Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Im Online-Studium um die halbe Erdkugel

Wegen Corona konnte unsere Autorin ihr lang ersehntes Auslandssemester in Japan nicht in Präsenz antreten. Doch dank des World Wide Web kann sie trotzdem mit Studierenden aus aller Welt vom deutschen Schreibtisch aus an Online-Kursen in Tokio teilnehmen. Ein Erfahrungsbericht über Zeitverschiebungen, Sprachbarrieren und kuriose Erlebnisse.

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Corona hat so manches Auslandsstudium durchkreuzt – wie gut ist der Online-Ersatz?

Das digitale Lernen von Zuhause kennen Studenten weltweit mittlerweile zur Genüge. Für einige ist es ein in Erfüllung gegangener Traum, im Schlafanzug mit halbem Ohr dem Professor zuzuhören, der einem komplizierte Vorlesungsinhalte erklärt, während man sich erstmal in aller Ruhe einen Kaffee kocht. Doch es kann auch ziemlich frustrierend sein, wenn man nur ein paar Kilometer weit weg von den altbekannten Seminarräumen wohnt und Dozenten und Kommilitonen trotzdem nur auf dem PC-Bildschirm begegnen darf.

Aber in diesem Herbst, nachdem einige Höhen und Tiefen des Online-Studiums durchlebt sind, habe ich zum ersten Mal erkannt, was das Internet für uns Studenten eigentlich alles möglich macht. Meine Universität in Tokio, die eigentlich mit einem halben Jahr Auslandsstudium inklusive eines Stipendiums winkte, kann ich zwar in Präsenz nicht besuchen, weil Japan bislang seine Landesgrenzen nicht geöffnet hat. Doch sie bietet ein digitales Wintersemester an und erlaubt es auf diese Weise allen Austauschstudenten, nach Herzenslust an Online-Kursen teilzunehmen. So kann ich die mehr als 9000 Kilometer, die Deutschland von Japan trennen, innerhalb von Sekunden überbrücken. Ein Klick, und ich bin in einer Zoom-Konferenz mit anderen Studenten aus der ganzen Welt. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Alles in allem ist es aber unterhaltsam und lehrreich dazu.

Es ist natürlich kein Ersatz zu einem richtigen Auslandssemester, bei dem man kulturelle Eigenheiten kennenlernt, internationale Freundschaften knüpft und sich auf dem fremden Campus verirrt. Aber für uns Austauschstudenten bietet es die tolle Möglichkeit, japanische Sprachkurse bei Muttersprachlern zu besuchen, und das auch noch in Japan – wenigstens virtuell. 

Die Abgabe der Hausaufgaben wird streng überprüft

Da mein Freund mit mir zusammen nach Tokio reisen wollte, haben wir kurzerhand beschlossen, die Sprachkurse gemeinsam zu besuchen. Das erleichtert einiges, weil wir uns rasch mal auf Deutsch bei abgeschaltetem Mikrofon darüber austauschen können, was die Lehrerin eigentlich gerade von uns wissen will und bei Schwierigkeiten nicht alleine dastehen.

Bei der Anmeldung zum Online-Semester bekamen wir zuerst einen kleinen Schrecken, als wir feststellten, dass die Kurse logischerweise allesamt regulär nach der Japan Standard Time angeboten werden – was für uns bedeutet, dass wir sie nur dann wahrnehmen können, wenn wir stattliche sieben Stunden Zeitverschiebung in Kauf nehmen. Kurse, die in Japan zwischen 8 und 14 Uhr stattfinden, kamen für uns aus dem einfachen Grund nicht in Frage, dass wir gerade auch an unseren Masterarbeiten schreiben und eher ungern wie Zombies durch die Gegend laufen wollen – so groß ist der Kick, mitten in der Nacht vor dem Laptop zu sitzen, um reichlich übermüdet an einer japanischen Konversation teilzunehmen, dann doch nicht. Deshalb sind unsere Kurse in Japan jetzt nachmittags, und wir stehen gegen 7 Uhr auf, um den Tag auf japanisch zu beginnen.

