Es war ein sonderbares Phänomen. Wie aus dem Nichts filmten sich Millionen von Menschen weltweit dabei, wie sie sich einen mit Eiswürfeln versetzten und mit Wasser befüllten Behälter über den Kopf schütteten. Meistens war es ein Eimer. Wie immer bei solchen Massenphänomenen, scheiterten einige kläglich in ihrem Tun und verletzten sich dabei selbst oder produzierten Unfälle. Es griff die Fernseh-DNA der 1980er und 1990er Jahre. Unfall-Clips machten zur allgemeinen Belustigung auf diversen Video-Portalen des Internets die Runde. Der Sinn der Übung war ursprünglich jedoch ein Ernster. Die sogenannte Ice Bucket Challenge, oder auch Eiskübelherausforderung, sollte dazu dienen die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zu lenken.
Scheinbar eine gute Sache. Rund 112 Millionen Dollar durch mehr als drei Millionen Spender sind im Zuge der Kampagne für die ALS Association zusammengekommen. Einer Gesellschaft, die Forschung zur Heilung von ALS finanziert. Man kann sich darüber streiten, ob es angemessen ist, dass die Verwaltungskosten dieser Gesellschaft im Geschäftsjahr 2013-2014 (endet am 31. Januar) bei 21% lagen, während die Ausgaben für Forschung bei 28% der jährlichen Einnahmen liegen. Für das laufende Geschäftsjahr dürften sich diese Zahlen ohnehin ändern. In jedem Fall hat die Gesellschaft von der Aktion erheblich profitiert.
By slgckgc (Doing the ALS Ice Bucket Challenge) CC-BY-2.0, via Wikimedia Commons
Es hat aber nicht nur die ALS Association profitiert, sondern auch die Werbeindustrie. Jeff Bercovici vom Forbes Magazin hat versucht auszurechnen, wie viel allein Facebook mit der Eiskübelherausforderung verdient hat. Bei seiner waghalsigen Rechnung kommt er auf 1,48 Mio. Dollar und muss sogleich eingestehen, dass diese Zahl recht bedeutungslos ist. Es sind mehr. Mindestens mehrere Millionen Dollar. [1]
In viel größeren Ausmaß dürfte die zum Google Konzern gehörende Videoplattform YouTube profitiert haben. Die erste Anlaufstelle zur Verbreitung von Videos im Internet verkündete vor rund zwei Wochen, dass Videos zu dieser Thematik mittlerweile über eine Mrd. Zuschauer erreichte. Im Gegensatz zu Facebook wird das Schwert hier eindeutig zweischneidig. Denn ein Erfolg für YouTube bedeutet auch einen Erfolg für seine Nutzer. Nach der Registrierung bei dem Videoportal stellt der Anbieter die Frage, ob die eingestellten Videos monetarisiert werden dürfen. Stimmt der Nutzer dem zu, bekommt er fortan einen Obolus von den Werbeeinnahmen, die mit seinen Videos erwirtschaftet werden. Mit erfolgreichen „Produzenten“ werden gesonderte Vereinbarungen getroffen, über die man Stillschweigen wahrt. YouTube ist zu einem Arbeitsplatz ohne Arbeitgeber geworden.
Von ihrer Struktur her war die Ice Bucket Challenge ein anderes Kaliber als der ebenfalls sehr erfolgreiche „Gangnam Style“, der mittlerweile über zwei Milliarden Mal angesehen wurde. Die Eiskübelherausforderung rief eine massenhafte Aktivität hervor, die sich selbst reproduzierte und nur durch dieses Reproduzieren in ihrer Gesamtheit erfolgreich war. Das am meisten gesehene Eiskübelvideo stammt von Bill Gates und wurde lediglich 20 Millionen Mal angesehen. Hingegen zog der Gangnam Style die Aufmerksamkeit auf sich und erzeugte erst in der Folge, durch Nachahmungen und Parodien, die Aktivität anderer.
Zweifelsohne war YouTube der Treiber der Ice Bucket Challenge, die sich zu einem Massenphänomen auswuchs. Am Beginn dominierte der gute Zweck, doch wandelte sich dieser zu einer einer explizit finanziellen Absicht. Je länger das Phänomen durchs Internet rauschte, desto exzessiver wurde die Art der Darstellung. Die Protagonisten schrien regelrecht nach Aufmerksamkeit und somit auch nach dem Geld, das jeder Click mit sich brachte. Diese Ausbeutung von Hypes funktioniert mittlerweile sehr professionell. So sind die großen amerikanischen YouTube-Netzwerke darauf spezialisiert, Dinge aufzugreifen und zu beschleunigen, die beginnen „viral“ zu werden. Die also beginnen von einer breiten Masse an Menschen konsumiert zu werden. Das simpelste Mittel sind Kopien des Originals, die sich von der Szenerie her absetzen, aber die Grundidee beibehalten. Die das Original vielleicht sogar verulken oder dramatisieren.
