Das Schicksal meinte es nicht schlecht mit den Piraten. Punktgenau zu ihrem ersten Parteitag des Jahres 2014 sorgte die Nachricht für Aufsehen, selbst der britische Geheimdienst glaube, Julian Assange wäre mit den gegen ihn erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen gezielt in eine Falle gelockt worden. Und der neue Justizminister Maas von der SPD nahm den Piraten und der FDP das Thema Bürgerrechte vom Brot und kündigte an, er werde die Vorratsdatenspeicherung auch weiterhin bis zu einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes blockieren. Jede normale Bürgerrechtspartei des digitalen Zeitalters hätte da aufspringen müssen, und mit Hinweis auf all das schandbare Treiben um Assange und die NSA und das Versagen deutscher Geheimdienste klarstellen, dass es nun nicht an der Zeit ist, sich feige hinter einem Gerichtsbeschluss zu verstecken. Nein, die Bürger müssten die Kontrolle über ihre eigenen Rechte und all die Schnüffeldienste bekommen, alles andere seien keine Bürgerrechte und würde nur wieder neuen Missbrauch fördern.
Statt dessen twitterte aber Julia Schramm, sie werde keinen Wahlkampf für eine Penisliste machen.
Das drückt insofern das Dilemma der Piraten aus, als die im Skandal um ihr Buch zurückgetretene und für den Niedergang der Partei mitverantwortlich geltende Schramm kein Basismitglied mehr ist, sondern nach eigenem Bekunden Marxistin. In dieser Eigenschaft ist sie aber nicht zur KPD gewechselt, sondern geblieben, und wurde vom neuen Parteivorsitzenden Wirth – an der Basisdemokratie vorbei und unter teils heftiger Kritik – in sein Team berufen. Und weil ein Grossteil der anfänglichen Kandidaten Männer waren, liess das Teammitglied des Vorsitzenden der Partei wissen, dafür – eben die “Penisliste” – würde sie nicht arbeiten. Solche Ansagen sind in der Führungsebene der Piratenpartei inzwischen völlig normal; so normal, dass der lautstarke feministische Flügel in Assange nur noch eine Vergewaltiger sieht, und im Fehlen eines Urteils einen Ausdruck der Rape Culture, die diese Verbrechen nicht scharf genug verfolgt. Längst ist Assange zu einem Dämon hochstilisiert worden, und eine Berufung auf ihn hätte zu innerparteilichen Scherereien geführt.
Davon hatte man schon im Vorfeld des Parteitags genug andere. Wirth und seine Kollegen sahen tatenlos zu, als im näheren Umfeld der jungen Piraten bei Twitter ein Internetpranger namens “Blockempfehlung” gefördert und verbreitet wurde, mit dem Ziel, Andersdenkenden die Accounts abzuschiessen. Wirth behauptete, er folge dem Account nur zur “Feindbeobachtung”. Wer nun der Feind sei, seine eigenen Teilorganisationen und Mitglieder, oder deren Opfer, liess er offen. Dagegen äusserte er sich klar gegen die Gewalt der Polizei bei den gewalttätigen Ausschreitungen in Hamburg rund um den 21. Dezember. Klare Worte gegen die Gewalt von Antifa und Autonomen kamen ihm auch dann nicht in den Sinn, als unter seiner Pressemitteilung viele Mitglieder gegen den beschönigenden Tenor der linken Gewalt protestierten.
Das ist die Reaktion von Mareike Peter auf die innerparteiliche Debatte. Peter hatte der Partei früher schon viele Probleme bereitet, und gilt als Partnerin von Oliver Höfinghoff, der einerseits Mitglied der Roten Hilfe und der Antifa ist. Und andererseits einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Piraten im Berliner Senat Parlament. Die Antwort der Parteilinken auf die Distanzierungsfordungen kam schnell und deutlich, denn Angehörige der Antifa und viele Piraten verbreiteten ein neues Hashtag bei Twitter: #dankepolizei. Wie bei der Aktion #Aufschrei ging es ihnen darum, verdammenswerte Handlungen der Polizei öffentlich anzuprangern, die Gegenseite als allein Schuldige darzustellen, und wie beim Aufschrei war der Wahrheitsgehalt der Aussagen kaum zu überprüfen. Aber die Deutungshoheit wurde im Netz erfolgreich erbrüllt.
Dabei waren die Vorwürfe in jeder Hinsicht deutlich und nicht wirklich das, was man sich unter einem friedlichen Miteinander in einem gemeinsamen Staat vorstellt. Der Umgang mit Asylbewerbern, Gewalt gegen friedliche Demonstranten mit Böllern und Steinen im Rucksack, Übergriffe, Drohungen – dergestalt verbal und ideologisch vorgeglüht fuhr der Piratenteil der Antifa dann zum Bundesparteitag nach Bochum. Und hängte dort in Person von Oliver Höfinghoff in Absprache mit einem Mitglied der Versammlungsleitung schön sichtbar die Fahnen der Anarchosyndikalisten und der Antifa auf – nach den Krawallen von Hamburg ein deutliches Signal. Eigentlich warben die Piraten früher für ihre Ideologiefreiheit, aber angesichts der von der Führung geduldeten Alleingänge ihres linken Flügels war es eine neue Eskalation. Ein Versuch, die Fahnen zu entfernen, wurden dem Vernehmen nach von Oliver Höfinghoff mit dem Worten “Geh mir aus der Sonne, sonst knallt’s hier.” beantwortet.
