Wostkinder

Wostkinder

Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Ost und West.

Das Hamsterrad der ewigen Geldschaffung

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Weder ruht die Krise in Europa noch ist sie vorbei. Die Krise ist zu einem festen Bestandteil des Alltags eines Europas der Nationen geworden.

Europa geht es besser. Während noch vor einem Jahr der ganze Kontinent auseinanderzubrechen drohte, denkt heute kaum noch jemand an die Euro-Krise oder marode Peripherieländer, die von Banken zeitweise als „PIGS“ bezeichnet wurden. Für José Manuel Barroso war die Versuchung entsprechend groß, den Ronald Pofalla zu machen und die Krise für beendet zu erklären. Er beließ es jedoch bei: Die Existenzkrise ist vorbei. Die Vertrauenskrise ist nicht vorbei. Diese knappe Formel ist die neue Sprachregelung der EU in Bezug auf die Krise. Dem voraus gingen ein paar erfolgreiche Anleiheemissionen in Spanien und Italien (rund 4 % für zehn Jahre) oder auch Irland (3,54 % für zehn Jahre). Selbst die Bank of Ireland muss für eine unbesicherte Anleihe nur 3,34 % (fünf Jahre) berappen.

Die Situation selbst zeigt dadurch, wie fragil das Gebilde ist, auf das sich Europa momentan gründet. Keiner der direkt betroffenen oder der indirekt betroffenen Staaten der Euro-Krise hat es bisher geschafft, Schulden zu begleichen. Es wurde lediglich erreicht, dass die Neuverschuldung nicht mehr so stark ansteigt. Auch das durch wirtschaftliche Stärke glänzende Deutschland, mit seinen höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten, schafft es nicht, einen ausgeglichenen Haushalt auszuweisen. Wie gestört die Wahrnehmung selbst bei den die Regierungen kontrollierenden Journalisten ist, kann dem verlinkten Artikel vom 31. Januar 2014 entnommen werden.

Die nach dem Wachstumseinbruch 2009 wieder gestiegenen Steuereinnahmen haben maßgeblich zur Sanierung der Finanzen von Bund und Ländern beigetragen. [..] bis Ende November 2013 [Anm.: schrieben die Haushalte] ein Finanzierungsdefizit von 8,5 Milliarden Euro – das sind 3,3 Milliarden Euro weniger als ein Jahr zuvor.

Eine Sanierung ist das Wiederherstellen der wirtschaftlichen Rentabilität. Schulden können zwar rentabel sein, wenn sie beispielsweise einer besser verzinsten Anlage dienen, aber niemals sind „weniger Schulden als geplant“ eine Form von Sanierung oder gar Rentabilität. Ihnen fehlt die Möglichkeit der Skalierung und das Positivereignis zeigt, dass aus seiner Funktionsweise heraus auch ein Negativereignis entstehen kann. Mindereinnahmen haben die Tendenz, immer dann zu entstehen, wenn Mehreinnahmen besonders wünschenswert wären. Man könnte das auch als banale Abhängigkeit vom Konjunkturzyklus ansehen.

Die Berichterstattung ist eine selbstreferenzielle Schleife

An zweifelhaften Formulierungen wie der dargestellten, lässt sich oftmals eine Art Wortmatrix erkennen, die sich durch die gesamte Wirtschaftspresselandschaft zieht. Sie scheint dem unbedingten Willen zu entspringen, alles in einem wirtschaftlich positiven Glanze erscheinen zu lassen, selbst dann, wenn etwas komplett verheerend ist. Ein Abbild der Realität in schön, das den außenstehenden Beobachter einer Art Gehirnwäsche unterzieht.[1] Aus einem „es ist weniger schlimm als befürchtet“, wird in der politischen Weitergabe ein „besser als erwartet“, das der Agenturmitarbeiter oder der Journalist dann selbstständig zu einer „Sanierung“ umformuliert. Eine Gewöhnung, die auf den Sprechblasen der Kommunikationsprofis beruht.

