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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Serienversteher: “Breaking Bad”

Vor vier Jahren wankte der Chemiker Walter White zum letzten Mal durch ein Drogen-Labor. Vor allem eine Frage blieb dabei offen: Was sollten die doofen Nazis am Ende? Die Antwort liefert den Schlüssel zur Serie. Neunte Folge unserer Reihe Serienversteher.

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Noch hat der arme Jesse gut lachen. Als ihn sein ehemaliger Lehrer Mr. White mal wieder anpöbelt, warum er denn nicht exakt seinen Anweisungen gefolgt sei, reckt Jesse in der dritten Fole spontan seinen Arm in die Luft und imitiert mit dem Zeigefinger ein Oberlippenbärtchen. „Wuow, Heil Hitler, Bitch!“, ruft er spöttisch aus. Spult man beim jeweiligen Streaming-Anbieter gute fünf Staffeln vorwärts, hat sich Jesse Pinkmans Lieblingsschimpfwort auf tragische Weise gegen ihn gerichtet: Eine “White Supremacist Gang”, echte Neonazis also, halten ihn als Sklaven in ihrem Keller gefangen. Soll das eine späte Rache der Serie an ihm sein, Botschaft: Mit den Nazis ist nicht zu spaßen?

Jack Welker und seine tätowierte Nazibande beenden die Serie “Breaking Bad”, dieses fünfbändige Filmexperiment, das von Kritikern und Fans immer mal wieder als beste Serie der Welt gehandelt wird. Heute, bald zehn Jahre nach der allerersten Folge, ist Mr. White ein Teil der Popkultur. Gleich mehrere Portale wie Netflix und Amazon Prime locken ihre Kunden weiterhin erfolgreich mit “Breaking Bad”, und der Hype bricht nicht ab: Das Spin-Off “Better Call Saul” wurde gerade für zehn Emmys nominiert. Manche behaupten sogar, Walter White hätte Chemie endlich zu einer Modewissenschaft gemacht.

Ein nicht unerheblicher Anteil der Fans aber kratzt sich unzufrieden am Hinterkopf, sobald er an die letzten Folgen der Serie denkt. Ganze Artikel setzen sich mit der Frage auseinander: „Breaking Bad: Wieso die Nazis nicht funktionierten“. Und es stimmt: Die Nazis in der Serie sind zwar ganz schön gemein, doch das wusste man schon vorher. Tiefgründige Charakterstudien erlauben diese Bösewichte nicht, und so dürfte man sich schnell darauf einigen, dass die Nazis in der Serie keine würdigen Nachfolger für den diabolischen Hühnchen-Verkäufer Gus Fring darstellten. Ein erzählerischer Fehlgriff also?

Nicht unbedingt. Schaut man die Serie mit etwas Abstand von neuem an, dann springen nicht nur die zahlreichen Verweise auf Nazis und Deutschland unmittelbar ins Auge, es entsteht auch ein Sog, sie in eine Beziehung zu setzen.

Überall Nazis

Es mag sich weithergeholt anhören, aber die Serie lässt von Anfang an keine Chance verstreichen, Deutschland in die Handlung hineinzuziehen. Eine erste, aber wichtige Fährte legt ein vermeintlich formales Detail: Neben Walter White und seinem Alter Ego „Heisenberg“ treten immer krudere Figurennamen in die kleinen Vorstadt ein, zum Beispiel der glatzköpfige Auftragskiller Mike Ehrmanntraut, der laut Polizeiakte korrekt “Michael” heißt und ein bestimmtes negatives Deutschlandbild verkörpert: Er ist eiskalt und unmoralisch, der treue Gefolgsmann von Gustavo – und gleichzeitig liebt er seine Enkelin über alles, für die er das verdiente Geld von den Drogengeschäften beiseitelegt. Der Soziologe Georg Simmel nannte das einmal die „Dialektik des deutschen Geistes“: treu, effektiv und skrupellos.

Dann wären da noch Hank und Marie Schrader, Gale Bötticher und Daniel Wachsberger, ein geschniegelter Anwalt, der Gus Frings Nachlass verwaltet. Besonders hervorstechend aber sind das Ehepaar Elliott und Gretchen Schwartz. Mit ihnen zusammen gründet Walter White die Firma Gray Matter, die er aufgrund einer verzwickten Dreiecksbeziehung frühzeitig verlässt. “Breaking Bad” spielt gezielt mit den Namen seiner Figuren, die in geradezu Thomas Mann’scher Manier andeutungsvoll auf bestimmte Charaktereigenschaften hinweisen. Kein Witz: Im Januar 2017 hat einer der Drehbuchautoren zugegeben, dass der Name Gustavo Fring vom deutschen Fußballnationalspieler Torsten Frings entlehnt wurde.

