Der Band Greta van Fleet wird gerne vorgeworfen, Led Zeppelin zu kopieren. Ihr Song „Age of Man“ beweist das Gegenteil. Und ist – aus Versehen? – Hymne für eine neue politisierte Generation.
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Wer will, kann an Greta van Fleet auf den ersten Blick manches schlecht finden: Ready-Made-Stil, geklaut von Led Zeppelin, performt von vier eher brav wirkenden Jungs, zwei davon 23, zwei 20 Jahre alt – die Kiszka-Brüder Josh, Jake und Samuel sowie Schlagzeuger Daniel Wagner. Musik, wie geschaffen für die Spotify-Algorithmen und die Amazon-Logik „Wer X gut fand, interessierte sich auch für Y“. Als geradezu dreiste Kopie der legendären Band um den Gitarristen Jimmy Page und den Sänger Robert Plant sind Greta van Fleet bezeichnet worden.
Aber es gibt auch prominente Fans. Elton John findet, Greta van Fleet spiele den besten Rock’n’Roll, den er „seit zwanzig verf***ten Jahren“ gehört habe. Auf der Oscar-Party seiner Aids-Stiftung gab es sogar einen gemeinsamen Auftritt. Alice Cooper sieht Greta van Fleet als Beweis dafür, dass die Diagnose „Rock ist endgültig tot“ des Kiss-Bassisten Gene Simmons falsch ist. Und auch Slash (Guns N‘ Roses) ist begeistert und spürt eine „wirklich coole Energie für neue Rock-’n’-Roll-Bands“. Er sieht Greta van Fleet als Türöffner und wartet gespannt auf neue Gruppen, die jetzt endlich Aufmerksamkeit bekämen. Aber auch Slash sagt: „Ich wünschte, sie würden nicht so sehr wie Led Zeppelin klingen.“
Dem steilen Aufstieg von Greta van Fleet scheint der ständige Vergleich mit Led Zeppelin auch nicht geschadet zu haben. Eher im Gegenteil: Die Kritik hält die Band aus Frankenmuth, Michigan im Gespräch und dürfte viele erst auf sie aufmerksam gemacht haben.
In Zeiten, in denen, wie es recht treffend in der Autobiographie von Prince steht, „sie dauernd versuchen, uns Katy Perry und Ed Sheeran in den Rachen zu rammen“, ist der Chart-Erfolg von Greta van Fleet jedenfalls erstaunlich: Erschienen im Oktober 2018, hielt sich „Anthem of the Peaceful Army“ in den Vereinigten Staaten 18 Wochen, in Deutschland 20 Wochen in den Album-Charts und erreichte jeweils Platz 3.
Wer sich „Anthem of the Peaceful Army“ anhört, merkt schnell, dass der Plagiatsvorwurf höchstens einem Teil der Wahrheit gerecht wird. Klar, einige Songs könnten auch bisher im Archiv versteckte Aufnahmen von Led Zeppelin sein. Sie reichen zwar an die Verspieltheit, die Brüche und die eigenständigen Riff-Schlagzeug-Kombinationen der besten Zeppelin-Songs nicht heran. Die Ähnlichkeiten liegen aber bei den Songs „The Cold Wind“, „Lover, Leaver“, „Watching Over“ und „When The Curtain Falls“ auf der Hand.
Auch Robert Plant sagt, der „beautiful little singer“ Joshua Kiszka habe seine Stimme von jemandem geliehen, den er sehr gut kenne. In dem Interview zeigte sich Plant belustigt darüber, dass Greta van Fleet behaupten, in erster Linie von Aerosmith beeinflusst worden zu sein.
Doch gleich der erste Song des „Anthem“-Albums grenzt sich klar vom Led-Zeppelin-Stil ab: „Age of Man“. Wie auch in „Brave New World“ blitzen darin die Anfänge eines eigenen Stils hervor, den die Band gerade erst zu finden scheint.
Das Intro von „Age of Man“ ruht auf getragenen Streichern – Angst und Dunkelheit. Mit der Antwort von Hammondorgel-Sounds und Josh Kiszkas androgyner Gesangsstimme erscheint Licht und ein brandneuer Tag. Eine Generation, wie später klar wird, versucht ihre Unmündigkeit zu überwinden und wagt einen neuen Anfang.
In an age of darkness light appears
And it wards away the ancient fears
March to the anthem of the heart
To a brand new day, a brand new start
Jake Kiszkas Gitarre übernimmt die Akkordfolge und formt sie dann in ein Riff, dessen Gerüst schon von den Streicher- und Hammondorgel-Sounds aufgebaut wurde. Länder von Eis und Schnee (aus dem „Immigrant Song“ von Led Zeppelin?) im Blick, kommt der Song ins Rollen:
To wonderlands of ice and snow
In the desert heat where nothing grows
A tree of life in rain and sun
To reach the sky it’s just begun
Wüstenhitze, in der nichts wächst, Eis, Regen und Sonne, ein „Baum des Lebens“ – neben religiös-mythischen Motiven liegen hier Klimawandel und Anthropozän („Age of Man“) als Assoziationen nicht fern. Gleichzeitig ist die Wüste, aus der der Weg hinausführen soll, eine geistige: Unmündigkeit.
