Dieser gospelartige Folksong ist eine Osterbotschaft der eigenen Art. Die Katastrophen-Stadt Dresden erweckt in Elvis Perkins eine paradoxe Heilsgewissheit. Wem gilt sein „Hallelujah“?
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Heard Your Voice in Dresden
I heard your voice in the Dresden
As baby took to the stairs
With all my loving
Heard your voice in the Dresden
Now it follows me everywhere
Dear Woman at the gates of the dawn,
Itʼs my birthday, may I come in?
Iʼll tell my brother and if I had one,
Iʼd tell my sisters too
You alone may sing my hymns and
Raise the warning
Raise the warning
Heʼs bottled his tears
Raise that warning
The warning
Raise the warning
The beginning is near
O I heard your voice in the Dresden
As baby boarded the liner in Paris (?)
Now I heard your voice in Dresden
And now it follows me everywhere
Dear land from the giant speakers of all man
Time from the swollen mountain tops
The stolen sun thoughts the solar wind chimes
To ring the morning, the morning up
O ring the morning, the morning up
O I heard your voice in Dresden
And now it follows me everywhere
Now let us together sing the sun
To the home in the heavens
From the sea from the sea, o yes
And to our loving mother
Weʼll say, yes, we will see you another day, o yes, o yes,
For I canʼt hold my life, canʼt hold my life, canʼt hold my life
In the march on glory glory glory glory Gloria
We march on glory glory glory Hallelujah
O I heard your voice in the Dresden
As baby took to the air with all my loving
I heard your voice in Dresden
And now it follows me everywhere
Some have said our love is lost
But I swear I know my way from here
Yes, some have said our love is lost
But I swear I know my way from here.
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Nein, von Liebe, Erlösung und Heilsgewissheit war in Verbindung mit der Stadt Dresden jüngst eher nicht die Rede. Allein deswegen sollte man sich diesen gospelartigen Folksong, der 2009 auf dem Album „Elvis Perkins in Dearland“ erschienen ist, unbedingt anhören, und zwar am besten laut (auf Youtube gibt es leider nur einige schlechte Livemitschnitte): als helles Kontrastprogramm zum dunklen Geraune von „Gesinnungskorridoren“, zur Klage über die mediale „Herabwürdigung“ des deutschen Ostens, zum konservativ-revolutionären Gerede von einem gesellschaftlichen „Riss“, den es künftig noch weiter zu vertiefen gelte. Bieten die Klänge dieses Liedes, mit seinen fröhlich daher schreitenden Snaredrums, seinen triumphalen Becken, volltönenden Orgeln und kraftvollen Gitarrenakkorden, nicht zumindest kurzfristige Entlastung von all den Frustrationen, all dem Zorn?
Dabei ist, bei näherer Betrachtung des schwierigen Liedtextes, nicht einmal ganz klar, was eigentlich gemeint ist, wenn hier mit amerikanisch weicher Lautung von „Dresden“ gesungen wird. An einigen Stellen des Textes ist ohne Zweifel die Elbestadt gemeint, in der das Ich erstmals jene erweckende Stimme vernommen hat, die ihm nun auf Schritt und Tritt folgt. Aber was hat es zu bedeuten, wenn, wie gleich zu Beginn, dem Wort „Dresden“ der Artikel „the“ vorangestellt ist?
„The Dresden“: Man geht fehl in der Annahme, Perkins besinge mit dieser eigenartigen Formulierung ein amerikanisches Luxushotel im Stil des alten Europa. Vielmehr fungiert der Städtename „Dresden“ in der englischsprachigen Welt seit den verheerenden Bombenangriffen von 1945 als eine universell einsetzbare Chiffre für die Katastrophe schlechthin. Eben dies ist hier wohl mit „the Dresden“ gemeint: ein Zustand der allertiefsten Verzweiflung, in dem es allerdings, so legt Perkins es nahe, zur Hoffnung spendenden Begegnung mit dem Allerhöchsten kommen kann.
