Meine Tochter übernachtete neulich zum ersten Mal bei einer Freundin und als ich sie dort am nächsten Morgen abholen kam, da verwickelte K., die Mutter der Freundin, mich in ein längeres Gespräch über alles Mögliche. Wir hatten lange nicht so viel Zeit zum Reden gehabt und kamen so vom Hundertsten ins Tausendste. Von der frühen Einprägung bestimmter Körperbilder bei Mädchen, über den Umgang mit der Tatsache, dass unsere großen Kinder bald ihr eigenes Smartphone brauchen würden und wir damit einen Crashkurs in Medienkompetenz und Medienpädagogik! Bis hin zum aktuellen Putz- und Schmutz-Problem in der Friedrichshainer Grundschule, in die K.s ältere Tochter geht.
Reinigungs-AG Nr. Drölfhundert
Dort gründet sich nun die vielleicht hundertste Elterninitiative an einer Berliner Schule, die nichts anderes tun wird, als die Versäumnisse der Politik selbst zu bereinigen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Mit Wischmop und Lappen. Der Dreck sei so unerträglich, erzählte K., die Aussichten auf Besserung aber gleichzeitig so gering, dass den Eltern keine Wahl mehr blieb, wenn sie die Gesundheit der Kinder nicht gefährden wollten. Was K. nicht wusste: Ihre Schule ist kein Einzelfall. Der Fehler hat in Berlin System. Ich berichtete, dass Schulschmutz vor einem Jahr bereits ein großes, berlinweites Thema war.

Mein Bericht trägt Früchte: K. wird jetzt Mitglied bei Facebook, was sie bislang tunlichst vermieden hatte – Medienkompetenz eben! – denn dort gibt es eine eigene Gruppe für das Thema „Schulschmutz Berlin“. Diese Gruppe existiert seit über einem Jahr schon und ihre Mitglieder haben im Januar 2014 einen kleinen Wirbelsturm ausgelöst. Durch die Medien hatten die Eltern so großen Druck auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg aufbauen können, dass ein noch zuvor „nicht kündbarer“ Vertrag mit einer versagenden Putzfirma plötzlich schneller gekündigt war, als man „Unterrichts-Fehlzeiten“ sagen kann.
K. hörte von all dem zum ersten Mal und war sehr froh über diese Informationen, denn nun fühlte sie sich nicht mehr allein. Wir erinnern uns: In der Kommunikation mit den Bezirks-Zuständigen waren alle Schulen zunächst immer zu „bedauerlichen Einzelfällen“ erklärt worden und erst, als diese Einzelfälle nach sehr langer Zeit der Deprivation voneinander erfuhren und sich vernetzten, wurden sie ein Politikum. Und das sind sie bis heute.
“Marodes Lernen”
Lorenz Maroldt hat in seinem täglichen Newsletter „Tagesspiegel Checkpoint“ seit geraumer Zeit die Rubrik „Marodes Lernen“, in der er zusammenfasst, welche Auswüchse des Verfalls an den Berliner Schulen jetzt wieder an die Oberfläche gespült wurden. Ein kleiner Ausschnitt allein aus der letzten Woche:
Die Goethe-Oberschule in Lichterfelde erhitzt wegen fehlender Thermostate die Klassenräume auf 25 Grad und kühlt dann mit offenem Fenster runter. In ganz Berlin sind derzeit 20 Turnhallen wegen gravierender Mängel gesperrt, die Schüler müssen bis zu 20 Minuten zu Ausweichsporthallen fahren, was zu Einschränkungen des restlichen Unterrichts führen kann. An der Alt-Lankwitzer Grundschule gibt es seit den 70er Jahren zwei mobile Unterrichtsräume, die immer noch benutzt werden müssen. Der eine Raum hat inzwischen einen so großen Spalt, dass die Schüler ins Freie schauen können und ein Knöterich seit immer weiter ins Klassenzimmer wächst. Dazu die Stiftung Bildung: „Die Kletterpflanze sucht sich ihren Weg durch wegbröselnde Fugen der Bauelemente.“ Zudem ist die Wasserqualität so schlecht, dass den Kindern untersagt ist, Wasser aus dem Hahn zu trinken. An der Rothenburg-Grundschule betritt die Hausmeisterin wegen Schimmelbefalls den Materialraum (drei Meter neben dem Küchen- und Mensabereich) nur mit Atemschutzmaske. Und in der Grundschule am Hasengrund findet man bröckelnden Putz, dauerstinkende Toiletten, nicht mehr zu öffnende Fenster sowie seltsamer Weise keine Mensa. Die 350 Kinder essen in zwei umfunktionierten Klassenräumen im Schichtsystem, wobei die Wartezeit länger als die Pause ist.
… ich glaube, Sie erhalten einen Eindruck. Herr Maroldt schafft es jedenfalls, an jedem einzelnen Werktag, eine Schule und einen Sachverhalt für diese Rubrik zu entdecken. Und natürlich sind die friedrichshainer Schulen absolut keine Ausnahme.

Politischer Stillstand bei gleichzeitiger Olympia-Hysterie
Die Politik scheint wie eingefroren. Unternommen wird so gut wie nichts – die Mängel sind seit Jahren bekannt, seit Jahrzehnten teilweise und dennoch: Aus Geldmangel, oder weil man schlicht den Überblick verloren hat, wird nichts angepackt, um die Zustände zu verbessern. Zumindest nicht seitens der Politik. So bleibt es an den Einzelstandorten selbst hängen, Lösungen für die Porbleme zu erarbeiten.
