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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Serienversteher: “Mord mit Aussicht”

Diese Serie gehört zu den meist wiederholten im deutschen Fernsehen. Warum verliert der ländliche Eifel-Krimi “Mord mit Aussicht” nicht an Faszination, obwohl die Mörder längst bekannt sind?

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© dpaGestrandeter Fisch: Caroline Peters als unfreiwillige Dorfpolizistin Sophie Haas

Ob in den Semesterferien oder während der Uni: Irgendwann steht er an, der obligatorische Besuch bei den Eltern. Von der studentischen Filterblase in der Unistadt zurück ins Kindheitstrauma. Tagsüber wird man mit Ausflügen geplagt, abends lotet man misstrauisch aus, ob man nicht doch Frieden schließen kann mit diesem seltsamen antiken Flimmerkasten, den die alten Leute als „Fernseher“ bezeichnen. Kurze Verwirrung dank fehlenden Touchscreens, gefolgt von mittelmäßiger Bildqualität, deutsch synchronisierten Serien und Filmen sowie Werbung, die Kopfschmerzen bereitet. Weit und breit kein „Skip-Ad-Button“.

Wie nun soll man sie in Frieden vereinen, die Kontraste, welche die Familie auch beim abendlichen Fernsehprogramm trennen? Die deutsche Erfolgsserie „Mord mit Aussicht“ scheint die Antwort gefunden zu haben: mit Humor natürlich.

Die Geschichte, die erzählt wird, ist in ihren Grundzügen selbst eine Hommage an zwischenmenschliche Kontraste. Es handelt sich um ein klassisches Fish-out-of-Water-Szenario, so simpel wie brillant: Im verschlafenen Eifelnest „Hengasch“, Landkreis „Liebernich“, ist der Leiter der Polizeiwache in den mürrisch erduldeten Ruhestand geschickt worden. Zur gleichen Zeit in Köln, scheinbar auf einem völlig anderen Planeten, fliegt der Identifikationsfigur der Serie, der Kriminaloberkommissarin Sophie Haas, eine Versetzung um die Ohren – nach ebenjenem Hengasch. Zwei Pferdekoppeln vom Ende der Welt entfernt. Eine Großstädterin in der Provinz, ein Fisch außerhalb des Wassers.

Diese Welt ist ihr zu klein

Schon in der ersten Folge wird dieser Kontrast plakativ herausgearbeitet. Zunächst wird Sophie Haas visuell abgegrenzt: Sie kommt über die saftig grün eingebettete Landstraße gerauscht und überholt demonstrativ seufzend einen grünen Traktor mit ihrem knallroten BMW Cabrio.

Vom Ortseingang bis zur Polizeiwache folgen ihr mehr oder weniger verstohlen die neugierigen Blicke der Einwohner. Auf das vorsichtige Eintreten in die Einzimmerwache mit Gemeinschaftstoilette folgt die Begegnung mit den neuen Kollegen: Dietmar Schäffer und Bärbel Schmied. Zwischen den beiden uniformierten Kollegen sticht sie mit ihrer eleganten Garderobe heraus, als wäre es Absicht. Immerhin scheint man sich gegenseitig zumindest theoretisch als menschliche Lebensform erkannt zu haben.

© dpaUnd dann zieht ihr auch noch der eigene Vater (Hans Peter Hallwachs) hinterher.

Das Dekor ihres Vorgängers wird unwirsch entsorgt, über solche Sentimentalitäten ist Sophie Haas derart erhaben, dass man meinen könnte, sie trüge ihre Nase ein wenig zu hoch. Im Zuge der ersten gemeinsamen Ermittlung gibt es genug Gelegenheiten, diesen Argwohn auszubauen. In Köln hat es sie an die Brennpunkte gezogen, Mord, Geiselnahmen, Action. Hier sieht sie sich mit Jugendlichen konfrontiert, die versuchen Kühe umzuschubsen. Die Aufklärungsquote der Hengascher Polizeiwache liegt bei hundert Prozent, erläutert Schäffer mit stolz geschwellter Brust. Er und Schmied sind sichtlich in ihrem Element, wir befinden uns mitten in ihrer kleinen Welt, in der sie sich auskennen und wohlfühlen. Haas hingegen wirkt deplaziert und tendenziell angeödet. Was die beiden Kollegen zufriedenstellt, ist ihr zu klein.

