Als ich in den Westen kam, konnte ich noch nicht lesen. So habe ich nie eine DDR-Zeitung in den Händen gehalten oder gelesen, ich habe auch kaum verstanden, was in der „Aktuellen Kamera“ erzählt und behauptet wurde und was der Unterschied zu den Nachrichten im Westfernsehen war. In der Auseinandersetzung mit dem Journalismus der DDR kann ich somit nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, ich lese und höre, was andere erzählen. Zum Beispiel im Podcast Staatsbürgerkunde oder in der Zeitschrift Horch und Guck. Doch das Bild, das sich so durch viele verschiedene Quellen ergibt, ist recht eindeutig: Journalismus war in der DDR nicht das, was Journalismus, der von Fabris 1981 als die vierte Gewalt im Staat bezeichnet wurde, gemeinhin ist. Zu so einem Journalismus gehört zum Beispiel ein Pressekodex:
„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.“
So lautet der erste Grundsatz des Deutschen Pressekodex. In der DDR war davon keine Rede.
„Journalismus“ in der DDR

„Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator.“ – Lenin hatte sehr klare Vorstellungen von Zeitungmachen. Und diese wurde in der DDR durch die SED beherzt umgesetzt. Journalisten hatten in der DDR vor allem die Aufgabe, Weiterleiter der Weisungen der Partei zu sein. Diese Aufgabe wurde auch in der Verfassung der DDR verankert. Zwar hatte in der DDR auch jeder Mensch das Recht, der „Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern“ (Artikel 27), jedoch wurde dieses Recht zwei anderen Grundsätzen untergeordnet, nämlich der „führenden Rolle der SED“ (Artikel 1) und dem „Demokratischen Zentralismus“ (Artikel 47). Verfassungsgemäß konnte man seine Meinung also nur äußern, wenn man diese beiden Grundsätze nicht verletzte. Als 1968 die Verfassung geändert wurde, strich man deswegen auch gleich die Formulierung „Eine Zensur findet nicht statt“ heraus.
Angeschlossen an die Partei SED gab es daher nur folgerichtig eine „Kommission für Presse und Rundfunk“, die sicherstellte, dass die Leitmedien der DDR, etwa das Neue Deutschland, die schon erwähnte Aktuelle Kamera, sowie der Nachrichtendienst ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) gleichgeschaltet waren und keine „staatsgefährdenden“ Nachrichten und Berichte gebracht wurden.
Tabu waren etwa Berichte über die Mängel in der Versorgungslage, über oppositionelles oder Widerständiges Verhalten (es sei denn, dieses ließ sich gut verwenden, um solch ein Verhalten an den Pranger zu stellen und sich darüber moralisch zu erheben) oder auch größere Unglücksfälle, die Systemschwächen offenbart hätten. In diesem Zusammenhang muss natürlich Tschernobyl erwähnt werden, von dem wir Ostdeutschen nicht gerade viel mitbekamen. Sebastian Pflugbeil berichtet im Podcast Elementarfragen im Gespräch mit Nicolas Semak, wie Tschernobyl in den DDR-Medien unter den Teppich gekehrt wurde. Umweltschutz war im Ganzen als Thema auf dem Index.
Die Schere im Kopf – damals dort und heute
Der Pressekodex – manchmal scheint es als sei er vergessen, nicht mehr so wichtig, oder altmodisch und obsolet. Das betrifft nicht nur die vielgeschmähte BILD-Zeitung, oder ihre regionalen Äquivalente, bei denen offensichtlich und bekannt ist, dass Jugendschutz, Persönlichkeitsrechte und Wahrheit gerne stark gedehnt oder komplett missachtet werden. Auch andernorts erodiert das Fach, werden Qualitätskriterien einem Sparzwang und der immer schneller werdenden Echtzeitkommunikation von im Netz untergeordnet. So soll aus dem Journalismus mehr und mehr eine Eierlegende Wollmilchsau gemacht werden: Er soll schneller sein, als twitter und Blogs. Er soll nichts kosten. Und er soll bitteschön hinterher sehr viel Zuspruch erhalten und in den sozialen Medien mit „Gefällt mir“ geadelt werden. Man setzt auf das Wiederspiegeln schon vorhandener Meinungen, nicht auf eine kritische Beleuchtung oder gar Veränderung.
Harald Schumann vom Tagesspiegel äußert in „Die Vierte Macht“[1], wenig Hoffnung. Er sagt, die Journalisten und die Medienarbeiter seien tief in unsere Gesellschaft eingebettet und fragt „Woher sollte denn plötzlich ein avantgardistisches Bewusstsein der Medienarbeiter kommen, dass sie sagen: Wir gehen jetzt voran. Neunundneunzig Prozent unserer Kollegen wären damit überfordert, nicht nur intellektuell, auch von der Ausbildung her.“ Medien sind in seiner Wahrnehmung keine Instrumente, um Paradigmenwechsel, etwa in der Wirtschaftspolitik oder in der Umweltfrage, voranzutreiben. Sie seien nur dann Instrumente zur gesellschaftlichen Veränderung, wenn sich die Gesellschaft schon in einem Umbruch befände. „Wer diese Reihenfolge umdrehen will, hängt einem naiven Wunschtraum an.“ Das klingt wenig erbaulich.
Als ich selbst mit etwa 14 Jahren beschloss, Journalistin werden zu wollen, hing ich diesem naiven Wunschtraum mit einiger Leidenschaft an. In meiner Idee von Journalismus begleitete eine kritische Presse die Politik, deckte sie Denkfehler genauso auf, wie das Verrennen der Politik in falschen Dogmen. Nicht nur Schumann dürfte diese Haltung belächeln. Auch Sebastian Pflugbeil ist ein kritischer Geist und sieht in Medien wie auch in der Politik eine Schere im Kopf am Werk, die nicht wagt, schockierende Wahrheiten auszusprechen. Auch nach einem großen, aufrüttelnden Ereignis wie Fukushima würde sich nicht weiter mit den Problemen der Atomkraft befasst, sondern zur Tagesordnung übergegangen.
