Glaube, um zu verstehen, und verstehe, um zu glauben!
Augustinus von Hippo
[von Don Alphonso] Endlich! Sonne! Schönes Wetter! Es funkelt der Schnee noch auf den Bergen, aber unten am See ist Frühling, die alten Tanten lächeln und freuen sich auf das nächste Lifting der winterschlaffen Haut, die Bräunungscreme ist ein nachgefragter Artikel, die Schwäne weisseln und die Blässhühner schiessen auf den Grund des Sees.
Nicht anders werden auch wir, die Romreisenden, hinabgehen in die dunkelgrünen und schlammigen Urgründe des Untersuchungsgegenstandes, denn natürlich verbleiben wir nicht am Tegernsee, sondern begeben uns in einen wahren Abgrund des katholischen Aberglaubens und lassen ihm alle gebührende Verachtung des aufgeklärten 21. Jahrhunderts zuteil werden. Nach einer kurzen Fahrt über den Achenpass erreichen wir auch schon das österreichische Inntal, und dortselbst die Karlskirche von Volders.
Auch Volders ist so eine barocke Sahneschnitte, direkt an der Autobahn nach Innsbruck gelegen, und tut in weiss und rosa mit vielen Kuppeln und Schnörkeln sehr unschuldig. Heiteres Barock, könnte man sagen, wüsste man nicht um die Geschichte dieses Baus: Ein Bollwerk der Gegenreformation auch sie, denn errichtet wurde sie auf eigene Kosten vom eifrigsten Verfechter der katholischen Sache im Inntal zu Zeiten des 30-jährigen Krieges: Hippolytus Guarinonius. Arzt, Gelehrter, Jesuit, Protestantenjäger, Antisemit. Niemand, den man heute noch als sozialverträglich einstufen würde. Die Kirche selbst ist einem anderen Extremisten geweiht: Dem Mailänder Erzbischof, Inquisitor, Hexenverbrenner, Gegenreformator und Pestheiligen Carlo Borromeo. Beide waren schon zu ihrer Zeit auch unter Katholiken nicht unumstritten, beide hatten ein Sendungsbewusstsein, das man heute, in aufgeklärten Zeiten, vermutlich mit dem Strafgesetzbuch kurieren würde. Das alles aber sieht man diesem Barockjuwel weder von innen noch aussen an.
Innen nämlich wird der Aberglaube simpler Menschen aufs Schönste gefördert. So wie mit diesem Bild des Carlo Borromeo, der sich in der schlimmsten Pestzeit in verseuchte Gebiete wagt, in denen es für die Menschen keine Hoffnung mehr gibt, und mit Messen und Hostien den Menschen Rettung vor dem unabänderlichen Tod bringt, auch wenn sein Gefolge sich entsetzt die Nase zuhält. Darüber können wir natürlich nur lachen, in unserer eigenen Krisenzeit, denn wir haben keinen Aberglauben. Wir haben wissenschaftlich begründetes Vertrauen, vom Applaus der Medien überzeugt, wir glauben lieber den Wirtschaftsweisen und der Bundeskanzlerin, die in die von der Absatzpest betroffene Opelregion reist und dort den Betroffenen in schwefelgelben Hemden die Hand zur Rettung reicht, egal wie wenig manche unverbesserliche Ungläubige bereit sind, an die segensbringenden Kräfte der sozialen Marktwirtschaft zu glauben.
Oder nehmen wir nur dieses Beispiel von Verniedlichung des Treibens des Katholizismus: Auf der Welt wurde gehasst und gefoltert, gebrannt und vertrieben, aber in der Kuppel von Volders findet man lichte Engerl, die einfach das Böse in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen in den Abgrund hinabstoßen, während darüber, nach erfolgreicher Schlacht, die Heiligen jubilieren. Da kann man sich nur schütteln in Zeiten wie den unseren, die problemlos mit diesen Subprimepapieren und anderem Giftmüll fertig werden, die man aus den Tempeln der Banken hinausschiebt zum Steuerzahler, auf dass in den Kuppeln der Türmen wieder frohlockt und mit schwarzer Tinte das Hosianna der Eigenkapitalrendite geschrieben wird. Und keiner muss natürlich darüber nachdenken, wie es überhaupt zu diesem Übel kommen konnte – ist halt passiert. Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen, sagt man in Bayern.
Im Eingangsbereich dann wirklich allerfinsterster Wunderglauben für die ganz Blöden: Der Stein des Gehorsams. Diesen armen, unaufgeklärten Würsten des 17. Jahrhunderts erzählte man die Legende, dass beim Bau der Kirche sich ein Brocken oberhalb des Weges beinahe gelöst und die Arbeiter darunter zerschmettert hätte, Hippolytus Guarinonius dagegen habe dem Stein im Namen des Herrn befohlen, stehenzubleiben – was dieser auch prompt tat. Später brachte man ihn in die Kirche, um den dummen Inntaler Bauern ohne Bildung zu erzählen, dass ein paar richtige Worte ausreichen, um eine Katastrophe zu verhindern. Und die glaubten das auch noch. Schwarze, schärzeste Zeiten, da man nur Phrasen und Worten solche Bedeutung zumass.
Wir setzen uns in den Sportwagen, schalten das Radio ein und vernehmen in den Nachrichten, dass nach Ansicht von allen Analysten und nach Meinung der in London zusammenkommenden Regierungschefs der G20 die Krise gemeinsam und erfolgreich gemeistert wird, dass die vereinte Kraft aller Nationen uns wieder zu Wohlstand und Wachstum führt, und mitnichten irgendwo ein System in sich zusammenstürzt und alles zerschlägt, was darunter ist, Arbeitsplätze, Firmen, Menschen, Schicksale, ganze Länder. Finden wir super! Und mit einem letzten, mitleidigen Blick auf die glücklicherweise längst ineffektiv gewordene Propaganda für zurückgebliebene Idioten fahren wir Aufgeklärten über den Brenner, nach Italien, wo mit Berlusconi der schönste Beweis für die Aufklärung von Politik und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts und laut seiner Fernsehsender zum Besten des Landes an der Macht ist.