Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Gleiche rechtsflexible Scharia für alle

Auf fünf Trips kommt ein Horror-Trip, und vier gute; das muss man in Kauf nehmen.
Albert Hofmann

Es geht mir gut. Wirklich. Ich bin kerngesund, mir fehlt nichts, und ich lese auch regelmässig Zeitung. Nachfragen, was mit mir los ist und warum ich nichts sage, sind freundlich, aber unnötig. Ich bin über den Stand der rotrotgrünen Verhandlungen in Berlin bestens informiert. Und ich bedaure es ausserordentlich, alle enttäuschen zu müssen, die an dieser Stelle eine Horrorvision der Zukunft jenes Spreesumpfes erwarten. Es wird das nicht geben, denn einerseits ist schon die Gegenwart übel genug, da kann man nicht mehr viel kaputt machen – und andererseits: Manche Pläne finde ich wirklich gut und kulturhistorisch schlüssig.

goerlc

Dass das Modell von Schariahain-Khomeniberg zur Zensur freizügiger Werbung nun auf allen städtischen Werbeflächen übernommen werden soll, und die Hauspresse jubelt: Mei, das hat in arm-aber-frigide-Berlin Tradition. Nach den Roaring Twenties mit ihren Bananenröcken versuchte man auch ab 1933, wieder das sitt- und tugendsame Frauenleitbild in den Vordergrund zu stellen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass es heute noch jemand wagen würde, anrüchige Chansons von Walter Mehring auf dem Mehringdamm zu singen. Nackte Brüste sind für Werbebotschaften vermutlich nur noch dann willkommen, wenn Bomber Harris für einen Luftangriff auf die Stadt gedankt werden soll. Ansonsten geht es gendersittsam wie unter der Burka zu, und mit irgendwas muss man die Tugendwächter der eignen Parteien beschäftigen. Der Berliner ist es gewohnt, monatelang auf seinen Amtstermin zu warten, wie im Nahen Osten, da kann er ruhig noch etwas länger warten, während der Tugendausschuss vertretbare Rocklängen und sexy Lächeln durch Expertinnen der Genderlehrstühle untersuchen lässt, oder wie immer dort die Definition von sexistischer Werbung erarbeitet wird.

Aber so ist es nun mal: Weit sind wir mit der Aufklärung gekommen, und so tief kann man nun wieder in archaisches Denken zurück fallen. Lüsterne Blicke auf Bikinischönheiten sind so erwünscht wie in Kabul, da kann es auch nicht überraschen, wenn im Failed Kalifat nach dem Versagen von Recht und Ordnung auch der Friedensrichter im Sinne des positiven Rechts gerufen wird. Der erste öffentlich bestellte Friedensrichter ist für den Drogensumpf im Görlitzer Park zuständig, den man auf nicht bayerische Art von Dealer zurückerobern wollte. Dort gibt es statt dessen nun den Parkmanager, der einen gerechten Ausgleich zwischen allen Gruppen von Anwohnern und ihren Kindern über echte Gewerbetreibende bis hin zu Dealern schaffen soll, die in der Diktion des Bezirks nicht als verhärtete Drogenmafia meist westafrikanischen Ursprungs mit hoher Gewaltbereitschaft beschrieben werden. Wie in Clangegenden von Pakistan wird nun akzeptiert, dass es eben diese Erscheinung gibt, und nun wird überlegt, wie man sie so gestaltet, dass alle damit leben können und ihr teilweise steuerbelastetes, teilweise steuerfreies Dasein geniessen. Sicher, gewerbsmässiger Drogenhandel ist laut Gesetz illegal, aber man kann das ja auch mal eine Weile ignorieren und schauen, ob es nicht informelle Lösungen gibt, die der Integration und dem Ausgleich förderlich sind.