Unübersehbar wird die Deutschlandmanie der Autoren zu Beginn der fünften Staffel. Auf irritierende Weise ist zu Beginn der Folge “Madrigal” plötzlich eine deutschsprachige Männerstimme zu vernehmen, auch im englischen Original. Zuschauer aller Länder blicken nun via “Breaking Bad” in einen Laborraum in Hannover. Ja, Hannover, die eigentlich unaufgeregteste Landeshauptstadt der Welt, nun als Gangsterhauptstadt in “Breaking Bad”. Hier in Niedersachsen sitzt die Autofirma “Madrigal Elektromotoren GmbH”, offenbar eine wirtschaftliche Supermacht, und eine Reihe ängstlicher Wissenschaftler steht in Reih und Glied vor einem Mann namens „Herr Schuler“.

© Screenshot AMCHallo, Deutschland: “Breaking Bad” in Hannover (Episode 2×5: Madrigal)

Die ganze Szene ist die Übertreibung eines Stereotyps: Zitternde Untertanen blicken gespannt auf ihren “Führer”, der wenige Minuten später auf der Toilette einen klinisch sauberen Selbstmord aufs Parkett legt. Das hätte Bernd Eichinger nicht klischeebeladener inszenieren können. Als dann auch noch die Neonazi-Gang um Jack Welker auftaucht und indirekt auch mit “Madrigal Elektromotoren” zusammenarbeitet, werden zwei Dinge klar: das Deutschland in “Breaking Bad” ist emotionskalt und autoritär, faschistoid. Und noch dazu ist Deutschland das Schlimmste, was die pseudo-realistische Welt von “Breaking Bad” zu bieten hat.

Deutschland kann dabei jedoch kaum als topographischer Ort ernstgenommen werden, es ist vielmehr  eine Art universales Prinzip – eine Triebkraft im Menschen, die mit dem Bösen in Verbindung steht, und oft auch eine Vorlage für Absurditäten aller Art. So etwa, wenn Badger und Skinny Pete, zwei Kumpels von Jesse, bei einem Zockerabend langatmig erklären, weshalb “Nazi Stormtrooper Zombies” schlimmer seien als gewöhnliche Nazis: „Sie brauchen dein Fleisch nicht wegen der Proteine, sondern sie fressen dich, weil sie Amerika hassen!“ Ach so. Und dann ist da noch Gale Bötticher, der esoterisch angehauchte frühere Partner von Walt, der in einem etwas verstörenden Video den Song “Major Tom” nachtanzt. Aber nicht etwa “Space Oddity” von David Bowie, er singt den Neue-Deutsche-Welle-Schlager von Peter Schilling.

Musikalisch begabt ist übrigens auch Jesse, der in seiner Jugend in einer Band mit dem klangvollen Namen “TwaüghtHammër” spielte. Aus dem Song “Fallacies” – übersetzt: „Fehlschlüsse“ – dudeln die Protagonisten in langweiligen Momenten unter anderem diese Zeile vor sich hin: “Oh, how do I escape you, little Führer of my heart?” Die Liste mit kleinen Anspielungen ließe sich munter fortsetzen. Die weitaus wichtigere Frage aber ist: Wozu das Ganze?

Das Prinzip der Serie

Vor allem die Szenen in Hannover zeigen: Das Deutsche in “Breaking Bad” scheint die Serienmacher auch als ästhetisches Prinzip zu interessieren. Und tatsächlich legt Showrunner Vince Gilligan hier eine gewisse Obsession an den Tag: Schon als Drehbuchautor von Akte X betitelte er eine Folge mit dem fremdsprachigen Titel “Unruhe” und ließ Scully einige Sätze auf Deutsch plaudern. Ein anderer Autor, George Mastras, arbeitete vor “Breaking Bad” an der Science-Fiction-Serie “The Dresden Files”.

Jetzt also “Breaking Bad”. Das Hauptthema der Serie wird schnell deutlich: Über dem kränklichen Walter White braut sich eine Wolke von Autorität und Macht zusammen, bis er nicht nur immer böser wird, wie es der Serientitel schon nahelegt, sondern zugleich auch immer deutscher. Dem Flirt mit dem Faschismus verfallen aber nicht nur die Bösewichte. Nahezu jede Figur unteriegt im Laufe der Serie einer Attraktivität des Bösen, ganz so, als ob ein unterdrückter Trieb, vielleicht eine chemische Notwendigkeit, sie dazu zwingen würde.

