Wostkinder

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Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Ost und West.

Das deutsche Mutterunglück

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Die ostdeutsche Frau lebte mit der Doppelbelastung aus Beruf und Familie. Die Wende änderte daran wenig. Jetzt ziehen die Frauen im Westen erschöpft nach.

Das sozialistische Kollektiv definierte sich über sein produktives Schaffen. Durch die Tätigkeit des Arbeitens drückte jedes Individuum des Kollektivs seinen Beitrag zum sozialistischen Gesamtwerk aus. Frauen hatten es bei diesem Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung besonders schwer, denn nebst ihrem Beruf, mussten sie sich auch um die Kinder und den Haushalt kümmern.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der DDR brauchte der junge Staat vor allem eines: Arbeitskräfte. Ihre Verfügbarkeit war beschränkt, da viele Männer entweder verwundet oder gar nicht aus dem Krieg wiederkamen. Zur Behebung dieses Mangels wurde in der DDR eine damals noch deutsche Tradition über Bord geworfen. Die Frauen wurden 1949 qua Verfassung als gleichberechtigter Teil der Gesamtgesellschaft definiert. Da heißt es:

(1) Mann und Frau sind gleichberechtigt.

(2) Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.

Durchaus ein Paukenschlag in deutschen Gefilden, wenn auch für die DDR nicht vollkommen unerwartet. Schon 1947 hatte sich der „Demokratische Frauenbund Deutschlands“ (DFD) gegründet, der sich als Erbe der Frauenbewegung verstand. Der DFD hat an den Inhalten der ersten DDR-Verfassung ebenso mitgewirkt wie er auch Abgeordnete in die Volkskammer sowie Bezirks- und Kreistage entsandte. Dabei kam dem Verein innerhalb der DDR eine Doppelfunktion zu. Zum einen trat er für die Frauenrechte ein und zum anderen mobilisierte er die Frauen für die Arbeit.

Mit der Mobilisierung allein war es jedoch nicht getan, denn Frauen mit Kindern konnten diese nicht einfach daheim lassen oder nur selten bei den Großeltern. Die staatlichen Organe der DDR schienen hier einer Art Lernprozess zu unterliegen, denn die flächendeckende Versorgung mit Kindertagesstätten entstand erst in den 1970ern und 1980ern Jahren. Zuvor bestanden Betreuungseinrichtungen, wenn auch in wachsendem Maße, oftmals nur betriebsgebunden.

Bundesarchiv Bild 183-1988-0218-013, Kindergarten, Kinder beim Spiel
Bundesarchiv, Bild 183-1988-0218-013 / CC-BY-SA-3.0-de, via Wikimedia Commons

So schön die Theorie einer Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau auch klingen mag, die Realität sah anders aus. Wie Michael Opielka in „Familie und Beruf: Eine deutsche Geschichte“ ausführt, zeigen die Zeitbudgetanalysen der DDR auf, dass der Anteil der Männer an der Kinderbetreuung sowie an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten unter 30% lag. Die Zeitbudgetanalysen der DDR wurden nur für die Jahre 1974-1985 geschlechtergetrennt geführt. Ein Fazit aus Ihnen lautet demnach, dass Frauen nebst dem Beruf auch 70% der Hausarbeit und Kinderbetreuung vornahmen, also einer Doppelbelastung unterlagen.

Wie diese Doppelbelastung aussah, beschrieb Renate Feyl in einem Debattenbeitrag der Emma. Die Kinder mussten vor Arbeitsbeginn im Kindergarten abgegeben werden. Anschließend folgte die Arbeitszeit. Weiterbildung war eine Tätigkeit, die außerhalb der Arbeitszeit erfolgte und somit Freizeit war. Eine Rarität war Teilzeitarbeit, die staatlich zudem unerwünscht war.[1] Anschließend folgten: „Einkaufen, Haushalt, Mann, Kinder, Kochen, Waschen und Putzen – die Kür für die ­Familie.“ Zumindest 70% davon. Da nicht alle Waren jederzeit erhältlich waren, ergab sich ein höherer zeitlicher Aufwand für deren Beschaffung. Das sind alles Tätigkeiten, die der westdeutschen Frau nicht fremd sind. Ihr fehlte meist nur die zusätzliche Regelarbeitszeit.