Journalisten und Agenturmitarbeiter[2] haben in der Wirtschaftsberichterstattung ein grundsätzliches Problem. Sie müssen Gründe finden. Keine Nachricht ohne Grund, denn man verkauft ja die Rechercheleistung. Bei Agenturen läuft das wie folgt: Der Agenturmitarbeiter sieht, dass der DAX fällt. Dann greift er zum Hörer und ruft ein paar bekannte Händler und sonstige Marktteilnehmer an, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als Agenturmeldungen zu lesen und Kurse zu beobachten. Diese fragt er, warum denn der Markt fällt. Die Antwort ist dann gemäß der Indikatoren und der Agenturmeldungen. Also der Dax steigt, weil der Ölpreis fällt. Oder der Dax steigt, weil der Euro fällt und so die Bewertungsrelation zum Dow Jones gewahrt wird. Bestenfalls hat jemand ein Gerücht über eine anstehende Zinssenkung bei der FED gehört. Dass beispielsweise Bloomberg einen Newsfeed für Gerüchte hat, der genau diese Gerüchte in die Welt setzt, die sich dann alle per E-Mail, Traderboards- und Chats bestätigen, ist in diesen Gesprächen kein Thema.[3]

An diesem Punkt ist längst eine selbstreferenzielle Schleife entstanden, durch deren Nachrichten eine Realität erst erschaffen wird. Wie wenig hilfreich diese Realität ist, erfährt jeder am eigenen Leib, der versucht auf Basis dieser Nachrichten im Börsenhandel direkt Geld zu verdienen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn die dargestellte Realität ist bereits das monetäre Ausreizen dieser Informationen. Geld verdienen demgemäß all jene, die Abseits der Nachrichtenlage des Mainstreams agieren. Und jene, die in der Lage sind Nachrichten zu erzeugen. Dafür bedarf es nur der reinen Verfügbarkeit von Geld. Dieses wird in einen Wert investiert und generiert dadurch Umsätze, die wiederum Aufmerksamkeit erzeugen. Agenturen und Journalisten beginnen zu recherchieren, denn wo Rauch ist, ist auch Feuer. Sprich ein Nachrichtenbedürfnis. Und jeder, der aufgrund der steigenden Umsätze investiert hat, hat ein Interesse daran, dass Journalisten ein Rechercheergebnis erzielen und dieses in die Welt hineinschreiben. Durch dieses Interesse wird der Investor eine potenzielle Quelle für „Gründe und Gerüchte“. Das heißt, in diesen Fällen erzeugt der reine Geldfluss die Gründe und diese Gründe sind rein willkürlich. Sie entspringen dem Charakter und der Strategie der Quellen der Agenturmitarbeiter und Journalisten.[4]

Obst aus eigenem Anbau im Straßenverkauf auf Corfu.
Copyright PP Pilch, CC BY-ND 2.0 via Flickr ohne Änderungen

Schulden als politischer Normalfall

Eine gewisse Ähnlichkeit kann der Betrachtung von Konjunkturdaten und Staatshaushalten nicht abgesprochen werden. Die verschieden Ämter und Ministerien formulieren eine Erwartung. Bei den Börsenteilnehmern wiederum formulieren sich Erwartungen zu den Erwartungen und Eigenschätzungen, die sich miteinander vermengen. Am Ende steht ein Durchschnitt, an dem sich die Handelsprogramme wie auch realen Protagonisten orientieren. Da es hier um das reine Geldverdienen auf Basis von Erwartungen geht, läuft die jeweilige Entscheidung, reduziert formuliert, gemäß dem Motto: „Ist das Ergebnis besser oder schlechter als die Erwartung?“[5] Auf Basis der Antwort wird dann gehandelt.

