Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Heiko Maas und das Lob für die Denunzianten

Natürlich lässt sich kein Medium gern als Lügenpresse bezeichnen.

Aber am 29. Februar versuchen aufgehetzte Migranten im griechischen Idomeni, den Grenzzaun in Mazedonien gewaltsam zu durchbrechen. Sie gehen mit Rammböcken gegen die Befestigung vor, bringen sie zum Einsturz, und werden unter Einsatz von Tränengas zurückgedrängt. Die Bilder von wütenden Männer mit Stangen gehen um die Welt. Auch die Berliner taz könnte eines dieser Bilder bringen. Statt dessen zeigt sie zwei bunt bekleidete Kinder vor schwarz gepanzerten Polizisten.

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Bildunterschrift: Die Polizei scheut keine Mittel, um die Geflüchteten abzuhalten

Das Bild stammt auch aus Idomeni. Nur hat es mit den Ereignissen nichts zu tun. Es ist schon älter und das preisgekrönte Unicef-Bild des letzten Jahres, aufgenommen im August, und die Unicef beschreibt den Vorgang so:

Es ist der 21. August 2015, als es an der griechisch-mazedonischen Grenze zu dieser traumatischen Situation für zwei Flüchtlingskinder kommt. … Um das Herz der mazedonischen Grenztruppen zu erweichen, schicken manche Flüchtlinge Frauen und Kinder in die erste Reihe. Von hinten schieben die Massen nach, Kinder werden von ihren Eltern getrennt, teils auch von Fremden an die Hand und über die Grenze mitgenommen – während die Angehörigen nicht nachkommen können.

Es gab dort keinen Tränengaseinsatz, die abgebildeten Kinder dürften inzwischen seit Monaten bereits in Mitteleuropa sein, sie werden nicht zurückgedrängt – das Bild hat jenseits des Ortes mit den Nachrichten vom 29. Februar nichts zu tun. Aber die taz erfindet lieber diese Kinder vor bedrohlichen Polizisten neu, als die Wahrheit mit den Bildern der Migranten mit Rammböcken zu zeigen. “Archivbild“ schreibt die taz unter ihre Fälschung. Ganz klein.

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Das ist dreist. Aber es passt zu dem, was man so erlebt, wenn man sich mit der Thematik momentan ernsthaft auseinander setzen will. Nach den Verbrechen von Köln nahm der Twitteraccount xyeinzelfall seine Arbeit auf, der Medien- und Polizeiberichte nach Straftaten absucht. Die Autoren sind sicher keine Befürworter der Migrationspolitik, aber sie halten sich an das, was als gesichert gelten kann, und erstellen eine Karte. Diese Karte gab es bislang nicht, und sie ist für viele Journalisten ein Hilfsmittel bei der Recherche – so wie die Hoaxmap, die Gerüchte über Flüchtlinge entkräftet oder die Karte, die die Amadeu Antonio Stiftung zu mutmasslichen Angriffen von Deutschen auf Asylbewerber und ihre Einrichtungen erstellt. Die Einzelfall-Karte rundet das Bild ab. Was jetzt noch fehlt, wäre eine Karte, die die Hoaxes gegen Deutsche sammelt – man erinnere sich an die Handgranate, an den toten Lageso-Syrer, oder an den Pakistani, der am Tegernsee einen Anschlag auf sich nur vortäuschte – ironischerweise sind nämlich die deutschen Gerüchte über den Fall bei Hoaxmap verzeichnet, nicht aber der Umstand, dass die bundesweit durch die Presse geisternde Ausgangslage ein pakistanischer Hoax war.

Das alles gehört zu einer umfassenden Darstellung der Lage, und eigentlich kann man als Journalist froh sein, wenn man mit einem Link auf eine sauber recherchierte Karte die Leser umfassend über Vorgänge informieren kann.

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Ich habe das letzthin gemacht – was soll da schon passieren, es sind ja nur Polizeiberichte, wir leben in einer Demokratie, warum sollte man sie nicht lesen – und wurde Zeuge eines Lehrstücks in Sachen Denunziation. Das fing mit Kommentaren an, die mich wüst wegen der Verlinkung beschimpften. Das sei eine Nazikarte, das dürfte nicht sein, das sei unseriös, ich sei selbst ein Nazi… man kennt das, man löscht das. Dann trudelte bei mit eine Mail ein. Eine wirklich lange Mail, die mir zu erklären versuchte, warum das nicht seiu darf. Der angebliche Leser, von dem ich noch nie zuvor gehört habe, forderte mich auf, den Link zu entfernen “da die Seite mit Sicherheit dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen“ sei. Das ganze gipfelte im Passus

“Also bitte ich Sie, sich das noch mal anzuschauen und die Verlinkung von faz.net entfernen. Die Online-Redaktion hatte mich gebeten, mich mit Ihnen in Kontakt zu setzen, da sie ebenfalls kein Link zu rechtsextremen Seiten wünscht und duldet. “

Nun arbeite ich ja schon etwas länger für die FAZ, und bislang war es stets so, dass die FAZ offene Fragen mit mir selbst klärte. In diesem Fall gab es keine offene Frage – der Autor der Mail hat zuerst bei der FAZ angerufen, dort versucht, mich zu denunzieren und die Löschung des Links zu erwirken. Erst als er dort abblitzte, hat er es auf diese Art dann noch bei mir versucht. Natürlich hat niemand diese Person aufgefordert, mir irgendwas zu sagen. Aber als Journalist muss man sich wirklich wundern, warum so ein Link zur Visualisierung von Polizei- und Medienberichten plötzlich solche Angreifer am Telefon, in der Mail und in den Kommentaren auftauchen lässt. Als ich das erste mal auf den Twitteraccount verlinkte, störte es noch niemanden.

