Pop-Anthologie

XTC: „I Bought Myself a Liarbird“

Als New Wave noch geholfen hat: Die englische Band XTC hat mit „ I Bought Myself A Liarbird“ eine seltene Vogelart in den Kosmos des Brit-Pop eingeführt. Man könnte auch sagen: sie hat ihm ein Kuckucksei ins Nest gelegt.

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© Paul Natkin/WireImageColin Moulding, Dave Gregory, Andy Partridge und Terry Chambers von der Gruppe XTC

I Bought Myself a Liarbird

I bought myself a liarbird
He came with free drinks just to blur
The lies falling out like rain
On an average English summer’s afternoon

I bought myself a new notebook
Sharpened my guitar and went to look
If this biz was just as bongo as the liarbird made out

All he would say
Is “I can make you famous”
All he would say
All he would say
“Just like a household name” is
All he would say

Methinks world is for you
Made of what you believe
If it’s false or if it’s true
You can read it in your bible
Or on the back of this record sleeve

I bought myself a liarbird
Things got more and more absurd
It changed to a cuckoo
And expanded filling up with all I gave

I bought myself a big mistake
He grew too greedy, bough will break
And then we will find that liarbirds
Are really flightless on their own

All he would say
Is “I can make you famous”
All he would say
All he would say
“Just like a household name” is
All he would say

Methinks world is for you
There’s no handing it back
If it’s false or it’s true
You can read it in your prayer book
Or on the side of a cornflake pack

I gave away a liarbird
A couple less drinks and now I’ve heard
The truth shining out like sun
On an average English winter’s afternoon

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Ob es 1984 in Swindon eine Tierhandlung gab, die Leierschwänze führte, müssen lokale Historiker herausfinden. Der „Liarbird“, den sich Andy Partridge in seinem Lied zulegt, ist zunächst ein Wortspiel, eine Verballhornung. Die richtige Schreibweise lautet im Englischen „lyrebird“. Und schon ist damit die Saite angeschlagen, deren Ton von der Lyra der antiken Sänger zur Lyrik und dann zu den Lyrics unserer Tage trägt – zu den Nachfahren des Singer-Songwriters Homer. Ein doppeltes Spiel mit der Mythologie, der Sänger besingt den Vogel, der Vogel verführt den Sänger.

Dabei ist der Leierschwanz, wie das Tier auf deutsch heißt, trotz exaltierter Schwanzfedern kein besonders schön anzusehender Singvogel. Er lebt im Südosten Australiens und auf Tasmanien, für Käfighaltung ist er nicht wirklich geeignet. Ein Flugkünstler ist der Vogel nicht, meist hüpft er am Boden herum, aber singen kann er wie kaum eine andere Art: Leierschwänze imitieren alles, was ihnen akustisch zufliegt – Stimmen von Vogelkollegen, Hundegebell, den Knall von Schüssen, Motorengeräusche, das Verschlussgeräusch von Kameras, menschliche Stimmen, angeblich sogar Kettensägen. Ein trügerischer Vogel also, vor dessen Verführungskunst man sich in Acht nehmen sollte.

© dpaEin Graurücken-Leierschwanz hebt an zum trügerischen Gesang

Erschienen ist das Stück auf dem 1984er Album „The Big Express“, dem siebten Studioalbum der englischen Band XTC, die auch damals schon in der Hauptsache aus Andy Partridge (Gitarre, Gesang) und Colin Moulding (Bass, Gesang) bestand. Zwei Jahre zuvor absolvierte die Band ihren letzten Live-Auftritt. Partridge, ohnehin von chronischem Lampenfieber geplagt, erlitt einen Nervenzusammenbruch. Seither wartet weltweit eine treue Gemeinde auf ein Konzertwunder. Und sammelt derweil noch die kleinsten Brosamen, die der Meister selten genug veröffentlicht.

Der Bänkelsänger im Pub

Wir sind in einem Pub, die Stimmung ist gelöst. Die kleine Song-Pretiose, von der es weder Video noch Live-Mitschnitt gibt, marschiert entspannt los mit lässigen Gitarrenslides im Hintergrund, schwingt sich dann auf zu einem psychedelischen Refrain mit mächtigem Schlagzeugbums. Das Ganze in drei Durchgängen, nach knapp drei Minuten ist die Geschichte vom Lügenvogel erzählt. Im Text findet die vorbildliche Kürze ihre Entsprechung in der rasanten Ernüchterung des Ich-Erzählers. Der Vogel nämlich macht eine Metamorphose zum Kuckuck durch, er steht nicht länger für das eingangs gegebene Traumversprechen von Erfolg und Berühmtheit – er ist ein plumper Trickbetrüger, dessen Lockgesang verspricht, was er nie wird halten können.

