Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Identitäre Bewegungen in Dirndl und Lederhose

I bin a Bauasbauanbua Bauasbua Bauasbua
La Brass Banda

KRCKS machte die Feder, und das Auto sackte vorne wirklich etwas ab. Dabei bin ich gar nicht schnell gefahren, das Loch in der österreichischen Strasse war nur so tief wie die Bückhaltung der Kanzlerin vor Sultan Erdogan bei der Ablieferung des Tributs, und Sportfahrwerke, das erklärte mir der Mechaniker, stehen unter hohem Druck. Federn wie die, die ich brauche, brechen oft. Sie hätten sie gar nicht auf Lager, das würde Tage dauern. Ich könnte aber schon noch weiter fahren, nur nicht so schnell. Vor mir lagen noch zwei Pässe und ein Auftritt auf einem Podium. Ich kam direkt vom Tegernsee und war noch ortstypisch bekleidet, was ohne Federbruch eigentlich egal ist – ich hatte ja ein schnelles Auto und Hotelzimmer zum Umkleiden. Aber die Feder kostete mich 2 Stunden, und so brannte ich feuerspuckend wie Merkel dann heute Abend nach den Wahlergebnissen ein Höllenengel über die Pässe und erschien so, wie man bei uns daheim angezogen ist. Mit einer warmen, weichen Miesbacher Joppe, über und über bestickt.

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Ich habe damit kein Problem. Eine ganz ähnliche, kurze Jacke mit Ausblick auf das männlich-straffe Sportfahrgestell gab es in meiner durchgetanzten Jugendzeit auch von Thierry Mugler. Das, was heute als hochgeschlossener Lodenjanker gilt, schneiderte Jean-Paul Gaultier, und ich bringe es bis heute nicht über das Herz, diese Kostüme der Orgien und der Liebe.zu entsorgen. Nach meiner Vorgeschichte auf den Boxen des Parkcafes ist es mir herzlich egal, ob ich angeschaut oder angefasst werde. Es macht mir nichts aus, wenn ich auffalle, “Schamlos“ ist mein Zweitname, und ich wäre bei der Debatte nur gern neutral gekleidet erschienen, weil es um meine Tätigkeit für die FAZ ging. Aber so war es eben und da sass ich dann mit meiner kurzen, boleroartigen, reich bestickten und flauschigen Joppe und neben mir eine schlanke Frau aus Berlin, die die Joppe anfasste. Und fragte, wo die denn her sei und was die Stickerei bedeuteten.

Ich hätte sagen sollen, dass ich sie als Geschenk von einem Dorfältesten der Uiguren bekam, als ich über deren Fluchtursachen recherchierte. Oder dass sie ein altes Stück von Mugler ist, mit dem ich früher das Glockenbachviertel – hmhm, jaja, genau das darkgeroomte Sündenviertel – und das Morizz unsicher machte. Dass ich sie von einer indigenen Schneiderin aus Kanada über Etsy bezogen habe. Alles wäre besser gewesen als die Wahrheit: Dass ich vom Tegernsee komme, dass der Jäger Karl aus Miesbach diese Joppen seit hundert Jahren so macht, dass sie bequem sind und die Stickerei – nun, das sind deutsche Eichenblätter, aber man kann auch Enzian, Edelweiss oder Ahorn haben. Oder Hirsche und Gämsen. Das erzählte ich treudoof, und ihre Hand zuckte zurück, als hätte sie die Joppe gebissen. Die Kleidung war also gar kein Ausdruck einer Diversity, die der Norm widerspricht: Das war Tracht. Gerüchteweise gibt es das nur noch im Musikantenstadl, und hier nun sass es neben ihr und schämte sich auch nicht.

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Wenn jetzt durch die Medien der Aufschrei ertönt, weil ein Unternehmer Blech im Gesicht ablehnt und ordentliche Hosen verlangt, dann ist das ein offener Streit zwischen gültigen Normen. Die eine Norm wird von Privat-TV und Online-Portalen gefeiert, die andere gilt Wirtschaftsmedien als unverzichtbar. So weit komme ich mit meiner Joppe gar nicht mehr. Es gibt uns nicht mehr. Wir tauchen nirgendwo auf, wir werden allenfalls als schräge Subkultur aufgefasst und nicht das, was wir wirklich sind: Träger von Kleidung, die so ist, weil sie zur Natur und zum Klima passt. Wenn ich in der kleinen, dummen Stadt an der Donau bin, kann ich Cashmeremäntel tragen. Am Tegernsee gibt es Schneestürme, in denen ich damit erfrieren würde, und Regentage, an denen man ohne Jägerhut und Lodenmantel besser gar nicht vor die Tür geht. Auch für mich war das eine harte Lektion, aber ich habe es begriffen. Das führt dann zu Verhaltensweisen, die die Generation Primark nie verstehen wird, wie etwa dem Trachtenmarkt der Neurether in Gmund am Tegernsee, von dem Sie – im Gegensatz zu Modemessen in Berlin und Hamburg – noch nie etwas gelesen haben. Und sich auch gar nicht vorstellen können, was das ist. Owa epa kimmds.

