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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Serienversteher: Jetzt kommen die Blockbuster

Bei den Streamingdiensten ist das Blockbuster-Fieber ausgebrochen und auch Disney will jetzt im Serienfernsehen mitmischen. War das Hollywood-Kontrastprogramm bei HBO und Co. nur ein Sturm im Wasserglas?

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© NetflixSehnsucht nach der Krönung: Claire Foy als die junge Königin Elizabeth II. in der Netflix-Serie “The Crown”

“The Game is on” würde Serienheld Sherlock sagen. Die Serienindustrie scheint 2017 endgültig vor dem Umbruch zu stehen. Allenthalben greift die “Blockbusterisierung” um sich: mehr Geld, mehr Starpower, bereits bekannte Geschichten, die neu verpackt werden. Was lange dem Hollywoodkino vorbehalten war, hat nun auch die Serienwelt erreicht.

Was ist geschehen? Wenn man zurückblickt und bedenkt, welche Erwartungen und Hoffnungen an die aktuelle Generation qualitativ hochwertiger Langformserien geknüpft wurden, kommt man nicht umhin zu bemerken, wie viel sich in der Zwischenzeit verändert hat. “The Sopranos”, “The Wire”, “Six Feet Under”, – produziert von Kabelfernsehsendern wie HBO –, versprachen zu Beginn der 2000er eine neue Form von Fernsehen: dunkler, künstlerischer, mit komplizierteren Plots und einem bessern Gespür für Realismus. Mehr Klasse statt Masse.

Die Pay-TV-Industrie schien uns das zu geben, was Hollywood scheinbar nicht länger liefern konnte und wollte: gut gemachte Unterhaltung in Langform; Unterhaltung, bei der die Autoren und die Ausarbeitung von Geschichten im Vordergrund stehen, nicht die Effekte oder Filmstars; Stoffe, die kein Studio anrühren würde, weil sie zu abseitig waren, um sie erfolgreich auf dem Massenmarkt zu Geld zu machen. Serien wie “Mad Men” und “Breaking Bad” erinnerten, wie der Filmkritiker David Thomson zuletzt schrieb, an das Hollywoodkino der Siebziger, als die Filme ihre Zuschauer für eine kurze Zeit endlich forderten, bevor die Blockbuster das Ruder übernahmen.

Franchise ad infinitum

Doch im Jahr 2017 ist auch die amerikanische Serienindustrie – und machen wir uns nichts vor, dort spielt die Musik – dem Blockbusterfieber anheimgefallen. Erst kürzlich gab Amazon bekannt, für 250 Millionen Dollar die Rechte an Tolkiens “Herr der Ringe”-Universum erworben zu haben. Jeff Bezos bekommt sein eigenes “Game of Thrones” und Amazon ein eigenes Serienschlachtschiff – bis zu 750 Millionen Dollar will man lockermachen, um den Zuschauern Mittelerde in voller Pracht zu bieten.

© HBOEwiger Kampf um die Krone: Lena Headey als Cersei Lannister in “Game of Thrones”

Und der Internetkonzern aus Seattle ist nicht allein, wenn es um neue Großprojekte geht. “Game of Thrones” beschert HBO seit Jahren volle Kassen, mit “The Crown” hat Netflix nur eines von vielen Schwergewichten aufgefahren, und AMC feiert mit “The Walking  Dead” Erfolge. So lukrativ ist der Serienmarkt mittlerweile, dass auch das Schwergewicht Disney mitmischen will und kurzerhand seinen eigenen Streamingservice eröffnen wird, auf dem – Überraschung – zuallererst das Star-Wars-Franchise ad infinitum ausgerollt werden soll. Fehlt eigentlich nur, dass J.K. Rowling demnächst die Serienrechte an Harry Potter an den Meistbietenden verhökert und die drei erfolgreichsten Filmfranchises der vergangenen Dekaden fänden sich alle in Serienform wieder.

