Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, wurde das vom Volk mit den Rufen nach Freiheit begleitet. Auf beiden Seiten. Noch im Jahr 2009 titelte „Die Welt“ in Bezug auf den Mauerfall: „Die große Freiheit“. Und mittlerweile haben wir einen Bundespräsidenten, der aus dem Osten Deutschlands kommt und sich das Wort „Freiheit“ auf die Fahne der Selbstvermarktung geschrieben hat. „Freiheit“ ist eines der großen Versprechen der Marktwirtschaft und sehr eng mit der Deutschen Einheit verbunden, wenn man sie denn aus Sicht eines ehemaligen DDR-Bürgers begreift.
Mittlerweile befinden wir uns im Jahr 2013. Der Mauerfall liegt rund 24 Jahre zurück und es wird immer offensichtlicher, dass das mit der Freiheit nicht so einfach ist. Manchmal ist sie an Stellen, an denen man sie nicht vermutete. Der Habitus, der an uns klebt, schränkt unsere innergesellschaftlichen Handlungsspielräume merklich ein. Eine Mischform aus Freiheit und Beschränkung ist der Konsum. Hier treffen kulturelle Ausdrucksweisen und politisches Handeln in Form von Gütern und Gebrauchsgegenständen aufeinander. In der Summe dieser Erfahrungen lässt sich sagen: Das Leben in der Freiheit führt zu einer ganz anderen Form von Zwang, als er sich im Leben in einer Diktatur vorfinden lässt.
In der Diktatur sind die Fronten klarer. Aber all diese Aspekte, bei denen eine zwischenmenschliche Abwägung stattfinden muss, die dadurch eine individuelle Verantwortung abverlangt, können erlernt werden. Ohnehin ist im Alltag vieles einfach nur Verhandlungssache. Man bespricht sich, man kommt dann miteinander klar oder geht sich aus dem Weg. Dadurch entstehen persönliche Schutz- und Rückzugsräume. Was man jedoch nur schwerlich vermeiden kann, ist der Zwang staatlicher und wirtschaftlicher Institutionen. So will das vom Staat betriebene Finanzamt einen jährlichen Einkommensbericht, die Nutzung des Internets kostet uns zwangsweise die eigenen Daten und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen wir besser gar nicht erst anfangen. Bisher konnte man auch damit zurechtkommen. Sich arrangieren. Bis neulich.
Am 6. Juni 2013 wurde die Welt, wie sie sich seit der Wende darstellte, komplett durcheinandergewirbelt. Die Washington Post berichtete, dass neun Internetfirmen dem US-Nachrichtendienst National Security Agency (NSA), im Rahmen eines ehemals streng vertraulichen Programmes namens PRISM, direkten Zugriff auf ihre Server gaben. Damit soll es der NSA unter anderem möglich gewesen sein, Kommunikation in Echtzeit mit zu verfolgen. Bei den Unternehmen handelt es sich um Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, Paltalk, AOL, Skype, Youtube und Apple. Diese Internetgiganten konzentrieren auf ihren Plattformen einen erheblichen Teil der digitalen Kommunikation. Entsprechend umfangreich und global ist die mögliche Überwachung durch die NSA.
Keine Stasi, keine Ideologie
Dieses umfassende Überwachungsprogramm ruft sofort Erinnerungen wach und Konnotationen hervor. Zu sehr erinnert dieses Eindringen in die Intimität unserer digitalen Kommunikation an den Überwachungsapparat, den die Stasi in der DDR betrieb. Scheinbar kann man weder heute noch damals der Überwachung durch den Staat entkommen. Doch heute nicht etwa, weil wir eingesperrt sind, sondern weil wir ganz frei und selbstbestimmt auf das Internet angewiesen sind. Die gefühlte Nähe dieser Überwachung zur Stasi ist als Gedanke bereits in der Welt. Seitens der so genannten Netzgemeinde wurde der Begriff „Stasi 2.0“ vor allem im Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung und die Onlinedurchsuchung verwendet. Das Feindbild damals: Wolfgang Schäuble. Damals.