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Die Neureuther sind der hiesige Trachtenverein, benannt nach dem Berg, der Gmund im Süden abschliesst: Die Neureuth. Einmal im Jahr hängen diese Neurether alles, was nicht mehr passt, was vom verstorbenen Opa kommt, was durch neue Tracht und Dirndl ersetzt wird, auf Kleiderbügel, und bringen es in den Neureuther Saal. Und wer da nicht pünktlich um elf Uhr mit einem Riesen Haufen anderer Leute vor der Tür steht, geht leer aus. Ganz Gmund ist vollgeparkt mit SUVs, Cabrios, S-Klassen und sogar Autos von Schadmünchnern. Niemand hätte es finanziell nötig, sich in einem Saal, auf dessen Bühne die Kinder toben, mit anderen um getragene Stöpselhüte, Mieder, Fuchsfelle, Janker, Mäntel und Schürzen zu streiten. Aber die Neureuther haben das “guade Sach“, sie haben Schneiderarbeiten vom Jäger Karl und von der Sanktjohanserin aus Kreuth und all den anderen, die hier wirklich noch schneidern und nicht nur verkaufen: Da gibt es kein Halten. Da wird Fleisch in Dirndl gestöpft, dass man gar nicht weiss, wo man hinschauen soll. Da reicht die Schlange einmal um den ganzen Saal, wenn die Beute bezahlt wird. Das sind nicht nur die Alten, sondern auch die Jungen. Besonders viele junge Frauen „jeder Art und Sorte“, wie es bei Don Giovanni so schön heisst.

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Es hat in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit Fetisch-Subkulturen. Meine Co-Autorin Despina Castiglione erzählt mir manchmal wüste Geschichten, wie welche Neigung erfüllt werden will: Das kenne ich. Hier müssen es echte Hirschhornknöpfe sein. Natürlich hasse ich Body Modifications. Aber ich habe mir einen schwarzen Janker für festliche Anlässe gekauft, der hinten einen Gurt hat: Da ist ein Tribal auf der Höhe eingestickt, wo bei anderen das Tattoo sitzt Sie können hier stundenlang über Säcklernähte sprechen, und warum bei uns die Stickerei auf der Lederhose grün sein soll: Alle Anzeichen, die man von anderen Subkulturen so kennt, sind hier anzutreffen. Die Abgrenzung. Die Rollenspiele. Und ihre kunstgerechte Durchbrechung. Aber echt muss es sein, authentisch und niemand anderes soll es haben. Vereint in den Normen, aber individuell in der Ausprägung. Das war in meiner wilden Jugend auch nicht anders. Es gibt Diversität innerhalb von Gruppen und – zumindest sollte es in der Folge so sein – Diversität der Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Erst die eigene kulturelle Identität erlaubt es, die Diversität aller zu akzeptieren.

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In Wirklichkeit ist es aber eher so, dass der Teil, der Diversity predigt, damit nur die Gruppen bevorzugen möchte, die ihm passen. Die anderen werden marginalisiert, verschwiegen, ausgegrenzt. Für Regionales gibt es jenseits der Lokalmedien eine Quote, und es ist die Nullquote. Man hört liebend gern den Geschichten der Migranten zu und fordert, die Deutschen müssten sich in ihre vielfältigen kulturellen Eigenheiten integrieren, aber diese Toleranz endet, wenn in den Medien Bilder von Gamsbärten oder Politikerinnen mit Dirndl auftauchen. Das machen bis weit in die CDU hinein Kreise, die keine kulturelle Identität mehr brauchen, weil die Ideologie ihren Platz eingenommen hat – der eine lehnt das Land mit “No borders, no nations” ab, der andere mit TTIP und CETA. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die innerdeutsch-progressiven Gruppen so gut wie keinen Kontakt mehr zur Provinz haben, dass es kaum Wanderer zwischen den Welten gibt, und wenn doch, dann müssen sie mit Sanktionen für ihre Herkunft leben. Auf die Heimat kann man in Deutschland schimpfen, aber nie sagen, dass die andere Gruppe überhaupt nicht so verbohrt ist, wie man ihr das nachsagt.

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Weil da neben Dirndl und Janker auch Einladungen des von den Kirchen betriebenen Asylhelferkreises hängen. Für eine Einführungsveranstaltung über den Islam. Damit man die Lebenswelt der Flüchtlinge besser versteht. Ich weiss nicht, ob so etwas bei der Berliner Modewoche hängt, vielleicht sind die dort auch alle schon so aufgeschlossen, dass sie wie der Justizminister finden, dass das islamistische Regime der Türkei einen Platz in Europa verdient. Aber bei uns jedenfalls hängt diese schlichte Einsicht in die eigenen Defizite auf dem Trachtenmarkt neben der Einladung an Kinder, zum Volkstanz zu kommen. Ganz einfach. Die Leute schleppen das guade Sach zu ihren Autos und freuen sich auf den Frühling, wenn sie wieder draussen sitzen und den Lodenmantel gegen Dirndl und kurze Hosen tauschen können. Es läuft hier nicht jeder so rum, an den Feiertagen mehr und beim Baden weniger, aber es ist Teil der kulturellen Identität, und daher ist der Trachtenmarkt der Neureuther wichtiger als die Modemesse in Berlin. Das ist hier so, in Tölz, Berchtesgaden, eigentlich überall in der Provinz, vor der manche Politiker inzwischen inzwischen Angst haben. Es ist eine Angst, die man mit Chrystal Meth und Medien bekämpfen kann, die das Land in gute Fortschrittliche und böse Reaktionäre teilen. Der richtige Deutsche darf so eine kulturelle Identität nicht haben, und sie darf auch nicht mit deutschen Eicheln bestickt sein, denn das ist viril und sogar sexuell anspielend – Kenner wissen, was die deutsche Eiche in München ist.

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Flüchtlinge sind da eine nette Scheindebatte. Eigentlich geht der hochtoxische Streit um Identitäten und entfremdete Normen, und langsam habe ich Zweifel, dass sie zusammen kommen werden. Da sehe ich schwarz. Die Berliner Autorin, die allergisch auf meine Joppe reagierte, musste jedenfalls nachher mit dem Bus zum Hotel fahren, ich sah sie im Vorbeifahren an der Haltestelle.