Der Refrain ist eingängig, der gesamte Songtext eher kryptisch. Doch dann tut sich etwas in den Synapsen des Hörers. Und plötzlich geht es in „Human“ um Rilke und Kleist, Leben und Tod.
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Human
I did my best to notice
When the call came down the line
Up to the platform of surrender
I was brought, but I was kind
And sometimes I get nervous
When I see an open door
Close your eyes, clear your heart
Cut the cord
Are we human or are we dancer?
My sign is vital, my hands are cold
And I’m on my knees looking for the answer
Are we human or are we dancer?
Pay my respects to grace and virtue
Send my condolences to good
Give my regards to soul and romance
They always did the best they could
And so long to devotion
You taught me everything I know
Wave goodbye, wish me well
You’ve gotta let me go
Are we human or are we dancer?
My sign is vital, my hands are cold
And I’m on my knees looking for the answer
Are we human or are we dancer?
Will your system be alright
When you dream of home tonight?
There is no message we’re receiving
Let me know, is your heart still beating?
Are we human or are we dancer?
My sign is vital, my hands are cold
And I’m on my knees looking for the answer
You’ve gotta let me know
Are we human or are we dancer?
My sign is vital, my hands are cold
And I’m on my knees looking for the answer
Are we human or are we dancer?
Are we human or are we dancer?
Are we human or are we dancer?
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Was für ein seltsamer Song, den diese amerikanische Krawall-Band namens „The Killers“ da 2008 auf ihrem Studioalbum „Day & Age“ veröffentlicht und dann als Single ausgekoppelt hat, mit ziemlich unerhörtem Erfolg. Denn glaubt man der Zählung auf Youtube, hat das offizielle Video zu „Human“ seither weit mehr als 79 Millionen Klicks dort bekommen. Das ist so, als wenn sich fast alle Einwohner von Deutschland, vom Baby bis zum Greis, diese aparte Show auf einer Naturbühne in der Wüste jeweils ein Mal angesehen hätten. Haben sie natürlich nicht.
Aber wieso ausgerechnet „Human“? Der Text ist ausgesprochen kryptisch. Dennoch skandieren den Refrain Tausende in den Arenen, wenn die „Killers“ auftreten, „Are we human or are we dancer?“ Ja, „dancer“, nicht „dancers“. Kaum anzunehmen ist, dass alle den tieferen Sinn der Worte verstehen, die der Sänger Brandon Flowers da vorträgt, als wär’s ein rockiges Wiegenliedchen, für eine Nacht im Club. Mit wehenden Federn auf dem knappen schwarzen Uniformjäckchen, darunter ein hochgeschlossenes weißes Hemd, darüber sein hübsches Gesicht und seine – zugegeben beachtliche – Stimme. Was Flowers da liefert ist eigentlich ein Stoßgebet; denn hört man besser hin – herab von „the platform of surrender“, hingestellt auf eine Bühne der Auslieferung oder der Hingabe -, geht es womöglich um Leben und Tod.
Alles klingt von Anfang an ein bisschen verrückt, der Text kann einen ganz kirre machen. Die seltsamsten Assoziationen spült der satte Sound ins Gehirn, wenn es erst anfängt, nach Sinn zu fahnden: „And so long to devotion / You taught me everything I know / Wave goodbye, wish me well / You’ve gotta let me go.” Da schleichen sich plötzlich Worte ein, aufgeschrieben vor einem Jahrhundert – und von einem, Rilke, der sich selbst in ständiger Gefährdung wähnte: “Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein.“ Da sind sie, die flirrenden Federflügel auf dem Kostüm des Sängers.
