Vorurteile über Studenten sind verbreitet, doch über BWLer und Germanisten gibt es besonders viele. Warum das so ist, erklärt eine Sozialpsychologin.
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Es gibt Witze, die werden so schnell nicht alt. Blondinen, Saarländer und viele andere können davon ein Lied singen. Was fragt etwa der Germanistik-Absolvent mit Arbeitsplatz den ehemaligen Kommilitonen ohne Arbeit? „Mit Ketchup oder Majo?“ Wer den noch nicht kannte, kennt vielleicht folgenden Witz: Sagt der Professor, man müsse das Telefonbuch auswendig lernen, antwortet ihm der Physiker: „Warum?“. Der BWL-Student: „Bis wann?“
Ob diese zwei Beispiele noch geistreiche Witze sind oder schon miese Kalauer, sei dahin gestellt. Eines machen sie jedoch deutlich: Das Bild von Studenten ist durch Vorurteile geprägt. Und damit spielen die Kalauer. Denn dass Germanisten nicht alle arbeitslos werden und BWL-Studenten nicht nur stupide auswendig lernen, muss an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Dennoch halten sich die Klischees hartnäckig. Katharina Richter kennt das. „Man würde gerne mal von anderen hören: ,Wow. Toll, dass du Germanistik studierst’“, sagt die Fünfundzwanzigjährige über ihre Erfahrungen, wenn sie Fremden von ihrem Studienfach erzählt.
Die Gesellschaft sei auf die Wirtschaft fokussiert, der BWLer passe im Gegensatz zum Germanisten perfekt in dieses Bild. Man verbinde ihn deswegen mit Ehrgeiz, Leistungsbereitschaft und Zielorientierung. „Das ist alles schön und gut“, sagt Richter, „aber auf uns Germanisten trifft das auch zu. Nur lässt sich unsere Arbeit nicht direkt in einen Beruf übersetzen.“ Gerade in der Berufsbezogenheit der BWL sieht sie die Schwäche des Faches. „Viele BWLer studieren ihr Fach nicht, um sich zu bilden und um den eigenen Geist zu formen, sondern sie sehen ihr Studium nur als Mittel zum Zweck an“, sagt die Studentin an der Humboldt Universität Berlin. Klar, sie wisse, dass nicht alle BWL-Studenten so denken und nur dem großen Geld nachjagen. Dennoch habe sie das Bild vom geldgierigen Segelschuh-Träger im Kopf, wenn sie sich einen BWL-Studenten vorstelle. „Aber eigentlich kenn ich keinen schmierigen BWLer, der meine Vorurteile befeuern würde“, räumt Richter lachend ein.
“Kategorienbildung müssen wir machen”
Auch Robert Wehnert ist so jemand nicht. Weder gegelte Haare noch einen Pullover über den Schultern trägt der neunzehnjährige BWL-Student. Die Klischees seines Faches bedient er ebenso wenig wie Richter. Mit ihr einen ihn jedoch die Vorurteile über den jeweils anderen. An zukünftige Taxifahrer müsse er bei Germanistik-Studenten denken, witzelt er. Oder an Besserwisser in puncto Sprache. „Viele versuchen, alles zu erklären, kommen aber nicht mit Druck und wechselnden Situationen zurecht“, sagt der Student der Uni Mannheim. Das Fach abwerten möchte er damit auf keinen Fall. „Geisteswissenschaftler sehen mit ihrem empathischen Blick Dinge anders als wir. Wir BWLer neigen dazu, alles zu rationalisieren und aus dem Blickwinkel des Geldes zu betrachten.“ Wehnert geht es ähnlich wie Richter. Die Vorurteile geistern in seinem Kopf umher, auch wenn er weiß, dass sie eigentlich nicht stimmen.
Woher kommt die Voreingenommenheit? „Die Grundlage von Stereotypen ist die Vereinfachung von Informationen in Kategorien”, sagt Alina S. Hernandez Bark. Ob in Bezug auf andere Menschen oder Gegenstände, der Mensch kategorisiere. „Die Kategorienbildung müssen wir machen, um handlungsfähig zu bleiben. Jedes Individuum einzeln wahrzunehmen, würde unsere Ressourcen übersteigen“, erklärt die stellvertretende Leiterin der Abteilung Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Um mit der Vielzahl an Menschen umgehen zu können, reduzieren wir also. Das heißt: Trifft man einen BWLer, weiß man, dass man mit ihm wahrscheinlich besser über Wirtschaftsnachrichten sprechen kann als über die Salzburger Festspiele. Peinliche Small-Talk-Pannen auf Partys können so vermieden werden.
So lässt sich auch erklären, dass über Germanisten und BWLer mehr Vorannahmen bestehen als über kleine Disziplinen. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist BWL mit über 240.000 Studenten im Wintersemester 2017/18 das beliebteste Studienfach in Deutschland. Mit etwa 74.000 Studenten gehört Germanistik ebenso zu den gern gewählten Fächern. Angesichts dieser Massen an Studenten sind Vorannahmen durchaus sinnvoll. Denn je größer einer Gruppe ist, desto schwieriger ist es, sie zu überschauen. Vorannahmen machen es leichter, den Überblick zu behalten. Bei kleinen Fächern ist das weniger nötig.
Hernandez Bark betont jedoch, man müsse zwischen Stereotypen und Vorurteilen unterscheiden. Ist das Stereotyp nach ihrer Definition die Vorstellung, wie eine Gruppe ist und sein sollte, beinhaltet das Vorurteil eine Wertung. Weil die Stereotype unbewusst und änderungsresistent sind, entstehen aus ihnen schnell Vorurteile. „Vorurteile sind theoretisch vermeidbar, in der Realität ist das jedoch unwahrscheinlich“, sagt die Sozialpsychologin. „Die Vorurteile werden aber erst dann zur Gefahr, wenn man dem Individuum nicht mehr gerecht wird.“ Sein Verhalten muss also überdenken, wer beim Gang über dem Campus nur das sieht, was er sehen möchte. „Sich seiner Stereotype bewusst zu sein und zu erkennen, dass sie fehleranfällig sind, ist ein wichtiger erster Schritt“, ist sich Hernandez Bark sicher. Denn in einem nächsten Schritt beginne man, sich zu hinterfragen.
Wenn es also wieder von Taxifahrern und schmierigen Dumpfbacken kalauert, wird man gerade Zeuge eines Akts, Komplexität zu reduzieren. Damit es dabei nicht bleibt, kann man mit nderen ins Gespräch kommen. Denn die Welt ist alles andere als einfach. Wer sie immerzu herunterbricht, wird ihr nicht gerecht. Sich das bewusst zu machen, ist Arbeit. Aber es lohnt sich. So erfährt man beispielsweise, dass Richter auch den Wirtschaftsteil und Wehnert das Feuilleton der Zeitungen lesen. Wer hätte das gedacht?
Der Autor studiert BWL und Germanistik.