Pop-Anthologie

Megan McCormick: „The Real Me“

Manchmal stößt man durch Zufall auf ein Lied, das man nicht mehr loswird. Über einen Ohrwurm, die falsche und die richtige Megan McCormick – und die Suche nach dem wahren Ich.

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Einige Takte dieses Songs kamen vor in einer Serie. Die Serie war so mittelgut, aber die Takte blieben hängen. „Always trying just to keep my cool / Instead of taking it in like a first time fool“. Wer singt denn da so schön? Das war erst einmal gar nicht so leicht herauszufinden. Denn der erste Treffer führte zu einem Video mit dem Titel „The Real Me“ und dem Untertitel „Sunset“.

Wenn man sich an die Zeit des Musikfernsehens zurückerinnert, bei dem man auf solche Einblendungen wartete, um endlich zu erfahren, was und von wem man da gerade gehört und gesehen hatte, wären das also Bandname und Songtitel. Das führte aber in die Irre. Auch mit Musikerkennungssoftware: nichts zu erkennen.

Es gibt offenbar keine Band namens The Real Me – wohl aber einen Song. Fans von The Who werden sich erinnern: Es ist der zweite auf „Quadrophenia“, in dem der Protagonist, ein sogenannter „split Jimmy“, seine verschiedenen Persönlichkeiten unter einen Hut zu bringen sucht. „Can you see the real me?“, fragt er den Doktor, die Mutter, den Arzt – sie sehen es aber nicht. Die Frau, die hier singt, ist ebenfalls auf der Suche danach. „As soon as I’ll find it I’ll set it free“, sagt sie allerdings. Das ist schon wieder so weise! Man denkt zurück an Zettel in der Schulzeit, deren Weisheit viel zu groß war: „If you love something, set it free, if it comes back, it’s yours, if not, it never was“. Wer hat das nochmal gesagt? Sting? Nein, der hat es noch anders gesagt. Aber das tut ja hier gar nichts zur Sache. Wir wollen ja herausfinden, wer da singt. 

Der YouTube-Kanal nennt sich Meganrecords. Ob das ein Hinweis ist? Dort sind noch andere Lieder einer gewissen Megan McCormick zu finden. Die Stimme scheint zu passen. Wer also ist diese Frau? Die Suchmaschine liefert uns eine Fernsehmoderatorin dieses Namens, die blonde Haare hat. Die Frau aus den Videos ist aber brünett. Dann endlich ein neuer Strohhalm: Eine Megan McCormick gibt es auch in „Music City U.S.A.“, also in Nashville. Sie hat einen Instagram-Account und bezeichnet sich dort als „musician / occasional magician“. Die muss es doch sein! Und richtig, hier lebt die Frau, die zunächst Roots-Musik gemacht und gleich zweimal den „International Bluegrass Music Association Award for Recorded Event of the Year“ gewonnen hat. Da möchte man fast sagen: „The real Megan McCormick“. Aber das denkt die Fernsehmoderatorin gleichen Namens wahrscheinlich auch von sich.

Wenn unsere Megan McCormick aber von Bluegrass und Country her kommt, was macht sie dann hier mit einem Vocoder und diesem sehr flächigen Sound, der irgendwie auch an die Achtziger erinnert, an Nachtfahrten zwischen Chris de Burgh und Tanita Tikaram, wie sie uns mancher deutscher Retro-Radiosender auch heute noch beschert? Offenbar neue Wege beschreiten, wie man über einen Streamingdienst dann auch auf dem zugehörigen Album von Megan McCormick hören kann, das 2014 erschien und wie der Song „The Real Me“ heißt. Was als Zufallsfund begann, wächst sich beim weiteren Hören zu einer Begeisterung aus. Von der möchte man mehr, vielleicht alles kennen.

Warum das jetzt alles erzählt wurde? Vielleicht, weil man heute manchmal vergisst, dass es etwas Besonderes ist, fast jedes irgendwo aufgeschnappte Lied ausfindig machen zu können und es dann eine Weile in jeder freien Minute zu hören, in der Bahn, im Bett, völlig hingerissen von der Stimmung, die darin herrscht, von den Zeilen über Menschen „in disrepair“, die am Ende trotzdem wieder aufstehen, und von einem Ultra-Low-Budget-Musikvideo, das durch die Rückscheibe eines fahrenden Autos die Baumspitzen in der Dämmerung vorbeiziehen lässt. Weil es so viele solche Lieder in den Weiten des Netzes gibt, die von irgendwem mit viel Aufwand, Liebe, Schmerz gemacht wurden und womöglich gerade auf uns warten, dort schlummern, bis wir sie entdecken. Und weil diese „Pop-Anthologie“ auch von eben solchen Momenten erzählen soll.

Bleibt nur noch die Frage, warum dieses Lied bislang um die fünftausend Aufrufe hat, während in der Nebenspalte des Video-Dienstes Lieder angekündigt werden, die fünf Millionen oder auch über hundert Millionen Klicks haben, obwohl sie bei weitem nicht so gut sind. Vielleicht könnten Sie daran etwas ändern.

Megan McCormick

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Make it up every step of the way

It’s not a movie or a book or a screenplay

Always trying just to keep my cool

Instead of taking it in like a first-time fool 

Put my hand on the wheel and drive

We’ve only one chance to get it right

So I’ve been looking for the real me

Just as soon as I find it, I’ll set it free 

Tried to dance on the highest wire

Lost my vision walking straight through the fire

It’s a wound that in time will heal

And no one said you have to see to feel 

Everyone in disrepair

Every shadow that takes us there

Fades away when the fire dies

Now I’m standing up for the very first time

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