Die Antwort ist korrelativer Natur. Das ist wichtig zu wissen, denn genau diese Art von Fragestellung und Antwortgebung wird von den finanzmarktaffinen Ökonomen sowie auch den Protagonisten des Finanzmarktes selber auf die Betrachtung der staatlichen Ergebnisse umgelegt. Macht der Bund weniger Schulden als geplant, wird dies als gut wahrgenommen. Macht er mehr Schulden als geplant, wird es schlecht interpretiert. Dabei stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Bund seine Schulden jemals wird zurückzahlen können oder ob es sinnvolle Schulden sind, die in Bälde zu Mehreinnahmen führen. Es herrscht die Prämisse vor, dass sich die Verschuldung in einem gewissen Rahmen befinden müsse. In der Europäischen Union (EU) wurde durch die EU-Konvergenzkriterien (vulgo: Maastricht-Kriterien) versucht, diese Relationen einzugrenzen. So darf die Verschuldung nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und das jährliche Haushaltsdefizit nicht mehr als 3 % betragen.

Auch diesem Konstrukt liegt eine Korrelation zugrunde, allerdings eine, bei der es einen Spielraum nach oben gibt. So werden die Finanzinvestoren beim überschreiten der Kriterien keine Flucht aus dem Euro antreten. Ohnehin hat sich für den Finanzmarkt die Interpretation für die Korrelation verschoben, denn der Staat, dem die aktuelle Leitwährung Dollar zuzuordnen ist, die USA, hat eine Schuldenquote von merklich über 100 % des BIP. Unter Zuhilfenahme genau dieses Argumentes, versuchen die USA die europäischen Länder dazu anzuhalten, sich noch höher zu Verschulden. Manchem ist das sehr recht. Griechenland, das kürzlich für 2013 erstmals wieder einen Primärüberschuss[6] in Höhe von 1 Mrd. Euro verkündete, gedenkt diesen sogleich zu investieren. Die Regierung möchte damit im anstehenden Europa-Wahlkampf Stimmen gewinnen.[7]

Es geht um Glauben

Nun soll an dieser Stelle nicht die ewigliche Diskussion über auf Schulden basierende Investitionsprogramme oder Austeritätspolitik geführt werden. Beide Seiten haben auf ihre Weise unrecht, denn dieser Diskurs ergibt sich allein aus der Logik des Systems. Es ist die Logik, die hier angezweifelt wird.

Auch der Blick nach Europa entspringt einem Glauben.
Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Poland, CC BY-ND 2.0 via Flickr ohne Änderungen

Korrelationen erfordern Glauben. Egal in welche Richtung sie gedacht werden, es ist absolut zwingend, dass kein wesentlicher Teil des Geldflusses (nicht der Marktteilnehmer) ihnen gemäß handelt und dadurch das Handeln im Markt auf einen Standard reduziert. Eine der Marktwirtschaft zugrunde liegende Diversität, ist in diesem von Kapitalakkumulation geprägten Vorgang nicht wünschenswert. Schwindet der Glaube, ist das System umgehend am Ende. Zuletzt hat Griechenland diesen Prozess innerhalb Europas eindrucksvoll vorgeführt. Zunächst Pleite, weil der Glaube an die Zahlungsfähigkeit abhanden kam. Und plötzlich ohne Heilung geheilt. Dabei wurde keines der bestehenden Probleme gelöst. Doch die Gewöhnung an das Problem und der aufkeimende Ausgleichsschmerz in den sogenannten Tigerstaaten, ermöglichen es der Öffentlichkeit momentan sich nasführen zu lassen.

Dahinter versteckt sich die eigentliche Natur der Krise, die nicht nur in Europa wütet. Sie ist ein nicht lösbarer Vorgang innerhalb des bestehenden Systems. Durch mehr Geld kann sie zeitlich verzögert werden. Durch Inflation wird versucht die Schuldenquoten zu senken. Doch am Ende setzt sich das bestehende Handeln fort und erfordert den Glauben an die Beständigkeit des Seins. Dabei bewegen sich vor allem die Glaubensparameter, die einer steten Ausweitung unterliegen und damit sichtbar das immer gleiche Problem fortsetzen. Es ist kein Zufall, dass Politiker und Banker in Davos sitzen und nur halbherzig in der Lage sind zu besprechen, ob die Krise vorbei ist oder ruht. Sie ahnen zumindest, dass allein das Hamsterrad der ewigen Geldschaffung die Illusion des gefühlten Reichtums aufrechterhält.