An dieser Stelle könnte die böse kapitalistische Maschinerie gebrandmarkt werden, die sich an den Spendensammlungen beteiligt. Doch ermöglicht sie diese auch. Interessanter als der moralische Zeigefinger ist die Schattenseite dieser Entwicklung.
In Deutschland hat sich hierfür das nicht sehr repräsentable Wort „shitstorm“ für die negative Form dieser Hypes eingebürgert. Es bezeichnet ein virtuelles Mobverhalten, dem jedwede Hemmung fehlt. Die häufigste und somit sichtbarste Form sind unflätige Kommentare in den sozialen Netzwerken. Weniger sichtbar sind sittlich zweifelhafte Leserkommentare bei den Zeitungen, die nicht freigeschaltet werden. Es geht aber auch darüber hinaus. Morddrohungen und deren Abwandlungen sind in jedem negativ besetztem Aufruhr die Regel. Dadurch, dass immer mehr Livestreams aus den Wohnzimmern von Computerspielern existieren, erfreut sich in den letzten Jahren auch das „Swatting“[2] einer immer größeren Beliebtheit.
Durch die sozialen Medien, die eine Kommerzialisierung der menschlichen Kommunikation anstreben, ergibt es sich zwangsweise, dass die Anbieter wie Youtube, Facebook oder Twitter, auch begonnen haben, die negativen Seiten der menschlichen Kommunikation zu Geld zu machen. Das funktioniert genauso wie bei der Eiskübelherausforderung. Nur dass sich nicht alle fröhlich einen Eimer über den Kopf schütten, sondern der zu erniedrigenden Person oder Institution etwas unterstellen, sie bedrohen, Lügen verbreiten oder ähnlich sittenwidriges Verhalten an den Tag legen, bis hin zum Eingriff in das reale Leben. Ein tobender Mob mit technischen Hilfsmitteln.
By James Drummond (1816-1877) [Public domain], via Wikimedia CommonsDer Weg des Geldes führt an diesem Punkt zu zweierlei. Zu einem hohen Anreiz für die Nutzer, am negativen Gebrauch der Medien teilzunehmen und zu einer geminderten Neigung der Plattformanbieter, dieses Verhalten und diese negativen Hypes zu unterbinden. Auch hier werden Millionen verdient und das Verhalten reproduziert sich aus sich selbst heraus.
In der vergangenen Woche hat Katrin Rönicke in diesem Blog auf die Problematik hingewiesen, die sich aus unsicheren Systemen wie der iCloud ergeben. Doch das sind nicht die einzigen Schäden die entstehen. Die Konstruktion der sozialen Netzwerke führt zu einer Dynamik, die nicht selten Einzelpersonen in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit bringt. Mit Folgen.
Im Jahr 2010 hat Kanye West, ein US-Rapper mit mittlerweile über 10 Millionen Menschen die ihn auf Twitter beobachten, einen Auserwählten bestimmt, dem er auf Twitter folgt. Ein Student, der in der Folge eine Menge Aufmerksamkeit von der Presse bekam. Eine Aufmerksamkeit, die ihm sein Leben nahm. Das Ende vom Lied war, dass der junge Mann sein Twitterprofil löschte und vor der Öffentlichkeit floh, die irgendwann von ihm abließ.
Ich möchte den Punkt von Katrin Rönicke um Schäden ergänzen, die sich aus der Struktur der geschaffenen Medien selbst ergeben. Aus ihrer simplen Benutzung und der Inszenierung, der man sich mit ihnen hingibt. All dem, was in der Werbung nicht gezeigt wird.
Es geht um Verantwortung
Das, was durch die Plattformen passiert und das, was auf den Plattformen passiert, unterliegt vom Grundsatz her gesetzlichen Regeln. Durch eine sich häufende Anzahl an Gerichtsurteilen unterliegen diese Regeln auch einer grundsätzlichen Evolution und Anpassung. Das kann nur nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Evolution der technischen Entwicklung meilenweit hinterherhinkt. Und auch „die Politik“ tut sich schwer einzugreifen.
Dabei wäre Regulierung recht einfach, denn Konzerne die Geld verdienen, reagieren erstaunlich gut auf Strafmaßnahmen, die sie Geld kosten. Diesem Verhalten liegt meist eine recht simple wie zynische Rechnung zu Grunde: Die Höhe der Einnahmen durch den Rechtsverstoß werden von den Kosten für den Rechtsverstoß abgezogen und dann wird entschieden was sich lohnt.
