Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Kenianisches Feldtagebuch (2): Pole, pole

Für ihren Masterabschluss in Ethnologie muss unsere Autorin für vier Monate „ins Feld“. Hier berichtet sie von den ersten Tagen in Kenia, von Wolkenbrüchen, Studentenstreiks und anderen Hindernissen.

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Unser Garten nach den heftigen Regenfällen.

Dass ich genügend Zeit habe, diese Zeilen zu schreiben, liegt daran, dass ich den Bungalow, den ich zusammen mit zwei anderen deutschen Studentinnen auf dem Campus der Jomo Kenyatta University of Agriculture and Technology in Juja bewohne, zur Zeit nicht verlassen kann. Über Nacht hat sich die Straße vor der Haustür in einen Fluss verwandelt, und ein Baum der Nachbarn ist umgefallen, hat unser Vordach knapp verfehlt und blockiert nun die Straße. Am Ende der kleinen Regenzeit, die momentan in Kenia herrscht, gibt es oft ein großes Finale, bei dem sich der Himmel nochmal so richtig ausweint, erzählen mir die Leute im Ort und versichern mir, dass die stundenlangen Regenfälle damit nun ein Ende haben werden.

Ich hoffe, dass sie recht behalten, denn der Regen bringt meine Pläne mindestens einmal am Tag durcheinander. Der Gründer und Leiter des ortsansässigen Projekts Nguvu Edu Sport e.V., das ich für meine Masterarbeit beforsche, und dem ich in der ersten, sogenannten „explorativen“ Phase meiner Feldforschung auf Schritt und Tritt folge, ruft mich einmal am Tag an, um mir mitzuteilen, dass sich die nächste Trainingseinheit oder Abfahrt verzögern wird, bis der Regen aufgehört hat.

Und plötzlich verläuft ein Fluss vor unserer Haustür.

Eigentlich bin ich dankbar für die unfreiwilligen „Regenpausen“, denn meine Tage sind von morgens bis abends mit Aktivitäten und Terminen vollgestopft. Meist geht es morgens zwischen acht und neun Uhr los – etwa, um in die Nachbarstadt Thika zu fahren und Straßenkinder zu besuchen, von denen die meisten Klebstoff schnüffeln und oft schon morgens durch die Dämpfe, die sie einatmen und die ihnen helfen, den Hunger zu unterdrücken, nicht mehr zurechnungsfähig sind. Nguvu Edu Sport unterstützt sie morgens mit Brot, Milch und einer warmen Tasse Tee, aber auch durch Aktivitäten wie gemeinsame Wanderungen oder Ausflüge.

Nachmittags steht von montags bis mittwochs Fußballtraining mit der Nguvu-Edu-Sport-Mannschaft aus Juja auf dem Plan, an den anderen Tagen läuft das Ferienprogramm des Projekts in Juja: Fahrradfahren, Freundschaftsspiele gegen andere Teams, längere Läufe oder bisweilen auch Schwimmen, interaktive Workshops zu einem bestimmten theoretischen Thema oder gemeinsames Kochen.

Die Nguvu-Edu-Sport-Mannschaft beim Freundschaftsspiel gegen ein Team aus Kiambu.

All diese Aktivitäten begleite ich in der explorativen Phase meiner Feldforschung als mehr oder minder stummer Beobachter – nur den Leiter des Projekts, „Schlüsselinformant“ und „Gatekeeper“ meiner Forschung, löchere ich von Beginn an mit Fragen. Mit diesen Begriffen bezeichnen wir Ethnologen den Informanten einer Forschung, ohne den selbige nicht möglich gewesen wäre – weil er eine wichtige Position etwa in einer Firma, einem Dorf oder kulturellen Kreis innehat, oder, wie in meinem Fall, Leiter und Gründer eines Projekts ist, der mir gestattete, meine Forschung in diesem durchzuführen. Gleichzeitig hat dieser „Schlüsselinformant“ aufgrund seiner Stellung auch den umfassendsten Überblick über das Feld.

