Die Berichterstattung der letzten Monate kann nur deprimieren. Ein Geheimdienst namens National Security Agency (NSA) baut scheinbar riesige Rechenzentren, in denen alle erdenklichen Daten über jeden Menschen der Welt gespeichert werden (sollen). Der Spion von heute steigt in Uboote und zapft Unterseekabel an. Ebenfalls beliebt: Das Aufstellen von Abhörantennen, wo es nur möglich ist. Zudem existieren Angriffsprogramme, die aus Metadaten extrahierte Zielpersonen noch intensiver ausspähen als es die schnöde Masse unserer Konsumgesellschaft ohnehin schon erduldet. Bei Bedarf wird all das durch real existierende Menschen ergänzt, die dann analog, Vorort, einen Zugang für all diese Technik schaffen.
Die Reaktion der Menschen darauf ist zweigeteilt. Die einen japsen vor Empörung und den anderen ist es egal. Eine Metadatenanalyse der Situation ergab, dass die Menschen denen es egal ist, es auch schon immer gewusst haben. Auch ist ihnen das Drumherum egal. Demnach seien lediglich die Japsenden interessant. Zwei dieser japsenden Exemplare konnten am letzten Donnerstag bei Maybrit Illner in der gleichnamigen Talkshow bewundert werden. Wolfgang Bosbach und Jürgen Trittin. Normalerweise beharken sich diese beiden Exemplare während sie Japsen, doch dieses Mal taten sie es in trauter Zweisamkeit.
Skandalös sei das alles. Wie kann man denn nur. Und überhaupt. Alles altbekannte Sprüche und Schmähungen gen Amerika. Das meinte IM Friedrich wohl mit deutschen Antiamerikanismus. Das Draufhauen ist durchaus ein Problem, denn es existiert in dieser Debatte keine Hilfsbereitschaft gegenüber den Fehlgeleiteten. Und deswegen ist es doch auch kein Wunder, dass die NSA die deutsche Bundeskanzlerin für ebenso gefährlich hält wie Peter Müller aus dem Büdchen von nebenan. Jürgen Trittin, nur als Beispiel, hat es sich bis heute erspart, freundlich bei Barack Obama nachzufragen, wie die USA ihre Ziele in Sachen CO2-Emissionen erreichen möchten, während sie diese energiefressenden Überwachungsmonstren betreiben. Er bot auch keine Hilfe beim Erreichen dieser Ziele an. Die Grünen schlugen zwar vor Geheimdienste generell abzuschaffen, aber nicht, weil sie die Luft verpestende Apparate sind. Wenn sich selbst ein Grüner nicht um die Belange der Welt kümmert, wer dann?
Natürlich ist diese Frage und solch ein Hilfsangebot praktisch ziemlicher Quatsch. Technisch gesehen ist es jedoch recht nahe an der Wahrheit dran. Zumindest für all jene, die darüber nachdenken sich diesem Überwachungswahnsinn zu entziehen und nicht über einen Draht ins Weiße Haus verfügen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass „entziehen“ vor allem bedeutet auf Bequemlichkeit und Technik zu verzichten. Freiwillig.
Die Gründe, sich mit dem Thema zu beschäftigen sind mannigfaltig. Der „Shutdown“ in den USA gab uns einen Vorgeschmack, wie es bei einer Staatsschuldenkrise zugehen könnte[1]. Die Enthüllungen in Sachen NSA könnten vermuten lassen, dass Geheimdienste in der Lage sind Staaten über Börsencrashs ins Wanken zu bringen. Die Arbeitswelt wird von den Menschen ersetzenden Maschinen vollkommen durcheinander gewürfelt. Und wenn das fröhliche Vermehren in dieser Welt so weitergeht, fressen uns unsere Kinder vor lauter Hunger wirklich noch die Haare vom Kopf.
