Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

In der Venushöhle: Ein Berg, eine Frau, ein verschollener Mann

Die Romantiker waren von ihr begeistert, als Weltkulturerbe erlangte sie internationale Bekanntheit: die Wartburg. Nicht weit von ihr entfernt liegt ein unentdeckter Ort der Romantik: die Venusgrotte am Großen Hörselberg. Ein Rundgang.

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Schöne Aussicht, steiler Abhang: in den Hörselbergen

„Plötzlich aber verschwand er, nachdem sich einige wunderbare Dinge mit ihm zugetragen hatten“. Mit diesen Worten lässt Ludwig Tieck 1799 in seinem Märchen „Der getreue Eckart und der Tannenhäuser“ einen Mann verschwinden. Grund hierfür ist natürlich eine Frau, und nicht irgendeine Frau. Die berüchtigte Frau Venus ist es, die Tiecks Märchenfigur, den Tannenhäuser in ihren Bann zieht. Aber wie sieht eine Höhle aus, in der angeblich Männer einer göttlichen Frau verfallen? Um dies herauszufinden machen wir uns auf den Weg zum Großen Hörselberg, dorthin, wo sich die sagenumwobene Venushöhle befinden soll.

Der Große Hörselberg liegt im westlichen Thüringen nahe Eisenach und ist von der A4 gut zu erreichen. Wir beginnen unsere Wanderung am Parkplatz in Hastrungsfeld. Der Himmel ist blau und wolkenlos, vor uns erstrecken sich weite Kornfelder, in der Ferne ist der bewaldete Berg zu sehen. Das Bild vor uns wirkt wie aus einer romantischen Erzählung entrissen und erinnert an Tannenhäusers Bericht im „Getreuen Eckart“: „Oft streifte ich einsam durch die Felder, und so geschah es an einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und in einem dunklen Walde, um Hülfe rufend, herum irrte.“

Blaue Kornblumen am Wegesrand laden zur romantischen Wanderung ein.

Ganz einsam sind wir nicht. Der Weg nach oben ist steil, die Aussicht vom Kamm hinab in die Beckenlandschaft ist beeindruckend. Auf der Hochebene des Berges tummeln sich schon einige erschöpfte Wanderer und genießen wie wir die Aussicht. Von rechts weht uns ein frischer Bratwurstwind aus der Gaststätte im Hörselberghaus um die Nase.

Über den Kamm geht es zur Venushöhle, steil und felsig ist der Abgrund. Beim Hinabschauen bin ich froh, den Höhenweg bei Tageslicht zu erkunden und nicht wie Ludwig Tiecks Figur Christian aus dem Märchen „Der Runenberg“ um Mitternacht einen am Abhang gelegenen gefährlichen Weg entlang zu hetzen. Ebenso wie die Tannenhäuser-Figur verfällt auch Christian einer zauberhaften Göttin im Berg. Die Geschichte von Männern, die sich in eine übernatürliche Frau verlieben, welche oft in einem Berg oder in einem Schloss wohnt, war bei den Romantikern um 1800 sehr beliebt und wurde auf vielfache Weise dargestellt. Neben Ludwig Tieck hat auch Joseph von Eichendorff den Stoff aufgegriffen.

Immer wieder wird der Blick freigegeben auf eine beeindruckende Beckenlandschaft

Das Märchen ist für die Romantiker von zentraler Bedeutung. Novalis charakterisierte es sogar als „Canon der Poesie“, was einen verwundert, denkt man daran, dass heutzutage das Märchen allenfalls den Status beliebter Kinderliteratur innehat. Die Märchen der Romantiker wandten sich hingegen an eine erwachsene Leserschaft, behandelt werden zeitgenössische Themen. Erst die Brüder Grimm wiesen mit ihren berühmten „Kinder- und Hausmärchen“ auf eine jüngere Leserschaft. Und das ist bis heute so geblieben. Im Gegensatz zum kindgerechten Happy-End der Brüder Grimm enden die romantischen Märchen oft mit dem durch Wahnvorstellungen hervorgerufenen Tod des Helden. Vor allem Ludwig Tiecks Figuren verfallen regelmäßig dem Wahnsinn. Das Wunderbare bricht meist plötzlich in die Alltagswelt der Protagonisten ein, denen es am Ende nicht mehr möglich ist, zwischen Einbildung und Realität zu unterscheiden. In E.T.A. Hoffmanns „Der goldne Topf“ läuft der Protagonist im Dresden des beginnenden 19. Jahrhunderts am helllichten Tag einer Hexe über den Weg, von der er verflucht wird. Gruselig.

Unverbaute Kunstmärchenlandschaft

Wir laufen weiter über das Westhorn des Großen Hörselbergs und genießen die Aussicht links und den angrenzenden Wald rechts. Auf dem Weg werden wir von Vogelgezwitscher und Bienensummen begleitet. Gut, dass es kein Spielmann ist, denke ich. Denn dieser lockt in Tiecks „Getreuem Eckart“ die Männer in die Venusgrotte. Der Tannenhäuser erzählt seinem Freund Friedrich darüber folgendes: „Man hat ein altes Mährchen, daß vor vielen Jahrhunderten ein Ritter mit dem Namen des getreuen Eckart gelebt habe, man erzählt, wie damals aus einem seltsamen Berge ein Spielmann gekommen sei, dessen wunderbarliche Töne so tiefe Sehnsucht, so wilde Wünsche in den Herzen aller Hörenden auferweckt haben, daß sie unwiderstehlich den Klängen nachgerissen worden, um sich in jenem Gebirge zu verlieren.“

In Tiecks Märchen bewacht der Geist des treuen Eckart den Eingang zur Venushöhle und soll die angelockten Männer davon abhalten, sich ins Reich der Venus zu begeben. Wir hingegen finden die Venushöhle unbewacht vor. Nur im Winter darf man nicht hinein. Denn dann wird ein Eisengitter vor dem Eingang angebracht, damit die einheimische Fledermauskolonie in Ruhe überwintern kann.