Die Zukunft braucht Sorgfalt und Verantwortung
Zum Thema Sorgfalt sagt der Pressekodex „Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden.“ Sorgfalt – das sollten wir uns immer wieder eintrichtern – ist nicht mit Zeitverknappung übereinzubringen. Nicht mit Sparzwang. In den vergangenen Jahren gab es viele Debatten über die Zukunft von Journalismus angesichts der großen Konkurrenz durch twitter und Blogs. Die Ich-Sender fühlen sich als die Zukunft der Medienlandschaft. Sie wollen genauso viel Relevanz zugestanden bekommen und sie wollen für die „alten Medien“ nicht mehr bezahlen – wozu? Es gibt die doch auch bald in Deutschland die Huffington Post, die ihre Beiträge aus Blogs zusammenstellt und all die Blogger sind richtig dankbar, wenn sie endlich die begehrte Aufmerksamkeit bekommen.
Mercedes Bunz ist sicher unverdächtig eine Netz-apokalyptische Haltung einzunehmen. Sie ist passionierte Optimistin und sieht in den neuen technischen Möglichkeiten durch Algorithmen und Netz vor allem auch neue Chancen und Herausforderungen auf uns zukommen. Doch sie stellt sich an die Seite der Journalistinnen und Journalisten und spricht ihnen eine sehr wichtige Aufgabe zu: „Journalistische Ethik und professionelle Standards sind nicht obsolet, durch den technischen Fortschritt hat sich ihr Anwendungsbereich sogar noch erweitert.“ Die Journalisten seien historisch betrachtet immer schon so etwas wie ein Kontrollorgan der Macht gewesen, führt sie weiter fort, „die Digitalisierung führt uns nun allerdings vor Augen, dass nicht nur die Politiker, sondern auch die Technologie selbst beaufsichtigt werden muss.“[2] Anstatt sich also den Logiken der Massen, der Ich-Sender und der Algorithmen zu unterwerfen muss vielmehr deren Macht ebenso kritisch wie jede andere Macht in der Gesellschaft betrachtet und hinterfragt werden. Wer sonst sollte diese Aufgabe übernehmen – wenn nicht der Journalismus?
Ständige Emanzipation – und der Kreis schließt sich
So betrachtet und rückanknüpfend an die Rolle des Journalismus in der DDR, ist die tatsächliche Aufgabe des Fachs und der Medienarbeiter eine ständige Emanzipation von der Schere im Kopf, von scheinbaren Klarheiten und scheinbaren Unausweichlichkeiten. Diese Aufgabe wird umso wichtiger angesichts der immer wieder aufkommenden Debatte über die Zukunft und Überlebens-Chancen des Journalismus.
Gesamtzusammenhänge zählen, Umstände und Kontexte müssen erklärt werden, auch wenn neun von Zehn Quellen die gleiche Information vermelden, sollte kritisch hinterfragt werden, ob diese Meldung wirklich stimmt. Wenn das nicht funktioniert, muss Einspruch und Widerspruch erhoben werden – das ist wiederum die notwendige wichtige Aufgabe von Zivilgesellschaft, die heute mit dem Netz ein sehr breites neues Feld bekommen hat. Ein Beispiel sind die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefes „Wir haben es satt“ nach dem elften September 2001, die nicht zufällig vor allem von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern der ehemaligen DDR unterschrieben wurden. Dieser empörte Aufruf wurde bewusst als Kontrapunkt zu den ihrer Meinung nach unkritischen Berichten deutscher Medien geschrieben. Mit ordentlich Wut fordern sie:
„Nur eine Diktatur braucht linientreue Parteisoldaten. Demokratie braucht mündige Bürger. Lassen wir Medien, Parteien, Kultur und Wissenschaft nicht von röhrenden Funktionären gleichschalten.“
[1] Fleck, Dieter C.: Die vierte Macht. Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten. Hoffmann und Campe 2012. S. 33 in der Kindle-Edition.
[2] Bunz, Mercedes: Die stille Revolution. Suhrkamp 2012.
Heinz Knobloch
Es gab in der DDR aber auch einen Heinz Knoblauch, ein beim Volk sehr beliebter Mann & Journalist. Als Westberliner hab’ ich sein Tun erst vor kurzem bemerkt und mit viele seiner Bücher (mit seinen Zeitungsartikeln und anderes) besorgt. Gibt’s alles für’n Appel und’n Ei antiquarisch.
Der Mann konnte so gut berichten, beschreiben und schreiben, dass sogar die Zensur es nicht bemerkte. Allerdings lief er unter “Feuilleton” und das wurde wohl nicht so recht wahrgenommen(?); so konnte er unter diesem Deckmantel – oder zwischen den Zeilen, die DDR-Bürger durchaus lesen konnten – manch’ Wahrheit veröffentlichen. Sein sanfter Humor half auch.
Abgesehen davon war Heinz Knobloch ein außergewöhnliche guter Rechercheur. Wer würde heute noch Moses Mendelssohn kennen, ohne Knoblochs “Herr Moses in Berlin”.
Gleichschaltung als Chance
Die Erfahrungen der DDR machen auch Hoffnung. Damals hat sich schon mal gezeigt: Je öder der Einheitsbrei, umso größer ist die Wirkung einer authentischen Stimme.
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Und das gilt heute auch wieder. Wer heute ein bissel Talent, einen scharfen Blick und ein wenig Mut mitbringt, dem bieten sich große Chancen.