Dass bei diesen Dingen keine Hoffnung besteht, ist die Schuld der Utopien. Denn bei Themen, die sich mit der Natur und ihrem Erhalt oder einem verantwortungsbewussten Wirtschaften beschäftigen, ist sie immer gleich zur Stelle. „Das ist eine Utopie“, schallt es dann von den Überschriften. Die Bezeichnung ist eine Kapitulation vor der Realität und entlastet Betrachter wie auch die Handelnden von jedweder Verantwortung. Von niemandem wird ernsthaft erwartet eine Utopie zu verwirklichen. Es reicht vollkommen aus, darüber nachzudenken.
Das ist ein ernsthaftes Problem, denn mit dieser Sichtweise auf die Welt engt sich der gesellschaftliche Handlungsspielraum erheblich ein. Er wendet sich genau dem zu, was sonst gerne kritisiert wird. Dem pragmatischen Treiben lassen in einer sich stets verändernden Welt. Dabei ist es ist doch einsichtig, dass Handeln möglich sein muss und nicht zu einer Utopie werden darf.
Anders gesagt: Es ist die dystopische Grundhaltung unserer Zeit, die selbst banale Dinge als utopisch erscheinen lässt und das Individuum im Alltag fesselt.
Eigentlich müsste uns genau das wundern, denn Handeln ist sehr einfach. Man muss die Dinge nur anders tun und schon wird aus diesem, unsere Gesellschaft momentan formenden, Treiben lassen „Handeln“. In Zeiten des Internets bedeutet dies beispielsweise das Verlassen einer der vorwiegenden Kommunikationsarten der sozialen Netzwerke, dem „über andere Sprechen“ um hin zu einem „mit anderen Sprechen“ zu kommen. Das bedeutet sich Zeit zu nehmen und entgegen den Gewohnheiten zu agieren. Somit gegen unausgesprochene Regeln zu verstoßen und vermeintliche Freunde, die ohnehin nur Bekanntschaften sind, zu verbrämen. Denn diese werden durch das Gespräch mit „den anderen“ auch infrage gestellt, was zu einer höheren Komplexität der Beziehungsgeflechte führt.[2]
Daran lässt sich gut erkennen, dass im Umkehrschluss vor allem eine Komplexitätsreduktion zu finden ist, die dann als „bequem“ wahrgenommen wird. Ähnlich ist das mit dem Fahren eines Autos. Dieses gilt vielen, nicht zuletzt ob des Kaufpreises, als erweitertes Wohnzimmer. Ein moderndes Auto verfügt mittlerweile auch über fast alle Funktionen eines Wohnzimmers. Da sitzt man drin und schottet sich von der Welt ab, was oftmals in Raserei und fehlender Rücksichtnahme im Straßenverkehr endet. Ein leicht geführter Vorwurf, doch erheblich tiefer wirkende Folgen als schlechtes Fahrverhalten löst das Ausblenden der Welt aus. Im Auto sind die Geräusche der Außenwelt ebenso nicht vorhanden wie die Gerüche der Umwelt (die das Auto beinhaltet). Ein Autofahrer hat keine Möglichkeit die Folgen seines Autofahrens unmittelbar zu spüren. Die visuellen Eindrücke von unserer Welt sind für ihn beschränkt und in Form eines Bildschirmes.
Ein Auto ist somit in der Welt um die Welt von der Autofahrerin fernzuhalten. Sie muss es nur noch schaffen sicher durch diese Welt zu navigieren. Und auch das übernimmt zunehmend die Technik. Erst wer auf das Fahrrad steigt oder gar zu Fuß durch die Welt wandelt, muss sich mit den Folgen des Autofahrens befassen. Das beginnt beim passgenauen Atmen, um nicht zu viel Abgase schlucken zu müssen, und endet bei der Betätigung der körpereigenen Muskeln. So erst entsteht eine Verbindung zwischen Mensch und Welt, was nicht mehr heißt als die Befähigung des Menschen Rücksicht auf seine und die Umwelt nehmen zu können.