Wenn Beruf und Familie vereinbar sein sollen, entsteht das Problem, dass für diese Vereinbarkeit Freiräume geopfert werden. Gemeint ist damit nicht nur die Freizeit, in der man seinen Hobbys nachgeht, sondern das betrifft auch die Zeiten, die allein der Entspannung dienen. Der Freiraum, nicht immer nur zu handeln, sondern auch darüber nachdenken zu können, wie man sein Leben gestalten möchte. Müßiggang. Manche würden behaupten, eine Grundtätigkeit der Philosophen.

Die Frauenförderung der DDR hatte bei all ihren Mängeln nicht nur Nachteile in Form einer doppelten Belastung. Die Frauen waren ein wichtiger und selbstbewusster Bestandteil des (Arbeits-)Kollektivs. Sie fühlten sich vielfach gleichberechtigt und wollten sich von ihren „westlichen Schwestern“ nach der Wende nicht das Gegenteil einreden lassen. Die erarbeitete Unabhängigkeit fand ihren Ausdruck an Stellen, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt vermutet.

So war nicht nur die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit eher gering ausgeprägt, sondern im Gegenzug die Scheidungsrate auch entsprechend hoch. 50% der geschlossenen Ehen wurden geschieden. Möglich wurden die Scheidungen dadurch, dass Frauen in der DDR durch ihren Beruf und die Kindertagesstätten einer gewissen Unabhängigkeit unterlagen. Sie mussten sich nicht alles bieten lassen. In diesem Sinne ist es auch bezeichnend, dass im Westen die Scheidungsraten just seit dem Moment anstiegen, und sich jetzt auf einem ähnlich hohen Niveau befindet, seit dem Frauen durch eine eigene Arbeit ihre Unabhängigkeit gewährleisten können. Sie müssen ihre Männer nicht mehr aus finanziellen Erwägungen heraus ertragen.

Und dennoch ist das alles kein Zustand. Wie dem Buch „Kann ich gleich zurückrufen?“ von Barbara Streidl zu entnehmen ist, ergeht es der berufstätigen West-Frau in Sachen Doppelbelastung so, wie einst der berufstätigen Frau im Osten. Mann wie auch Frau arbeiten und ein Großteil der Hausarbeit bleibt an der Frau haften. Meist ist das nicht böse Absicht, denn oftmals sind die Entscheidungen, wer was tut, rein finanziell geprägt. Der besser verdienende Mann[2], mit dem oftmals höheren Posten, muss auf Dienstreise, derweil kümmert sich die geringer verdienende Frau um alles. Das fängt bei Kleinigkeiten an und setzt sich auch im Großen durch.

Die Schließzeiten der meisten Kindergärten und Schulhorte sind absurd. Um 8:00 Uhr gibt man sein Kind ab und um 16:00 Uhr, vielleicht sogar noch 17:00 Uhr muss es abgeholt werden. Das heißt, die Arbeitszeit ist durch das Kind gedeckelt und für Überstunden ist keine Zeit. Eine verkürzt arbeitende Partnerin, kann das Kind beispielsweise schon mal abholen. Wenn die Frau dann mit dem Kind daheim ist, kann der Mann dann doch noch den ein oder anderen Termin schnell noch dazwischen schieben, ehe er ebenfalls dem Heimweg antritt. Dies als eines von vielen Beispielen, wie eine für die Frau festigende Dynamik gen Heim entstehen kann.

Ganz pragmatisch könnte man sich nun der Behebung der Probleme zuwenden. Da müssen die Kindergärten halt länger auf haben und schon passt alles besser in das Konzept. So einfach kann man es sich machen. Barbara Streidl tut das nicht. Ihre (fiktive) Erzählung benennt zwar diese Probleme, bietet aber auch Einblicke in die dahinterstehende Psychologie. Sie breitet das ganze Spektrum weiblichen Denkens vor dem Leser aus, der erstaunt ein sehr komplexes Konstrukt aus gefühlter Schuld, Scham und Verzweiflung vor sich findet. Ein steter Widerstreit zwischen zurückgestellten Ansprüchen und den Ansprüchen der Welt an die Frau, während Rechtfertigungen oftmals nicht für sich selbst, sondern für andere zurechtgelegt werden.

