Pop-Anthologie

The Impressions: „People Get Ready“

Ein Zug wird kommen: „People Get Ready“ aus dem Jahr 1965 markiert die optimistisch-naive Phase der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung – und verrät bereits die große Songschreiberkunst Curtis Mayfields.

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Curtis Mayfield,  Sänger der Impressions

Wer die wichtigsten Hymnen des Civil Rights Movement nacheinander hört, bekommt einen authentischen Eindruck davon, wie sich die Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen und Weißen in den Vereinigten Staaten sukzessive verschärft haben. Zwischen Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“ und Gil Scott-Herons „The Revolution Will Not Be Televised“ liegen gerade einmal sieben Jahre. Der optimistische Ton von Sam Cooke reflektiert noch die Aufbruchstimmung des Jahres 1964, Martin Luther Kings emphatische Rede auf dem „March on Washington“ am 28. August 1963 lag gerade einmal ein Jahr zurück. Doch allmählich wurden die Konfrontationen gewalttätiger, Prediger King wurde am 1968 in Memphis erschossen. Auch in der afroafrikanischen Musik verschärfte sich der Sound. Nicht umsonst sang James Brown in diesem Jahr sein aggressives Statement „Say It Loud, I’m Black And I’m Proud“. Im Jahr darauf verlangte Sly Stone „Don’t Call Me Nigger Whitey“, The Last Poets folgten 1970 mit „Niggers Are Scared“ und Scott-Herons Revolutions-Song lässt sich als Aufruf an die afroamerikanische Community verstehen, den Wandel hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft, nicht vom Sofa aus abzuwarten.

Der Song, um den es hier geht, entstammt gewissermaßen der optimistisch-naiven Phase Mitte der sechziger Jahre. „People Get Ready“ ist das bekannteste Stück und der erfolgreichste Hit der Band The Impressions um die Sänger und Songwriter Curtis Mayfield und Jerry Butler. Schon 1964 hatten die beiden Jugendfreunde, die sich in einer Kirche in Chicago kennengelernt und dann ihre Leidenschaft für Gospel in der Formation Northern Jubilee Gospel Singers ausgelebt hatten, mit „Keep On Pushing“ einen Song veröffentlicht, der die Ziele des Movements aufgriff. Mit „People Get Ready“ allerdings erreichten sie noch weit mehr Menschen. In den R&B-Charts des Musikmagazins Billboard erreichte die Single Platz 3, in den Pop-Charts Platz 14. Doch diese Platzierung lässt nicht erkennen, welch breite kulturelle Rezeption der zweieinhalbminütige Song erfahren hat. Bob Marley wurde durch ihn zu „One Love“ mehr als nur inspiriert, Bob Dylan coverte ihn zweimal, auch Paul McCartney und Rod Stewart nahmen ihn in eigenen Versionen auf. Mayfield wurde in den Folgejahren mit den Impressions, aber vor allem als Solokünstler ab 1970 zum wichtigsten Chronisten der Lage in den urbanen afroamerikanischen Vierteln im Norden der Vereinigten Staaten – und somit der Abkapselung der Gettos, des Aufkommens einer sich verfestigenden Drogenszene und des Kampfes gegen da weiße Establishment.

Insofern ist Mayfields Entwicklung als Songschreiber auch eine Folge der wachsenden Abkopplung schwarzer Bevölkerungsteile. Seine Musik ist mit den Jahren spürbar aggressiver geworden. Noch 1965 aber, als er mit seiner Gruppe „People Get Ready“ aufnahm, ist von Verbitterung nichts zu spüren. Vielmehr greift er auf seine Erfahrung aus der Kirche und dem Gospel-Chor zurück, um ein optimistisches Statement über das Zusammenleben der Menschen abzugeben. Dass dahinter seine Hoffnung steckt, unterschiedliche Ethnien könnten eines Tages gleich behandelt werden, lässt sich nur zwischen den Zeilen und aus dem unmittelbaren Zeitbezug ableiten. Denn die Beschreibung, dass sich Menschen aufmachen („People get ready“), ist auf den March of Hope bezogen, der Mayfield erklärtermaßen stark beeindruckt hat:

People get ready
There’s a train a-coming
You don’t need no baggage
You just get on board
All you need is faith
To hear the diesels humming
Don’t need no ticket
You just thank the Lord

So people get ready
For the train to Jordan
Picking up passengers
From coast to coast
Faith is the key
Open the doors and board them
There’s hope for all
among the loved the most

There ain’t no room
for the hopeless sinner
Who would hurt all mankind just
To save his own
Have pity on those
whose chances grow thinner
Cause there’s no hiding place
Against the Kingdom’s Throne