Neben den Fahnen hatte die innerparteiliche Antifa auch noch eine Kandidatin dabei: Die Berliner Synchronsprecherin Anne Helm galt als aussichtsreiche Parteiprominenz für den ersten Platz der Liste für die Wahl zum Europaparlament. Kurz vor der Wahl hatte Helm dargelegt, warum sie ohne Antifa-Strukturen nicht mehr politisch arbeiten könnte, auf ihre gefühlte Bedrohung hingewiesen, und aufgerufen, bekannten Antifavertretern in Berlin zu folgen. Es handelt sich dabei um die sog. Antideutsche Richtung, die sich auch oft im Streit gegen Linke hervortut, die eine andere Meinung haben. Diese Kollegen hatte Frau Helm ausdrücklich empfohlen, und die Kollegen warben auch für ihre Favoritin Helm – wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, auf dem Parteitag andere zu mobben, die sich über die Antifafahne beschwerten.
In der Folge kam es zu Androhung von körperlicher Gewalt durch einen Anruf mit unterdrückter Nummer, weil ein Pirat seine Meinung über die Antifa veröffentlicht hatte. Ein anderer beklagte das allgemeine Klima der Angst in der Partei, und der Vorsitzende Wirth verfasste im Tumult einen allgemein gehaltenen Tweet, man sollte doch bitte nicht den Parteitag mit dem Twittern schädigen. Eine Distanzierung lehnte er auf Nachfrage erneut ab. Dafür half seine Mitarbeiterin Schramm – ihr Mann suchte vor Kurzem als Mitglied des Senats Parlaments ein Büro zusammen mit Höfinghoff – bei der Hatz gegen Antifakritiker. Antisemitismusvorwürfe, Klageandrohungen, Witze über das Aufhängen von Gegnern: Wer die AfD für schon einen hasserfüllten Haufen hält, folgt nicht den Twitteraccounts der Piraten-Antifa und ihrer externen Helfer, die auf Zuruf gerne noch eins draufsetzten. Dass Anne Helm nur auf den aussichtslosen 5. Platz der Liste kam, hat möglicherweise auch etwas mit ihrer offenen Verbindung zur Antifa zu tun.
Was die Piraten erlebten, war eine typische Eskalationsstrategie einer radikalen Minderheit gegen eine Mehrheit in der Art, mit der die Antifa auch friedliche Demonstrationen und politische Organisationen im Bereich Gentrifizierung und Flüchtlingspolitik übernimmt. Darüber beschweren sollten sie sich nicht: Die eigene Jugendorganisation leistet sich einen Antifaflügel und einen Antifakongress. Angeregt wurde das Treffen von der Spitzenkandidatin Julia Reda, und dazu reist der Berliner Ex-Pirat Stephan Urbach an, um über Eskalation gegen rechte Demonstrationen zu sprechen. Man wird sehen, ob er dort auch das empfiehlt, was man auf dem Parteitag gemacht hat: Dort wurde ein Kandidat abgegriffen, weil sein Kind mit dem Kind eines anderen, als Feind definierten Piraten spielte.
Seit einem Monat erleben “die Piraten” eine ganze Serie von Anschlägen einer kleiner Gruppe von 50 – 100 Piraten und ihrer externen Helfer, die das Bild der Partei zu prägen versuchen. Betroffen sind keine Faschisten oder Rechtsextreme, sondern innerparteiliche Gegner, die es wagen, den Mund auszumachen. Offen deklariertes Ziel dieser Gruppierung ist ein Ende der undogmatischen Lösungsfindung, hin zu einer Partei, bei der jeder unter der Flagge ihrer Organisation zu sitzen hat, Hauptsache Links. Dafür steht auch die Spitzenkandidatin Julia Reda von den Jungen Piraten mit ihrem Wahkampfblog TandemnachBrüssel. Das Europäische Parlament, in das sie einziehen möchte, liegt allerdings in Strassburg. Trotzdem distanzierte sich sich bislang weder von Brüssel noch von den Aktionen der mit ihr bestens vertrauten Parteilinken.
Für die normalen Piraten ist die Situation wenig erbaulich: Lassen sie sich auf einen Konflikt ein, stehen sie wieder als die alte Partei von Zwist und Hader da, obwohl der Parteitag formal vergleichsweise geordnet über die Bühne ging. Nehmen sie die Provokation an und wehren sie sich, stehen sie nicht nur gegen eine kleine, radikale Minderheit, die keinerlei Rücksicht auf die Aussenwirkung nimmt. Sie stehen auch gegen die Helfer dieser Gruppe, die extern organisiert sind und nach dem Ende der Krawallen in Hamburg eine neue Freizeitbeschäftigung suchen. Zudem stehen sie allein innerhalb der Parteistrukturen, in denen das erweiterte Umfeld der Antifa erfolgreich dafür gesorgt hat, dass es keinerlei Distanzierung von den Methoden der Antifa gibt. Eine Penisliste hat die Abstimmung zur Europawahl nicht ergeben. Aber eine 2%-Partei bräuchte neue Wähler und viele hochmotivierte Mitarbeiter, um das Blatt noch zu wenden, und ins Europaparlament zu kommen. Die wurden in Bochum von der Antifa eher abgeschreckt – unter der Führung von Oliver Höfinghoff, der vermutlich noch ein paar Jahre dank der Partei sein Auskommen im Berliner Senat Parlament hat.
HINWEIS:
Wegen technischer Probleme, einer akuten linkslastigen Giftnatternplage und einer Stalkerin hapert es hier gerade etwas mit dem Freischalten der Kommentare, ausserdem ist die Antifa ja eher proaktiv, deshalb siebe ich hier, und das dauert meist etwas. Nichtstalker und Nichtantifa können gern auf das problemfreie Kommentarblog ausweichen.
EDIT: Versehentlich habe ich einige zu Mitgliedern des Berliner Senats ernannt. Entschuldigung, Berlin, das wollte ich nicht, ich habe sie sofort wieder degradiert.