Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

“Ich habe vor fünfzehn Minuten mit AKK gequatscht“

Das „Mannheim Forum“ gehört zu den großen, von Studenten organisierten Kongressen Deutschlands. Das erfordert eine Menge Einsatz. Zwei der Hauptorganisatoren sprechen über ihre Erlebnisse.

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Auf der Bühne des Mannheimer Nationaltheaters (von links): Sven Büning, Anna Pohlers, Veronique Hagmann, Erik Walkling

Die Scheinwerfer leuchten, der Saal applaudiert, Veronique Hagmann und Erik Walkling betreten mit zwei Kommilitonen die Bühne des Nationaltheaters Mannheim. Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nicht so schnell. Der hier gehört für Hagmann und Walkling dazu. Ein Jahr lang haben sie darauf hingearbeitet, unzählige E-Mails geschrieben und Telefonate geführt, die Köpfe rauchen lassen und die eine oder andere Vorlesung geschwänzt. Alles, um das „Mannheim Forum“ an diesem Abend im Nationaltheater eröffnen zu können.

Mit 500 Teilnehmern und 50 Referenten auf den Podien der sieben Hauptveranstaltungen sowie den zahlreichen Workshops gehört das „Mannheim Forum“ zu den großen Studierendenkongressen Deutschlands. Dieses Jahr fand er unter dem Leitthema „neuOrientierung“ zum siebten Mal in der Uni statt. Da diskutierte etwa Annegret Kramp-Karrenbauer mit Barbara Hendricks und Kevin Kühnert, ob die repräsentative Demokratie für die Generationen „Y“ und „Z“ noch zeitgemäß ist. Einig waren sich die Politiker darin, dass die Parteien nicht mehr dem Lebensgefühl der jungen Leute entsprechen, man müsse sie daher attraktiver gestalten. Nur wie, das wussten sie nicht zu sagen. Später sprach der Mannheimer Oberbürgermeister mit einer Bürgermeisterin aus Uganda, wie sie als Amtsträger die Welt in globaler Zusammenarbeit besser machen könnten. Unternehmensvertreter erörterten, wie Arbeit in Zukunft aussehen könne.

„Das Mannheim Forum ermöglicht uns Studierenden, über den Tellerrand zu schauen und dabei neue Freundschaften zu schließen“, erzählt Walkling, BWL-Student im vierten Semester. Allzu oft umgäben sich Studenten nur mit Kommilitonen aus ihrer Fakultät, vielfältiges Denken könne so nicht entstehen. Gerade das sei aber wichtig. „Man muss sich immer fragen: Wo stehe ich und wo kann ich etwas ändern?“, sagt der Zweiundzwanzigjährige. Der zweieinhalbtägige Kongress soll für die Teilnehmer ein Impuls sein. Für Walkling, Hagmann und die anderen vielen Studenten, die das Forum organisieren, ist vor allem die Vorbereitung eine Zeit der persönlichen Weiterentwicklung.

Lernen wir schnell genug?

Erfahren haben sie zum Beispiel, wie wichtig der Verlass auf andere ist. „Am Anfang will man noch alles alleine machen, aber dann merkt man: Alleine geht es nicht“, erzählt Veronique Hagmann. Wenn die einundzwanzig Jahre alte Wirtschaftspädagogik-Studentin von der Arbeit im Team erzählt, wird ihre Stimme euphorisch. Auf die Mannheim-Forum-Gemeinschaft könne man sich verlassen. Gleichzeitig habe man als Vorstand eine besondere Rolle. Wie kann ich das Team noch mehr zusammenbringen, wie kann ich alle motivieren? All das sind Fragen, die sie sich stellen musste.

„Man sieht vor allem, wie sich das Team entwickelt“, sagt Walkling, „bei sich selbst bekommt man das nur schwer mit.“ Er spricht vom Wert konstruktiver Kritik, sie von den Vorteilen direkter Kommunikation. Er spricht von Eigeninitiative und sie über innere Ruhe im Angesicht von kleinen und großen Pannen. Wenn etwa einer der Referenten zu spät komme, dann helfe nur durchatmen, man habe nicht auf alles Einfluss. „Wir haben hier eine Einfach-Weiter-Mentalität“, sagt Walkling und lacht. Pausenlos gilt es während des Kongresses, Dinge zu klären. Über Headsets sind sie mit ihren Kollegen verbunden, sodass sich alle stets gegenseitig helfen können. Das bedeutet aber auch, dass es für die Kongress-Organisatoren unmöglich ist, sich auf eine Sache zu konzentrieren.

Annegret Kramp-Karrenbauer beim “Mannheim Forum” 2019

Walkling findet, dass sich das alles wie in einem Film anfühlt. „Es ist surreal – ich habe vor fünfzehn Minuten mit AKK gequatscht“, erzählt er. Während er nun im Interview sitzt, stellt sich ein Stockwerk tiefer im großen Hörsaal der Mannheimer Universität ein chinesischer Botschaftsmitarbeiter den Fragen der Studierenden über Social Scoring.

Die Eröffnungsrede im Theater hält Unternehmerin Anja Förster. Sie spricht von den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt und der Notwendigkeit, sich einen kritischen Geist zu bewahren. Es brauche Initiative, Kreativität und Leidenschaft sowie die Courage, dafür einzustehen. Dafür müsse man sich stets fragen: Halten wir mit den Veränderungen der Welt Schritt? Eignen wir uns schnell genug an, was die Veränderungen erfordern? Überraschend kommen Försters Leitfragen nicht für die Studenten, es ist gerade das, was in den Karriereseminaren dieser Welt gelehrt wird.

Spricht man Hagmann und Walkling auf das Primat des schnellen Lernens an, spürt man ihre Nachdenklichkeit. Die Schnelligkeit sei kein Maßstab, sagt Walkling. „Man muss das lernen, was für einen wichtig ist, und man muss die Menschen kennen, die einem das beibringen können“, sagt der BWL-Student. Hagmann nickt und betont, wie wichtig ein verlässliches Beziehungsnetz ist. Einig sind sich beide darin, dass die Frage, wohin man möchte, bereichernd ist.

Zuschauer beim Eröffnungsabend

Ein wichtiges Ziel für beide ist gesellschaftliches Engagement. Er sei kein klassischer BWLer, sagt Walkling: „Ich will mehr machen als Bilanzen.“ Auch Wirtschaftspädagogin Hagmann denkt über die Erwerbsarbeit hinaus. Ob in der Schule oder in der Kirche, sie habe sich schon lange für die Gemeinschaft eingesetzt. „Ich brauche etwas, worin ich aufgehen kann“, sagt sie.

Nach dem Kongress gilt es für beide, sich neue Projekte zu suchen. Denn der Vorstand des Studierendenkongresses wechselt jedes Jahr. Hagmann und Walkling sind jetzt die alten Hasen, die im nächsten Jahr ihre Nachfolger beraten werden, wenn diese Hilfe benötigen. Gewählt werden die Neuen nach dem aktuellen Forum von allen Vereinsmitgliedern, die mitgeholfen haben. Das Vorstandsamt ist begehrt. Bei der Wahl hilft den Studierenden ihre Erfahrung aus dem einen Jahr Zusammenarbeit. Wer viel geleistet hat, hat gute Chancen, im kommenden Jahr auf der Bühne des Nationaltheaters zu stehen. Ihren Nachfolgern können Veronique Hagmann und Erik Walkling vor allem eines mitgeben: die Wertschätzung des Teams. Alleingänge funktionieren nicht. „Schätzt man Menschen und achtet sie, dann kommt viel zurück“, sagt Hagmann.