So people get ready
There’s a train a-comin‘
You don’t need no baggage
you just get on board!
All you need is faith
to hear the diesels humming
Don’t need no ticket
you just thank the Lord

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Der Song ähnelt dem schon erwähnten „A Change Is Gonna Come“ von Sam Cooke in seiner Grundstimmung. Übrigens hat Cooke eine ganz ähnliche Sozialisierung wie Mayfield und Butler. Auch er hat in einer Gospel-Gruppe in Chicago seine Karriere begonnen. „People Get Ready“ beginnt mit einem dezenten Einsatz von Bläsern, Gitarre und Glockenspiel. Im Wechselgesang tragen die Bandmitglieder die Verse vor. In der ersten Strophe geht es darum, dass Menschen aufbrechen und ein Zug ankommt. Gepäck sei nicht nötig, jeder müsse einfach nur einsteigen. Eine Gemeinsamkeit hätten alle Mitreisenden: Sie müssten ihren Glauben ausleben. Um den Diesel-Motor zu hören, benötige man kein Ticket. Nur solle man Gott danken. In der zweiten Strophe werden diese Motive wieder aufgenommen. Der Zug fahre zum Reich am Jordan, eine biblische Anspielung auf den Ort, an dem sich die Christen dereinst zurückziehen können. „Glaube ist der Schlüssel“ heißt es hier. Für alle gebe es Hoffnung – unter denen, die geliebt werden am meisten.

Wie nach der ersten Strophe spielt Mayfield auch nach der zweiten ein kurzes Gitarrenbreak, diesmal von einem Glockenspiel begleitet. Nach etwa der Hälfte des Songs wechselt die Tonart, ein häufig genutztes Stilmittel, um die Dramatik musikalisch zu steigern. Allerdings erscheint es hier nicht so aufdringlich wie einige Jahre später in der afroamerikanischen Popmusik. Es gibt etwa kaum einen Song von Whitney Houston oder Michael Jackson ab Mitte der achtziger Jahre, in dem dieses Mittel nicht aufs Kitschigste eingesetzt würde. Hier allerdings ist es äußerst dezent gehalten. In Strophe 3 definiert Mayfield, für welche Eigenschaften in diesem Zug der Hoffnung kein Platz ist: Das gilt etwa für denjenigen Sünder, dem es nur um seine eigene Rettung geht. Mitleid sollten die Mitreisenden vor denen haben, deren Aussichten immer schlechter werden, denn vor dem Thron des Königreichs könne man sich nirgends verstecken. In Strophe 4 setzen – wieder sehr dezent – die Streicher ein, textlich wiederholt sie die erste Strophe wörtlich. Mit einem kurzen Streichernachspiel, das vom Glockenspiel unterstützt wird, endet der Song nach 2:38 Minuten.

Recht behände greift Mayfield für seinen Text Elemente auf, die er durch seine frühe Kirchensozialisierung schon lange gekannt haben muss: Die Zugmetaphorik findet sich in vielen traditionellen Gospelsongs, sie verkörpert Aufbruch und Gemeinschaft in einem abgeschlossenen Raum. In einem Interview verriet Mayfield später, ihm gefalle es gut, dass der Songtext einen Wert für Menschen der unterschiedlichsten Hautfarbe und ethnischer Herkunft habe. „Es ist ganz egal, welche Farbe oder welchen Glauben man hat“, sagte er laut der Webseite Songfacts.com. Ihr ist zu entnehmen, dass die große Beliebtheit des Songs auch Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung noch einen wirtschaftlichen Nutzen für den Songwriter gehabt habe. Nachdem er 1990 durch einen schweren Unfall während eines Konzerts querschnittsgelähmt wurde, hätten ihn Tantiemen von „People Get Ready“ finanziell über Wasser gehalten. Schon 1965 hatte er seine ganze Meisterschaft als Songwriter unter Beweis gestellt. Der Band The Impressions ist es gelungen, zu Zeiten, in denen Soul manchmal noch naiv, schwülstig und glatt wirkte und sich erst noch finden musste, eine textliche und musikalische Tiefe zu erreichen, die für damalige Verhältnisse keinesfalls selbstverständlich war. Wer die frühen Soloalben von Curtis Mayfield etwa zwischen 1970 und 1974 hört, kann erleben, auf welch unglaubliche Höhen er die Songwriterkunst in nur wenigen Jahren geführt hat. Er zählt unbestritten zu den besten und wichtigsten Songschreibern des zwanzigsten Jahrhunderts.