Worin des Sängers persönliches Dresden besteht, erklärt sich mit Blick auf sein 2007 erschienenes Debüt- und Vorgänger-Album „Ash Wednesday“. Der Titel bezieht sich auf ein konkretes Datum, nämlich auf den 12. September 2001, eben einen Mittwoch, der nicht nur der neunte Todestag seines Vaters, des aus Hitchcocks „Psycho“ bekannten Schauspielers Anthony Perkins war. Zudem war einen Tag zuvor bei den Terrorangriffen vom 11. September seine Mutter, die Fotografin Berry Berenson, als Insassin eines der entführten Flugzeuge ums Leben gekommen. Sein Album, so Perkins, beschreibe musikalisch, wie es für ihn gewesen sei, „mit nichts als Asche zurückgelassen zu werden.“ Und in der Tat, wer erfahren will, wie echte Trauer klingt, höre sich den Titeltrack dieses Albums an – oder lese daraus nur die folgenden Verse, die auch ohne Perkinsʼ schmerzerfüllten Klagegesang ihre Wirkung nicht verfehlen:
Come on fill the house
Finally and weep
For itʼs king and queen sleep
Both now
In the arms of
Ash Wednesday.
Über die biografische Dimension hinaus sollte die religiöse Semantik, die im Titel „Ash Wednesday“ anklingt, nicht aus dem Blick geraten. Während dieses Album mit seinem titelgebenden Song nämlich den Beginn einer Lebensphase der Trauer markiert, berichtet das anschließende „Elvis Perkins in Dearland“ mit seinem Kernstück „Heard Your Voice in Dresden“ vom Erlebnis einer Erweckung und dadurch bewirkten Rückkehr ins Leben, ja sogar auf eine Wiedergeburt wird angespielt: „Itʼs my birthday“. In strikt persönlicher Auslegung entsprechen Perkinsʼ beide Alben, denen für mehr als fünf Jahre kein weiteres folgen sollte, dem liturgischen Ablauf von Aschermittwoch, Fastenzeit und Ostergeschehen.
Mit einem christlichen Lied im engeren Sinne haben wir es deshalb noch lange nicht zu tun. Denn wem eigentlich gilt das emphatische „Hallelujah“ des Sängers? Zu Beginn wird eine „Woman at the gates of the dawn“ angesprochen, womit Perkins vielleicht auf jenes vielfach reproduzierte Bildnis der Heiligen Jungfrau Maria verweist, das im Englischen „Our Lady of the Gate of Dawn“ betitelt ist. In der zweiten Strophe wechselt dann aber unversehens die Adressierung: „Dear land from the giant speakers of all man“. Wie bitte passt das zusammen – das Land von den riesigen Sprechern aller Menschen und die liebe Frau vom Tor der Morgenröte?
Viele weitere, kaum auf eindeutige Entschlüsselung angelegte Figuren und Formulierungen kommen in diesem assoziativ geprägten, versatzstückartig anmutenden Liedtext hinzu. Zu nennen sind vor allem die zahlreichen Andeutungen eines bevorstehenden apokalyptischen Umbruchs, die religiös allerdings unspezifisch bleiben („ring the morning“, „raise the warning“) und außerdem in einem Spannungsverhältnis stehen zu der verwirrend profanen Angabe, dass sich jenes mehrfach genannte ‚Baby‘ in Paris an Bord eines Airliners (so ist zu vermuten) begeben habe.
Was lässt sich aus diesen semantischen Brüchen und Spannungen schließen? Man gewinnt den Eindruck, das Absolute, das in diesem Song so enthusiastisch gefeiert wird, lässt sich vom Ich zwar wahrnehmen, also hören, und auch innerlich empfinden. Dem Versuch einer sprachlichen Festlegung – und damit der überindividuellen Vermittlung – entzieht es sich aber von vornherein. Gerade hiervon zeugen seine wechselnden, teils widersprüchlichen Bezeichnungen und Umschreibungen. Perkins folgt damit einer romantischen Denkbewegung, die sich in der Popkultur erstaunlich beständig erhalten hat; sie artikuliert sich in der oft sehnsüchtigen Beschwörung eines Unbedingten, das nur als poetisch überformtes Geheimnis in Erscheinung treten kann.
An Verbindlichkeit für den Einzelnen verliert dieses Absolute dadurch aber nicht, im Gegenteil: Auch wenn nicht so recht erkennbar wird, wem Perkinsʼ verzückter Lobgesang eigentlich gilt, so steht doch außer Zweifel, dass ihm diese geheimnisvolle Instanz festen Halt und sichere Orientierung zu geben vermag: „I swear I know my way from here.“ Perkinsʼ Song erlaubt uns, diese Gewissheit tröstlich nachzuempfinden, und sei es auch nur für etwas mehr als vier Minuten.