Doch wir sind bei weitem nicht die einzigen Studenten, die von der Zeitverschiebung betroffen sind – im Gegenteil. Unsere Kommilitonen kommen aus den Vereinigten Staaten, aus Irland, der Slowakei, Afghanistan oder Sri Lanka. Man sollte meinen, der Grad der studentischen Müdigkeit richte sich nach der jeweiligen Zeitzone, doch auch was das angeht, wurde ich eines Besseren belehrt. So unterhielt ich mich kürzlich zum Beispiel mit einem Kommilitonen aus Schottland, der auch schon um 6 Uhr in der Früh munterer wirkte als ich und mir in fröhlichem Plauderton von seiner letzten Reise nach Edinburgh berichtete – auf japanisch, versteht sich.

Neben der Zeitverschiebung gibt es auch andere Dinge, an die wir uns gewöhnen müssen. So gibt es in allen Kursen Hausaufgaben, deren pünktliche Abgabe kontrolliert und die korrigiert zurückgegeben werden. Es gibt „Mid Term Exams“ im November und „Final Exams“ im Januar, ein System, das wir aus Deutschland so nicht kennen. In Japan ist es aber Standard. Ansonsten ähnelt sich das meiste dann doch, und wir konnten beruhigt feststellen, dass es auch in Japan, einem Land, dessen Bevölkerung sehr viel Wert auf Pünktlichkeit, Höflichkeit und Disziplin legt, nicht schlimm ist, wenn eine Videokonferenz nicht immer ganz reibungslos abläuft.

Überraschung im „Breakout-Room“

Einmal wurden wir zu spät geweckt – ausgerechnet beim allerersten Termin unseres Seminars zum Thema „Writing“. Hastig einen Pullover übergezogen und eine halbe Stunde zu spät zum Zoom-Call zugeschaltet, verschafften wir uns dann erstmal mit verschlafenem Blick einen Überblick über den Kurs und erläuterten der Lehrerin etwas peinlich berührt den wenig glaubwürdigen, aber wahren Grund unseres Versäumnisses.

Da das japanische Universitätssystem ziemlich verschult ist und wir zudem Sprachkurse absolvieren, in denen ohnehin viel mit Interaktion gearbeitet wird, sind Gruppenarbeiten häufig an der Tagesordnung, und meistens funktioniert das auch einwandfrei. Die Lehrkraft teilt uns in „Breakout-Rooms“ ein und wir unterhalten uns zu zweit, dritt oder viert über ein Thema. Einmal ist es meinem Freund und mir aber passiert, dass wir zufällig in einen Raum zu zweit eingeteilt wurden. Das was witzig, weil wir tatsächlich im selben Arbeitszimmer sitzen, wenn wir an den Kursen teilnehmen, und uns somit im ersten Moment etwas verdutzt angeschaut haben. Als unsere Lehrerin das bemerkte, entschuldigte sie sich vielmals bei uns, obwohl es uns überhaupt nichts ausmachte und wir eher amüsiert waren über eine Situation, in der sich digitales und analoges Lernen plötzlich entsprachen.

In Situationen wie diesen werden wir uns sicherlich noch öfter wiederfinden, und wir tun wohl am besten daran, ihnen mit einem Augenzwinkern zu begegnen. Doch alles in allem ist das Online-Lernen ein toller Kompromiss und für uns eine Gelegenheit, wenigstens virtuell am japanischen Universitätsleben teilzuhaben. So bedenklich und ärgerlich die Situation für viele Menschen in diesem Jahr auch sein mag, so ist es doch auch ein Segen, dass wir erkennen können, wie viele Türen uns das Internet öffnen kann – der virtuelle Raum, in dem wir uns bewegen, heißt ja nicht umsonst World Wide Web.