goerlb

Lebte ich in Berlin und hätte ich Kinder und wäre ich nicht mit dem Ärger ob der dortigen bildungsfernen Bildung völlig ausgelastet – ich würde mich vermutlich empören. Aber ich lebe kinderlos in Bayern und meine Tante B. pflegte mir von ihrem Urgrossvater S. zu erzählen. Denn S. war Landrichter und wurde vom Königreich Bayern in eine sehr urwüchsige Region versetzt, um dem damals noch neuen Recht des aufgeklärten Staates Geltung zu verschaffen. Heute mag Richter ein angesehener Beruf sein, aber damals war der S. ein Fremdling, der nicht verstand, dass die Leute dort alles selbst nach Gewohnheits- und Faustrecht regelten, und manchmal auch mit dem Stutzen oder Schmierung an der richtigen Stelle. Manchmal entschied der Pfarrer Streitereien, oder der Baron – niemand brauchte einen Landrichter wie den S., der sich dann aber mit der richtigen Mischung aus Gerissenheit, Rechtsflexibilität und Gewalt durchsetzte. Es wurde auch auf ihn geschossen, aber so war das damals und man kann nicht wissen, was heute einem  Berliner Richter passieren würde, wagte er es, der Frauenvolksheldin Gina Lisa in der Revision nicht das Recht zu sprechen, das die Politik gern hätte.

Man sieht aber am Landrichter S., dass auch bei uns der rechtlose Zustand, der in Berlin gerade wieder Einzug hält, gar nicht so lang her ist. Ausserdem kam das bayerische Volk auch von ca. 500 bis 1870 bestens mit Strukturen zurecht, die informellen Ausgleich suchten und alle Interessen ohne kleinliche Paragraphenreiterei berücksichtigten. Oh, bitte, es ist nicht so, dass ich in jene graue Vorzeit zurück möchte. Ich finde es sehr angenehm, dass Bayern bei der Mafia aus Gambia keinen guten Ruf hat, und Verbrecherbanden aus dem Balken aufgrund der hiesigen Verfolgung lieber in Nordrhein plündern und in Westfalen räubern. Aber auch mein gelobtes Bayernland hat den ein oder anderen kleinen Bereich, wo man, speziell im Tegernseer Tal, Pilotprojekte wie in Berlin unternehmen könnte. Es gibt da nämlich zwei Dinge, die ebenso verbreitet wie Kiffen sind, und da muss man einfach sagen, dass der Staat keine zeitgemässe Politik mehr macht.

goerld

Der eine Punkt sind Geschwindigkeitsübertretungen. Letzte Woche hat es erst den Schorsch erwischt, weil er mit Tempo 90 nach nach Waakirchen hinein gerollt ist. Der Schorsch hatte eine dringende Besprechung in Bad Tölz, und weil es nun schon das zweite Mal in Anno Domini 2016 ist, ist er seinen Führerschein los. Dabei will der Schorsch doch nur überleben und dabei hat er es halt eilig. Was soll er denn sonst tun, wenn so viele Schleicher unterwegs sind. So wie dem Schorsch geht es vielen, am Sudelfeld, am Achenpass, eigentlich macht das jeder und die Polizei wird das trotz Radarkontrolle nie in den Griff bekommen: Da wäre doch so eine Art Verkehrsfriedensrichter sinnvoll, dem wir auch so ein rotes Rad geben, und der am Strassenrand winkt und sagt, wir sollten doch langsamer fahren. Man kann doch darüber reden. Man sollte uns nicht mit Rasern in Städten vergleichen, das hat miteinander so viel zu tun wie Gelegenheitshaschen mit Heroinabhängigkeit – da haben wir auch etwas dagegen, wir rasen nachhaltig und bio. Aber nun wird der Schorsch von den Strassen des Oberlandes vertrieben, während die Dealer an den Wegen des Görlitzer Parks bleiben dürfen. Das muss sich ändern. Der Verkehrsfriedensrichter könnte bei 20km/h Übertretung unverbindlich raten, doch auch mal mit dem Rad zu fahren. Ab 40km/h gibt es eine Zwangspause in der Ostiner Stubn oder bei Pirochs, und bei Schweinshaxe und Hirschgulasch wird versucht, den Rasern die Freude des legalen Verweilens nahe zu bringen.  Ein Ausstiegsangebot wie in Berlin. Man muss doch auch einmal die Lage der S-Klassen-Besitzer sehen: Bei mehr als 4 Liter Hubraum kann man nicht anders. Und ausserdem ist so eine Region dann auch eine Art Touristenattraktion. Zum Vergleich: In Berlin ist angedacht, Drogennutzern den Führerschein nicht mehr automatisch zu nehmen.

