Es ist der 14. Februar 2017. Und ich lese online in der Süddeutschen Zeitung, dass man den Valentinstag doch in Sextag umbenennen sollte, denn darum ginge es doch. Das stimmt nicht, mir geht es um Akte der Zuneigung und Höflichkeit, und da erwartert man nichts, es ist schließlich kein Geschäft. In der Zeit steht online ein Beitrag, demzufolge man wegen Trump und diverser Paarrituale, etwa in Restaurants, die die Autorin ablehnt, den Tag ganz boykottieren sollte. Es kann natürlich sein, dass manche lieber allein Gummibärchen und Tiefkühlpizza essen. Dass ich den Titel “Pralinen, Rosen, Küsschen, Prügel: Nein, danke!” im Neuen Deutschland lesen würde, hat mich nicht sonderlich überrascht, denn die Leute dort sehen mir nicht so aus, als könnten sie eine Praline vom ehem. kgl. bayer. Hoflieferanten essen, ohne innerlich den Genossen Lenin um ein Tschekisten-Erschiessungskommendo anzuflehen. Aber auch die Stuttgarter Nachrichten aus dem grün regierten Schwaben- und Badenland verweisen auf das Elend der Rosenzucht in Afrika, ohne auch nur ein einziges Mal auf das Elend der viel gängigeren Gemüsezucht für Deutschland zu verweisen. Es ist Valentinstag. Und jede Redaktion hat jemanden, der den Lesern sagt, wie falsch das alles ist.
Das setzt sich in den sozialen Netzwerken fort. Ich sehe keinerlei Trophäenbilder von Frauen, die zeigen, was sie an Blumen bekommen haben. Ich sehe Zynismus, Ablehnung und Verachtung. Ich lese, dass Liebe letztlich nur auf drei Chemikalien beruht. Ich lese von cisheteronormativer Unterdrückung. Ich lese davon, dass Hunde eh viel bessere Partner sind. Und dass Herzhüpfen auch eine Folge von Würmern sein kann. Nehme ich das Internet als Basis meiner Betrachtungen, hassen alle den Valentinstag, und dass ich vorab die jungen Töchter einer Freundin mit einer Packung Pralinen in die Welt der Ritterlichkeit und Komplimente der Grossen eingeführt habe, war vermutlich ein Verbrechen an der einzig möglichen Einstellung: Bloss. Kein. Valentínstag.
Es ist nicht gerade neu für mich, denn solche Wellen des Missbehagens, auf denen sich Onlinemedien und Nutzer mit Ablehnung und Verachtung gegenseitig überbieten, hat man auch zu Weihnachten. Da wurde erklärt, wie man das Fest mit Self Care überlebt und der Naziverwandtschaft sagen darf, dass man sie sehr wohl schrecklich findet. Es gab bei der Zeit extra dafür einen anonymen Pranger, an dem sich Festgeschädigte übergeben konnten. Geselligkeit, Friede, Freude, Zusammensein – das alles muss eine tiefneurotische Wurzel haben, die im Internet viele zu spüren in der Lage sind. In der Minderheit sind jene, die das alles toll finden und es zusammen leben, in der grossen Mehrheit jene, die nicht müde werden, ihre Ablehnung an solchen Tagen wortreich zu begründen.
Ich hatte gestern bei meinem Beitrag über 250 Kommentare zu editieren, da läuft das Internet so nebenher und nur ganz, ganz wenig Liebe ist da zu spüren. Aber unendlich viel Ironie und Zynismus. Wer schreibt den politisch korrektesten Boykotttext, wer regt sich am lautesten über die generellen Fehler der überkommenen Paarbeziehung auf, wer reisst dem System am brutalsten die Maske der Heuchelei vom Gesicht, wer erhebt sich am höchsten über Leute, die auf so einen Marketingtrick von Pralinenherstellern und Floristen der Wahl hereinfallen. Aber ich habe eine Bekannte, von der ich weiss, dass sie an diesem Tag vermutlich keine Blumen bekommt, und sie hat mir gesagt, dass es auch wirklich nicht nötig ist, sie habe schon welche. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass sie ebenfalls zu den Ablehnenden gehört. Die andere ist der Grund, warum ich um vier Uhr auf das Rad steige und losfahre.
Ich setze mich also auf meine Carbonschleuder und fahre durch die milde Luft gen Westen, im Schein der frühlingshaft leuchtenden Sonne. Ich habe kein Mobilgerät dabei, ich radle so dahin und bin unter anderen Menschen, die nichts in ihre Mobilgeräte tippen. Ich sehe viele Paare, Männlein und Weiblein, zusammen spazieren gehen. Manchmal sind sie steinalt, manchmal haben sie ihre Kinder dabei. Ich höre kein böses Wort. Nirgends. Keiner schreit, keiner veröffentlicht Statements, wie man sich an diesem Tage zu verhalten hat, niemand wirft Pralinen empört zu Boden. Ich sehe Menschen. Sie scheinen sich zu mögen. Sie geniessen das Wetter und die Zweisamkeit. Das sieht alles sehr unaufgeregt aus. Ich fahre entlang der alten Apfelbaumallee, der Sonne entgegen, und vielleicht bemitleiden mich auch welche, weil ich wirklich, auffällig, allein unterwegs bin, an diesem Tag. Am Ende der Strasse leuchtet etwas Rotes im Wald.
