Wostkinder

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Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Ost und West.

Nicht mit dem Schmuddelkind

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Der Anti-Kommunismus hat in westlichen Gesellschaften eine gute Tradition. Das bekommt die Linkspartei heute zu spüren: Mit ihr spricht man nicht . Ist das der vielbeschworene "demokratische Anstand"?

Am Sonntag den 22. September fand eine Bundestagswahl statt. Der Wahlkreis-Fleckenteppich Deutschland war dabei insgesamt sehr schwarz, Angela Merkels Union fuhr vielerorts einen großen Wahlerfolg ein. Dennoch haben die drei (mehr oder weniger) linken Parteien SPD, Linkspartei und Grüne eine parlamentarische Mehrheit. Denn die FDP hat das Parlament verlassen müssen und die AfD hat es knapp nicht geschafft. Das sogenannte “bürgerliche” Lager wird nur noch durch die Union vertreten, und diese schrammte an einer absoluten Mehrheit vorbei. Die Wählerinnen werden Merkel bekommen, so viel steht fest. Die genaue Konstellation muss allerdings noch abgewartet werden, es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass die SPD ihr zur Seite springen wird.

Was hingegen nicht zur Debatte steht, ist eine Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen. Und das vor allem aus einem Grund: Die Linkspartei ist ein parteipolitisches Schmuddelkind – mit dem spielt man nicht.

Am vergangenen Mittwoch diskutierte eine Art “linker Presseclub” unter dem Dach der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Auswirkungen der Wahl auf diese Partei. Zugegen waren vier Menschen aus vier unterschiedlichen Blättern (taz, Neues Deutschland, Tagesspiegel und ich, wobei ich mir nicht anmaßen würde zu behaupten, diese Zeitung zu vertreten, ich vertrat aber durchaus dieses Blog). Gemeinsam suchte man nach Gründen für die Abwehr der beiden anderen linken Parteien gegen die Linkspartei. Stefan Reinecke von der taz ist der Meinung, es läge an der “Sünde”, dass die Linkspartei eine Abspaltung der SPD sei. Daraus resultiere, dass die SPD auf der einen Seite immer so tue, als habe man es mit Verrätern zu tun. Gleichzeitig ginge die Linkspartei auf der anderen Seite mit der SPD wie mit einem Schwererziehbaren oder Alkoholiker um, bei dem man immer aufpassen müsse, dass er nicht rückfällig werde und mal eben neue Hartz-Gesetze verabschiede. So gebe es gewissermaßen verhärtete Fronten, bissige bis eisige Atmosphären im Miteinander und die Unmöglichkeit, jenseits von Gezänk eine ordentliche Debatte über Inhalte zu führen.

Sozialismus als Reizwort
Das ist mit Sicherheit nicht falsch. Aber ich sehe noch einen anderen Punkt, der in meinen Augen eine wesentlich größere Rolle spielt: Die Linkspartei ist die Nachfolgepartei der PDS und diese eine Nachfolge der SED. Die Linkspartei hat außerdem das Wort “Sozialismus” in ihren Programmen. “Demokratischer Sozialismus” zwar, aber das ist, als stelle man dem Wort “Scheiße” das Attribut “glänzend” voran – es ändert nichts daran, dass wir über Scheiße reden. Sozialismus ist in Deutschland ein Unwort. Wenn man etwas als schlimm denunzieren will, dann kann man entweder mit einem Hitler-Vergleich punkten oder man schimpft es “Sozialismus”. Demokratischer Sozialismus ist für die Linkspartei eine schöne Sache – aber eben auch nur für sie, für alle anderen ist es ein absolutes Reizwort. Es dann auch noch in den Programmen einer Nachfolgepartei der DDR-SED zu lesen macht die Sache keinen Deut besser.

