Komm auf die Schaukel, Luise.
Offensichtlich sind wir alle mit einem grundfalschen Bild der Geheimdienste aufgewachsen. Ich erwarte da keine getäfelten Räume wie im Film beim MI6, und dass diese Leute attraktive Sexualpartner sind, würde ich auch nicht zwingend voraussetzen; den meisten würde vermutlich noch Lotte Lenya in der Rolle der Rosa Klebb noch zur Ehre gereichen. Aber zumindest hatte ich erwartet, dass deren Leben nun nicht gerade auf Unterschichtenniveau verläuft. Wie wir nun aber erfahren mussten, kann man einen veritablen Landesverrat schon für lumpige 25.000 Euro, also für einen kleinen Überziehungskredit bekommen. Und die Übergabe dieser knickrigen Abspeisung findet auch nicht in einer spannenden Verfolgungsjagd auf den Malediven statt, sondern irgendwo in Österreich. Entschuldigung, wenn ich da nachfrage, aber was für arme Schlucker beschäftigt der Staat eigentlich in den Diensten, dass die wegen 25.000 nach Österreich müssen und noch nicht mal Reisespesen bei den Amerikanern in Rechnung stellen können? Ich sehe da keine Spannung an exotischen Orten und keine hektischen Wettrennen, ich vermute eher so einen Opel-Astra-Leaser und eine gemietete 1.5 Zimmer-Wohnung in München-Perlach mit Küche im Gang.
Man wird sich wohl an die Vorstellung gewöhnen müssen, dass wir von grossenteils Leuten bewacht, kontrolliert und verraten werden, die man am Samstag die abgelaufenen Lebensmittel bei Aldi durchwühlen sieht. Wer dann noch die Russen um eine Handvoll Euro mehr anwinseln muss, der kauft seine Kleidung wohl eher bei Woolworth und beneidet heimlich die Dame hinter der Kasse um ihre Stellung. In gewisser Weise kann ich verstehen, dass die USA nicht mehr zahlen wollen: Als absackendes Schwellenland und unter dem Druck der chinesischen Herren können sie nicht mit dem Geld herumwerfen, zumal, wenn sie, wie Berichte sagen, auch noch 20 andere hungrige Mäuler in deutschen Ministerien stopfen müssen. Trotzdem, Menschen von Ansehen und Format tun so etwas nicht. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes: Wenn man sich schon kaufen lässt, dann doch wenigstens von Staaten mit minimalen Ansprüchen an Kultur und Menschenrechte. Kongo könnte ich noch verstehen, aber Geld von den USA in Österreich ist jenseits meiner Vorstellungskraft.
Weiterhin ist zu befürchten, dass es genau solche Leute sind, die aus ihrer Armut heraus anderer Leute spannendes Sexualleben ausschnüffeln. Schon bei der NSA wurde bekannt, dass es unter dem Stichwort „Love Intelligence“ Missbräuche der technischen Möglichkeiten gibt. Agenten schnüffeln aus Eigeninteresse in anderer Leute Sexualleben, und das muss einen nicht befremden: Mit 25.000 Euro können schliesslich auch die Landesverräter unter ihnen keine rauschenden Feste in Whirlpools mit Champagner feiern. Wir müssen also mit dem Schlimmsten rechnen und das heisst auch, dass Spanner-Amusement mit unserer unsere Onlinekommunikation für diese 25k-Klasse leichter zu bewerkstelligen ist, als sexuelle Extravaganzen, die Landesverräter im Film gemeinhin als Wüstlinge ausweist.
Kurz, wenn wir also, wie es heute üblich ist, mit Rechner und Mobiltelefon auf die Partnersuche gehen, müssen wir damit leben, dass uns über die Schulter geschaut wird. Möglicherweise nicht nur von jenen, die unsere Profile durchforschen, um uns eine zu unseren Vorlieben passende Person zu schicken, die uns umgarnt, damit wir nicht mehr die USA als das Kasachstan des Westens und die Entwicklung Englands als die Übelste aller Commonwealth-Kolonien bezeichnen. Mit etwas Pech werden wir nur Ziel von nach Kantinenessen riechenden Habenichtsen, die sich langweilen und sich den Kick für ihre kaputte Existenz holen, indem sie ihre Methoden und unsere mangelnde Vorsicht ausnutzen. Leuten, die sich in Österreich Geld übergeben lassen und dabei noch nicht mal einen Louis-Vuitton-Koffer bekommen, traue ich alles zu – schliesslich sind sie eine zwangsläufige Entwicklung einer Zeit, in der Geltungssüchtige ihre Kinder virtuell verkaufen, indem sie erst mit ihren Mutti-Apps herumprotzen und dann damit, dass sie das jetzt wieder bleiben lassen.
