Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Das bisschen Aufräumen… mach ich doch allein

Wenn sich das Chaos nicht lichtet, hilft nur eins: Eine Hausordnung muss her

Als ich unter der Dusche stehe, platzt mir der Kragen. Duschgel und Shampoo sind leer und die Flaschen stehen nur zu Dekoration in der Ablage. Klatschnass und frierend watschele ich aus der Duschkabine. Während ich das Badezimmer volltropfe und im Badschrank nach Nachschub suche, sinkt meine Laune gegen Null. In der Kaffeemaschine befindet sich nicht ein Tropfen Wasser und keine einzige saubere Tasse steht im Schrank. Die Spülmaschine ist schon längst durchgelaufen, muss aber ausgeräumt werden und daher türmt sich das dreckige Geschirr bereits wieder auf der Ablage. Ich sammele drei leere Wasserflaschen ein, bringen sie in den Keller, wische über die schmierige Arbeitsplatte und beseitige das Chaos. Im Flur räume ich fünf Paar Schuhe in den Schrank, hebe ein Paar Socken vom Wohnzimmerboden auf, richte die Decken auf dem Sofa und sammele auch hier Gläser, Schokoladenpapier und Zeitschriften ein. Es ist egal, welchen Raum ich betrete, die Arbeit ist bereits vor mir da und wartet nur auf mich. Gestern Abend, bevor alle nach Hause gekommen sind, sah hier alles noch tipptopp aus. Mir reicht es! Ich trommele meine Familie, bestehend aus Mann und zwei Töchtern, zusammen und brülle los: „So geht das nicht. Ich mache das nicht mehr mit! Bin ich denn der Depp für alle?!“ Ich halte eine Gardinenpredigt über Rücksichtlosigkeit, fehlende Wertschätzung und Faulheit. Als ich langsam wieder durchatme, springt mein Mann in die Offensive: „Du musst einfach früher was sagen und Aufgaben verteilen.“  

Es ist sein hilfloser Ansatz einer Verteidigung. Dabei geht es mir doch nicht um das Verteilen von irgendwelchen festen Aufgaben. Es existieren bereits Regelungen. Maya hat z.B. an den geraden Tagen Spülmaschinendienst, Lara an den ungeraden. Aber wenn die Mädchen in der Schule oder sonst wo sind, kann ich keine vier Stunden warten, bis die entsprechende Spülmaschinentochter zu Hause ist. Mal davon abgesehen, dass es ständig Diskussionen gibt, dass man die Spülmaschine aber nun nicht sofort ausräumen kann, weil man gerade an den Hausaufgaben sitzt. Oft mache ich es dann doch (auch wenn es unklug ist) selbst. Mein Mann hatte früher dafür Sorge zu tragen, dass die Mülltonnen an den Abfuhrterminen rausgestellt werden. Da ich aber wiederholt im Morgenmantel der Müllabfuhr mit meinen Tonnen hinterhergerannt bin, weil er die Abfuhrtermine einfach nicht auf die Kette bekam, denke ich auch hier lieber wieder selber daran. Und ich kann doch keinen Duschgel-Nachfülldienst oder Sockenaufräum-Dienst vergeben. Ist es so schwer, dass alle in diesem Haus einfach ihre Augen aufsperren, das Gehirn einschalten und erledigen, was gerade anfällt? Es sollte doch möglich sein, dass sich jeder zumindest für seinen eigenen Kram zuständig fühlt! Ich habe weder Lust, den ganzen Tag Aufgaben zu delegieren (das ist nämlich nicht minder zermürbend), noch in einem Saustall zu leben. Ich muss mich abreagieren und fahre zum Sport.    

Als ich wiederkomme, ist das Haus aufgeräumt und Maya, meine Elfjährige, überreicht mir feierlich einen Zettel. Meine Familie scheint sich während meiner Abwesenheit zusammengerottet zu haben. In einem Vertrag geloben die drei Besserung. Maya will nun immer den Tisch decken und die Küche aufräumen (außer nach dem Frühstück, denn das ist ihr morgens dann doch zu stressig). Meine Große verspricht, dauerhaft die Milch und Wasservorräte aus dem Keller zu holen und mein Mann will ab sofort jeden Abend seine Arbeitsunterlagen aus dem Wohnzimmer räumen und nichts mehr rumfliegen lassen. Und überhaupt: Ab jetzt wird alles besser werden. Versprochen! Am Ende hat jeder seine Unterschrift darunter gekrickelt.    