Audi A8 Security-Version
By ChristosV (Own work), CC-BY-SA-3.0, via Wikimedia Commons
„Wie Nachhaltig ist die NSA?“ ist eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Sie steht synonym für alle Aspekte dieses Falles. So werden sich die Enthüllungen nachhaltig auf die Beziehungen zwischen den USA und Deutschlands auswirken. Wichtiger ist aber die Entwicklung der langfristigen Auswirkungen des Menschenbildes, mit dem die NSA ihre Überwachung begründet. Man muss nicht immer Foucault bemühen. Momentan sehen wir auch, dass in der deutschen Außenpolitik das Mobiltelefon der Kanzlerin wichtig ist, aber nicht die Überwachung ihres Volkes. Deswegen sieht Angela Merkel dies auch nur als persönliche Befindlichkeit an. Die Bürger zu überwachen, spielt ihr vielleicht sogar in die Hände? Der Fall hat nun jedenfalls offenbart, dass es unsere eigene Regierung ist, die als treibende Überwachungskraft angesehen werden kann, vielleicht sogar muss. Selbst wenn sich dagegen kein bürgerlicher Widerstand regt, wird dieses nicht-Handeln (geschehen lassen) Folgen haben.
Die Fragen unserer Zeit sind Politikern überlassen, die meist aus einem Audi A8 heraus entscheiden. Ihnen fehlt die Verbindung zur Welt[3] um in der Lage zu sein, für diese Welt zu entscheiden. Sie lassen sich daher nur treiben, statt die sich durch die technologische Entwicklung stellende Frage aktiv zu gestalten: Wie viel Mensch und wie wenig Übermensch wollen wir sein?
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[1] Ich könnte an dieser Stelle auch Griechenland nennen, aber der gemeine Deutsche glaubt er sei zu fleißig für solch eine Tragödie.
[2] Meine ergänzende These dazu wäre, dass eine höhere Komplexität der Beziehungsgeflechte zu stabileren Freundschaften führt, die auch einen Wandel der Lebensumstände überleben.
[3] Siehe auch: Minkmar, „Der Zirkus“, S. 176-180
[…] Im Internet ist das Thema ein Dauerbrenner. Verschiedene Blogs beschäftigen sich damit – etwa das Muschelschloss-Blog oder auch blogs.faz.net. […]
Bisher war die Verwirklichung von Utopien für einige hundert Millionen Menschen direkt tödlich.
Ich finde es daher wenig verwunderlich, dass, wie der Autor selbst feststellt:
“Von niemandem wird ernsthaft erwartet eine Utopie zu verwirklichen. Es reicht vollkommen aus, darüber nachzudenken.”
Um den alten Karl Raimund Popper abgewandelt zu zitieren: Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, hat noch immer direkt in die Hölle geführt. Ich persönlich habe deshalb nicht das mindeste Problem, mich als Anti-Utopisten und Pragmatiker, Durchwursteler zu outen. Es ist die Konsequenz aus einem Jahrhundert mörderischen Verbesserungsdranges vieler ursprünglich wahrscheinlich wohlmeinender Menschen.
Im übrigen wollen auch heutzutage einige Leute bei uns und viele im arabischen Raum eine Utopie verwirklichen – die einer vollständig moslemischen, friedlichen, zusammenarbeitenden, gottesfürchtigen, pornographiefreien, behutsamen und altenfreundlichen Gesellschaft. Dafür, so das altbekannte Lied, muss man vorübergehend halt ein paar Bomben schmeissen und ein paar Köpfe rollen lassen.
Wer von Utopie spricht, darf von den Gefahren von Utopien für den rel existierenden Menschen nicht schweigen. Weil die historisch begründete Skepsis sonst wirkt wie unentschuldbare Unmoral. Obwohl sie das genaue Gegenteil ist – Lernen aus Geschichte.
