Am 18. Juni 2009 wurde durch die damals regierende grosse Koalition das sogenannte “Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ beschlossen. Vorausgegangen war ein unter dem Namen “Stasi2.0“ bekannt gewordener, erbitterter innenpolitischer Streit zwischen Bürgerrechtsbewegungen im Internet und Überwachungsbefürwortern in der Regierung. Die Regierung – und hier besonders die unter dem Namen “Zensursula“ angegriffene Familienministerin Ursula von der Leyen – hatte vor dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale der katholischen Kirche und der Grünen versucht, sexuelle Übergriffe auf Minderjährige und Kinderpornographie mit dem Internet zu verknüpfen, und dort eine Infrastruktur für Netzsperren zu etablieren. Begleitet wurde das Vorhaben durch unterstützende Gruppierungen wie dem Verein “Innocence in Danger“ unter Beteiligung von Stephanie zu Guttenberg. Guttenberg wirkte bei einer TV-Sendung mit, die gezielt jene Fälle provozierte, vor denen das Gesetz schützen sollte. Damals war den Gesetzesgegnern klar: Wenn so eine Infrastruktur erst einmal existiert, kann sie auch auf andere Inhalte und Personen angewendet werden. Kinderpornographie war lediglich der populistische Hebel, um reglementierend ins Netz einzugreifen. Dafür wurde den Gegnern eine Komplizenschaft mit Kinderschändern unterstellt – heute würde man das Hatespeech nennen.
Aber heute sitzt in der von Heiko Maas ins Leben gerufenen Task Force des Justizministeriums gegen Hatespeech im Internet auch die Amadeu Antonio Stiftung. Mit Förderung der neuen Familienministerin Schwesig gibt sie ein Faltblatt heraus, in dem mit der irrwitzigen Behauptung zur Denunziation aufgerufen wird, eine Anzeige zu viel sei besser als eine zu wenig. Helfende Journalisten vom Tagesspiegel und der Zeit, die vielfältige Verbindungen zu besagter Stiftung haben, fahren eine Kampagne, in der die Kritik an einem derartigen Faltblatt, an der STASI-Vorgeschichte der Vereinschefin Anetta Kahane und an der selbst mit Hatespeech aufgefallenen Faltblattmitarbeiterin Julia Schramm zu “Hass“ und “Hetze“ erklärt werden. Mitarbeiter der Stiftung dürfen dort von Antisemitismus raunen. Gegen Hatespeech und Antisemitismus sollte der Bürger doch genauso viel wie gegen Kinderpornographie haben, so er sich nicht der Komplizenschaft mit Rechten verdächtig machen will – und daher die Regierung mit den Internetfirmen informelle Zugangserschwerungen, diesmal ganz ohne Gesetz, vereinbaren lassen. Meinungsfreiheit bleibt bestehen, aber was an Hatespeech in sozialen Medien zulässig ist, bereden Konzerne, Beamte und Vereine.
Und weil es bei den regierungsfinanzierten Kampagnen gegen Hatespeech ausschliesslich gegen angebliche Rechte, Homphobe, Fremdenfeinde, Nazis, Sexisten oder gar um die auf jede Differenzierung verzichtende Neuschöpfung “antimuslimischer Rassimus“ geht, betrifft das alles nicht die jungen, eher linken Netznutzer, die sich in ihrer grossen Mehrheit anders definieren. „Sind doch alles die gleichen“ ist das Argumentationsmuster, mit dem linke Autoren wie Matthias Meisner vom Tagesspiegel fundierte Kritik in einen Topf mit Pegida und Identitären werfen. Dabei gab es durchaus Fälle wie Stefanie Sargnagel oder die Anhänger von Bernie Sanders, bei denen soziale Netzwerke wegen geringer Anlässe auch restriktiv gegen Linke vorgegangen sind. Wenn man erst einmal anfängt, die Meinungsfreiheit auf informellem Wege von privaten Firmen über aufgezwungene Regulierungen einschränken zu lassen, kann es jeden treffen. Ich war mir sicher, dass ich irgendwann mal einen Fall bringen könnte, in dem ein kleines, linkes Projekt mit grosser Klappe wegen eines unbedachten Satzes von mächtigen Konzernen aus dem Netz gekegelt wird.