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Der kreischende Mob wurde diesmal mutmasslich vom Projekt “Perlen aus Freital“ losgetreten. Die Macher betreiben ein Portal, das rechtsradikale Facebookpostings sammelt, mit den persönlichen Daten der fraglichen Autoren zusammenbringt, und versucht, ihnen persönlich und beruflich Probleme zu bereiten – ich habe das früher schon kritisch dargestellt. Man kennt diese Taktik bezeichnenderweise von Linksextremisten, die in der Realität das Umfeld missliebiger Personen “informieren“ – Perlen aus Freital übertragen das ins Netz. Auf Twitter riefen die Macher nun dazu auf, die Einzelfallkarte bei Google zu melden. Ohne Begründung.

Die Perlen selbst klagen, wenn ihre Arbeit auf Facebook behindert wird; hier nun machen sie sich ähnliche Methoden zu eigen. Als ihr eigener Facebook-Account jüngst suspendiert wurde, war die Empörung gross. Ein Blick in die AGB lässt ahnen, warum Facebook den Stecker zog: Die Macher sind anonym und juristisch nicht greifbar, und nehmen bei ihrer Jagd keine erkennbare Rücksicht auf Urheber- und Persönlichkeitsrechte. Ausserdem betreiben sie das alles inzwischen mit Gewinnerzielungsabsicht, und das in einer Form, die über den Tausch von Gutscheinen etwas an Geldwäsche erinnert. Käme es zur Klage oder Abmahnung eines Betroffenen, wäre Facebook als Publikationsplattform direkt betroffen. Man sollte eigentlich denken, dass Juristen die Problematik solcher anonymer Pranger auf Plattformen Dritter verstehen, schliesslich wurde Marc Zuckerberg genau deshalb von der deutschen Politik unter Druck gesetzt, etwas zu unternehmen – aber nein, Bundesjustizminister Heiko Maas setzte sich persönlich bei Twitter für die Perlen ein:

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Nette Worte kamen auch von anderen Prominenten der Berliner Republik. Mit dieser moralischen Unterstützung ziehen die Perlen dann am nächsten Tag in den Kampf gegen die Macher der Einzelfallkarte. Auch wenn die Karte nur öffentlich verfügbare Informationen sammelt, wird zur Denunziation bei Google aufgerufen. Und wer – wie ich – die Karte verlinkt, bekommt dann eben böse Kommentare und Mails, nachdem telefonisch schon bei der Redaktion interveniert wurde. Das macht das politische Umfeld, für das sich der Bundesjustizminister persönlich verwendet. „Eine Zensur findet nicht statt“ steht im Grundgesetz, aber der Kampf um die Meinungshoheit im Netz kennt andere Regeln.

Ist das ein Einzelfall? Ein Antifa-Anhänger, der sich @gltzrsckchn nennt, ist bei Twitter begeistert über das, was sein Deutschlehrer im Umgang mit mutmasslichen Gegnern empfiehlt – eben das schon von den Perlen bekannte, wörtliche “Denunzieren”. Er veröffentlicht ein Photo des Merkblatts, das da scheinbar im Unterricht einer Abiturklasse verteilt wird. Dem Vernehmen nach in der Region, die früher die DDR war und sich wohl gewisse Eigenheiten im Umgang mit Andersdenkenden bewahrt hat.

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Die Perlen aus Freital, für die sich Bundespolitiker einsetzen, finden es prima, im Unterricht empfohlen zu werden.

Das alles kommt mir nur so nebenbei unter. Es zeigt, was man auf Seiten der angeblich “Guten“ und “Hilfsbereiten“ zu tun bereit sind, um dem eigenen Standpunkt Geltung zu verschaffen und die Gegner unter Druck zu setzen – mit Unterstützung von höchster Stelle. Vom Bilderwählen über die Anrufe beim Arbeitgeber bis zur gemeinschaftlichen Denunziation bei Google wirkt das auf mich schon etwas wie die realitätssozialistische Konstruktion der DDR – speziell wegen der Dreistigkeit und Offenheit, mit der das durchgezogen wird, vielleicht auch in der Erwartung, dass die Betroffenen schon kuschen und den Mund halten werden.

Manchmal geht das gut. Manchmal muss sich ein Bundesminister aber auch öffentlich fragen lassen, warum er die Ziele und Methoden solcher Leute unterstützt.