Die vernachlässigte Verantwortung, sei es durch Schlamperei oder Unwillen, muss die Konzerne also nur ausreichend Geld kosten. Hierzu eine Bemessung vorzuschlagen, würde den Rahmen des Textes sprengen. Ein Ansatz findet sich in den EU-Kartellverfahren. Diese sind in ihrer Abwicklung zwar viel zu langsam, doch hat sich im Verlauf der Jahre ein dauerhaft hohes Strafmaß ergeben, dass durchaus abschreckend wirkt und der Konzerngrößen gerecht wird. Diese Strukturen auf die Verantwortung global agierender Unternehmen für ihre Kunden und deren Daten umzulegen, wäre nicht fernliegend. Es ist ein Mythos, dass man diese Unternehmen nicht greifen kann. Sie passen sich bereits weltweit den regionalen Regeln an.
Schwieriger wird die Handhabung der negativen Effekte, die sich aus den Plattformen ergeben. Der Fall Kanye West zeigt, dass die Verantwortung nicht einfach auf die Plattform umgelegt werden kann, sondern auch bei ihren Nutzern gesucht werden muss. Das heißt die Plattformen sind zu verpflichten, in ihrer Konstruktion den negativen Effekten entgegenzuwirken und das Rechtssystem muss einen effektiven Weg finden, die Verletzung der Rechte einzelner effektiv zu ahnden.[3]
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[1] Die Durchschnittliche Monetarisierungsrate je Videominute auf Facebook: 0,00178 Dollar. Die Herleitung von Bercovici halte ich zwar für nicht sachgerecht, aber die Zahl ist ein guter Hinweis darauf, mit wie wenig Einzeleinnahmen man im Internet kumuliert Milliarden verdienen kann.
[2] USA spezifisch. Ein verärgerter Mensch ruft bei der Polizei an und behauptet, dass in einem Haus ein Drogendealer sitzen würde oder ähnliches. Daraufhin schickt die Polizei ein SWAT Team los, das dem Betreffenden die Tür eintritt und ihn niederwirft. Das ganze erfolgt dann vor der Kamera und zur Belustigung der Zuschauer des Livestreams. Oftmals ist es eine Racheaktion, verärgert Onlinespieler.
[3] Diese Unternehmen bauen unsere Gesellschaft im Internet. Dass sie einer schärferen Regulierung und gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung unterliegen als ein Bierbrauer, scheint da nur folgerichtig.
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[…] sie ja die eigene Stärke. Und, was heute auch immer mitgedacht werden muss, ist, dass gerade die Anführer solcher sich abgleichenden Gruppierungen ihren Status monetarisieren können. Es entsteht also ein nicht unerheblicher Anreiz, solche Strukturen zu […]
Regulierung der Presse?
Wie sieht es mit der Regulierung der Presse aus?
Die gängige Aufmerksamkeitsökonomie (die der technisch machbaren Informationsverteilung ohne Zeitverzögerung geschuldet ist) verführt den durchschnittlichen Journalisten regelmäßig dazu, sich als viral entpuppende Themen aufzugreifen, durch Drama anzureichern und weiter hochzujazzen. Ist ein Thema in der beschriebenen Weise aktuell, führt es in der Regel zu einer gewissen Monokultur in der Themenwelt der Medien. Zu ein und dem selben Thema erscheinen auf dem Höhepunkt der Hysterie in jedem Leitmedium fünf bis zehn Artikel pro Tag, die in der Regel nur neue Kommentare und Kombinationen von sattsam bekannten Informationsschnipseln enthalten. Die ARD bringt mehrere Tage nacheinander Brennpunkte und die Infotainment-Formate verwursten die Empörung gewinnbringend in vorkonfigurierten Talkrunden. Wenn die Erregung abgeklungen ist, sind diejenigen Personen, die im Zentrum der Empörung standen, in der Regel gesellschaftlich vernichtet. Das bleibt auch so, wenn sich im Nachgang die Haltlosigkeit der Anschuldigung und damit die Ungerechtfertigkeit der Empöfung herausstellen sollte. Beispiele der letzten Zeit für solche Zerstörungen sind Christian Wulf, Tebart van Elst, Alice Schwarzer, Sebastian Edathy.
Wenn wir also Ihre (in meinen Augen zutreffende) Analyse auf die Presse übertragen, so wäre die Übertragung Ihrer abgeleiteten Forderungen die gesetzliche Festlegung von Geldbußen für Journalisten, um ihnen die Anstachelung des Mobs auszutreiben?