Nach dem Ende der ersten Strophe reduziert sich das Riff wieder auf seine Akkordfolge. Es klingt, als werde jetzt die Aufforderung, einen entscheidenden Schritt zu wagen, in einfachen Worten wiederholt. Mit einigem Anlauf gelingt so der Wechsel aus dem düsteren Fis-Moll des Intros und der Strophe ins strahlende A-Dur des Refrains – der Schritt ins Freie:
And as we came into the clear
To find ourselves where we are here
Who is the wiser to help us steer?
And will we know when the end is near?
Das Zeitalter des Menschen hat begonnen. Mit dem Licht der Aufklärung treten Fragen auf, die Orientierungslosigkeit wächst. Wo entlang führt der Weg, der vor uns liegt? Die Dunkelheit ist (noch?) nicht gebannt. Auf die Verunsicherung folgt der Rückgriff auf das, was sicher scheint: Liebe und der Wert jedes Einzelnen. Die „Fackel“ kann so übernommen, an die Emanzipation älterer Generationen kann angeknüpft werden:
A beauty lives in every soul
The more you love the more you know
They pass the torch and it still burns
Once children then it’s now our turn
[Refrain (2x)]
And as we came into the clear
To find ourselves where we are here
Who is the wiser to help us steer?
And will we know when the end is near?
Bei allem „Wir sind bereit“ und der Vorfreude, endlich Neues erleben zu können vermitteln Musik und Text auch Melancholie und Romantik – etwas (noch) nicht Bereites: Ein „Weiser“ soll helfen, den Weg aus der Verunsicherung zu finden, mit apokalyptischem Anklang wird das nahe „Ende“ beschworen. Ob es das Ende der Dunkelheit oder das Ende des Zeitalters der Menschen ist, bleibt unklar. Die beinahe Tolkien-hafte Epik der Musik unterstützt das Suhlen in der Mischung aus Endzeit- und Aufbruchsstimmung. Eher Verträumtheit als Entschlossenheit oder Durchhaltewillen ist herauszuhören. Das Problem jeder Revolution, der Tag danach, wird noch verdrängt.
Greta van Fleet scheinen zwar insgesamt ein eher naives, eher unpolitisches Weltbild zu haben. In Interviews gehen ihre Äußerungen meist nicht weit über „Love and peace for everyone“ hinaus. Trotzdem, oder gerade deswegen, haben sie als späte Millenials mit „Age of Man“ aus Versehen eine politische Hymne für ihre Generation geschrieben. Zumindest für die, die erkannt haben, dass sie im Anthropozän die Gesellschaft grundlegend verändern müssen, aber gerade erst beginnen zu verstehen, wie anstrengend das wird. Dem Schritt in die Mündigkeit folgen die Mühen der Ebenen, der Konflikt mit politischen Gegnern, der immer auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Lebenslügen sein muss.
Den überfälligen Konflikt mit den Mächtigen aus der Generation der „Baby-Boomer“ hat etwa „Fridays for Future“ aufgenommen. Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Mehrzahl der Streikenden mit eher romantischen Vorstellungen unterwegs ist und noch nicht erkannt hat, wie sehr auch ihr eigener Lebensstil in Frage steht: Dass klimafeindliche Konzerne einen zentralen Platz im eigenen Konsum einnehmen. Dass es mit „besserem“ Konsum noch lange nicht getan ist. Und dass die Bereitschaft, nicht nur sporadisch an Politik teilzunehmen, wieder wachsen muss.
In einem Verriss von „Anthem of the Peaceful Army“ auf „Pitchfork“ schwingt der Vorwurf dieser scheinbaren Harmlosigkeit mit, die der „Generation Z“ und den jüngeren Millenials gerne vorgehalten wird: „Greta van Fleet klingen, als ob sie Gras genau einmal ausprobiert, dann die Polizei gerufen und bis zu ihrer Selbstinhaftierung versucht hätten, ein Led-Zeppelin-Album aufzunehmen.“
Und tatsächlich wird die Generation der vier jungen Musiker aus Michigan laut Studien später erwachsen, zieht später aus, hat später und weniger Sex, trinkt weniger Alkohol und geht seltener auf Partys. Aber die Forschung zeigt auch: Die Generation der vier jungen Musiker aus Michigan denkt auch politischer als die älteren Millenials. Die großen Klimastreiks haben das bestätigt: Hier könnte eine Protestgeneration heranwachsen, die sich im „Menschen-Zeitalter“ dem verheerenden Einfluss der Zivilisation auf die Umwelt stellt.
„Age of Man“ und die Musik von Greta van Fleet insgesamt ist Sinnbild für diese Generation. Sie hat den Schritt ins Freie gewagt, aber den Weg noch nicht gefunden.