Heute stehen wir vor einem konkreten Fall globaler Überwachung durch einen Geheimdienst und der Begriff taugt nicht mehr. Er wurde für eine vergleichsweise Kleinigkeit verbraucht.
Vielleicht ist das nicht verkehrt. Denn auch wenn die USA mit Drohnen im Namen des Terrors Menschen töten oder vereinzelt von der Straße entführen um sie an geheimen Orten, beispielsweise in Libyen, zu foltern, so liegt all dem doch wenigstens eine „gute Absicht“ zu Grunde. Man kann nicht sagen, dass wir uns in einer direkten Diktatur befinden, in der die Bürger einer Ideologie dienen müssen und keine Widerworte äußern dürfen. Das ist, im Vergleich zur Stasi und der DDR, ein qualitativ so starker Unterschied, dass sich diese Vergleiche verbieten. Frank Schirrmacher umschrieb das in der FAS vom 16.06.2013 mit den Worten:
„Denn die Überwachungssysteme Orwells wie auch die im „Leben der Anderen“ sind ideologisch und totalitär. „Big Brother“ will die Persönlichkeit auslöschen und gibt erst Ruhe, als Winston seine Liebe aus Angst vor Folter verrät. [1]
Staatliche Dogmen
Was wir in Bezug auf PRISM zu sehen bekommen, ist ein institutionelles Bedürfnis nach Einsicht und Kontrolle über die Bürger. Das muss die Bürger der Staaten wachsam werden lassen, denn wenn ein Staat beginnt, die gesamte (Welt-)Bevölkerung zu überwachen, dann steht dahinter die Aussage, dass dieser Staat die gesamte Weltbevölkerung als potenziell bedrohlich ansieht. Der Staat weiß nicht, wer ein Terrorist ist, also kann jeder ein Terrorist sein. Diese Sichtweise zeugt von einem ungesunden Maß an Paranoia. Das erzeugt Gegenseitigkeit. Denn wenn ein Bürger sich solch einem Staat ausgesetzt sieht, dann vermutet er überall eine Gefahr durch den Staat. Das könnte den Bürger wiederum für den Staat verdächtig erscheinen lassen.[2]
Als Beobachter bleibt einem in diesen Zeiten nur sehr genau zu verfolgen, was Politiker zu diesem Thema äußern. So zeigte sich ein Sprecher des Bundesnachrichtendienstes (BND) laut dradio nur „vom Ausmaß“ von PRISM überrascht. Den deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich überraschte ebenfalls nur das Ausmaß. Er schob in der Welt am Sonntag vom 16.06.2013 nach:
“Jeder, der wirklich Verantwortung für die Sicherheit für die Bürger in Deutschland und Europa hat, weiß, dass es die US-Geheimdienste sind, die uns immer wieder wichtige und richtige Hinweise gegeben haben.”
Wen nur das Ausmaß einer Handlung überrascht, der ist grundsätzlich über die Handlung informiert. Es ist kaum zu übersehen, wie in diesen Tagen seitens der Politik häufig nur vom Ausmaß gesprochen wird. Friedrich und der BND wussten also scheinbar, dass es PRISM oder etwas in der Art gibt. Zugleich ist Friedrich in jedem Fall für die Informationen dankbar, die er von den USA erhalten hat. Da die Überwachung in Deutschland ungewöhnlich hoch war, stellt sich auch die Frage, ob die Bundesregierung, Friedrich selbst oder auch nur der BND diese Überwachung durch die USA nicht gar wissentlich geduldet haben und im Ausgleich die gewünschten Informationen erhielten?
Wenn dem so wäre, hätte man an dieser Stelle die deutsche Gesetzgebung umgangen.
Während solche Fragen aufkommen und ihrer Antwort harren, investiert der BND 100 Mio. Euro in ein „Technikaufwuchsprogramm“ zur Stärkung der eigenen Präsenz im Internet. Der Weg ist gezeichnet.