Dass zunehmend auf das Blockbusterkonzept gesetzt wird, muss dabei nicht weiter überraschen. Wie in der Filmindustrie wird bei den Quality-TV-Serien seit dem Siegeszug der Streamingdienste ein Gutteil der Einnahmen international erwirtschaftet und da funktionieren am besten Stoffe, die auch über einen nationalen Kontext hinaus Anziehungskraft besitzen. “Babylon Berlin” hat dies zuletzt eindrucksvoll bewiesen – nicht so sehr, weil es das aktuelle Deutschland gut widerspiegelt (eine Serie wie “Im Angesicht der Verbrechens” hätte in Übersee vermutlich nur begrenzten Erfolg) sondern historische Themen verarbeitet, die im Ausland gerne mit Deutschland in Verbindung gebracht werden. Historiendramen gehen eben immer, das haben in den letzten Jahren “Downton Abbey”, “Victoria” aber auch “Mad Men” eindrucksvoll bewiesen. Sicherlich nicht geschadet hat vermutlich auch, dass „Babylon Berlin“ eben nicht im Köln der goldenen Zwanziger angesiedelt ist, sondern in Berlin – jener Geradeso-Weltstadt, von der besonders junge Briten und Amerikaner nicht genug bekommen können.

Keine guten Nachrichten für die Platzhirsche

Gleichzeitig ist der Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern brutal. Großprojekte versprechen, die Zuschauer zu binden. Ottonormalzuschauer lässt sich eben immer noch am besten mit einem großen Franchise ködern. Denn auch wenn Amazon und Netflix immer mehr über die Vorlieben ihrer Zuschauer wissen – die massive Datenauswertung macht es möglich – und so Inhalte maßschneidern können, generieren Stoffe mit Breitenwirkung im Zweifelsfall immer noch die zuverlässigsten Einnahmen. Um auf Nummer sicher zu gehen, setzt man auf “mass appeal”, steckt eine Menge Geld hinein und finanziert mit den erwirtschafteten Gewinnen, so die eingespielte Reihenfolge, die kleineren Nischenprojekte. An sich ist das nicht verwerflich und wäre sogar zu begrüßen. Nur besteht eben auch die Gefahr, dass man sich von der Erfolgsformel „Blockbuster“ davontragen lässt – zum Leidwesen der kleineren, poetischen Stoffe.

© HuluElisabeth Moss in der Hulu-Serie “The Handmaid’s Tale”

Diejenigen, die das neue Qualitätsfernsehen “Made in the USA” vor wenigen Jahren noch als “den neuen Roman” und die Zukunft des Kinos gefeiert haben, ziehen künftig wohl den Kürzeren, stellt sich doch heraus, dass die erhoffte Kulturrevolution durch das Serienfernsehen auch nur ein Sturm im Wasserglas war, der sich letztendlich den vermeintlich unhintergehbaren Gesetzen der ökonomischen Logik beugen muss.

All das bedeutet freilich nicht, dass die betont künstlerischen Qualitätsserien, die bei Feuilletons und anspruchsvollen Zuschauer so beliebt sind, über Nacht verschwinden. Pay-TV Sender wie HBO und AMC werden fürs Erste sicherlich Kurs halten – schließlich zahlen deren Abonnenten nicht gerade wenig für gute Sendungen. Und auch bei Amazon und Netflix wird für solche sicher nicht das Licht ausgehen: Produktionen wie “The Handmaid’s Tale”, “Mindhunter” oder “Stranger Things 2” beweisen, dass fürs Erste auch weiterhin Platz für “künstlerisch wertvolle” Serien sein wird. Auch gilt die Produktion „Maniac“, die 2018 bei Netflix ausgestrahlt wird, als vielversprechend, genauso wie „The Ballad of Buster Scruggs“, die von den Coen-Brüdern inszeniert wurde.

Doch Streamingplattformen wie Netflix und Amazon kommen in Zukunft wohl nicht umhin, den Massenmarkt zu bedienen – und sich gegen neue Konkurrenz zu behaupten. Denn auch Apple drängt jetzt in den Serienmarkt und plant im nächsten Jahr bis zu eine Milliarde Dollar in neuen „Content“ zu investieren. Auch von Seiten Disneys droht Gefahr. Dort will man zusätzlich zum Aufbau eines Streamingdienstes Teile von Rupert Murdochs 21st Century Fox übernehmen. Für die Platzhirsche sind das keine guten Nachrichten; immerhin 19 Prozent der beliebtesten Serien auf Netflix (9 Prozent bei Amazon) stammen aktuell von Fox und Disney. Wenn die nun zu Disneys neuem Service wandern, muss man sich Alternativen überlegen. Nur mit Arthouse-Projekten und Nischenserien kommt man gegen diese Konkurrenz nicht an.

Wie es weitergehen wird? Ob anspruchsvolles Fernsehen auch in Zukunft einen Platz auf den Streamingplattformen haben wird? Die nächsten Jahre werden es zeigen, der Zuschauer hat ein Wörtchen mitzureden.