Schulpolitik ist in Berlin ein „Hobby“ von uns Eltern geworden. Der Landeselternausschuss (LEA) ist neben dem BER-Aufsichtsrat und dem Expertengremium für den Sozialen Wohnungsbau mit Sicherheit eines der spannendsten Gremien der Stadt. Aus den Reihen des Landeselternausschusses stammt ein für die Vorweihnachtszeit entworfener Wunschzettel, der 24 Tage lang festhielt, was schief läuft und nur an Adventssonntagen dagegen stellte, wie sich vor allem Eltern mittels ehrenamtlichen Engagements in Berlin in die Presche schmeißen. Denn anders läuft es vielerorts einfach nicht mehr. Die Politik Berlins bekommt mit dem Zustand ihrer Schulen eine so dermaßen heftige Versagensbescheinigung präsentiert, irre! Aber viel Spielraum gibt es nicht. Das Geld ist knapp und wird noch knapper, denn jetzt hat man sich in den Kopf gesetzt, dass man gerne Olympia in die Hauptstadt holen würde. Die Pro-Olympia-Kampagne läuft seit einer guten Woche. Eine Kampagne, über deren Kosten niemand so richtig sprechen möchte, wie man der hiesigen Presse entnehmen kann. Okay. Kann man machen.
Derweil erklärte die Rektorin unserer Schule bei der vorletzten Sitzung der Gesamtelternvertretung, dass es derzeit wegen der Haushaltssperre im Bezirk nötig sei, für den Erhalt fehlenden Klopapiers Anträge zu schreiben. Der Grund für die Haushaltssperre: die horrenden Kosten, die dem Bezirk mit dem Konflikt rund um die Gerhard-Hauptmann-Schule entstanden sind. Spielplätze sind gesperrt. Sportkurse sind gestrichen. Honorarverträge werden nicht verlängert und Schulklos eben nicht repariert. Fein. Auch eine Ziege ist nach Auskünften der Berliner Morgenpost schon an der Haushaltssperre gestorben. Berlin – arm aber sexy.
Wie all das nun weitergehen soll bleibt weitestgehend ein Rätsel. Seit Januar 2014 rödeln Eltern, decken Medien auf und diskutieren Politiker. Das Ergebnis: Alles bleibt, wie es ist und grundsätzlich geändert wird erst einmal gar nichts. Man sitzt den Scheiß eben aus, ungeachtet der Meldungen und wenn eine Schule geschlossen werden muss – ¯\_(ツ)_/¯
Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich als Berliner Politiker eben doch wunderbar ungeniert.
Sehe ich ja jetzt erst ...
unsere Grundschule ist einigermaßen gepflegt; dafür bin ich unserem Bezirk sehr dankbar – mir ist klar, dass das schon Luxus ist! Die ungeputzten und verwahrlosten Berliner Schulen symbolisieren leider den schlimmen Niedergang der hiesigen Schulpolitik unter der Knute der SPD: Demotivierte und viel zu wenige Lehrer, “kompetenz”-orientierte neue Leerpläne (nicht mehr: Lehrpläne!) die Abschaffung des Faches Geschichte (dazu gibt es eine Petition, die sich dagegen wendet!) JÜL-Experimente, wildes Durchpeitschen der Inklusion um jeden Preis (wir haben noch nicht genug Probleme, nein, nein) und auch das ungenierte Schleifen der Berliner Bibliotheken (jedes Buch, das länger als zwei Jahre nicht ausgeliehen wurde, soll geschreddert werden, auch dagegen gibt es eine Petition) gehört letztlich dazu. Mir ist Angst und Bange, wenn ich daran denke! Man muss leider viel selber mit dem Kind arbeiten und sich geeignetes Material besorgen (kaufen; Bibliotheken wird es bald kaum noch geben), damit es auf den Stand kommt, auf dem man selber als Kind von der Schule (und nicht von Mama) gebracht wurde. Viel Glück + Durchhaltevermögen!
Arm aber Blind
In Städten wie Berlin prallen nunmal die Extreme gesamt-gesellschaftlicher Probleme, aufgrund der höhen Bevölkerungsdichte viel schneller zusammen.
Aber im Wesentlichen ist es doch wie überall heute: Wems gut geht, für den ist alles andere auch gut.. Aber wenn manin einer Stadt wie Berlin arm ist, ist man echt erstmal auch „arm dran“- das weiss ich aus eigener Erfahrung. Grund dafür ist aber die schlechte Sozial- und Bildungspolitik des gesamten (!) Landes und die hat im Kern nichts mit Grossstadt vs. Provinz (-neid) zu tun.
Wenn nun öffentliche Institutionen wie Schulen verarmen, wird die Sache auch zum gesellschaftlichen Problem.
Ausserdem – man magt wissenschaftlich argumentieren oder nicht – sind viele Dinge, die ich bis vor 5 Jahren in Berlin erlebt und als schlecht empfunden habe, inzwischen auch in der Provinz angekommen – und ich möchte nicht erleben, dass sich ein Trend entwickelt, der wie im Sozialsystem Misstände ignoriert, wie Hartz 4, die Leiharbeit..ect. ( die weiterhin existieren..) und irgendwann auch überall im Land, das bisher auch nicht gerade hoch geförderte Bildungssystem betreffen. Und niemand tut mehr was..