Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Dollase vs. Mensa (22)

Die Mensa der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ist nicht an das Studentenwerk angeschlossen. Zubereitet wird das Essen von einer Catering-Firma. Es sieht schon ganz anders aus.

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Jürgen Dollase testet die Mensa der Hochschule für bildende Künste in Hamburg

Alle Mensatests finden Sie hier.

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Es geht mit dem Mensa-Essen also auch ganz anders, und es wird durch das andersartige Konzept an der HFBK Hamburg besser. Dass so etwas in einer Kunsthochschule stattfindet, scheint auf den ersten Blick plausibel, weil man meinen könnte, Kunst und nicht ganz so normales Essen vertragen sich besonders gut. Dem ist aber leider oft nicht so. Im Crossover-Bereich von Kunst und Kochen/Essen tummeln sich zwar einige Künstler (die abgegessenen Tischplatten von Daniel Spoerri dürften vielen bekannt sein), aber im Grunde gibt es eher eine Affinität zur bürgerlichen Küche. Wenn man sich dann einmal mit Essbarem befasst, hat das oft eher etwas von Malen mit Tomatenketchup und nicht von der Suche nach einer Schnittmenge zwischen Kunst und Kochen. Auch die Tatsache, dass der spanische Avantgardist Ferran Adrià Teilnehmer der Documenta 12 war, hat zwar kurzfristig allerlei Diskussionen in Gang gesetzt, aber bisher nicht nachhaltig gewirkt. Ich war übrigens damals an dem Versuch beteiligt, in irgendeiner Form den Besuchern auch Gerichte von Adrià zu präsentieren (was aus diversen technischen Gründen wie etwa Sicherheitsauflagen nicht geklappt hat).

Zurück in die HFBK in Hamburg, wo einmal nicht das Studentenwerk, sondern die „Hirn und Wanst Küchenbrigade“ am Werk ist, eine Abteilung der Firma „Hirn und Wanst“, die u.a. auch „Konspirative Küchenkonzerte“ veranstaltet. Man will sich in vielfältiger Weise mit den „Wechselwirkungen von Kunst, Kochen, Essen und Wissenschaft“ befassen und eröffnet damit ein völlig anderes Feld, als es die fast immer rein funktional ausgerichteten Mensa-Betriebe üblicherweise tun. Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich um eine jüngere Gruppierung handelt, die eine enge Verbindung zur großen alternativen Szene Hamburgs hat und von ihrer gesamten kulturellen Orientierung her so etwas wie eine Küchen-Apo ist. Hier noch ein paar Gerichte aus dem aktuellen Mensa-Programm: „Pilzrisotto mit frischem Rucola und geschmorten Kirschtomaten“, „Gebratener Chicorée in Tempurateig mit Rote- Bete-Graupenrisotto und Orangenkarotten“ und „Spaghetti à la Boss mit Rinderstreifen, pikantem Rahm und Rucola“.

Der kulinarisch offensichtlich deutlich unterschiedliche Ansatz zu den meisten Mensa-Betrieben führt zu einigen grundsätzliche Überlegungen zur Positionierung des kulinarischen Programms zwischen Zwang zu einem preiswerten Angebot, (vielleicht) einer Art kulturellem Auftrag, altersspezifischer Orientierung und der Orientierung an aktuellen kulinarischen Entwicklungen. Die allgemeinen Leitlinien des Studentenwerkes für die Mensen geben kaum einen Hauch von Antwort auf diese Fragen. Ich habe das im Zusammenhang mit Folge 19 bereits kritisiert. Es besteht meiner Meinung nach jedenfalls keinerlei Notwendigkeit, von Nord bis Süd einen Mischmasch aus reduzierten Traditionsgerichten und ein paar matten Anklängen an die Weltküche anzubieten.

Von der Finanzierung her gibt es weder Gründe für Traditionalismus noch für das Fehlen von guter Kochtechnik, noch das Fehlen jeglicher Aspekte eines in der Gastronomie längst weitgehend veränderten kulinarischen Bewusstseins. Es gäbe kulinarisch-pädagogische Gründe für einen Reflex auf die regionalen und nationalen Küchentraditionen, weil sie in der normalen Sozialisation von jüngeren Leuten vielleicht nicht mehr so präsent sind, aber aus kulturellen Gründen präsent sein sollten. Es gäbe sehr viele Gründe, das Essen unter modernen Gesichtspunkten deutlich zu überarbeiten, weil ein modernes Denken nicht nur für eine „jüngere“ Küche stünde, sondern vor allem einen erheblich Qualitätssprung bedeuten würde. In der Arbeit der „Hirn und Wanst Küchenbrigade“ zeigen sich erste Ansätze eines solchen Denkens. Geschmack und Anmutung der Gerichte sind nicht nur deutlich verändert, sie sind besser, weil sie vielfältiger und differenzierter sind – von „klassischen“ kochtechnischen Details einmal abgesehen. Wobei, dass man eine jüngere, interessantere, zeitgenössischere Küche unter den Verhältnissen einer eher kleinen Kunsthochschulen-Mensa realisiert, nicht bedeutet, dass man Gleiches nicht auch in größerem Rahmen schaffen könnte. Apropos Apo. Wie hieß das damals: „Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren“. Der Mensa-Alltag an leider viel zu vielen anderen Stellen hat etwas davon.

Mit den besten Grüßen, Ihr Jürgen Dollase

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