Claudia Voigt beschrieb kürzlich im Spiegel die sich daraus ergebende „große Erschöpfung“. Antonia Baum ergänzt in der F.A.S. von heute (5. Januar 2014) ihre Ängste vor dem, was mit ihrem Leben passiert, wenn die durchaus gewünschten Kinder erst einmal da sind. Beiden ist gemein, dass sie vor allem das Hamsterrad „Beruf“ als ungelöstes Problem angesehen. Da wird der kapitalistische Optimierungswahn gebrandmarkt und auf die Politik geschimpft. Zu unentschlossen (Voigt) und zu wirtschaftsverliebt (Baum) seien die Damen und Herren. Beide ignorieren dabei, dass schon die politischen Akteure in der DDR das grundsätzliche Problem nicht lösen konnten. Wohlgemerkt mit einer Politik, die weitaus bestrebter auf die Gleichheit der Geschlechter ausgerichtet war. Am Ende setzte sich das typische Rollenverhalten dennoch durch.

Barbara Streidl ist von den politischen Forderungen nicht weit entfernt. Vermutlich würde sie mit Verve für Vieles eintreten, das auch Antonia Baum und Claudia Voigt vertreten. Sie belässt es nur nicht dabei. Ihr verstecktes Plädoyer, das sie über den Wochentag „Montag“ am Ende ihres Buches einführt, nimmt alle in die Pflicht. Die Kollegen, den Chef, den eigenen Mann und sich selbst. Die Gesellschaft. Alle Protagonisten müssen ihr Handeln ändern. Damit erinnert sie unsere Gesellschaft daran, dass Kinder zwar eine private Angelegenheit sind, die Welt in der sie leben, jedoch von den Erwachsenen gestaltet wird. Politische Rahmenbedingungen sind das eine, menschliches Handeln jedoch das Wichtigste.

 

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[1] Ich verfüge nicht über diese Erfahrungen, da meine Mutter in Teilzeit arbeitete und mein Vater mich in den Kindergarten brachte wie auch abholte. Diese Privilegien mögen aber dem für ostdeutsche Verhältnisse liberalen Berlin geschuldet gewesen sein.

[2] Siehe Gender Pay Gap: 23% unbereinigt und 8% bereinigt.


21 Lesermeinungen

  1. mgladbacher sagt:

    Wenn das "Mittel zum Zweck", Zweck wird.
    Das größte (propagierte) Glück in unserer Gesellschaft ist – ERWERBSMÄßIGE ARBEIT.

    Vorab: Mein Blogbeitrag ist keine Empfehlung für eine Lebensform und schon gar keine Antwort auf das aufgezeigte Problem. Nur eine Darstellung meiner Sicht und meines Lebens.

    In meiner Generation, Anfang der 60er, war und ist Arbeit Mittel zum Zweck. Der Zweck ist das Leben; das der Familie und das eigene. Natürlich, ich bin privilegiert. Festanstellung, ununterbrochene Erwerbsbiographie, sehr gutes Einkommen, eine hochqualifizierte Arbeit die mich zufrieden stellt. Dennoch, meine Arbeit ist was sie ist, Mittel zum Zweck des Lebens, das meine Frau, meine drei Kinder und ich gemeinsam führen.
    Würde ich aufhören erwerbsmäßig zu arbeiten wenn ich es verantworten könnte? Ja, jeder Zeit!

    Heute habe ich den Eindruck, dass das “Mittel zum Zweck” zum Zweck an sich wird. Ich mag falsch liegen mit meiner Wahrnehmung.

    Das die Wirtschaft ein Interesse an genügend Arbeitskräften hat kann ich verstehen.
    Das eingefleischte Feministinnen die Männer von der Backe haben wollen verstehe ich auch.
    Das reine Geldnot einen in der Tretmühle gefangen halten kann ist offensichtlich.
    Was ich allerdings nicht verstehe ist, warum Frauen und Männer mit mittleren bis hohen Einkommen, die sich eine Familie wünschen, bei diesem Spiel mitmachen. So prickelnd ist arbeiten gehen auch wieder nicht.

