Pop-Anthologie

Cranberries: „Zombie“

Dieses Antikriegslied hat die am Montag verstorbene Dolores O’Riordan nicht nur getextet und komponiert, sie hat auch das Video konzipiert. Die Drastik des Songs, den sie neu aufzunehmen plante, besticht noch heute.

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© VevoDolores O’Riordan

In Gesang, Text und Video brennt der Song „Zombie“ der irischen Band „Cranberries“ ein Bild auf ewig ein: Die sinnlos Mordenden des konfessionellen Nordirlandkonflikts werden mit der Figur des hirnlos tötenden Zombies verknüpft, der nichts im Kopf hat. Ursprünglich sollte der Song nur „In your head“ heißen.

Auch der Krieg selbst wird personifiziert als Zombie, als ewig totbringender Untoter und Wiedergänger, und das im irischen Fall „seit 1916“, wie die Sängerin empört herausschreit.

Zombie

Another head hangs lowly
Child is slowly taken
And the violence caused such silence
Who are we mistaken?

But you see, it’s not me, it’s not my family
In your head, in your head they are fighting
With their tanks and their bombs
And their bombs and their guns
In your head, in your head, they are crying
In your head, in your head
Zombie, zombie, zombie
Hey, hey, hey
What’s in your head, in your head
Zombie, zombie, zombie?
Hey, hey, hey, hey
Oh, do, do, dou, do, do, dou, do, do
Dou, do, do, dou, dou, do, do, dou

Another mother’s breakin‘
Heart is taking over
When the violence ‚causes silence
We must be mistaken

It’s the same old theme since 1916
In your head, in your head they’re still fighting
With their tanks and their bombs
And their bombs and their guns
In your head, in your head they are dying

In your head, in your head
Zombie, zombie, zombie
Hey, hey, hey
What’s in your head, in your head
Zombie, zombie, zombie?
Hey, hey, hey, hey
Oh, oh, oh oh, oh, oh, oh, hey, oh, yaa, yaa

 

Die Band gründete sich 1989 im irischen Limerick. In den neunziger Jahren wurden die Cranberries weltweit bekannt mit ihrem Debütalbum „Everyone Else is Doing it, So Why Can’t We?“. Das 1994 veröffentlichte Album „No Need to Argue“ landete sowohl in Deutschland als auch in Frankreich und Australien auf Platz Eins. Darauf findet sich das Lied „Zombie“, das ein Jahr später Nummer Eins auch in Deutschland wurde.

Dolores O’Riordan ist nicht nur Sängerin des Lieds, sondern auch dessen Komponistin. Selbst in die Bildsprache des Musikvideos von Samuel Bayer hat sie gestaltend eingegriffen, wie aus Interviews der Band deutlich wird. Bis heute wurde der Videoclip mehr als 650 Millionen Mal allein auf Youtube aufgerufen.

In ungewöhnlich drastischen Bildern schildert das Video den blutigen Nordirlandkonflikt, der als Bürgerkrieg lange vor den Jugoslawienkriegen noch in den achtziger Jahren inmitten Europas  tobte. Auslöser für das Lied war Dolores O’Riordan zufolge die Meldung eines IRA-Bombenanschlags im März 1993, dem zwei Kinder unschuldig zum Opfer fielen. Ungewöhnlich drastisch schien das Video mit den hochgerüsteten Patrouille-Soldaten und den Krieg spielenden Kindern für die Sehgewohnheiten der Vereinigten Staaten zu sein, in denen das Quartett der Cranberries durch eine Tour mit Suede und The The bekannt wurde. Die Produktionsfirma fürchtete anfangs, das Video würde auf MTV wegen seiner Drastik nicht gespielt werden. Die Geschichte sollte diese Angst allerdings Lügen strafen: Das Musikvideo schaffte es in Rekordgeschwindigkeit in die Heavy Rotation. Kein Tanzboden Mitte der neunziger Jahre, in denen es nicht ähnliche Zombie-Effekte bei der tanzenden Masse gezeitigt hätte.