Digitalisierung der Marktwirtschaft
Betrachtet man den Mauerfall nicht als soziales und gesellschaftliches Ereignis, sondern aus einer rein ökonomischen Perspektive, dann ist zeitnah die Beschleunigung der Globalisierung zu vermerken. Der Ostblock öffnete sich und mit ihm neue Märkte. Anfang der 1990er Jahre kam zugleich das Internet für die Massen auf und verbreitete sich rasant. Mit dem Internet weitete sich die Vernetzung der Privatmenschen, ebenso wie die der Unternehmen und Regierungen erheblich aus. Die Digitalisierung, in Kombination mit der Globalisierung, ermöglichte einen radikalen Wandel der bisherigen Prozesse und stellt die bestehenden Gesellschaftssysteme damit vor gänzlich neue Fragen.
Panoptisches Gefängnis zur besonders leichten Gefangenenüberwachung
Quelle: I, Friman [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC-BY-SA-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons
So ermöglicht zuvorderst die Digitalisierung unseres Lebens eine bis dahin unbekannte Messbarkeit. Was der Mensch denkt, fühlt, wie sich sein Gewicht entwickelt und wie viel Schritte er täglich läuft. Das alles und noch viel mehr ist messbar geworden. Da wir in einer marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaftsform leben, werden diese Daten von Unternehmen erhoben und auf deren Servern gespeichert. In manchen Fällen zahlt der Nutzer Geld, für die Hardware, aber für rein softwarebasierte Angebote hat sich die kostenfreie Nutzung eingebürgert. Das ermöglicht eine niedrige Eintrittsschwelle für potenzielle Nutzer, die ihre Daten dort hinterlegen. Damit die Unternehmen dann Geld verdienen können, schalten sie Werbung. Diese soll umso besser wirken, desto mehr Daten über den einzelnen Menschen bekannt sind. Dabei ist das Ziel nicht, wie allgemeinhin angenommen, herauszufinden was Menschen als Nächstes tun, sondern es soll ihnen eine (nicht nur soziale) Umgebung geboten werden, in der sie ganz selbstbestimmt und glücklich tun, was der Anbieter möchte. Das zu erreichen, garantiert die höchsten Gewinnmargen.
Um die Daten zu diesem Zwecke wirklich nutzbar machen zu können, bedienen sich die Unternehmen der Erkenntnisse des militärisch-mathematischen Komplexes, der nach dem zweiten Weltkrieg entstanden ist.[3]
Geheimdienste statt des Militärs im Inneren
Wir müssen uns an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass die Wirtschaft in den USA sehr stark mit dem Militär verflochten ist. Die jährlichen Ausgaben der USA für das Militär sind in diesem Sinne ein riesiges Subventionsprogramm, mit dem Technologien entwickelt werden, die dann auch für die zivile Wirtschaft nutzbar sind. Zugleich funktioniert der Erkenntnistransfer auch umgekehrt. Das heißt, aus den USA gibt es wenig bis gar keine Technologie zu erhalten, die nicht schon vom Grundaufbau her militärische Absichten mitdenkt.
Eines der größten zeitgeistigen Themen für das Militär ist die Informationsgewinnung. Wenn man denn nur wüsste, was der Feind vorhat, könnte man darauf schon vorher reagieren. Das ist die simpelste Absicht der Informationsgewinnung. Wenn das Militär weiß, welche Schwachpunkte eine Infrastruktur hat, könnte es eventuell mit wenigen und gezielten Aktionen diese Schwachstellen nutzen, um einen Feind lahmzulegen. Schwierig wird es in Städten. Diese sind verwinkelt und bieten viele Möglichkeiten zum Verstecken. Denkt man Städte im Sinne der Terrorbekämpfung, dann scheint es nahezu unmöglich für Schutz zu sorgen. Täter und Verdächtige verschwinden in den Massen, die eine Stadt bevölkern.