Ein solcher Umgang mit Sozialismus und Kommunismus ist in der westlichen Kultur fest verankert, er hat Tradition. Schon in den 1940ern erlebte Heinrich Blücher, ein deutscher Kommunist der in die USA exilierte, wie gefährlich es sein kann, in einem durch und durch kapitalistischen westlichen Land als Kommunist zu leben. Er musste lange fürchten, dass seine Gesinnung bekannt würde, die er bei seiner Einreise verschwieg. In den USA der 40er Jahre machte man mit ausländischen Kommunisten kurzen Prozess: Man schickte sie eiskalt in ihr Herkunftsland zurück. Blücher jedoch hatte Glück, niemand denunzierte ihn, oder er wurde schlichtweg geduldet. Jedenfalls durfte der Liebste Hannah Arendts bleiben – in Gegensatz zu etlichen anderen. So wurde ein Kommunist ein angesehener Hochschullehrer der Philosophie, aber nur, weil es ihm gelang, die KPD-Vergangenheit zu verbergen. Im freien und gelobten Land, das dem Rest der Welt seit dieser Zeit die Demokratie zu bringen angetreten ist, ist es bis heute besser, gewisse Einstellungen nicht zu zeigen. Die jüngste größere Kampagne erlebte der derzeitige Präsident Obama, als er die Gesundheitsreformen durchzusetzen versuchte. Sie wurden kurzum als “Sozialismus” denunziert (andere favorisierten doch den Hitler-Vergleich).

Der Antikommunismus hat in westlichen Gesellschaften also eine gute Tradition. In den USA wurden während der McCarthy-Ära regelrechte antikommunistische Hexenjagden veranstaltet, Berufsverbote und Abschiebungen waren keine Seltenheit. Die BRD wurde gleichzeitig von keinem Land in der Zeit nach dem Krieg so stark geprägt, wie von den USA. Die antikommunistische Rhetorik wurde weitestgehend übernommen. 1956 wurde die kommunistische Partei Deutschlands, die KPD erfolgreich verboten. Und die CDU wird auch im 21. Jahrhundert nicht müde, linke und rechte Extremisten auf eine Stufe zu stellen. Kristina Schröder schuf dafür eigens Präventionsprojekte (diese waren in mancher Hinsicht allerdings zweifelhafter Natur, wie die linken Spinner von der taz berichten). Mit einem NPD-Verbot ist hingegen so bald nicht zu rechnen.

CDU Wahlplakat, 1953

Blöd nur: Der Osten, der sehr sehr lange sozialistisch war (mit dem Fernziel des Kommunismus) gehört nun schon eine ganze Weile dazu. Und im Osten gehörte über 40 Jahre der Sozialismus dazu. Noch viel erstaunlicher aber ist: Im Osten gibt es Menschen, die zwar sozialistisch/kommunistisch waren oder sind, aber dennoch keine schlechten Menschen. Doch, anstatt eine solche Möglichkeit einzuräumen, setzte man nach 1990 lieber auf Härte und Null-Toleranz. Von Anfang an war es die politische Strategie im Westen, dem Osten dieses sozialistische Denken auszutreiben, gleich einem politischen Exorzismus. Bis heute gehen die westlichen deutschen Sieger mit ihrem annektierten Osten was das angeht alles andere als zimperlich um. Sobald gewisse Schlüsselworte fallen, wird einfach nicht mehr zugehört, setzt ein Reflex des Ohrenverschließens ein. Wer nicht überbetont, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, dem wird misstraut. Wer versucht nach Bereichen und Ideen zu suchen, die man vielleicht nicht als “best practice”, schon aber als “better practice” in Zeiten des nun komplett konkurrenzlos gewordenen Kapitalismus heranziehen könnte und seine antisozialistischen Scheuklappen dafür ablegt, macht sich verdächtig, wird als linker Spinner abgetan.

Kurz nach der Wende wurde vieles, was nach Sozialismus roch, ohne großen Prozess platt gemacht. Ein Beispiel ist das DDR-Schulsystem. Ein Schulsystem, das sich seinerzeit die PISA-Gewinner in Finnland zum Vorbild nahmen um aufzubauen, was heute weltweit als bildungspolitische Avantgarde gilt. In Deutschland wehren sich bis heute “bürgerliche” Stimmen gegen die Gemeinschaftsschule mit dem Verweis, dass eine solche “Einheitsschule” eben “sozialistisch” anmute (ein aggressiv in NRW vorgebrachtes Argument von CDU und FDP). Der drohende Sozialismus ist eine erfolgreiche Strohmannstrategie in Deutschland, und in meinen Augen der Hauptgrund für die Abseitsstellung der Linkspartei. Denn in den Ohren der meisten Deutschen klingt “demokratischer Sozialismus” bis heute eben so, wie “glänzende Scheiße”.