Eingang zur Venushöhle

In den Sommermonaten ist die Venusgrotte frei zugänglich. Nach wenigen Metern ins Innere der Höhle ist es stockfinster. Als Höhlenbesucher fühle ich mich an Tannenhäusers Beschreibung der Grotte erinnert: „Wie in einem unterirdischen Bergwerk war nun mein Weg.“

Das Bergwerk, ebenso wie Höhlen oder Wassertiefen gelten in der Romantik als Verbildlichung für das Bewusste und Unbewusste der Seele. Die Romantiker interessierten sich besonders für deren „Nachtseiten“. Der Berg diente ihnen oft als Schauplatz der Verführung. Und so wird auch Tannenhäuser in Tiecks Märchen von den „berühmten Schönheiten der alten Welt“ im Berg umgarnt.

Im Inneren der Venushöhle

Die Sage vom Venusberg ist seit dem Mittelalter bekannt. Man erzählte sich, dass die vom Christentum verdrängten alten Gottheiten im Venusberg verweilen. So berichtet Tannenhäuser vom „Gewimmel der frohen heidnischen Götter“, die „dorthin gebannt von der Gewalt des Allmächtigen“ und in aller „Heimlichkeit … wirken“.

Früh schon ist die Sage vom Venusberg mit der Figur des Minnesängers Tannhäuser verbunden, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte. Der unkonventionelle Sänger widersetzte sich mit seinen Liedern, der im Mittelalter üblichen Praxis der Hohen Minne, welche die geistige Liebe zur Minnedame pries. Demgegenüber sang der Tannhäuser von körperlich erfüllter Liebe und verspottete die nicht zur Erfüllung sexueller Begierden führende Variante. Bereits kurz nach seinem Tod begannen sich Sagen und Legenden um den eigenwilligen Sänger und die mythische Venusfigur zu ranken.

Von der Venusgrotte steigen wir hinab zum Jesusbrünnlein, das sich am Fuß des Berges befindet. Am Jesusbrünnlein wird noch heute jedes Jahr am Trinitatis, dem Sonntag nach Pfingsten, in Nachbarschaft zu den alten Gottheiten, die sich der Sage nach in der Venushöhle verbergen, Gottesdienst gefeiert. Natürlich verbindet sich auch mit dem Jesusbrünnlein eine Sage: die Sage vom Schäfer. Wanderer können sie direkt vor Ort auf der Marmorplatte des Brunnens nachlesen. Der Sage nach soll ein Schäfer, der weit und breit kein Wasser für sich und seine Herde finden konnte, zu Jesus gebetet haben. Dieser erhörte das Gebet und ließ aus einem Felsen eine Quelle hervorsprudeln.

Das Jesusbrünnlein

Nicht nur der Hörselberg ist Motiv zahlreicher Märchen und Sagen. Die nahe gelegene Wartburg bot sich den Romantikern ebenfalls als Kulisse für wunderbare Dichtungen an. E.T.A. Hoffmann thematisierte in seiner Erzählung „Der Kampf der Sänger“, die im Jahr 1819 veröffentlicht wurde, den Sängerwettstreit auf der Wartburg. Ein Jahr zuvor hatten Jacob und Wilhelm Grimm den Sängerkrieg sowie die Sage vom Hörselberg in ihre Sammlung „Die Deutschen Sagen“ mit abgedruckt. Jedoch war es der Märchen- und Sagensammler Ludwig Bechstein, der beide Stoffe in der „Mähr von dem Ritter Tannhäuser“ 1835 in seinem Band „Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes“ zusammenführte. Auch Richard Wagner nimmt sich in seiner Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ von 1845 des Tannhäuserstoffs an. Im Vorfeld rezipiert Wagner nicht nur die Sagen um Tannhäuser und die Wartburg, sondern auch die romantischen Dichtungen von Tieck und Hoffmann sowie die Tannhäuser-Ballade in Achim von Arnims und Clemens Brentanos Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Vermutlich kannte Wagner auch Heinrich Heines Behandlungen des Stoffes. Der Wagner-Förderer Ludwig II. von Bayern besuchte 1867 selbst die Wartburg und ließ den Sängersaal auf Schloss Neuschwanstein nach dem Ideal des Sänger- und Festsaals der Wartburg erbauen. Heute gilt es als „Märchenschloss“ und zieht Touristenmassen an.

Auf dem Großen Hörselberg hingegen ist der Rückzug in die romantische „Waldeinsamkeit“ heute noch möglich. Am Ende der Wanderung erhaschen wir noch einen Blick auf die über uns thronende Wartburg. Die Dichte an romantischen Motiven ist an diesem verwunschenen Ort wirklich unschlagbar. Eigentlich müsste hier viel mehr los sein.

Die Wartburg von den Hörselbergen aus gesehen