Aus diesem Grunde hat die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) ein Forschungsprojekt mit dem Namen „Combat Zones That See“. Diese sehenden Kampfzonen sollen die vollständige visuelle Überwachung einer Stadtbevölkerung ermöglichen. Einzelpersonen sollen in den Massen ebenso verfolgt werden können wie kollektive Bewegungsmuster.[4]
Zum Glück gibt es das Militär im Inneren nicht, mag da mancher denken. Doch wie wir spätestens seit PRISM nun auch offiziell wissen, helfen den Bürgern die Diskussionen und das Abwehren des Militärs im Inneren im Zweifelsfall nicht weiter, denn auch die USA dürfen ihr Militär nicht einfach Inlands einsetzen. Sie behelfen sich mit Inlandsgeheimdiensten, die diese Form der Überwachung unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terror im Inneren einsetzen. Auch gehen die Bestrebungen dahin, den Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten (In- und Ausland) zu verbessern. Dadurch verwischen sich immer mehr die Grenzen. Der Kampf gegen den Terror ist global. Das inkludiert auch das eigene Landesinnere.
Der Staat
Nach dem oben gezeichneten Fall der Mauer und der einhergehenden Veränderungen erfolgte mit den Anschlägen vom 11. September 2001 der zweite Bruch innerhalb kürzester Zeit. Mit dem 11. September kamen in den USA die Ausnahmegesetze. Die Vollmachten der Exekutive weiteten sich, durchaus auch auf Verlangen der Bevölkerung, erheblich aus. Diesen Prozess beschrieb Judith Butler damit, dass sehr viele ihrer Bekannten, in einem linken und liberalen Umfeld, die Sichtweise der republikanischen Bush-Regierung adaptierten und dieser das Wort redeten.
Mit der Ausweitung der Vollmachten der Exekutive schufen die USA die Basis für eine Art Durkheim‘schen Staat. Das heißt für einen Staat, der Entscheidungen unabhängig von Volkes Willen trifft und sich an einem technokratischen Paternalismus orientiert.
All diese Überlegungen und Diskussionen, diese statistischen Daten und administrativen Informationen, die den staatlichen Organen zur Verfügung gestellt werden und deren Zahl ständig zunimmt, sie alle bilden den Ausgangspunkt für ein neues geistiges Leben.
[..]
Es ist notwendig, dass zwischen diesen beiden Teilen der gesellschaftlichen Organisation (Gesellschaft und Staat) eine möglichst vollkommene Harmonie besteht.[5]
Durkheim schafft es tatsächlich ein Konstrukt zu denken, in dem der Staatsbürger kritisch und im vollsten Vertrauen gegenüber der Regierung zugleich ist. Des Bürgers Meinung ist dann durch die Regierung irgendwie zu bedenken, aber die Regierung weiß es immer besser. Wie das in der Realität funktionieren soll, belässt er im Unklaren. Es erinnert aber frappierend an die Eigenart in den USA, den Präsidenten im Krieg tunlichst nicht zu kritisieren. Durkheim ist in diesem Zusammenhang wichtig, da er nicht nur einer der „großen Begründer der modernen Soziologie“ ist, sondern auch als „republikanische Autorität“ wahrgenommen wird.[6] Zudem regiert in den USA momentan ein Präsident, dem Pragmatismus nachgesagt wird. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, gilt ebenfalls als pragmatisch.
Pragmatisches Regieren orientiert sich am vermeintlichen Sachzwang. Man tut, was getan werden kann und vor allem, was scheinbar getan werden muss. Dabei ist auch immer der eigene Machterhalt im Blick, vor allem aber leitet das technokratische Element solche Regierungen. Pragmatismus hat sehr viel mit Interessenausgleich zu tun, ist aber bei näherer Betrachtung die Regierungsform, die nach einem Höchstmaß an außerparlamentarischer Opposition durch die Zivilbevölkerung verlangt. Denn nur durch dieses Oppositionsgebaren kann die Zivilbevölkerung sicherstellen, dass der pragmatisch orientierte Handlungsrahmen auch dem Volke dient und nicht anderen, auf die Regierung einwirkende Kräfte. Beispielsweise Lobbyisten. Das heißt hier verschiebt sich der Interessenausgleich hin zu denen, die ihre Interessen am spürbarsten vertreten.
An diesem Punkt findet sich einer der hauptsächlichen Fehler momentaner Demokratiegestaltung. Das Volk konsumiert Produkte, für die es an Produzenten (Unternehmen) Geld bezahlt. Die Unternehmen erzielen dadurch Einnahmen (Umsätze) und behalten über eine Marge einen Teil dieses Umsatzes als Gewinn ein. Sie akkumulieren Geld auf sich. Diese akkumulierten Gewinne werden zum Teil für Lobbyarbeit verwendet, deren Ziel es ist, auf Regierungen und Institutionen, zu Gunsten der Unternehmen, einzuwirken.