Sicher: Es gibt auch diverse reale inhaltliche Unterschiede. Die Außen- und Sicherheitspolitik, die Wirtschaftspolitik und die Euro-Politik der Linkspartei werden gerne und nicht zu unrecht als Argumente angeführt, wenn es darum geht zu rechtfertigen, dass man mit dem Schmuddelkind nicht einmal sprechen wird. Die gleichen Leute aber, die so argumentieren, sehen es als “Pflicht des demokratischen Anstandes” an, mit der CDU Gespräche zu führen. Wobei jedoch die sozialpolitischen Gräben, die es zu dieser gibt, plötzlich nicht so wichtig genommen werden, wie noch im Wahlkampf. Stefan Reinecke ist sogar der Meinung gewesen, Sozialpolitik sei das zentrale Wahlkampfthema gewesen. Nun, je nach Perspektive mag man dieser Ansicht folgen oder auch nicht. Nicht leugnen lässt sich allerdings, dass Außen- und Euro-Politik keine Kernpunkte waren. Da kann es schon überraschen, dass sie nun als Begründung herangezogen werden, dem “demokratischen Anstand” im Falle der Linkspartei eine Absage zu erteilen. Das riecht nach Ausrede. Eine Ausrede, die dazu führt, dass in den kommenden vier Jahren weitergemerkelt werden kann, weil das Mitte-Links-Lager nicht vorhanden ist. Denn es will lieber Mitte sein, als links. Ein Bestreben, das sich nun vor allem bei den Grünen Bahn bricht. Die Grünen sind regierungsunfähig, die SPD dürfte zur Großen Koalition übergehen und die Linkspartei bleibt nach wie vor die Partei der Unberührbaren. Alles wie gehabt. Es steht nicht zu erwarten, dass sich daran bis 2017 irgendetwas ändern sollte. Das könnte einem egal sein. Man könnte sich aber auch fragen, was das eigentlich für die Demokratie bedeutet. Zumal in einem Vier-Parteien-Parlament.

Disclaimer: die Autorin steht der Linkspartei nicht im Geringsten nahe. Darüber hinaus will sie auch nicht den Sozialismus zurück. Sie findet nur, dass man über politische Ideen und Visionen vorurteilsfreier reden können sollte. Und ist von der Sozialismus-Schnappatmung genervt.

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41 Lesermeinungen

  1. MisterMischa sagt:

    Lange Tradition der Ausgrenzung!
    Das Konzept, “Andersartige” auszugenzen, hat eine lange Tradition und besteht zum guten Teil in der Verweigerung von Kommunikation, es existiert in der Dorfgemeinschaft, wo die reichsten und schönsten Bäuerinnen nicht mit den anderen verkehren, in der Schule, im täglichen Leben, zwischen den Religionen natürlich.

    Es wird zur Staatsdoktrin im Absolutismus, wo der Adlige nicht mit dem Bürgerlichen verkehrt, sie lebt heute fort in der Diplomatie als probates Mittel, Vorbedingungen zu stellen und Ziele durchzusetzen. Und eben in der Politik. So war die SPD im Kaiserreich lange das Schmuddelkind, mit dem kein Bürgerlicher gesehen werden wollte. Erst 1918 wurde sie gebraucht zur Unterzeichnung des Friedensvertrages, sie durfte sich ihre “politischen” Sporen verdienen, indem sie die kommunistische Revolution verhinderte, “Verantwortung” übernahm und die Kartoffeln aus dem Feuer holte für Adel und Bourgeoisie. Gedankt wurde es der SPD nicht, Stichwort Novemberverbrecher.