Nun – es ist so weit. Facebook hat ausgerechnet die Seite des hedonistisch-antideutschen Hate Magazins platt gemacht. Das Hate Magazin ist eine kleine, popkulturelle Publikation aus Berlin, die eigentlich voll auf der Linie linker Zeitgenossen liegen sollte: Sie spricht sich gegen rechten Hatespeech aus, lehnt Grenzen und Nationen eher ab, berichtet viel über Menschenrechte und macht antideutsche Witze über Kartoffeln. Bei dem, was das Hate Magazin für Rassismus hält, kennt es keinen Spass, und dann war da die BILD-Schagzeile, dass jeder 4. Hartz-IV-Bezieher Ausländer ist. Darauf reagierte das Hate Magazin bei Facebook so:
Facebook dürfte für die Berliner der wichtigste Kanal zur direkten Kommunikation mit ihren über 12.000 likenden Lesern im Internet gewesen sein. Und die wenig höfliche Forderung, gegen Menschen “offensiv vorzugehen“ ist schwammig genug, um kein juristisch nachweisbarer Aufruf zur Gewalt zu sein. Ich glaube nicht, dass man mit so einem Aufruf Angst vor einer Abmahnung oder Anzeige haben müsste: Da steht nichts von Steinen, und natürlich greife ich in meinen Beiträgen auch die Regierung “offensiv“ an. Ich würde so einen Aufruf nicht schreiben, ich finde das ziemlich präpotent, aber natürlich kann man bei Facebook und Twitter, wenn man es für geraten hält, Kai Diekmann oder anderen Konzernmitarbeitern Vorwürfe wegen solcher Themen machen. Die regierungsfinanzierte Kampagne Nohatespeech_DE hält dafür sogar Bilder mit derben Aussagen bereit, manche auch mit Hackebeil und Messer. Vorgehen sollte möglich sein. Dachte ich und dachte das Hate Magazin und vermutlich jeder der 115, die den Aufruf weiter verbreiteten.
Bis vorgestern. Seit vorgestern sieht die Facebookseite des Hate Magazins so aus.
Und das Hate Magazin gibt bei Twitter bekannt, dass Facebook die Seite kommentarlos gelöscht hat. Muss man sich mal vorstellen, jahrelang arbeitet das Hate Magazin daran, sich im Internet einen treuen Leserstamm aufzubauen, und dann schreibt man einen einzigen blöden mangelklugen Satz, und alles ist schlagartig weg.
Die interessante Frage ist hier auch, ob Facebook genauso schnell und umfassend reagiert hätte, wäre der Springerkonzern in Deutschland nicht so wichtig und einflussreich. Wir wissen es nicht. Man kann darüber nur Vermutungen anstellen – Facebook hat die Kontrolle in Deutschland weitgehend an die Bertelsmann-Tochter Arvato ausgelagert. Wirkte bei diesem Vorgehen ein Richter der deutschen Justiz nach Recht und Gesetz, wäre er unabhängig, und Springer gälte ihm bei seiner Entscheidung nicht mehr als das Hate Magazin. Und die Urteilsbegründung, wie auch immer sie ausfallen würde, könnte man anfordern und nachlesen. So schön arbeitet ein Rechtsstaat.
Aber hier arbeitet – nun, wer kann das sagen? Jemand muss denunziert haben. Jemand muss gelöscht haben. Begründung gibt es keine. Die Seite wird gelöscht, aus, fertig. Matthias Meisner und andere Unterstützer der Amadeu Antonio Stiftung regen sich auf, wenn ich den Begriff “Social Media Stasi“ verwende, aber genau so funktioniert die Stasi. Irgendwo ist ein Zuträger, den niemand kennt, und dann entscheidet eine undurchsichtige Struktur ohne Rücksicht auf die eigentlich garantierten Rechte des Staates, was in der Realität erlaubt ist, und was nicht. Es gibt keinen Prozess, keinen Rechtsweg, keinen Einspruch, keinen Verteidiger. Statt dessen gibt es eine gezielt aufgebauschte Kampagne, Anleitungen zum Anzeigen, Druck auf die Anbieter der sozialen Netzwerke und in eigener Sache agierende Vereine, die auch nächstes Jahr noch mit Finanzierung durch Steuergelder Druck auf diese Firmen ausüben werden. Für Facebook ist die Seite des Hate Magazins vermutlich so bedeutungslos wie ein einzelner, “politisch unzuverlässiger“ Mitarbeiter für den Volkseigenen Betrieb. Aber die Vertreter der grossen Koalition, ihre Kampagnenhelfer und die Bildzeitung werden auch in vier Jahren noch so da sein, wie früher der Staatsrat, das ZK der SED und das Neue Deutschland.
Die Kampagnen, die wir momentan erleben, nutzen den schwammigen Begriff der Hatespeech, um den Einfluss auf soziale Netzwerke ausserhalb der demokratischen Kontrolle zu rechtfertigen – ein Ziel, das zu einem Aufschrei führen würde, würden sie es direkt bei klassischen Medien versuchen. Das Hate Magazin hat einen Vorgeschmack auf die Maasarbeiten bekommen, zu denen sich das Absprachekartell aus Politik, Helfern und Firmen ermächtigt fühlt. Ein einziger Satz hat gereicht, damit alles verschwindet. Nicht nur ein fragwürdiger Inhalt, sondern alles.
Und dass Sie darüber in der “konservativen“ FAZ lesen, bei einem Autor, dem Linke schon mal gern einen “Stock in die Speichen“ schieben würden. und nicht in den Medien, die ideologisch zwar auf Linie mit dem Hate Magazin sind, ansonsten aber beim Thema Hatespeech den Regierungskurs stützen, und negative Auswirkungen auf die Allgemeinheit nicht thematisieren – das könnte Ihnen auch zu denken geben.