Solche, von der Absicht der Geldakkumulation getriebenen Interessen sind nicht deckungsgleich mit den Interessen der Bevölkerung, die im staatlichen Sinne kein reines Konsumentenleben führt. Diese unternehmerische Einwirkung auf den Nationalstaat kann umso erfolgreicher geschehen, desto globaler die Kapitalakkumulation eines Unternehmens stattfindet.[7]
Ein Volk wählt somit zwar seine Vertreter, aber außerhalb der Wahlen findet die Entscheidungsfindung vor allem unter Berücksichtigung von nicht bürgerlichen Institutionen statt.[8]
Kollateralschaden Zivilbevölkerung
Bei Geheimdiensten ist das nicht anders. Sie sind Institutionen, die allein dem Staate dienen und damit nicht dem Volk. Sie agieren losgelöst von der Demokratie. Erst diese Konstellation ermöglicht es ihren Protagonisten Entscheidungen zu treffen, die absolut nicht im Sinne des Volkes sind. Umfassende Abhörmaßnahmen sind nur ein Teil dieses Ganzen.
Wenn ein Geheimdienst die Entscheidung trifft, eine Person mit einer Drohne zu eliminieren, dann ist der Akt der Tötung durch die Drohne nur der Höhepunkt des gesamten Einsatzes. Zuvor müssen Geheimagenten die Zielperson ausfindig machen und zweifelsfrei identifizieren. Im Regelfall sind solche Ziele sehr beweglich, also ist man darauf angewiesen, sehr nahe am Ziel dran zu sein. Bis kurz vor dem Einsatz der Drohne muss der Status bestätigt bleiben. Hinzu kommt, dass es selten der Fall ist, dass Unbeteiligte nicht betroffen sind. Das heißt die Einsatzleitung muss entscheiden, ob sie den Tod von Zivilisten in Kauf nimmt. Wenn ja, bis zu wie viel tote Zivilisten lassen sich durch das Ziel rechtfertigen? Personenschützer und Fußsoldaten fallen aus dieser Rechnung schon mal raus, diese gelten als unvermeidbare Kollateralschäden.
Die Verantwortlichen versuchen eine gewisse Ratio an den Tag zu legen. Die gleichen Verantwortlichen wollen aber auch die eigene Bevölkerung sowie andere Völker komplett überwachen, damit ein Terrorverdächtiger möglichst frühzeitig erkannt und aus dem Verkehr gezogen werden kann. Sie wollen auch sehende Kampfzonen erforschen und es wäre wohl zu viel verlangt, zu erwarten, dass diese nicht auch im eigenen Land errichtet würden. Denn der Kampf gegen den Terror findet vor allem im Landesinneren statt. Der Ruf nach Videoüberwachung ist hierzu der Vorläufer. Der gesamte Weg scheint gezeichnet und so wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch im jeweils Landesinneren Drohnen eingesetzt werden, die in der Lage sind Menschen zu töten. Sobald das der Fall ist, wird die Risikoabwägung sich damit beschäftigen, wie viel eigene Zivilisten das Töten eines vermutlichen Terroristen rechtfertigt.
Es erscheint sehr abstrakt, wenn solche Themen momentan am Beispiel Pakistan verhandelt werden. Das Land ist sehr weit weg und betrifft uns ja nicht. Doch es wird auch uns treffen, die Möglichkeiten werden dazu führen. Dann könnte es schwierig werden, im Fall Pakistan dafür und im Fall Deutschland dagegen zu sein.
Am Ende steht kein Orwell
Am Mittwoch (19. Juni 2013) wird US-Präsident Barack Obama am Brandenburger Tor in Berlin eine Rede halten. Einem Ort, der wie kein Zweiter in Deutschland für den Freiheitsbegriff steht, nach dem ein Volk sich einst sehnte.