Jemand hat herzförmige Luftballons aufgeblasen, die aus Kunststoff und daher sicher umweltschädigend und nicht nachhaltig sind. ´Sie haben im Wald nichts verloren. Ausserdem sind das keine echten Herzen wie das blutüberströmte echte Organ, das mir im Internet in den Weg gespült wurde. Es handelt sich also um eine kitschige Inszenierung, ohne Rücksicht darauf, was man mit Aufblasen und Hinfahren und Reduplikation von patriarchalischer Herrschaft gesellschaftlich so alles anrichtet. Ich komme näher, und da sitzen unter den Herzen zwei an einem Bach, machen Picknick, und auf der Decke steht noch nicht einmal “Save the World” oder “All men must die.” Sie sitzen da, kuscheln sich aneinander und sind ganz ohne Internet und der Möglichkeit, über ihr Fehlverhalten zu reflektieren – glücklich.
Wie ganz viele andere Menschen., die ich sehe. Es mag sein, dass es mitunter auch Stress ist, aber es sieht wirklich nicht so aus – sie geben sich dann eben Mühe. Um den anderen. Aus Sympathie, die man im Internet allenfalls für Katzen, Pinguine, Füchse, Migranten und Eulen empfinden darf, damit es politisch zulässig und kein Anlass zum Hohn ist. Menschliche Nähe ohne bissige Bemerkungen und garstiges Verhalten scheint den Menschen hier draußen mindestens so gut zu gefallen, wie anderen Gift und Galle im Internet. Natürlich würde ich auch nicht mit Leuten spazieren gehen wollen, die wegen Trump den Valentinstag abschaffen wollen. Ich will offen gesagt gar nicht wissen, wie es ist, mit Leuten zu schlafen, die daheim Schreine für Stalin und alle Werke des intersektionellen Feminismus haben. Und ganz ehrlich, wer sich an so einem Tag mehr Gedanken über das Schicksal ostafrikanischer Landarbeiter als über das Strahlen in den Augen seiner Liebsten macht – der ist vermutlich Single und verwest irgendwann allein und vergessen vor einem Fernseher des Wahrheitsministeriums, der die neuesten Fakten vom Team Gina-Lisa und der besonderen Ungefährlichkeit der Migranten im Vergleich zum Oktoberfest verkündet, sowie das Verbot der Farbe Pink ausser für Männerröcke.
Genpoolreduktion durch Onlinejournalisten, Facebook und Twitter wäre mal ein gutes Thema, aber ich muss schnell zurück in die Stadt, um beim Floristen meiner Wahl noch etwas zu besorgen, und ich muss auf all die Paare aufpassen, die noch unterwegs sind. Vollgeparkt ist es vor dem alten Biergarten, im Salettl ist offensichtlich eine Hochzeit – wie passend! – und etwas abgehetzt komme ich dann im Blumenladen an. Es sind noch viele Nelken da. Und ganz viele leere, weisse Kübel. Und 4 rosa und 8 gelbrote Rosen. Gleich nach mir betritt noch jemand den Laden, und ich fühle Blicke im Rücken. Blicke, die morden könnten, aus Not. Ich erkläre mein Anliegen – einen Strauss als Erklärung grösster Sympathie, aber nicht als blumengewordene Aufforderung zur Vereinigung – und lasse mir einen Nelkenstrauss machen. “Alle Rosen, die noch da sind”, sagt der Mann hinter mir, als ich meinen Strauss nehme und zur Überprüfung meiner These schreite: Nämlich, dass die Ansage, es sei überhaupt wirklich rein gar nicht nötig, nicht doch eine klitzekleine Erwartungshaltung mit sich bringen könnte, die so aber nach allem, was ich im Internet lesen musste, nicht wirklich zu erwarten war.
Ich habe es gewagt und möchte Sie wissen lassen: Es ist ein Lügeninternet!
Abschliessend möchte ich sagen, dass das Internet eine Filterblase ist, in der sich Menschen offensichtlich viel gefühlskälter, unromantischer und sexuntauglicher benehmen, als es der Rest in der Realität ist. Ich will das nicht weiter beurteilen, vielleicht gibt es einfach eine Schweigespirale, die die Romantischen zum Verstummen bringt, oder manchen schmeckt Toffifee wirklich besser als das, was der Lengmüller kann. Möglicherweise bezahlen Onlinejournalistinnen stolz ihre Kakteen und das geliebte Plankton selbst und planen schon einen Betrag, wie abscheulich Ostern ist, und das Geheuchel zu einem Fest, an das eh keiner mehr glaubt. Viele Möglichkeiten sind so, dass ich sie hier nicht niederschreiben kann, aber was ich wirklich glaube, ist noch nicht mal eine Beleidigung.
Sondern Mitleid mit einsamen, verzweifelten Figuren, die das bekommen, was sie einbringen. Immer an das Gegenteil von dem halten, was in den sozialen Medien steht. Dann wird alles gut.