    Familie ist Arbeitsteilung, ist Kompromiss und gegenseitige Abhängigkeit, ist Glück und Erfüllung aber auch Stress, Streit, Versöhnen und – Arbeit. Nur eben keine erwerbsmäßige.

    Das Problem ist, das nicht-erwerbsmäßige Arbeit von unserer Gesellschaft nicht mehr als wertvoll und gleichwertig akzeptiert wird. Frau ohne erwerbsmäßige Arbeit gleich “Haimchen am Herd”.

    In der Folge wurde Frau finanziell autark, der Mann wurde seiner Darseinsberechtigung – der Verantwortung – enthoben und der Erhalt der partnerschaftliche Verbindung war nicht mehr überlebensnotwendig. Unsere Gefühle und die innere Programmierung blieben und bleiben jedoch unverändert.

    Meine Frau und ich, verheiraten seit “erst” 12 Jahren und beide Akademiker haben die traditionelle, veraltete, altmodische Form der Arbeitsteilung gewählt, mit dem Ergebnis, dass ich von ihr und Sie von mir abhängig ist. Ich kriege das Leben – das ich liebe – ohne sie nicht geregelt, und sie das ihrige ohne mich auch nicht.
    Das Geld, das ich verdiene, ist unser Mittel zum Zweck.
    Der Zweck ist unser Leben, dass sie gestaltet.

    Bin ich manchmal ein wenig eifersüchtig auf diese Arbeitsteilung? Ja! Aber wahrscheinlich würde ich es nicht so gut hin bekommen.

    Das Leben so zu führen wie wir es führen ist schwierig geworden.
    Banal zu sagen, dass erst mal die Kohle reichen muss um alle Rechnungen zu bezahlen, wobei man einen erheblich Einfluss darauf hat, wie hoch diese Rechnungen ausfallen.
    Aber auch wenn ein Einkommen reicht sind noch viele Fragen offen:
    Vertraut man einander genug um sich in diese Abhängigkeit zu begeben?
    Sichert man den finanziell abhängigen Partner genug ab, auch für die Rente?
    Lässt das soziale Familienumfeld es überhaupt zu, dass Frau (selten Mann) zu hause bleibt? Sind noch andere Frauen zum Austausch dar? Gibt es neben den Kindern noch andere Betätigungsfelder? Wenn das Wohnviertel tagsüber leer ist, weil alle arbeiten, ist ein traditionelles Leben so gut wie unmöglich!
    Wird die Familienarbeit gewürdigt? Eigentlich eine absurde Frage – nichts wird heute mit soviel Priorität bedacht wie Kinderbetreuung und außerschulische Bildung und Erziehung. Erziehung wird heute bezahlt und hoch geschätzt – solange man dies nicht mit seinen eigenen Kindern macht sondern von Erzieherinnen in der KiTa erledigt wird.

    Diese Randbedingungen sind glücklicherweise bei uns erfüllt.
    Das Ergebnis ist: Zeit, richtig Zeit. Zeit ohne schlechtes Gewissen. Zeit für seine Aufgaben, Zeit für den Anderen, Zeit mit dem Anderen, Zeit für sich, Zeit für die Kinder, Zeit für den Hund, individuelle Zeit mit Freunden, gemeinsame Zeit mit Freunden, Zeit diesen Beitrag zu schreiben (meine Frau ist übers Wochenende weg und die Kinder sind gerade beschäftigt).

    Natürlich, wir leben in Abhängigkeit voneinander, sind nicht autark und nicht 100% selbstbestimmt.
    Aber ich bin auch abhängig beschäftigt, verlasse mich jeden Tag auf mein Auto für meine 60km zum Büro, bin abhängig von all denen die zu meinem täglichen Bedarf beitragen und auf Gedeih und Verrat den Regierenden ausgesetzt.
    In sofern ist die Abhängigkeit von meiner Frau noch die angenehmste :-)

    Ich wünsche den Lesern des Blogs noch einen schönen Abend.

    PS: Ich habe soeben mit meiner Frau telefoniert und ihr den Artikel vorgelesen. Sie sagte: “Schick ihn ab, ich hätte ihn auch so geschrieben.”

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