Der andere Punkt ist die Steueroptimierung. Normal wie Kiffen, irgendwie verständlich, und von irgendwas muss so ein Tegernseer auch leben. Vergessen wir das mit der Steuererklärung, stellen wir Steuermanager ein, die dazu beitragen, das Verhalten in akzeptable Bahnen zu bringen. Vielleicht nicht mehr den 1928er Bentley auf der Strasse stehen lassen, wo der zur Schau gestellte Reichtum andere empören könnte. Überdacht und als Stall getarnt fällt ein grosses Schwimmbad gar nicht mehr so auf. Der Staat soll sich mal bei den kleinen Eigenbedarfbehaltern locker machen, es geht da nicht um die Milliarden, die ein Oettinger verteilt, wenn er nicht gerade Leute beleidigt, Das sind doch nur Petitessen, wer wird denn da gleich knallharte Spitzensteuersätze einfordern wollen. Wenn in Berlin Razzien vermieden werden, geht das sicher auch bei uns. Man kann es ohnehin nicht verhindern, so sind sie halt. Ich bin mir sicher, alle Bewohner im Tal finden eine Lösung, die uns allen einen gewissen Freiraum und harmonisches Zusammenleben lässt. Es wäre natürlich akzeptabel, einen radelnden Fiskusmanager zu haben, der durch den Dienstboteneingang kommt und darauf hinwirkt, dass man ab und zu auch an die Gesellschaft denken sollte. Auch an den Staat, klar, warum denn nicht. Vielleicht helfen auch Ausstiegsangebote: Botschafterposten, EU-Ämter oder Spitzenpositionen im Energiesektor werden sicher den ein oder anderen einsichtig machen, dass es auch anders geht. Wenn man in Berlin humanistisch mit Dealern aus Afrika ist, kann man bei uns etwas Verständnis für die Zwangslagen der Opfer staatlicher Fiskalverfolgung aufbringen.

goerla

Natürlich ist es nicht ganz formschön, bei derlei Anliegen einer Region die primäre Gesetzesaufweichung zu überlassen, die als das Kabul des Westens in die Geschichte der neuen deutschen Teilung eingehen wird. Aber wie schon erwähnt, nur die grundsätzliche Entscheidung, ausserhalb der Legalität sanft und freundlich zu regulieren, kommt von dort: Unsere Umsetzung dagegen ist urbayerisch und in höchstem Masse traditionell, Sie erinnern sich vielleicht an den ein oder anderen Waffenlobbyisten oder Bäderkönig. Lange hat es gedauert, uns das auszutreiben, aber wenn es nun wieder als zukunftsweisende Idee beim Umgang mit nichtsowirklichlegalen Strukturen gilt, weil es jeder macht und man doch auch mal die Lage der Leute sehen muss… ja dann…

Also, ich glaube, das lernen wir alles ganz schnell wieder, und die Junge Union hat sicher genug Personal, um die Posten von Bleifuss- und Steuertrickmanager mit erfahrenen Leuten zu besetzen, die voll integriert auch die Sprache der Menschen verstehen. Gleiches Recht für alle, gleiche Rechtsflexibilität für alle, und wenn auf vier gute Trips in Bayern ein Horrortrip in Berlin kommt, dann ist es eben so.