wurden die Klischees nicht zu knapp auch von Politikern. Zum Beispiel Harald Ringstorff, der von Kristina Schröder sogar lobpreisend und für die konservative Seele stehend zitiert wird: „Die Ostdeutschen haben eine große Sehnsucht nach Gleichheit.“ Weshalb die Ostdeutschen, nach Ringstorff, lieber alle trockenes Brot äßen, anstatt hinzunehmen, dass alle Brot mit Margarine bekämen und einige wenige sich noch Kaviar drauf schmieren könnten. Schublade auf, Ossis rein, Schublade zu. Die Emanzipation der Ostdeutschen aus all diesen Schubladen ist, so scheint mir, noch lange nicht geschafft. Die Inklusion in ein gemeinsames Deutschland ist genauso misslungen, wie sich Deutschland mit der Inklusion diverser Kulturen immer schwer tut. Und gefühlt sind ja immer die anderen das Problem: Ihr Habitus klebt an ihnen.
(1) Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp 2012 (22. Aufl.)
sorry
Ich kann natürlich nur für mich selbst sprechen. Auch wollte ich niemend damit zu nah treten.Das ist einfach nur meine persönliche Meinung.
Ich bin in der DDR aufgewachsen, als die Mauer fiel war ich 14 J. , inzwischen bin ich 37 J. und wohne seit 8 Jahren bei Bremen.
Es ist interessant, was einem im Laufe der Jahre so durch den Kopf geht.Die Unterschiede zwischen ost und west sind einfach da. Anpassungsschwierigkeiten hatte ich genug. Meistens ging es eher darum, im Job, sagen wir mal „hart“ zu sein und sich durchzubeissen, mit Eigendynamik und auch ein bisschen Show. Diese ( für mich ) doch etwas oberflächliche Art der Selbstdarstellung habe ich im Laufe der Zeit allerdings einfach nur hassen gelernt. Erstens kann ich es gar nicht. Zweitens will ich es auch gar nicht.
Ich habe vor 2 Jahren für mich selbst ganz klar formuliert:Ich hab keine Lust, diesen West Habitus zu verkörpern ! Wer bin ich dann ? Ich arbeite mit Russen und Türken, alle die scheinen überhaupt keine Schwierigkeiten zu haben, ihren nationalen Habitus auszuleben. Warum habe also ich als Ossi das Gefühl, ich müsste mich überanpassen und einen Teil von mirselbst unterdrücken, der einfach zu mir gehört. Ich habe schlicht keine Lust mehr darauf !
Diese Erkenntnis war für mich so einschneident und wichtig, dass es mir fast die Tränen in die Augen treibt.Ohne das alles bin ich nichts. Ohne die Menschen im Osten, die mich geprägt haben, bin ich nichts.
Ohne die Erinnerungen an meine Freunde aus der Kindheit bin ich nichts. .u.s.w….
Ich bin ein Ossi im Westen. Und Angriffsfläche bietet doch jeder irgendwie.
Wenn ich das also so sehe, was soll ich hier sonst schreiben.?
vielen dank
für diesen einblick.
man muss das ja auch irgendwie bewältigen. also jeder für sich, denn es gibt keine anleitung. höchstens erfahrungswerte und ich hoffe wir können ein wenig dazu beitragen.
meine beobachtung ist bspw. dass jene, die das überwinden, durchaus auch zur avantgarde werden, denn sie klinken sich aus gesellschaftlichen deutungsmustern aus und können damit weitergehen als andere. das verlangt diesen dann wiederum respekt ab. es ist ganz eigenartig..
und es ist ein positiver aspekt an all dem, der sehr viel abverlangt. ich selbst fühle mich da ganz weit weg. es wird lediglich besser. im endeffekt lerne ich dabei, dass vieles im grundsatz gar nicht so falsch war, sondern die umsetzung das problem ist. dem richtigen und dem positiven gilt es sich zu bemächtigen, denn es zeigt dass man selbst nicht falsch ist. so geht es zumindest mir. das ist mein, meist verkopfter, weg.
@Marco Herack
Jeder muss seinen eigenen Weg finden, genau. Ich halte es z.B. so, dass ich mich sowenig wie möglich an Wessis orientiere, um besser mit meinem “Ossi-Anderssein” klarzukommen, sondern an anderen Vorbildern, oder vielmehr Prinzipien. Römischen Tugenden z.B. oder zeitlosen Tugenden der Oberschicht. Die Frage ist für mich nicht: wie würde sich ein Durchschnittswessi verhalten, sondern: Wie würden sich Caesar, Thomas Mann, Steve Jobs etc. verhalten… :)
der Keyboard-Lehrer
“Erst, als mein Gymnasial-Musiklehrer mir in der Sechsten einen Vogel zeigte, als ich nach dem Kontakt zu einem Keyboard-Lehrer fragte, bekam ich ein Klavier.”
– Würden Sie, liebe Frau Rönicke, mir diesen Vorgang gedanklich näherbringen? Haben Sie, wenn ich so beginnen darf, wortwörtlich nach einem Keyboard-Lehrer gefragt?