Erwartungsvoll schauen die drei mich an und können gar nicht verstehen, warum ich angesichts dieser phänomenalen und drastischen Verbesserung meiner Lebensqualität nicht in Jubelschreie ausbreche. Natürlich bin ich mir sicher, dass sie sich die nächsten Tagen bemühen werden, all diese Versprechen einzuhalten. Das tun sie immer, wenn das schlechte Gewissen sie plagt. Aber dann, sobald sich die Wogen geglättet haben, werden alle wieder in alte Verhaltensmuster verfallen. Ich schließe mich da durchaus nicht aus! Ich werde wieder alles nachräumen, mal stillschweigend, mal meckernd, bis das Fass erneut überläuft. Dennoch, der Ansatz gefällt mir! Warum bin ich nicht eher darauf gekommen? Eine Hausordnung muss her! Schriftlich, für alle jederzeit nachlesbar. Gesetze, auf die ich mich ohne Wenn und Aber berufen kann.

Wortlos nehme ich den Zettel, setze mich an den PC und entwerfe einen Gegenentwurf. Ich habe Shades of Grey gelesen, ich weiß wie man knallharte Verträge aufsetzt:

Vertrag zwischen den Parteien Mama und der Gegenpartei Tochter 1, Tochter 2 + Papa

Der Vertragspartner Mama, im fortlaufenden Text kurz M. genannt, stellt fest hiermit fest, dass die Gegenpartei einen Vorschlag zur Güte eingereicht hat. M. stellt jedoch fest, dass der Vertrag erhebliche Lücken aufweist, die M. an dieser Stelle ergänzen möchte. Dieses bedeutet im Einzelnen:

§1 Wäsche

1.1 M. erklärt sich bereit, die Wäsche der Gegenpartei zu waschen und zu bügeln. Um einen reibungslosen und zeitsparenden Ablauf zu gewährleisten, hat die Gegenpartei ihre Dreckwäsche regelmäßig in den Sammel-Wäschekorb zu befördern. M. ist nicht mehr bereit, den halben Tag damit zu verbringen, einzelne Socken, Unterhosen und Shirts vom Boden aufzusammeln.

1.2 M. Gelegentlich behält sich M. jedoch die Möglichkeit offen, Hilfe einzufordern und die Gegenpartei aufzufordern, den Korb hoch und runter zu schleppen und die Wäsche im Keller zu sortieren und nach dem Waschen aufzuhängen. 

1.3 Da in der Vergangenheit immer wieder Probleme der Gegenpartei auftraten, den richtigen Wäschekorb für die Dreckwäsche zu finden, weist M. erneut darauf hin, dass die Wäschekörbe schon seit Jahren beschriftet sind: „Dunkel“, „Rot/Farbig“ etc. Für die Gegenpartei sollte es eigentlich kein Problem darstellen, nach Farben und Temperatur zu sortieren, damit es nicht zu Verwirrungen kommt und hochwertige Shirts bei 60 Grad gewaschen werden. Es ist zudem absolut unakzeptabel, Wäsche der Einfachheit halber auf den Boden vor die Waschmaschine zu schmeißen!

1.4 Sollte M. feststellen, dass sich nachweislich saubere und nicht verschwitzte Wäsche in den Wäschekorb verirrt hat (weil es die Gegenpartei beispielsweise zeitsparender findet, den Stapel herumfliegender Klamotten ungesehen in den Wäschekorb zu schmeißen, statt gefaltet zurück in den Schrank), behält sich M. das Recht vor, den Wäscheservice sofort bis auf Weiteres für die entsprechende Person einzustellen.