Die Sängerin als Schutzmantelmadonna – ohne Schutzmöglichkeit

In überzeichneter Künstlichkeit steht Dolores O’Riordan als goldene Madonna mit Perlperücke vor einem riesigen Holzkreuz. Es wirkt wie ein in Bewegung versetztes Kreuzigungsgemälde von Hieronymus Bosch mit groteskem Personal. Umringt wird sie verstörender Weise von einem Dutzend Jungen in Lendenschurz, die Dornenkronen tragen und vollständig silbern eingefärbt sind. Nicht nur das Geschlecht der Knaben, auch die Passionskronen des Leidens wie ihre Farbe deuten darauf hin, dass es sich bei ihnen um jung im Krieg Gefallene handelt, deren angeblich ehrenvoller Tod mit dem Blech von Orden und Auszeichnungen künstlich aufgewertet, gleichsam „versilbert“ wird.

Silber war auch die Farbe und das Material der Märtyrerbüsten und –Reliquiare des Mittelalters, das die christliche Religion ihren oft in jungen Jahren sich opfernden Blutzeugen postum verlieh. Kaum zufällig wirken die blutrot angestrahlten Bäume im Hintergrund der Szene wie Korallen, was dem antiken Entstehungsmythos der Koralle als geronnenes Blut der enthaupteten Medusa, einer blutrünstigen Bestie, entspricht. Selbst wenn die Sängerin mit ihren die Arme über die Kinder ausbreitenden Gesten einer Schutzmantelmadonna ähnelt, wird doch ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit im Verlauf des Liedes zunehmend deutlich: Immer spitzer und gequälter werden ihre Schreie; der Refrain besteht, was selten ist, nur noch aus dem fassungslosen Wort „Zombie!“ vor verzerrten Powerchord-Riffen der Gitarren. Immer aufgeregter und gepeinigter auch wirken die Gesten der Kleinen, bis gegen Ende des Videos tatsächlich ein in diesem irrsinnigen Bruderkrieg gefallener Junge tot und in Schwarz-Weiß auf dem Boden liegt, während die bis dahin nur abstrakt leidenden Silberknaben um das Kreuz nun wirklich wie an einem Marterpfahl mit weit geöffneten Mündern schreien und leiden.

Stilmittel des Schreckens

Der Regisseur Samuel Bayer wechselt im Video permanent zwischen Schwarzweiß und Farbe. In Schwarzweiß gehalten sind diejenigen Passagen, in denen die Band und ihre Frontfrau in Fabrikruinen stehen. Damit wird als Stilmittel subtil das Schwarzweiß des sachlichen Dokumentierens eingesetzt und ein unparteiischer Anspruch innerhalb des Nordirlandkonflikts evoziert. Dass niemand in einem schmutzigen Krieg vollkommen unbeteiligt und integer bleiben kann, ist allerdings an den DocMartens-Stiefeln der Band-Frontfrau und ihrem militärisch anmutenden Kurzhaarschnitt ablesbar.

In Schwarzweißgrautöne ist aber auch die Welt der irischen Kinder getaucht, die als wehrlose Beteiligte selbst Opfer dieses Bürgerkriegs wurden und werden oder diesen – allerdings mit echten Sturmgewehren – „nachspielen“. Die Freudlosigkeit ihrer Gegenwart ist damit ebenso ausgedrückt wie ihre mutmaßliche Zukunftsperspektive, sollten sie diesen Verhältnissen nicht entfliehen können.

In Farbe sind dagegen die monumentalen Wandbilder vermeintlicher Kriegsheroen beider bis aufs Blut verfeindeten Kriegsparteien, der katholischen IRA (Irish Republican Army) und der protestantischen UVF (Ulster Volunteer Front), die wiederholt eingeblendet werden. Die Getöteten sind im Stil von Märtyrerikonen überlebensgroß an den Brandwänden der Häuser verewigt, besonders häufig dort, wo die Häuser zum anderen konfessionellen Lager als immerwährende Provokation für dieses gerichtet sind. Flaggenumflorte Wappen beider Terrororganisationen sind mit dem gesamten Zierrat hohlen Pomps aus zwei Jahrtausenden Kunst versehen. An den Seiten der Bilder stehen mehrfach längere Listen mit den Namen der Gefallenen, die der frühchristlichen Tradition der Märtyrerverzeichnisse entstammen, der Obituarien.