© A.P.L. Allstar Picture LibraryAndy Partridge, 1979

Denn der „Liarbird“ steht für die große Illusion, mit der die Pop-Industrie ihre Zulieferer ködert. Ruhm und Ehre sowie ein pralles Bankkonto: „I can make you famous / just like a household name“. Ein Traum, der für die Band XTC, die damals wohl auf dem Höhepunkt ihres Ruhms stand, nie wirklich in Erfüllung gegangen ist. Auch, weil die Fans müde wurden, immer neuen Verstiegenheiten des Zinnsoldatensammlers und Nickelbrillenträgers Partridge zu folgen. Eine wirkliche Hit-Band war die 1976 in der englischen Provinzstadt Swindon gegründete Formation nie, auch wenn sie als einflussreicher Vertreter des New Wave von Anfang durch außergewöhnliche Musikalität, spleenige Texte und verspielte Arrangements auffiel. Wenn irgendwer das Erbe von Lennon und McCartney antrat, dann war es der 1953 auf Malta geborene Komponist, Gitarrist, Sänger und Produzent Andrew John Partridge.

Von 2002 an veröffentlichte Partridge seine Demo-Tapes unter dem Titel „Fuzzy Warbles“ und gab auf insgesamt acht CDs Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Materials. Im Begleitheft zu Volume 1 schreibt er als Kommentar zu „I Bought Myself A Liarbird“ ein wenig rätselhaft: „All you need to exorcise a greedy rip off manager is a head full of rocks, a heart full of jelly and a guitar tuned to the chord of E.” Es ging also mal wieder um Streitereien mit der Plattenfirma.

Von Anfang an skeptisch dem eigenen Gewerbe gegenüber, hatte er schon in dem an den Roman von Alan Sillitoe angelehnten Song „Travels in Nihilon“ (1980) seine Zweifel am Geschäftsmodell geäußert: „There’s no youth culture / only masks they let you rent“. Vier Jahre später variiert er das Thema spielerischer, melancholischer und entschieden selbstironischer. Der Bänkelsänger im Pub nimmt sich an einem „durchschnittlichen englischen Sommernachmittag“, schon ein wenig lull und lall wegen zu vieler Drinks, selbst auf die Schippe. Er weiß, dass er sich freiwillig dem süßen Vogel Jugend ausgeliefert hat, bereit zu glauben – wenn nicht an Gott, dann doch wenigstens an die Verlockungen der Plattenindustrie.

Spöttischer Ohrwurm

Noch ein kurzer Abstecher zum Vogel-Motiv. Ohne das Zirpen der  Grillen, den Gesang von Lerchen, das Gezwitscher von Spatzen wäre die englische Popmusik ebenso wenig vollständig wie das Auenland, das sich derzeit noch als Vereinigtes Königreich tarnt. Auch im vorliegenden Fall lohnte sich ein Blick auf die Vogelmetaphorik. Leider streift Todd Bernhardt in seinem 2016 erschienenen Interview-Buch „Complicated Game“ das Thema nur. Partridge berichtet darin, dass auf so gut wie allen Demo-Bändern, die er in seinem kleinen Studio aufgenommen habe, Vögel zu hören sind. Einfach, weil sie auf dem Baum vor dem Fenster saßen. Zur Vertiefung des Themas seien vom gleichen Album „Seagulls Screaming Kiss Her, Kiss Her“ oder „Rook“ (auf „Nonsuch“, 1992) empfohlen.

Wie viele andere XTC-Songs besteht auch dieser den Lagerfeuer-Test problemlos. Das Lied ist gut singbar, es macht Spaß, den zweistrophigen Refrain in verschiedenen Lagen nachzusingen. „All he would say / Is ,I can make you famous‘“ mit kehligem Gepöbel; „Methinks world is for you / Made of what you believe“ wie einen honigsüßen Sirenengesang.

Der auf den Lügenvogel hereingefallen ist, landet am Ende einigermaßen desillusioniert wieder auf dem Boden der Tatsachen – den der Vogel nie verließ (nur zum Schlafen hüpft er auf einen Ast).

XTC aber haben unter den vielen Songs, die sie der Schatzkammer des Brit-Pop spendiert haben, auch diesen spöttischen Ohrwurm hinterlassen, der unangemeldet zu allen Jahreszeiten immer wieder auftaucht. Nicht nur an einem durchschnittlichen deutschen Sommer- oder Winternachmittag.