Es ist nicht zu erwarten, dass Obama von seiner bisherigen Position abrückt. Gewiss ist nur, dass er schöne Worte für dieses Desaster finden wird. Und danach geht es weiter. Aber selbst wenn er von der Überwachung abschwört, wer möchte das noch Glauben? Es ist bei Weitem nicht der erste Skandal dieser Art. Die Skandale werden nur größer und der staatliche Griff nach den Daten umfangreicher. Es ist daher jetzt an der Zeit, dass wir uns als Gesellschaft fragen, wie mit diesen neuen Techniken umgegangen werden soll. Was der Staat darf. Was der Staat nicht darf. Die gleiche Fragestellung gilt für Unternehmen und einfache Menschen. Und, für den Moment vielleicht dringlicher, was andere Staaten auf deutschem Hoheitsgebiet dürfen. PRISM zeigt auf, dass dieser Diskurs nicht mehr präventiv geführt wird, sondern vielleicht schon zu spät.
Zu spät könnte es vor allem deswegen sein, weil wir uns nicht auf eine Diktatur zubewegen, wie sie beispielsweise Fred Kaplan als schleichende Entwicklung in dieser Zeitung am 17. Juni 2013 beschrieb. Diese Angst vor der Diktatur findet in der breiten Bevölkerung dadurch ihren Ausdruck, dass momentan „1984“ von Orwell in den Bestsellerlisten als göttliche Erscheinung nach oben getrieben wird. Bleiben wir in diesem Bild, dann sollte Aldous Huxley nicht vergessen werden, der sich hier mit Orwell vermischen könnte. Denn die wirklich erfolgreichen Systeme der Neuzeit, wie bspw. das chinesische System, haben die verschiedenen Elemente alter Ideologien in sich vereint und dadurch neue gesellschaftliche Ansätze geschaffen. Dabei geht es, mit Blick auf den Westen, nicht um frei oder unfrei, sondern um die Frage, wie viel geistige Bewegungsmöglichkeit das Individuum in einer von Komplexitäten geprägten Gesellschaft hat, deren Ideologie die Wahrscheinlichkeit ist.
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[1] Die Möglichkeit zur Überwachung ist zunächst nur eine Möglichkeit. Die Ideologie findet sich dann in den diese Möglichkeiten umsetzenden Institutionen. Diese Unterscheidung ist enorm wichtig, wenn wir dieses Thema diskutieren, da erst mit dieser Unterscheidung auch ein positives Bildnis erzeugt werden kann.
[2] Eine gegenseitige technische Aufrüstung könnte die Folge sein, die in einem neuerlichen Kryptokrieg endet. Signale dahingehend gab es bereits im Jahr 2010. Bezeichnenderweise auch durch Obama ausgelöst.
[3] Man sollte nicht vergessen, dass es sich um einen hauptsächlich auf Soziologie beruhenden Vorgang handelt, der dann mithilfe von Mathematik in Formeln gepackt und auf Zahlen reduziert wird.
[4] Krishnan, Gezielte Tötung, S. 90/91 (sehr lesenswert, mit einem Schuss Dystopie)
[5] Durkheim, Physik der Sitten, S. 133
[6] Colliot-Thélène, Demokratie ohne Volk, S. 206
[7] Eine weitere Runde könnte man mit dem Gedanken drehen, dass die in diesen Unternehmen arbeitenden Menschen Dinge tun, die sie als Staatsbürger so nie verantworten wollen würden.
[8] Hier könnte auch der Gedanke hilfreich sein, dass die Nationalstaaten sich in ihnen übergeordnete Institutionen auflösen, die nicht demokratisch legitimiert sind. Dies doppelte Abkoppeln vom Boden der Nationalstaatlichkeit wird, Wendy Brown (Walled States, Waning Sovereignty) folgend, mit dem hochziehen von Zäunen und Mauern kompensiert. Das supranationale Element internationaler Politik ist sehr wichtig und soll hier zumindest per Fußnote auch direkt erwähnt sein.
[…] ungehalten, sprich kein Mensch unter Menschen. Deswegen sollte den Text auch niemand lesen. Aber: Ich bin kein Freund von Prism, das sollte man […]