Ab der zweiten Woche beginnt sich meine Rolle hin zu der eines teilnehmenden Beobachters zu verschieben. Ich versuche, Vertrauen, Respekt und Akzeptanz vor allem meiner jungen Informanten zu gewinnen, indem ich beim Völkerball mitspiele, Essen mit ihnen teile und sogar eine eigene kleine Trainingseinheit gestalte. Dennoch besteht der größte Teil meiner Forschung auch weiterhin noch darin, dass ich am Spielfeldrand stehe oder jede sonst verfügbare Minute nutze, um Notizen zu machen – über alles, was mir auffällt, was wichtig werden könnte, oder einfach zunächst noch nicht verständlich für mich ist. Ein halber Notizblock ist bereits voll, sondiert und gesichtet wird allerdings erst am Ende meiner Forschung, wenn ich zurück in Deutschland bin.

Am Anfang meiner Forschung bin ich meist noch nicht mitten im Geschehen, sondern beobachte von außen.

Ebenfalls ab der zweiten Woche führe ich Interviews auf Grundlage meiner vorab erarbeiteten Fragebögen durch – die ich natürlich in Kenia nach und nach anpasse. Befragt werden neben dem Leiter zunächst die Mitglieder der Projektmannschaft, alles Jungs im Alter von zehn bis sechzehn Jahren.

Zwischen Interviews, Beobachtungen und hastigem Gekritzel im Notizbuch fallen verschiedene Besorgungen oder Einkäufe meist in der Hauptstadt Nairobi an, oder ich stehe mit dem Matatu, in dem ich sitze, im Stau. Matatus sind vollgestopfte Kleinbusse und die meistgenutzten öffentlichen Verkehrsmittel in Kenia.

Ich bin nicht der einzige Zuschauer, wenn die Mannschaft des Projekts trainiert.

Täglich um 18:30 Uhr geht die Sonne hier in der Nähe des Äquators so schnell unter, als hätte jemand das Licht ausgemacht. Da es für Weiße in vielen Gegenden des Landes noch immer nicht ratsam ist, sich bei Dunkelheit draußen aufzuhalten, schalte ich zu dieser Zeit meinen Laptop an, um mein tägliches Protokoll und Feldtagebuch zu schreiben.

Der dauerhafte Regen ist jedoch nicht das einzige Problem, mit dem ich in den ersten Tagen meiner Forschung zu kämpfen habe. Kürzlich wand sich auf dem Nachhauseweg eine ziemlich dicke Schlange plötzlich aus der Pfütze neben meinem linken Fuß – Gott sei Dank habe ich im Vorfeld meiner Forschung ein intensives Lauftraining absolviert und konnte in angemessener Geschwindigkeit Reißaus nehmen. Außerdem streiken nach sämtlichen Dozenten auf dem Campus, auf dem ich lebe, nun auch die Studenten, was sich so weit hochschaukelte, dass das Militär anrückte, Tränengas einsetzte und alle Studenten aus den Wohnheimen warf. Als Gaststudenten durften wir bleiben, allerdings leben wir jetzt auf einem Geistercampus und der Weg zu unserem Bungalow wird von grimmigen Militärs mit Schlagstöcken gesäumt.

Auch heftige Regenfälle und überschwemmte Plätze halten die Kenianer nicht vom Fußballspielen ab.

Dafür lachen die Kinder, die am Projekt “Nguvu Edu Sport” teilnehmen, umso mehr und haben mich mehr als herzlich und offen aufgenommen. Lediglich Sprachschwierigkeiten treten immer wieder auf, da mein dürftiges Schulbuch-Swahili regelmäßig mit der teilweise recht stark variierenden kenianischen Variante oder dem Soziolekt Sheng, der aus den Slums von Nairobi kommt, kollidiert.

Die Kenianer würden an dieser Stelle „Pole, pole“ sagen. Das bedeutet vieles, aber vor allem, dass man die Dinge besser ruhig angeht, denn meist klappen sie sowieso, irgendwie.

Abendstimmung über den Feldern der Universität.