Pop-Anthologie

Joy Division: „Love Will Tear Us Apart“

Ein Song, dessen schmerzhafter Inhalt am musikalischen Arrangement förmlich abzuperlen scheint und der doch die Agonie des Liebesendes besingt wie kein zweiter.

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Die Agonie eines Beziehungsendes beschreibt kaum ein Song so gut wie „Love Will Tear Us Apart“ der britischen Band Joy Division. Ausweglosigkeit, Handlungsunfähigkeit und die Erkenntnis: Was einst Liebe war, ist nun Vergangenheit – all dies fangen die lyrics von Sänger Ian Curtis so punktgenau und schmerzend ein, dass die Fangemeinde der Band sie biographisch deutete: Das Ende seiner Ehe, die Affäre mit der belgischen Journalistin Annik Honoré, sein Selbstmord im Mai 1980. Doch in „Love Will Tear Us Apart“ wird die Erkenntnis des Zerfalls auf eine Weise erzählt, die bekannt vorkommt, weil sie wohl jede/r selbst schon einmal erlebt hat. Selbst wenn Routinen für alle anders aussehen, wie beißend sie sein können, wissen enttäuschte nicht mehr Liebende genau. Wenngleich die Rahmung eine jeweils andere ist, den Moment, in dem man alle Hoffnung fahren lassen muss, in dem wie ein Film noch einmal alle Details der Zerstörung vor dem inneren Auge ablaufen, hat Ian Curtis so zu fassen bekommen, dass man beim Hören des Liedes mit eigenen Erinnerungen konfrontiert ist.

Die endgültige Trennung ist noch nicht vollzogen, doch was einst Nähe war, ist im Moment des Songs nur noch ein Aufeinanderhocken ohne Hoffnung auf Veränderung. Die gemeinsame Reise ist an ein Ende gekommen, davon erzählt die erste Strophe lakonisch in Bildern von Routine, Groll und Gleichgültigkeit,

When routine bites hard
And ambitions are low
And resentment rides high
But emotions won’t grow
And we’re changing our ways, taking different roads

In diese Kälte – lautmalerisch durch minimalistische Tonvariationen verstärkt – bricht dann das Paradoxon des Refrains, dessen Melodie schon seit den ersten Takten des Songs präsent und dessen immer wieder erscheinendes Leitmotiv ist: Liebe wird genau das nicht tun, was gemeinhin ihre Aufgabe ist, was von mittelalterlicher bis zu romantischer Lyrik und auch in der modernen beschrieben wird: nämlich die Liebenden (wieder) zusammenzuführen. In Ian Curtis’ Text tut sie das Gegenteil: Sie reißt auseinander und das wiederholt. Es ist nicht das Meer, kein wütender Vater, kein Nebenbuhler, die Liebe selbst kann die Ausweglosigkeit nicht nur nicht in Hoffnung wandeln, sie ist sogar der Grund für diese Ausweglosigkeit. Endstation.

Then love, love will tear us apart again
Love, Love will tear us apart again

Besingen aber kann man sie noch, die Liebe, mit einer melodiös eingängigen Auf- und Abwärtsbewegung in e-Moll, die – von Gesang, Synthesizer und Bass getragen – wie ihr fernes und doch stets präsentes Echo wirkt. Das bereits oft gehörte Leitmotiv wird nun mit einem Text versehen, es stellt das Wort Liebe nicht nur durch die Notenlänge ins Zentrum, auch das Crooning des Sängers hebt das „love“ heraus und damit das Paradox zerreißender Liebe. Täuschend leicht ist das Arrangement des Songs, getrieben von synkopischen Beats, so der Musikkritiker Jon Savage im Vorwort zu „So This Is Permanence“, der 2014 bei Faber erschienenen Sammlung der Songtexte von Ian Curtis. Die Botschaft des Songs scheint an der Musik förmlich abzuperlen, und doch hebt sie der im Zentrum stehende Gesang hervor.

In der zweiten Strophe versucht das Song-Ich im intimen Raum des Schlafzimmers noch einmal Antworten zu finden auf die emotionale Katastrophe, in der man sich voneinander abwendet. Obwohl Respektlosigkeit herrscht, ist da noch eine Ahnung dessen, was die Liebenden einst zusammengehalten hat. Aber die Liebe funktioniert eben nicht als Flickschusterin der Gefühle, im Gegenteil.

Why is the bedroom so cold?
You’ve turned away on your side
Is my timing that flawed?
Our respect run so dry
Yet there’s still this appeal that we’ve kept through our lives

But love, love will tear us apart again
Love, Love will tear us apart gain

Curtis schrieb den Text im Sommer 1979, zuerst öffentlich gespielt haben Joy Division das Lied im Oktober in Brüssel, und bei den John Peel Sessions im Dezember 1979 wurde eine dynamischere, noch stärker treibende Version aufgenommen, die dem üblichen Stil der Band eher glich als die später veröffentlichte Single, die im Sommer 1980 ihr erster großer Hit in Großbritannien werden sollte.

In der dritten Strophe ist die einsame Bewusstwerdung des Endes abgeschlossen, das eigene Liebesversagen liegt offen, Bitterkeit hat die Oberhand, Verzweiflung macht sich breit. Es geht nicht weiter.

You cry out in your sleep
All my failings exposed
And there’s a taste in my mouth
As desperation takes hold
Just that something so good just can’t function no more.

But love, love will tear us apart again
Love, Love will tear us apart gain
Love, Love will tear us apart gain
Love, Love will tear us apart gain

Die schreckliche Erkenntnis: Was einst so wunderbar, so gut war, wirkt nicht mehr, hat seine Zauberkraft verloren. Die Sachlichkeit der Formulierung sagt alles: Es funktioniert einfach nicht mehr. Da scheint die Liebe als Grund des Auseinanderdriftens am Ende vor allem eins zu sein: der Versuch, sich den Schmerz erträglich zu machen, vollkommen handlungsunfähig dem Ende der Liebe ins Gesicht sehen zu müssen. Fade out.