Schaurig ist’s, übers Moor zu gehen: Niels Freverts Song „Ich würd’ dir helfen, eine Leiche zu verscharren (wenn’s nicht meine ist)“ ist eine der ungewöhnlichsten Liebeserklärungen der deutschen Pop-Musik.
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„Ich würd’ dir helfen, eine Leiche zu verscharren (wenn’s nicht meine ist)“
Es schlägt Mitternacht
Über den Sümpfen
Du gehst mit einem Spaten voran
Und ich in nassen Strümpfen
Und irgendwas
Klopft von innen an die Kiste
Ich würd’ dir helfen
Eine Leiche zu verscharren
Wenn’s nicht meine ist
Und wenn ich falsch, aber richtig lieg’
Dann liegt’s vielleicht an mir
Und du mich verlegen machst
Dann weil mir soviel liegt an dir
Hörst du die Wölfe heulen
Und die knisternden Äste?
Ich würd’ dir helfen
Eine Leiche zu verscharren
Wenn’s nicht meine ist
Und selbst wenn ich’s kannte
Behielt ich dein Geheimnis für mich
Ich würd’ dir helfen
Eine Leiche zu verscharren
Wenn’s nicht meine ist
Und wenn ich falsch, aber richtig lieg’
Liegt’s vielleicht an mir
Und du mich verlegen machst
Dann weil mir so viel liegt an dir
Ich geh mit dir
Auch abseits des Weges
Ich würd’ dir helfen
Eine Leiche zu verscharren
Wenn’s nicht meine ist
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Auf die Idee, dass dies ein Liebeslied sein könnte, kommt man nicht sofort: „Es schlägt Mitternacht über den Sümpfen“. Zwei Gestalten schleichen durch abgründige Landschaft und wollen etwas loswerden, entsorgen. „Du gehst mit einem Spaten voran / Und ich in nassen Strümpfen“. Es entsteht ein Bild, das nicht sicher einzuordnen ist, schwebend zwischen Fernsehkrimi und Kinderbuchillustration. Und wenn man etwas in der lyrischen Erinnerung gräbt, kommt man vielleicht auch auf Verse, die noch unter diesen liegen, nämlich solche aus Annette von Droste-Hülshoffs schauriger Moorballade, wo aus der Spalte es zischt und singt: „Das ist der gespenstische Gräberknecht!“
Aber Niels Frevert, der diese moderne Moorballade geschrieben hat, singt dann doch nicht: „Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!“. Sondern er singt, in seinem typisch schnoddrigen Ton: „Und irgendwas / klopft von innen an die Kiste“. Das ist zwar auch noch etwas unheimlich, aber dennoch wird damit nach wenigen Zeilen schon der Bruch mit der bloßen Schauergeschichte besiegelt und eine Tür in ein ganz anderes Genre geöffnet. Weil man ahnt, dass das, was von innen an die Kiste klopft, auch das Herz im Körper des lyrischen Ichs sein könnte. Und dass der Refrain des Liedes, der ihm gleichzeitig seinen sonderbar langen Titel gibt, im Grunde nichts anderes ist als die ungewöhnliche Liebeserklärung eines, der befürchtet, nicht zurückgeliebt zu werden: „Ich würd’ dir helfen, eine Leiche zu verscharren (wenn’s nicht meine ist)“.
Plötzlich am Abgrund
Niels Frevert, 1967 in Hamburg geboren, neigt in seinen Liedtexten zu vieldeutigen Sprachbildern, die manchmal auch nach erst längerer Zeit noch einen weiteren Sinn offenbaren. Er liebt außerdem das Wortspiel: „Und wenn ich falsch, aber richtig lieg’ / Dann liegt’s vielleicht an mir / Und du mich verlegen machst / Dann weil mir soviel liegt an dir“, heißt es etwa im vorliegenden Lied.
Man liegt nicht falsch, wenn man Freverts Metaphern immer zuerst daraufhin befragt, was sie über die Paarbeziehung aussagen könnten. Das kann bisweilen auch ernüchternd sein: „Und du denkst, dass woran du dich festhältst / Nur ’ne lauwarme Heizung ist“, heißt es etwa in dem Song „Aufgewacht auf Sand“.
Das Leichen-Liebeslied, erschienen 2011 auf dem Album „Zettel auf dem Boden“, steht an dieser Stelle nur pars pro toto für ein Gesamtwerk, das oft zunächst mit ganz handgreiflichen, vertrauten Wendungen dem Hörer entgegenkommt, um ihm dann aber einen Haken zu schlagen oder ihn plötzlich an einen Abgrund zu führen.
Ein Ausflug Richtung Kitsch
Dass Niels Frevert den Auftakt dieser Pop-Anthologie macht, scheint aber auch deshalb angemessen, weil er nicht nur auf dem Zettel lyrische Qualität hat, sondern auch einen sehr besonderen Gesangsstil. Man darf vielleicht sogar behaupten, dass es ihm wie kaum einem anderen gelingt, auf Deutsch zu singen: Während im deutschen Mainstream-Pop heute eine oft geradezu furchtbar affektierte und unnatürliche Phrasierung und Intonation vorherrscht, hat man bei Frevert das Gefühl, er rede einfach so, wie er ohnehin redet – nur mit Melodie. Das ist eine (auch angesichts furchtbarer Gesangsverbrechen in der Oper und im romantischen Kunstlied) kaum genug zu würdigende Eigenschaft.
Was die Deutung von Lyrik auf dem Papier allein auch nicht leisten kann, ist die Würdigung der zusätzlichen Ambivalenzen, die erst durch die Musik entstehen. Hier treffen sich Schepperschlagzeug und Gospelchor auf wilder Heide, während der Text sogar noch einen Ausflug Richtung Kitsch macht. „Ich geh mit dir / Auch abseits des Weges“, heißt es am Ende. Aber die Vorstellung bleibt schaurig, weiß man doch noch von der Droste: „Im Geröhre war’s fürchterlich.“