Gruss,
Thorsten Haupts
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nur dass ich dieses “nachhaltige” wirtschaften nicht als utopie ansehe, sondern die bezeichnung “utopie” als ausrede es nicht zu tun. sich gehen zu lassen. das war die rede.
es war der abspruch einer utopie, deswegen muss vor der utopie auch nicht gewarnt werden.
mfg
mh
Okay, danke für die Klärung. Kann man so sehen.
Man kann allerdings den Rückgriff auf die Utopieentschuldigung in diesem Fall als vereinfachtes öffentliches Argument verstehen, weil es in einer systematisch verrückten Öffentlichkeit unmöglich ist, mit differenzierteren Einwänden und Argumenten durchzuommen.
Jede Veränderung hat einen Preis und re Wirtschaft gebiert zwangsläufig und unentrinnbar Gewinner und Verlierer. Zu DER Debatte sind auch die Befürworter von Naturschutz und nachhaltigem Wirtschaften nicht bereit, also ist die Beschwerde über das fälschlich verwandte Utopieargument müssig. Die Leute wissen das, mehr aus Lebenserfahrung denn bewusst, und das ist der Grund für das Misstrauen gegen die Propheten einschneidender Veränderungen.
Solange die Mehrheit der Nachhaltigkeitsvertreter von einem schmerzfreien Weg ins Paradies faselt, also heuchelt, wird man ihren Weg eher später als früher beschreiten.
Gruss,
Thorsten Haupts
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das habe ich unter dem begriff bequemlichkeit subsumiert. am ende hat sich beispielsweise “bio” ja auch deswegen durchsetzen können, weil die herkömmliche industrienahrung richtig billig und entsprechend qualitativ schlecht wurde (nicht mal geschmacksverstärker können darüber hinwegtäuschen) und weil bio selbst auch in günstiger form zu erhalten war.
mittlerweile ist es recht unkompliziert, wenn man sich das essen dann doch was kosten lassen will, an biozeugs zu gelangen, bis hin zur lieferung ins büro oder nach daheim. Hierfür musste über jahrzehnte hinweg erst ein markt entstehen und das bestehende zugleich ungenießbar werden.
genau deswegen habe ich aber auch den brückenschlag zur nsa drin, denn gefühlt ist dieser vorgang noch nicht ungenießbar. es fehlt noch zu sehr an praktischen auswirkungen. für die entscheider noch mehr als für die bevölkerung selbst. das funktioniert sehr ähnlich diesem entstehenden markt beim bio.
beim essen ist dieser vorgang kein problem.. aber in einer gesamtpolitischen entwicklung ist die korrektur viel langsamer vorzunehmen, wenn sie denn überhaupt ohne änderungsschmerzen notwendig ist. daher ist die dystopische grundhalten momentan durchaus angebracht.
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und ja.. der preis ist immer unbequemlichkeit. wobei ich nun gerade aus diesem blog heraus sagen muss, dass die unbequemlichkeit vor allem nur gefühlt ist. es geht also um die umstellung.. und die muss verhandelt werden. ich fürchte aber, dass der utopie-gedanke aus einer ganz anderen ecke kommt.. nämlich dem verlorenen glauben die dinge ändern zu können. weil es eben läuft wie es läuft und das ist im kern ein vertrauensverlust in die beweglichkeit unserer gesellschaft. das mag müßig sein… es ist auch müßig. aber die windmühlen müssen dennoch bezwungen werden.
Der Vertrauensverlust in die Beweglichkeit der Gesellschaft ist eine sehr gute Beobachtung.
Es ist nur eine sehr schwer zu korrigierende Entwicklung, wenn die Gesellschaft altert. Ältere Menschen tendieren über alles immer zu Unbeweglichkeit.
Das aufzubrechen verlangt eine drastische Änderung unserer Demographie – und dahin führt für mich kein erkennbarer, praktischer Weg.
Gruss,
Thorsten Haupts