Der Faden einer Gliederpuppe
Das Video zu „Human“ wurde zwischen den mondlandschafthaften Sandsteinformationen des Goblin Valley State Park im amerikanischen Bundesstaat Utah aufgenommen. Da kreist über dem Sänger mit dem Engelsgesicht ein schwarzer Adler, ein Puma gleitet durchs Gelände, das mächtige Haupt eines Weißen Tigers erscheint, wie eine Epiphanie. „Pay my respects to grace and virtue / Send my condolences to good / Give my regards to soul and romance / They always did the best they could”, singt Brandon Flowers, als wär’s ein Abschied, gerichtet an die Welt mit ihren guten Gaben und ihrer Schönheit. Und da ist er noch einmal, der frühere Mahner, sein Vorgänger, Rilke, mit seinen späten Worten: „Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund / unter den Händen. Hier blüht wohl einiges auf; aus stummem Absturz / blüht ein unwissendes Kraut singend hervor. / Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann / und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. / Da geht wohl, heilen Bewußtseins, / manches umher, manches gesicherte Bergtier, / wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel / kreist um der Gipfel reine Verweigerung.“
Selbstverständlich ist es nicht wahrscheinlich, dass die „Killers“, als sie „Human“ schrieben, Rainer Maria Rilkes „Duineser Elegien“ in den Battle Born Studios von Las Vegas vor sich hin memorierten. Oder dass sich die „platform of surrender“ aus Rilkes Gedichtfragment „Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens“ erhob. Andererseits war es schon immer falsch, die lyrics der Popmusik zu unterschätzen, samt dem Horizont ihrer Schöpfer. Und außerdem ist das überhaupt gleichgültig, wenn sich die Synapsen über die Zeitläufte hinweg aktivieren und einander anschließen.
Dieses Spiel lässt sich im Fall von „Human“ noch ein bisschen weitertreiben, mit dem schon gemeingefährlich eingängigen Refrain „Are we human or are we dancer?“. Tatsächlich ist über die grammatikalische Korrektheit dieser Sentenz schon ausführlich gerechtet worden. Als ob es darum gehen könnte, Popmusik auf angemessene Syntax zu verpflichten. Außerdem kann das singularische „human“ durchaus für „Mensch“ stehen, entsprechend dem „dancer“ mithin für „Tänzer“, verstanden als Marionette einer höheren Macht – „Close your eyes, clear your heart / Cut the cord“, heißt es gleich am Anfang des Lieds. Was immer da durchgeschnitten wird – die Nabelschnur oder der Faden einer Gliederpuppe -, die Metapher sitzt. Und sie führt schon wieder hin zu einem großen Vorgänger, jetzt gut zwei Jahrhunderte zurück.
Dieser, Kleist, erzählt von der Begegnung in einem öffentlichen Garten mit dem „ersten Tänzer der Oper“, der „bei dem Publiko außerordentliches Glück machte“: „Ich sagte ihm, daß ich erstaunt gewesen wäre, ihn schon mehrere Mal in einem Marionettentheater zu finden, das auf dem Markte zusammengezimmert worden war, und den Pöbel, durch kleine dramatische Burlesken, mit Gesang und Tanz durchwebt, belustigte. Er versicherte mir, daß ihm die Pantomimik dieser Puppen viel Vergnügen machte, und ließ nicht undeutlich merken, daß ein Tänzer, der sich ausbilden wolle, mancherlei von ihnen lernen könne.“
Die Anmut der Tiere
So heißt es am Anfang von Heinrich von Kleists kleiner Schrift „Über das Marionettentheater“, in der fast am Ende die berühmte Frage danach steht, wie denn, nach dem Durchgang durch alle Reflexion, die Grazie zurückzugewinnen wäre, die der Marionette innewohnt und dem Tier: „Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müssten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen?“.
In der sorgfältig inszenierten Wüstenkulisse des Videos stellt Brandon Flowers, mit seinen eleganten Bewegungen, die von der natürlichen Anmut der Tiere begleitet werden, um die perfekt kalkulierte Wirkung auf ein Massenpublikum zu erreichen, diese Frage nur um eine Nuance anders: „My sign is vital, my hands are cold / And I’m on my knees looking for the answer / Are we human or are we dancer?“
Niemand weiß die Antwort, das Paradies ist verschlossen. Aber alle können mitsingen. Vielleicht ahnen manche sogar, was sie da tun, wenn sie „human“ ganz laut sagen.