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[1] Mir ist durchaus bewusst, dass eine Gegenöffentlichkeit bei Linken, AFDlern und Verschwörungstheoretikern existiert. Sie erzeugen aber ebenso eine Wortmatrix, in der das Gegenteil passiert: Alles ist schlecht. Immer.

[2] Diese Unterscheidung wird bewusst gezogen und ergibt sich aus der Darstellung.

[3] Verbände und Lobbyisten agieren sehr ähnlich. Ein bezeichnendes Beispiels hierfür sind die alljährlichen Bekundungen seitens des Einzelhandels, dass das Weihnachtsgeschäft besonders gut verlaufe und sich das Volk regelrecht im Kaufrausch befinde. Im Januar kommen dann immer die offiziellen Zahlen, die das Gegenteil anzeigen. So verringerten sich im Dezember 2013 die Umsätze im Einzelhandel um real 2,4 % gegenüber dem Vorjahr.

[4] Es gibt manchmal die Menschen, die sich Fragen, was das alles mit Wost und Kindern zu tun hat. Ich verzichte bewusst auf das zwanghafte Erklären im Text. Das würde nun nämlich dazu führen, dass ich einen Vergleich zwischen der Realitätsschaffung in der DDR und dieser Form der westlichen Realitätsgenerierung ziehen müsste. An dieser Stelle soll die Gegenwart im Vordergrund stehen.

[5] Man kann die Beantwortung dieser sehr simpel scheinenden Frage durchaus sehr komplex gestalten. Am Ende steht aber eine Antwort in all ihrer Reduktion, die zu einem aktiven Handeln führt.

[6] Diese Kennzahl ist eine sehr erheiternde Erfindung. Man lässt einfach die zu zahlenden Zinsen auf die gemachten Schulden weg.

[7] Es sei erwähnt, dass sich daraus auch die Strategie der griechischen Regierung ableiten lässt, dauerhaft auf eine Senkung der Zinszahlungen zu drängen, oder eben Gelder für Investitionen zu erhalten. Aus dem bestehenden System heraus betrachtet scheint das auch der einzig sinnvolle Weg, wenn der Lösung ein humaner Anteil zugrund liegen soll.

 


29 Lesermeinungen

  1. Pitgiss sagt:

    Alles ist logisch analysierbar!
    Es kommt eben darauf an unzulässige, weil verfälschende Annahmen bei der Modellbildung zu vermeiden. Das System, dessen Scheitern wir derzeit ungläubig miterleben, muss nicht zwingend ind Chaos führen. Leider wird es von den wenigsten Protagonisten verstanden. Und von denen es verstanden wird, die sitzen entweder ganz oben und biegen es sich zurecht oder haben nichts zu melden. Meine Meinung ist die folgende: Die Lohn-Preis-Spirale der 80er war gar nicht so falsch – hat sie doch kontinuierlich zu einem Ausgleich von Schuldenwerten und Einkommen geführt. Mal mehr mal weniger. Das war aber lästig, musste man doch jedes Jahr auf’s Neue seinen gerechten Anteil erstreiten. Geringe Teuerungsraten und Lohnzurückhaltung lassen die Preise stagnieren (zumindest von Dingen des täglichen Bedarfs), was dem Volk vorgaukelt in einem stationären Zustand zu leben. Leider steigt nebenbei der Schuldenstand unaufhörlich weiter bis es eines Tages knallt. Ich denke man muss das Finanzsystem als einen stetigen Fluss begreifen, den man nicht bremsen darf. Sonst fällt irgendwann kein Regen mehr oder umgekehrt, der Deich bricht und schwemmt alles weg. Natürlich sind die Nilhochwasser lästig, doch bringen sie Wasser und Dünger auf die Felder. Um beim Bild zu bleiben. Diese Anpassungsmechanismen wurden und werden kontinuierlich von der Politik zugunsten der Geldbesitzerkaste unterminiert. Was wir davon haben sehen wir jetzt.

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