Viele Grüße
Günther Werlau
guter hinweis
die presse ist ja nicht ganz regulierungsfrei. ihr sind, bei aller pressefreiheit, grenzen gesetzt. die bildzeitung erfährt diese zum glück immer wieder vor gericht. was auch geld kostet und strafen mit sich bringt. die ard wurde kürzlich öffentlich für ihre ukraine-berichterstattung gerügt.
wir sollten aber auch nicht verwechseln, dass die presse heute kein infrastrukturanbieter für die Meinungsverbreitung mehr ist, wie das früher der fall war. heute nutzt man nur noch die infrastruktur anderer und wundert sich dann, dass die dafür was haben wollen.
wie sie wissen, ich bin ich unverbesserlicherer determinist, was meine sicht auf die gesellschaft betrifft. das heißt, für mich ist die art und weise des aufbaus der kommunikationsstrukturen von entscheidender bedeutung in der betrachtung des internets. wenn diese strukturen auf rein monetären interessieren basieren, dann wirken sie auch so auf ihre nutzer entsprechend.
der unterschied zum telefon zB ist, dass man fürs telefon seinerzeit (nicht wenig) geld in die hand nahm um es zu nutzen. heute jedoch will keiner mehr bezahlen, also muss das geld anders generiert werden. ist dqas per werbung, dann geht es darum, dass menschen zeit auf plattformen verplempern und daten hinterlassen. das erfordert dann für mich auch einen anderen regulatorischen umgang mit dieser infrastruktur.
wichtig war mir die unterscheidung zwischen sender (siehe kanye west) und infrastrukturanbieter (youtube). wir müssen das rad ja nicht neu erfinden, nur jedem seine verantwortung zutragen.
mfg
mh
passend dazu, wenn man noch das politische kapital mitberücksichtigen möchte.
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/beatrix-von-storch-afd-europaabgeordnete-im-zwielicht-seite-all/10736364-all.html
mfg
mh
Bezug Ihres Links zu der von Ihren vorgeschlagenen Infrastrukturabgabe?
Es scheint so, als wurde der Mob in diesem Fall über ganz verschiedene Kanäle ohne Mitwirkung der Infrastrukturbetreiber aufgeputscht. Wo ist der Bezug zu Ihrer Infrastrukturabgabe, mit der die Internetfirmen gezwungen werden sollen, das Böse im Menschen nicht noch für den schnöden Mammon auszunutzen und zu verstärken?
Der Artikel zeigt doch eigentlich nur, dass der Mob dieses Jahrhundert (oder zumindest dieses Jahrzehnt) wohl regieren wird. Diese Einschätzung habe ich schon häufiger geäußert und ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, das sich das dadurch vermeiden lässt, dass es den Infrastrukturbetreibern verboten wird, dem Affen Zucker zu geben.
Ich stehe einem solchen Verbot indifferent gegenüber. Aber wenn mit der moralischen Keule geschwungen wird, ist mir das Messen aller Beteiligten mit dem gleichen Mass wichtig. Darauf bezog sich mein ursprünglicher Kommentar.
Herr Werlau, ich hatte es in meinem Kommentar ja noch mal explizit erwähnt, dass es nicht nur um die Infrastrukturanbieter, sondern auch um die Sender geht. Wenn ich nun von politischem Kapital rede, meine ich damit die Sender. Es war auch ein Fazit meines Artikels, dass man beides zusammendenken muss. Eine Regulierung der Infrastrukturanbieter kann sich nur an deren Infrastruktur orientieren. Also ob diese verstärkend wirkt und inwieweit sie dies darf.. Es läuft dann auf ein “weniger Verstärkung um ein kommunikatives Miteinander im Internet” zu ermöglichen.
Davon unahängig ist es doch, dass wer als Person oder Institution Hetze betreibt, einer Verantwortung unterliegt und dieser zugeführt werden muss. In der Realität lassen wir auch keine Lynchjustiz zu. Dafür braucht der Rechtsstaat ggf. andere Wege als heute.
Mir scheint die Schwierigkeit in unser beider Kommunikation, dass ich ihnen diese zweigleisige Denken nicht vermitteln kann. Natürlich gilt es das gegeneinander abzuwägen. Und gerade weil mir bewusst ist, dass der Weg über die Gesetze, in Bezug auf die Infrastruktur, eher schwierig ist, schlug ich vor den Weg der Kommission gehen. Ich will nämlich eines nicht: dass der paternalistische Staat weiteren Boden gewinnt.. das tut er aber unter dem Deckmantel solcher Problemfälle nur zu gern.
MfG
mh