  2. Werlauer sagt:

    Eine Protestpartei ist erst nach einem "Reinigungsprozess" regierungsfähig
    Mir persönlich reichen die SED-Jahre, die mir geschenkt wurden, völlig. Die Utopie, mit der heute hausieren gegangen wird, halte ich schlicht für unglaubwürdig, auch wenn sie zugegebenermaßen in der Vorstellung schön ist.

    Alle noch exisiterienden kommunistischen oder sozialistischen Länder dieser Erde scheinen mir in einer Art Funktionärsfeudalismus (oft sogar mit leiblicher Erbfolge) verwaltet zu werden. Und ich kann keinen historischen Versuch erkennen, bei dem das durchschnittliche Glück der Bevölkerung in ungeahnte Höhen katapultiert wurde. Vielmehr sieht es für mich so aus, als läge man durchgehend unter dem Niveau eines durchschnittlichen kapitalistischen Landes – besonders deutlich, wenn man die Gesinnungstoten mit einem Glückswert von Null mitzählt.

    Obwohl also alle von Ihnen aufgezählten Erklärungsmuster bei mir greifen könnten, halte ich dennoch einen anderen Grund für den Ausschluss aus den Koalitionsverhandlungen für entscheidend.

    Erläutern kann man das gut am Beispiel der Grünen. Gestartet als Protestpartei bündelte diese Partei mehrere wichtige Themen ihrer Entstehungszeit. Der Grundtenor war der Protest gegen die herrschende Ignoranz in Bezug auf diese Themen. Der trug bis in die ersten Palamentsjahre hinein. Dann begannen die Flügelkämpfe und erst als diese überstanden waren, wurde die Partei zu einer berechenbaren politischen Größe und damit ein ernstzunehmender Koalitionspartner.

    Dieser Prozess steht bei der LINKEN noch aus. Der Ostteil der Partei hat bereits eine lange Regierungserfahrung und der Reinigungsprozess ist vermutlich bei den hierachisch oben stehenden Personen abgeschlossen. Im Westen gibt es aber nach wie vor den linken Sektiererhaufen, der sich wie im “Life of Brian” lieber gegenseitig zerfleischt, als dem gemeinsamen politischen Gegner eine klare Kante zu zeigen. Wenn auch dort der Idealismus durch Berechenbarkeit ersetzt wurde, dann wird diese Partei – zu meinem Leidwesen – auch koalitionsfähig.

    Keiner der sich neben seinem Machtwillen ein bißchen Ratio erhalten hat, setzt sich auf einen Thron unter dem eine ideologische Bombe tickt. Der erste ernste Problemfall (bei den Grünen z.B. der erste mitbeschlossene Kampfeinsatz) und das Ding haut einem den Kopf weg.

  3. waldgaenger1401 sagt:

    Schmuddelkind?
    Die Partei der glänzenden Sch… ist doch bestens etabliert. Mehrfach auf Länderebene an Regierungen beteiligt.

    Legendär die Flucht vor der harten Realität echter Verantwortung von Gysi als Kurzzeitsenator in Berlin. Hier liegt doch der Hase im Pfeffer! Entweder man ist bei der PDS Technokrat wie Holter aus M-V und kann in jedem System “dienen”. ER macht gar nicht erst Anstalten zu verhehlen, dass er noch in jedem System flaggen würde.

    Oder man ist Salonbolschewik mit Vorliebe für kapitalistische Konsumerrungenschaften. Im Berufsleben knallharter Freiberufler. In punkto eigener Vergangenheit wird man schnell uncharmant und überzieht Kritiker mit einstweiligen Verfügungen.

    Und dann ist da noch die spezifisch westdeutsche Spezies von Neumitgliedern aus dem goldenen Westen: natürlich finanziell abgesichert im Staatsdienst des “Schweinesystems”. Gewiß in innerer Emigration einerseits und stets die Hand ins schreckliche Getriebe des Stamokap haltend.

    All die Phenotypen sind keine Schmuddelkinder. Sie dürfen frei aufspielen und die alte Leier von Gleichmacherei absingen. Ohne Angst vor gesellschaftlicher Ächtung.

    Frau Rönicke, ich sehe den Mißstand nicht.

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