Dein Habitus ist ein Teil deiner nationalen Seele
Ich finde den Beitrag auch sehr interessant. Was ich seltsam finde ist, dass bereits der Titel den eigenen Habitus ( in diesem Fall der DDR Habitus ) verumglimpft ! Warum eigentlich ??
Wie kann Authenzität, Zusammenwachsen ect. enstehen, wenn man sich seines eigenen Habitus schämt und versucht, alles zu verbergen ??
wie...
… kann man sich denn nicht schämen, wenn einem die gesamte (weste)umgebung bedeutet, dass man falsch ist? zumal als kind.
Ohne Veragngenheit keine Zukunft..
Ich kann natürlich nur für mich selbst sprechen. Auch wollte ich niemend damit zu nah treten.Das ist einfach nur meine persönliche Meinung.
Ich bin in der DDR aufgewachsen, als die Mauer fiel war ich 14 J. , inzwischen bin ich 37 J. und wohne seit 8 Jahren bei Bremen.
Es ist interessant, was einem im Laufe der Jahre so durch den Kopf geht.Die Unterschiede zwischen ost und west sind einfach da. Anpassungsschwierigkeiten hatte ich genug. Meistens ging es eher darum, im Job, sagen wir mal „hart“ zu sein und sich durchzubeissen, mit Eigendynamik und auch ein bisschen Show. Diese ( für mich ) doch etwas oberflächliche Art der Selbstdarstellung habe ich im Laufe der Zeit allerdings einfach nur hassen gelernt. Erstens kann ich es gar nicht. Zweitens will ich es auch gar nicht.
Ich habe vor 2 Jahren für mich selbst ganz klar formuliert:Ich hab keine Lust, diesen West Habitus zu verkörpern ! Wer bin ich dann ? Ich arbeite mit Russen und Türken, alle die scheinen überhaupt keine Schwierigkeiten zu haben, ihren nationalen Habitus auszuleben. Warum habe also ich als Ossi das Gefühl, ich müsste mich überanpassen und einen Teil von mirselbst unterdrücken, der einfach zu mir gehört. Ich habe schlicht keine Lust mehr darauf !
Diese Erkenntnis war für mich so einschneident und wichtig, dass es mir fast die Tränen in die Augen treibt.Ohne das alles bin ich nichts. Ohne die Menschen im Osten, die mich geprägt haben, bin ich nichts.
Ohne die Erinnerungen an meine Freunde aus der Kindheit bin ich nichts. .u.s.w….
Ich bin ein Ossi im Westen. Und Angriffsfläche bietet doch jeder irgendwie.
Wenn ich das also so sehe, was soll ich hier sonst schreiben.?
In Frankreich...
… ist die Bedeutung des Habitus’ sicherlich deutlich größer als z.B. in den USA. Deutschland dürfte etwa in der Mitte liegen. Bourdieu jedenfalls wurde von seinen amerikanischen Kollegen ja etwas belächelt, wenn er etwa berichtet, wie wichtig gegenseitige Geschenke in der französischen akademischen Welt sind für den Aufstieg. Das Wissen, was “man” wann schenkt, ist habituell und wird nicht ausdrücklich vermittelt…
Mir fällt z.B. immer wieder auf, wie extrem gepflegt Oberschichtsangehörige sind – passt zu ihrer Beobachtung mit den Karos… Vor meiner Bourdieu-Lektüre wäre mir sowas nie aufgefallen.
Auch dass Geschmack derart von Herkunft (via Habitus) bestimmt ist, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Mich hat wie Sie auch nur vieles verstört (bin auch Ossi), aber erst die Feinen Unterschiede haben mir die Augen gewissermassen geöffnet… :)
Heute kann ich fröhlich sage, dass man solche habituellen Irritationen am besten mit Gelassenheit und Vernunft aushält. Ich habe beruflich häufiger mit Oberschichtsleuten zu tun und komme ganz gut klar… Freundlich, vorurteilsfrei, rational, sorgfältig, ordentlich und gut riechend – damit kommen Sie schon recht weit… :)
Außerdem hilft es enorm, sich grundsätlich nie mit trivialen Dingen zu beschäftigen und von allem immer nur das Beste zu nehmen – jedenfalls betreffs Literatur, Musik, etc. Das war seit der Antike ein Merkmal der Oberschicht, und es macht ausserdem Spass, Heidegger und Wittgenstein zu lesen, statt, wie die Mittelschicht, Kant und Hegel, oder wie die Unterschicht, Precht und Yogeshwar im Regal zu haben… :)
BCBG
“Bon chic, bon genre” nennen es die Franzosen, die etwas einfallslose Kleidung der “Oberschicht” (in Deutschland war es lange z.B. der Schottenrock mit Perlenkette) die ja eigentlich nur das gehobenen Bürgertum ist, so jedenfalls würde ein waschechter Aristokrat naserümpfend feststellen. Der trägt den aufgetragenen Smoking seines Vaters und kann sich nicht vorstellen, dass man Möbel kauft; die erbt man doch um Gottes Willen! Die Nuancierung von Klassenzugehörigkeit und dem entsprechenden Habitus (v.a. der Akzent) ist in Frankreich und England eine Wissenschaft für sich.
P.S. Sie lesen Wittgenstein mit Spass?! Doch wohl nicht im Ernst! ;-)