§2 Müll

2.1 Jedes Mitglied der Gegenpartei hat dafür Sorge zu tragen, dass leere Verpackungsgegenstände den Weg in den Hausmüll finden. Leere Verpackungen, etwa Milchtüten oder Schokoladenpapier, werden nach Werkstoff getrennt von demjenigen entsorgt, der den Inhalt verbraucht hat.

2.2 Gleichzeitig verlangt es das Gesetz der Höflichkeit und sollte eine Selbstverständlichkeit darstellen, aufgebrauchte Verbrauchsmittel nachzufüllen. Dies gilt insbesondere für Klorollen und Duschutensilien!

2.3 Sollte ein Mitglied bemerken, dass ein Mülleimer überquillt, so liegt es in der Obhut des Beobachters diesen Mülleimer zu leeren und eine neue Mülltüte einzulegen.

§3 Allgemeine Ordnung

3.1 Jedes Mitglied ist für die Ordnung und Sauberkeit in seinen Privaträumen selbst verantwortlich. Putzutensilien und Staubsauger stehen hierfür jederzeit und kostenfrei zur Verfügung. 

3.2 Die Gegenpartei hat seine Schuhe selbstständig wegzuräumen. Gleiches gilt für Jacken, Brotdosen, Sportrucksäcke, Ballett-Taschen, Rollschuhe, Zeitschriften, Arbeitsunterlagen, Schulsachen und dreckiges Geschirr.

§3 Essen

3.1 Soweit mit ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten vereinbar, erklärt M. sich bereit, einmal täglich ein warmes Essen für die Gemeinschaft zu kochen, das nahrhaft, einigermaßen gesund und genießbar ist. Im Gegenzug werden freundliche Gesichter erwartet. Nörgeleien können die sofortige Einstellung des Services nach sich ziehen.  

3.2 Jedem Familienmitglied, das aufgrund seines Tagesablaufes später zum Essen erscheint, wird das Recht eingeräumt, sich an den Töpfen selbst zu bedienen, wird aber gebeten, die Deckel auf die Kochtöpfe zu legen und Reste wieder in den Kühlschrank zu stellen. Es ist nicht förderlich, wenn Nudelreste hart und somit ungenießbar werden, Fliegen in die Suppe scheißen oder Reste wegen fehlender Kühlung verderben.

3.3 Nach den Mahlzeiten ist der Tisch abzuräumen. Dabei ist jeder für seinen eigenen Teller verantwortlich.  

§4 Nasszelle

4.1. M. ist es ein besonderes Anliegen, dass jedes Familienmitglied seiner Körperpflege in einem entspannten Umfeld nachkommen kann. Leere Verbrauchsgüter, wie Duschgel und Shampoo (siehe § 2, Müll), sind nach Werkstoff getrennt zu entsorgen und nachzufüllen, Haare aus dem Abfluss zu fischen, die Fenster nach dem Duschen zu öffnen und Kleidungsstücke aus dem Bad zu entfernen.

4.2 Nasse Handtücher müssen grundsätzlich zum Trocknen aufgehangen werden und gehören nicht auf den Boden, dem Sofa oder ins Bett.

4.2 Wer die Spiegel oder das Waschbecken mit Zahnpasta vollschmiert, wird angehalten diese anschließend zu putzen.

Mit jedem formulierten Punkt verraucht meine Wut ein bisschen mehr. Mir ist klar, dass der ein oder andere in dieser Familie, schon rein aus genetischen oder hormonellen Gründen, zur Unordnung und Gedankenlosigkeit neigt. Aber jede Gemeinschaft braucht Regeln, damit das Zusammenspiel funktioniert. Vielleicht habe ich bisher einfach zu viel vorausgesetzt. Natürlich wäre es mir lieber, meine Töchter und mein Mann würden von alleine diese, für mich selbstverständlichen, Dinge sehen. Aber ich muss wohl akzeptieren, dass dies nicht der Fall ist und sie klare Regeln brauchen. Und daher werde ich nun zur Paragraphenreiterin und unsere Hausordnung kommt, für alle gut sichtbar und nachlesbar, an die Wand. Vielleicht mache ich „das bisschen Haushalt“ zukünftig dann doch nicht mehr ganz allein.