Pop-Anthologie

Reinhard Mey: „Die Zeit des Gauklers ist vorbei“

Trennungslieder sind ein undankbares Genre der Pop-Musik. Reinhard Mey aber gelingt in diesem Song ein kunstvoller Befreiungsschlag – mit einer doppelten Schicht Zucker.

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© picture-allianceReinhard Mey in den siebziger Jahren

Die Zeit des Gauklers ist vorbei

Die Zeit des Gauklers ist vorbei,
Verklungen Sang, Schnurrpfeiferei,
Verstummt die Laute, die der Musikant noch in den Händen hält,
Der Tisch verwaist, die Gläser leer,
Das Fest ist aus. Es bleibt nichts mehr,
Als abzugeh’n, man sagt: Der Narr ist traurig, wenn der Vorhang fällt.

Und das Fest, das wir endlos wähnen,
Hat doch wie alles seinen Schluß.
Nun, keine Worte und keine Tränen,
Alles kommt, wie’s kommen muß.

Das Feuer fast herabgebrannt,
Malt flackernd Schatten an die Wand,
Schon steht der Morgen vor den Fenstern noch vom heißen Atem blind.
Vom Wein sind Kopf und Zunge schwer,
Kein Lärmen, keine Späße mehr.
Jetzt zieht die Stille in das Haus, wo wir fröhlich gewesen sind.
Leb‘ wohl, der Abschied ist gemacht,
Die Zeit des Gauklers ist vollbracht.
Denk‘ an mich ohne Bitternis, wenn ich mein Instrument jetzt niederleg‘.
Hab‘ vieles falsch gemacht, gewiß,
Wenn du vergessen kannst, vergiß.
Dann werd‘ ich morgen nicht mehr sein, als nur ein Stein auf deinem Weg.

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In der Welt des Pop ist das Liebesleid elementar, zumeist allerdings als Klage desjenigen, der verlassen oder gar nicht erst erhört wurde. Wer selbst den Schlußstrich zieht, neigt offenbar viel weniger dazu, das zu besingen – was auch verständlich ist, schließlich sieht man dabei nicht besonders gut aus. Wer es trotzdem versucht, steht jedenfalls vor dem Dilemma, dass man ja einerseits nicht verletzen will, andererseits die unerfreuliche Botschaft deutlich übermitteln muss, damit der mühsam gefasste Entschluss auch Bestand hat.

Es ist kein Privileg der Pharmazie, den bitteren Kern mit einem Zuckermantel zu versehen, um die Sache erträglicher zu machen, und im Fall von Reinhard Meys „Die Zeit des Gauklers ist vorbei“, erschienen ursprünglich 1974 und bis heute ein Klassiker innerhalb seines reichen Oeuvres, kommt der Zucker aus gleich zwei Quellen. Die eine ist die Musik, das Intro zumal, das sich über Meys feines Fingerpicking auf der akustischen Gitarre ins Ohr schmeichelt und Trauer ebenso vermittelt wie die harmonische Rundung der Akkordfolge, was schließlich nichts anderes verheißt als dass sich schon alles irgendwie fügen werde.

Wenn der Vorhang fällt

Exakt dies – Trauer und Trostversprechen – transportiert dann auch Meys Text. Allerdings über den Umweg, dass er in den ersten beiden von insgesamt drei Strophen vordergründig die Stimmung am Ende einer Feier beschreibt: „Der Tisch verwaist, die Gläser leer, / Das Fest ist aus“ heißt es in der ersten Strophe, und die zweite ergänzt, dass der Wein das seinige getan hat, die Feststimmung zu erschöpfen: „Kein Lärm, keine Späße mehr. / Jetzt zieht die Stille in das Haus, wo wir fröhlich gewesen sind.“

Dass das kein Zufall, sondern notwendig so ist, unterstreicht dann die Zeile: „Schon steht der Morgen vor den Fenstern noch vom heißen Atem blind.“ Was der eine nicht sieht, weil das Fest selbst – der „heiße Atem“ der Feiernden – mit den blinden Scheiben die Illusion der andauernden Nacht nährt, das bemerkt der andere und spricht es aus: Es ist vorbei, es ist Zeit zu gehen, „das Fest, das wir endlos wähnen, / Hat doch wie alles seinen Schluß.“

Das ist exakt die Situation, die in den „Tageliedern“ der mittelhochdeutschen Liebeslyrik gern beschrieben wird: Zwei liegen beieinander, und während der eine die aufgehende Sonne mit Sorge betrachtet und das heimliche Lager verlassen möchte, leugnet der andere, dass es schon soweit sei. Vielleicht ist es reiner Zufall, vielleicht eine bewusste Entscheidung aufgrund dieser Tradition, dass Mey seinem Fest auch ein dezent mittelalterliches Dekor verleiht: Da ist der Gaukler mit seinen Schnurrpfeifereien, da ist die Laute anstelle der Gitarre und wie im Festsaal einer Burg brennt da ein Feuer herab. Vor allem aber schlüpft der Sänger hier in die Rolle des Gauklers, sein Beitrag zum Fest ist eine Art Auftritt, und der ist naturgemäß zeitlich begrenzt: „Das Fest ist aus. Es bleibt nichts mehr, / Als abzugehn, man sagt: Der Narr ist traurig, wenn der Vorhang fällt“ – das mag so sein, aber dass nach einer gewissen Zeit Schluss ist, weiß der Narr eben von vornherein.

Ein kurzes Meisterwerk

Erst in der dritten Strophe wechselt die Referenz: Wo vom Fest die Rede war, ist die Liebe gemeint, auf beides beziehen sich offenbar die Zeilen „Keine Worte und keine Tränen, / Alles kommt, wie’s kommen muss“. Indem aber die Feier und die Beziehung, der Auftritt des Gauklers und seine Liebe zu der im Lied Angeredeten so eng geführt werden, macht es sich der Sänger auf grausame Weise leicht: Die Verlassene soll nicht nur auf nichts hoffen – „der Abschied ist gemacht“, heißt es apodiktisch –, sie soll auch nicht weinen, schließlich läuft die Sache fast naturgesetzlich ab. Wo aber etwas „kommt, wie’s kommen muss“, da gibt es nichts mehr zu reden oder gar aufzuarbeiten: „Hab vieles falsch gemacht, gewiß, / Wenn du vergessen kannst, vergiß“, und bequemer kann man sich das Verlassen vermutlich gar nicht machen, und schöner kann man diese Haltung vermutlich nicht malen als in diesem kurzen Meisterwerk.

Ursprünglich erschien dieses Trennungslied auf einer Platte, deren Titel das genaue Gegenteil beschreibt: Sie heißt „Wie vor Jahr und Tag“, und im zugehörigen Lied geht es um das Reifen einer Beziehung, die mit der ablaufenden Zeit nur immer inniger geworden ist: „Wie vor Jahr und Tag liebe ich dich noch, Wie vor Jahr und Tag, liebe ich Dich doch, / Vielleicht weiser nur und bewußter noch, / Und noch immerfort ist ein Tag ohne Dich / Ein verlor‘ner Tag, verlor‘ne Zeit für mich. / Wie vor Jahr und Tag ist noch immerfort / Das Glück und Dein Name dasselbe Wort. / Allein, was sich geändert haben mag, / Ich lieb‘ Dich noch mehr als vor Jahr und Tag.“ Das singt Mey mit einer Mischung aus Zuversicht und Grundstaunen darüber, dass es eben auch anders geht.