Gibt es eine Wechselwirkung von Chemie und Verbrechen? Das Moment der Chemie stellt den zweiten Grundpfeiler der Serie, wie sich in der knackigen Titelsequenz sehen lässt, und es ist zugleich leitend für das Erzählprinzip der Serie insgesamt. Das chemische Prinzip ist schnell erklärt, denn der ehemalige Lehrer Mr. White stellt es in der allerersten Folge seinen Schülern selbst vor. „Nun, technisch gesehen ist Chemie die Erforschung von Substanzen. Aber ich betrachte sie eher als die Studie der Veränderung“. Natürlich redet Mr. White an dieser Stelle bereits über etwas ganz anderes: „Das ist doch das ganze Leben, oder nicht? […] Es ist der dauerhafte Kreislauf. Es ist Lösung und Auflösung, immer und immer wieder. Es ist Wachstum, dann Verfall, dann Transformation.“

Wachstum, Zerfall, Transformation: Das ist zugleich die erzählerische Formel von “Breaking Bad”. Erst wächst der Drogenhandel, dann muss der ein oder andere Business-Partner beseitigt werden. Anschließend geht das Spiel wieder von vorne los, allerdings in weiterer Verzweigung: Gustavo wird auf das blaue Meth aufmerksam, Walt exportiert den Stoff mithilfe von “Madrigal” bis nach Europa und so immer weiter. Kurzgefasst: Mit jedem Zerfall wird die Ausgangssituation um einen Härtegrad komplexer, bis schließlich die höchste Ebene des Verbrechens erreicht ist: Hannover.

Das Deutsche in uns

Was treibt die Figuren dazu, die Grenze der Moral zu überschreiten und auf häufig irrationale Weise kriminell zu werden? Auf den ersten Blick könnte man meinen, es sei die Gesellschaft, die den krebskranken Walter White zum Drogenhandel zwingt und ihre Individuen systematisch diabolisiert. Doch diese Lesart von “Breaking Bad” ist nicht haltbar. „Ich tat es, weil ich es mochte“, gesteht Walter in der letzten Folge seiner Frau Skyler, und wenn man genau hinschaut, entdeckt man an ein leises Lächeln auf Walts Gesicht nach jeder Gaunerei, auch wenn es manchmal nur ganz vage angedeutet ist. Er tut das Böse aus freien Stücken. Es steckt in seiner Chemie.

Die Serie “Breaking Bad” inszeniert eine These: Es geht in der Serie um eine chemische Lust am Verbrechen, die in der Natur des Menschen angelegt sein soll. Hier kommt auch die Funktion der Nazis ins Spiel: Sie legen nicht nur eine Fährte aus, die zur Grundfrage der Serie führt, sondern sie liefern auch ein historisches Beispiel dafür, wie sich dieser natürliche Trieb nach dem Amoralischen ungefiltert ausleben kann. Indem Walter White die Neonazis in einem unwahrscheinlichen Plot-Twist noch an Bosheit übertrifft, zeigt er: Sein Trieb zum Bösen hat sich bis zum Maximum ausgelebt und so kann er abtreten. Fatalerweise wieder mit einem zufriedenen Lächeln.

© Screenshot AMCScheint die Gefahr zu genießen: Walter White in Episode 6×5.

In amerikanischen Zeitschriften wurde der Serie wiederholt ein heimlicher Rassismus vorgeworfen. Und tief in der Erzählformel, in dieser Vernetzung von (Bio-)Chemie und Handlungsmotivation, schlummert tatsächlich eine problematische Note: eine Sichtweise, die Handlungen von Menschen nach ihren naturgegebenen Anlagen beurteilt. Trotzdem kann im Fall von “Breaking Bad” keineswegs ein unterschwelliger Rassismus konstatiert werden, welcher den Zuschauern didaktisch aufgezwungen wird: Die Chemie des Verbrechens wird vielmehr experimentell erforscht und immer wieder als zutiefst amoralisch denunziert.

“Breaking Bad” ist damit die Studie einer These, ein fünfbändiger Experimentalroman. Man sollte seine Ergebnisse nicht unreflektiert übernehmen. Doch in einer sechzigstündigen Re-Lektüre von “Breaking Bad” darf man zumindest einmal angeregt über die Attraktivität von Macht nachdenken.

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