Ministerien kaufen deshalb wieder analoge Schreibmaschinen, und wir stehen nun vor der Frage, wie man früher eigentlich an Partner ohne die Netz und ihre Gefahren gelangte.
Da kann ich dank der Familientradition helfen: Mit einer nicht minder analogen Schaukel.
Also, zumindest bei uns hat sich das seit über 100 Jahren bewährt. Es ist nämlich so, dass vor dem Internet zur Geselligkeit in Bayern der Biergarten erfunden wurde. Der idealtypische Biergarten steht bei uns daheim gleich neben der dummen, kleinen Stadt an der Donau, und er ist noch so wie früher: Die Linden und Eichen spenden Schatten, die Tische und Stühle sind bequem, und damit die soziale Ordnung auch eingehalten wurde, gab es eine erhöhte Terrasse für die Prominenz, damit die alles sehen konnte. Dort oben sassen dann die besseren Familien. Rechts davon waren die Kegelbahn und die Kapelle und davor das gemeine Volk. Und natürlich waren oben auch achtsame Schwiegermütter, die darauf achteten, dass es zu keiner falschen Verbindung kam. So war das.
Aber der Biergarten ist gross und das Nationalgetränk der Bayern floss in Strömen, und weil keiner auf sein iPhone schaute, schaute man erst das Essen und dann die anderen an. Rein äusserlich konnte man schon beurteilen, wer denn am ehesten passen täte, und so nahm man mit den Blicken Kontakt auf. Die direkte Ansprache war ja nicht ganz leicht in einer Epoche, da man einander erst vorgestellt werden musste, um reden zu dürfen. Zudem betrieb die Gesellschaft selbst eben jene totale Überwachung, die heute an die Staaten und ihre 25k-Noagaldrinka ausgelagert wird. Hatte man sich lang genug angelurt, ging man unauffällig zur Schaukel. Und wenn der erwählte Partner angebissen hatte, dann ging der eben auch hinüber. Was konnte da schon passieren? So eine Schaukel ist doch ein harmloses Vergnügen. Die Frauen sassen auf dem langen Holzbrett und die Männer schoben an, vor und zurück wie ein Dampfhammer ging der Pfahl sausend durch die Luft, die Burschen schnauften und die Dirndl kreischten umd so kam das, dass man schon vorher erfuhr, was der jeweils andere zu geben bereit war. Wer heute bei okcupid oder Elitepartner die verschämten Angaben zu Körperfreuden liest, weiss sicher weniger als jene, die früher auf dem dicken Pfahl zugange waren. Sechs mal musste dieser Pfahl in den letzten hundert Jahren ausgetauscht werden, weil er durchgescheuert wurde.
Und wenn es gut ging und dabei etwas zu gut, weil es ja noch keine Pille gab, aber ausserordentlich schnelle Aufgebote, wenn es sein musste, gab es auch noch die Kapelle für die unauffällige Hochzeit und den Biergarten die Feier und eine zünftige Musikkapelle, die dann aufspielte, und so wiederholte sich das alles stets aufs Neue. Die einen bekamen Kinder und machten den Platz auf der Schaukel frei für andere. Möglicherweise war es insgesamt auch etwas lustiger als das Abgleichen von Profilen und das Bearbeiten von Bildern, die letztendlich nie so schön werden wie das gschamige Lächeln und das beschwipste Lachen im Schatten alter Linden.
Ich will das nicht zu sehr romantisieren, und natürlich ist das keine Option für all die biologisch-orientieren Veganer, die nicht ganze Schweine am Spiess durch den Biergarten getragen sehen wollen. Es ist auch nicht sonderlich privat, weil es tatsächlich noch immer in der Stadt die Runde macht, wer mit wem auf der Schaukel sass, und das letzte Mal war da neben mir eine Mutter aus Berlin mit zwei Kindern auf der Durchreise – das gab Gerede. Aber es bleibt unter uns, es zieht keine weiten Kreise, das Internet erfährt davon gar nichts, nirgendwo treibt sich dort ein Agent eines Dienstes herum, der ausschnüffelt, was da auf dem nunmehr siebten Balken besprochen wurde. Mag der Ministeriumsangestellte also wieder die Stahllettern in das weiche Papier hämmern und der Geheimdienstler seine Kantine aufsuchen – wir bleiben unter Eichen und Linden auf schwankenden Brettern, und wenn wir mit der Frau eines anderen erwischt werden, reden wir uns darauf hinaus, dass es eine Schande für’s Vaterland wäre, würden wir denen nicht zeigen, wie man die Sache in Bayern traditionell schaukelt.
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