Die ausgeblichenen Fehlfarben der Hauswandikonen zeigen an, dass der Ruhm wie alles auf Erden eitel, leer und nicht von Dauer ist – die Gesichter vieler dieser Märtyrer sind von der Witterung ausgewaschen und nicht mehr zu erkennen; die Individualität, die sie als „Zombies“ ohnehin bereits einbüßten, haben sie somit endgültig verloren.

Heroische Offiziös-Schilderungen von Krieg haben in der Kunst immer auch Gegenbilder der Vergänglichkeit hervorgezwungen, und so mangelt es dem Video nicht an Vanitas-Symbolik – der Hund eines Jungen vor einem der Wandbilder schnappt sich Knochen aus einem Haufen, und man ertappt sich unwillkürlich bei dem Denkverbot im eigenen Kopf, gar nicht genau wissen zu wollen, ob es menschliche Überreste sind. Ein mittelalterliches Bild der Kunst, das an gnadenloser Vanitas nicht zu übertreffen ist: Bei vielen Kreuzigungsdarstellungen auf der Schädelstätte Golgotha tragen Hunde die Gebeine Adams am Fuß des Kreuzes Christi davon; der Stammvater des stolzen Menschengeschlechts wird im Ausnahmezustand Kreuzestod abgenagt, von niederster Kreatur.

Angry Young Woman – Stimme frisst Feuer

Die Stimme ist das Instrument des Sängers, zugleich seine Signatur. Dolores O’Riordan signierte ihre Lieder markant und unüberhörbar. Nur äußerst selten aber wird allein die Klangfarbe einer Stimme zum Synonym für ein politisches Ereignis. Bei Dolores O’Riordans wehklagender Stimme war dies für den jahrzehntelangen Nordirlandkonflikt ebenso der Fall wie bei des Berliner Nachkriegs-Oberbürgermeisters Ernst Reuters zitterndem „Ihr Völker der Welt …!“ oder Richie Havens sehnend forderndem „Freedom!“ in Woodstock.

Als ob sie einen der unbelehrbaren Kriegstreibenden vor sich hätte, dem sie direkt ins Gesicht schreien würde: Die Sängerin der Cranberries selbst bohrt sich mit dem in unverstellt wirkender Aggression vorgetragenen „What’s in your head … Zombie?“ in den Kopf. Natürlich hat der entweder Prozac- und/oder testosteronbenebelte Berserker als Killermaschine nichts im Kopf – die abfällige Stimme wie auch die Videobilder der blutdurstigen Tieren gleich umherziehenden Soldateska zeigen es an. Dass die stimmhafte Wut von Dolores O’Riordan an keiner Stelle einstudiert wirkt, liegt nicht zuletzt daran, dass ihre sich mehrfach überschlagende Stimme in der Produktion nicht glattgebügelt wurde. Wer das Glück hatte, einem der Cranberries-Konzerte beizuwohnen, konnte auch beim wiederholten Mal „echte“ Empörung hören, die ja immer auch tiefste Enttäuschung über die scheinbar ewige Wiederkehr des Immergleichen ist.

Epilog

Dolores O’Riordan verstarb am 15. Januar 2018 mit 46 Jahren. Nur wenige Stunden vor ihrem Tod hatte sie offenbar voller Tatendrang eine Nachricht auf der Mailbox des amerikanischen Hardrock-Sängers Tommy Vext hinterlassen. Mit dessen Band „Bad Wolves“ plante sie, eine neue Version von „Zombie“ aufzunehmen. Zu dieser Neuinterpretation wird es nun nicht mehr kommen. Der Song, die Bilder dazu, vor allem aber der extrem kondensierte Inhalt des Liedes haben angesichts der seither unausgesetzten Abfolge von Kriegen kein Jota ihrer Aktualität eingebüßt.