Pop-Anthologie

Dieses Lied hat keinen Text

Seele zum Ausquetschen: Eine Überlegung zur Nichtfixierbarkeit und Rezeptionsästhetik der Pop-Lyrik anhand von Peter Igelhoff und den Red Hot Chili Peppers.

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© ArchivGilt in der Pop-Musik nur das gehörte Wort?

Nach einigen Folgen dieser Pop-Anthologie wird es Zeit, auf ein ernstes Problem hinzuweisen. Die Frage ist nämlich: Gibt es die Texte der Lieder, die wir hier munter abdrucken, überhaupt? Und wenn nicht, wie kann man etwas analysieren, das vielleicht gar nicht da ist? Um es etwas handgreiflicher zu machen: Was meinte Peter Igelhoff, als er 1940 sang: „Dieses Lied hat keinen Text“, und was hat das mit den Red Hot Chili Peppers zu tun?

Die Sache ist die: Bei reiner Textlyrik hat man zumeist eine autoritative Quelle. Natürlich kann auch diese fragwürdig sein, oder es gibt verschiedene Fassungen – sicher aber ist: Im Vergleich dazu ist bei der jüngeren Pop-Lyrik die Quellenlage viel unsicherer. Manchmal gibt es zwar „official lyrics“, die etwa als Begleittext zur Liedveröffentlichung erscheinen, sei es physisch oder auch im Netz. Manchmal allerdings gibt es auch nur das gesungene Wort, und manchmal verändert ein Künstler die Worte eines Liedes im Laufe seines Lebens oder sogar von Aufführung zu Aufführung.

Etwas zugespitzt könnte man also mit dem Literaturwissenschaftler Stanley Fish fragen, dessen Theorien der Konstanzer Schule der Rezeptionsästhetik ähneln: „Is there a text in this class?“. Das mag abwegig und außerdem arg akademisch scheinen, ist aber alles andere als unerheblich, wie man an einem populären Beispiel des „produktiven Falschhörens“ sieht, dem der Publizist Axel Hacke gleich mehrere amüsante Bücher gewidmet hat. Wie heißt es also in dem 1779 erschienenen Hit „Abendlied“  von Matthias Claudius, besser bekannt als „Der Mond ist aufgegangen“: „Der Wald steht schwarz und schweiget / und aus den Wiesen steiget / der weiße Neger Wumbaba“?

„Dingle zing a dong“

Sie werden nun vielleicht sagen: Es kann als ziemlich sicher gelten, dass Claudius selbst die Worte „der weiße Nebel wunderbar“ und keine anderen gedichtet hat. Der Witz aber ist: Bei heutiger Pop-Lyrik lässt sich oft gar nicht so ohne weiteres feststellen, wie es „richtig heißen“ muss. Wenn man nach Liedtexten googelt, sind oft schon die ersten Treffer auf den einschlägigen Songtext-Portalen voneinander verschieden. Gehört zum Lied „White Christmas“ ganz am Ende noch die Zeile „I’m dreaming of you“ oder nicht? Auch nicht ganz unerheblich. Welche der Versionen von Bob Dylans „Tangled Up in Blue“, bei denen er spielerisch die Pronomen „he“, „I“ und „she“ variiert, ist die definitive? Und wie steht es erst bei ellenlangen Rap-Texten, die nicht selten mit auditiver Vieldeutigkeit spielen?

Im Grunde müssten wir also auch jeder Folge dieser Pop-Antologie den Hinweis hinzufügen: „Wir schreiben über das Lied, so wie wir es gehört haben.“ Die vielfach kritisierte Rezeptionsästhetik wird im Falle des Popmusikhörens also geradezu unumgänglich, man hat gar keine andere Wahl, als sich seinen eigenen Reim zu machen.

Und manchmal führt auch das Forschen nach der Autorintention nur zum Aufdecken einer Leerstelle. Lange habe ich mich etwa gefragt, was in meinem liebsten Lied der Red Hot Chili Peppers, „Soul to Squeeze“, Anthony Kiedis eigentlich an einer bestimmten Stelle singt. Das Lied ist so etwas wie die schönere, aber schlichter gestrickte Schwester von „Under the Bridge“, weswegen es wohl nicht zusammen mit diesem auf dem Album „Blood Sugar Sex Magik“ gelandet ist, sondern erst später als Single erschien. Daher gab es leider auch nicht wie sonst bei den Chili Peppers hübsch kalligraphierte Lyrics dazu – und 1993 wie für einige Zeit danach steckten Suchmaschinen noch in den Kinderschuhen.

Neulich kam ich auf die Idee, danach  einmal zu googeln. Auf dem Album „Greatest Hits“ (2003) scheint eine offizielle Textversion nachgereicht worden zu sein, darunter steht zumindest „Words and Music by“, und dann folgen die Namen der Bandmitglieder.

Die Stelle lautet:

Doo doo doo doo dingle zing a dong bone
Ba-di ba-da ba-zumba crunga cong gone bad

Da muss Peter Igelhoff seine Finger im Spiel gehabt haben!

Peter Igelhoff: „Dieses Lied hat keinen Text“

Ba-dabadäbedib-ba baa-ba, bada bedi bedi bada-ba-ba

Ich weiß ein Lied, und dieses Lied ist wunder-, wunderschön,
Ich habe so etwas im Leben nie geseh’n.
Jedoch sind gegenwärtig
Die Worte noch nicht fertig –
So muss es ohne Dichtung geh’n!

Wap-babadi, balar lapadu,
Dieses Lied hat keinen Text.
Stip, stip, darli dido,
Es braucht auch keinen Text.
O dschi-budschi, dschi-badschi, dschi-bideldidelwo,
Wer das hört, ist gleich verhext.
Di-wi, di-wa, di-wo wawa,
(…) sowieso noch keinen Text.

Kein Wort von Liebe kommt drin vor,
Und doch und doch und doch
Sing‘ ich dir dieses Lied ins Ohr,
Küsst du mich noch und noch.

Ba-babadi, balar labadu,
Dieses Lied hat keinen Text.
Stip, stip, stip, stip, darli dido,
Die Liebe wächst und wächst.

Der Liebe wunderschöne Sprache heißt Musik,
Denn nicht in Worte lässt sich fassen unser Glück.
Es sagt sich alles Schöne
So leicht allein durch Töne
In diesem meinen Lieblingsstück.

Wa-wabadi, balar labadu,
Dieses Lied hat noch immer keinen Text.
Jetzt sehen Sie und verstehen Sie:
Man braucht nur eine kleine Melodie
Und singt ganz einfach:
Babaraba ridelraba rabdab ribeldibel di-badu