Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Alles nur zum Schein

Studenten genießen viele Vorteile, vom günstigen Nahverkehr bis hin zu reduzierten Tarifen bei Krankenkassen. Deshalb schreiben sich viele für einen Studiengang ein, an dem sie gar nicht interessiert sind.

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Nicht alle Immatrikulationen sind ernst gemeint.

Während ihrer Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin schreibt sich Hanna an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz für den Studiengang Philosophie ein. Nicht um Vorlesungen zu besuchen oder Klausuren zu schreiben, sondern wegen des Semestertickets. „Weil ich während meiner Ausbildung ein Jahr lang nichts verdient habe und mir das reguläre Ticket deshalb nicht leisten konnte, habe ich die Möglichkeit genutzt“, erklärt sie.

Das Semesterticket der Mainzer Universität ist auch in Frankfurt und Umgebung gültig, wo Hanna ihre Ausbildung macht. Da die Semestergebühren in Mainz niedriger sind als jene in Frankfurt, fällt ihr die Wahl leicht. Zu Beginn jedes Semesters überweist Hanna der Universität 322 Euro Semestergebühren, 1358 Euro weniger als für sechs reguläre Monatstickets im RMV-Gebiet.

Anspruch auf Kindergeld

Nicht nur Studieren liegt im Trend – auch so zu tun als ob. Einige schreiben sich als Fake-Studenten ein, andere vergessen nach ihrem Abschluss mit Absicht ihre Exmatrikulation. So auch Sophie: „Ich habe mein Studium abgebrochen und stattdessen angefangen zu arbeiten. Mein Studententicket nutze ich weiterhin, wer weiß, vielleicht will ich eines Tages ja doch wieder studieren“. Ein Scheinstudium lohnt sich aber noch aus anderen Gründen: Studierende können Museen und Theater vielerorts ermäßigt, teilweise sogar umsonst besuchen. Und wen das nicht reizt, den locken Rabatte in Fitnessstudios, Bars, beim Einkaufen oder das günstige Zimmer im Wohnheim.

Ein Studium kann zudem den Anspruch auf Kindergeld bis zum Ende des 25. Lebensjahrs aufrechterhalten. „Das sind immerhin 200 Euro im Monat und somit ganze 1200 Euro im Semester zusätzlich“, sagt Sophie. Darüber hinaus zahlen immatrikulierte Studenten häufig geringere Beiträge für ihre Krankenversicherung und wer nicht mehr als 20 Stunden pro Woche arbeitet und dabei weniger als 450 Euro im Monat verdient, kann sogar kostenlos in der Familienversicherung der Eltern bleiben.  

Hilfreich ist die Immatrikulationsbescheinigung auch für junge Erwachsenen, die ihre Zeit zwischen Studium und erster Festanstellung für ein Praktikum nutzen wollen. Ohne sie sind viele Stellen gar nicht zu bekommen, denn auch Unternehmen profitieren vom Studentenstatus – für Studierende müssen sie weniger Sozialabgaben zahlen.

Auf den ersten Blick scheint auch Bafög als zinsgünstiger Kredit ein Anreiz für eine Einschreibung zu sein. Da der Staat jedoch nur Studenten fördern will, die ordnungsgemäß ihre Studienleistung erbringen, wird auf dem Bafög-Amt genauer hingeschaut. In den meisten Fällen wird nach dem vierten Semester ein Nachweis über erbrachte Leistungen verlangt.

In Düsseldorf studiert jeder vierte zum Schein

Naturgemäß tauchen Scheinstudenten nicht in Statistiken auf. Schätzungen geben die meisten Hochschulen nur ungern ab: „Es ist nicht klar abzugrenzen, ob Studierende von vorneherein keine Ambitionen hatten, ihr Studium ernsthaft anzugehen oder nicht“, begründet ein Sprecher der Goethe-Universität Frankfurt seine Ablehnung des Begriffs „Scheinstudent“. Es werde Studierenden schließlich in der Regel nicht vorgeschrieben, in einem bestimmten Zeitraum eine gewisse Anzahl von Prüfungen abzulegen, erklärt er weiter. Anfragen bei den Universitäten Darmstadt und Mainz ergeben ähnliche Auskünfte. 

Die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf möchte für mehr Transparenz sorgen. Sie geht derzeit von 8000 immatrikulierten Scheinstudenten aus. 35.000 Studierende zählt die Heinrich-Heine-Universität offiziell, demnach studiert jeder vierte Student nur auf dem Papier. Eine Schätzung sei für Hochschulen wichtig, nur so könnten organisatorische Probleme vermieden werden, sagt ein Sprecher der Universität und erklärt weiter: „Deshalb wissen wir, dass die Universität derzeit trotz der hohen Zahl von Studierenden weder neue Hörsäle noch Parkplätze braucht“. Besonders auffällig sei die Steigerungsrate nach Abschaffung der Semestergebühren in Nordrhein-Westfalen gewesen: „Zuvor waren gerade mal 700 Studierende für ein Zweitstudium eingeschrieben, im Semester darauf ganze 9000.“

Auf Kosten des Steuerzahlers

Die Technische Universität Darmstadt weiß anderes zu berichten. Dort erbringe nur ein geringer Anteil der Studierenden über längere Zeiträume hinweg keine Studienleistungen. In Hessen gebe es aber auch die Möglichkeit, Studierende zu exmatrikulieren, wenn innerhalb von zwei Jahren keine Leistungspunkte erbracht werden.  

Und wie halten es Scheinstudenten mit dem sozialmoralische Aspekt? Ihre finanziellen Vorteile werden ja hauptsächlich von Steuergeldern finanziert. Ein schlechtes Gewissen hat Hanna nicht: „Ich hatte nicht das Gefühl, jemandem etwas wegzunehmen.“ Aber wäre es nicht sinnvoll, entschlossener gegen Scheinstudenten vorzugehen?