In den ersten paar Tagen nach ihrer Ankunft fällt in der örtlichen Kneipe, dem „Aubach“, dann endlich ein Schuss. Es gibt eine Verletzte und damit einen Fall für die Hengascher Polizei. Haas versucht den Täter zu finden, sie und ihre Kollegen ermitteln auf Hochtouren – und zwar exakt bis Feierabend. Pünktlich zum Dienstschluss tritt Bärbel Schmied den Nachhauseweg an. Mit den Worten “Da müssen sie schon bis morgen früh warten. Tja, Land ist Land“ lässt sie ihre verdutzte Chefin alleine in der Wache zurück.

Die Missbilligung ist eingepreist

Im Gasthof „Aubach“ pulsiert von allem unbeeindruckt das Nachtleben Hengaschs, eine symbiotische Verbindung aus Herrengedeck und Eiche rustikal. Hier prallen die beiden Welten pointiert aufeinander. Wie verhext scheint nie auf Lager zu sein, nach was es Haas gerade gelüstet. Ein Running Gag, der sich durch die ganze Serie zieht. So ist in der ersten Folge absurderweise das Wasser ohne Kohlensäure aus, während Haas in der dritten Staffel ein simpler Rotwein verwehrt bleibt. Immerhin auf eines kann man sich in der Kneipe verlassen: Die Rechnung beläuft sich, unabhängig von den verzehrten Gütern, routinemäßig auf 13,80€.

© dpaDer Schäffer (Bjarne Mädel ) und seine Frau Heike (Petra Kleinert)

In der zwölften Folge der dritten Staffel tritt dann die Band „Fraktus“ in Hengasch auf. Womöglich haben sich die drei Ausnahmetalente aus den Achtzigern beim Nachdenken über die Gesellschaft in der Gegend verlaufen. Sophie, an ihre liebe Jugend erinnert, wirft sich mit gewohnter Stilsicherheit in Schale. Ihr Outfit ist ein absolut schockierendes Destillat jener Zeit. Eine knallenge, schwarz-weiß gestreifte Hose trifft auf eine weiße Hemdbluse mit gradlinigen Akzenten aus rotem Klebeband. Schwarze Fingernägel, schwindelerregend hochtoupiertes Haar, roter Handschuh an der linken Hand, unverfrorenes Lächeln im Gesicht. Mit der triumphalen Gewissheit, gleich ihre Andersartigkeit attestiert zu bekommen, stolziert sie in die Kneipe. Und tatsächlich, Empörung ergießt sich über das „blondierte Zebra“. Doch der Tadel macht Haas nicht unsicher. Im Gegenteil, sie genießt ihre Fähigkeit, die Einwohner mit einem simplen, zurechtgegelten Pony zu provozieren. Die kollektive Missbilligung der Einwohner bestätigt ihre sorgfältig ausgestellte Divergenz vom Eiche-rustikal-Einheitsbrei.

So spinnt die Serie durch das Reagieren der Figuren aufeinander mal mehr, mal weniger subtile Kontraste, über die man lachen muss. Aber völlig unabhängig davon, ob man sich nun am Stammtisch neben Hans Zielonka oder in der roten „Angeberkarre“ von Sophie Haas eher zu Hause fühlen würde, man fühlt sich als Zuschauer willkommen.

„Ich vertrau Ihnen, Chef“

Denn das ist das Geheimnis, welches die Serie so brillant macht: “Mord mit Aussicht” sieht geschickt davon ab, eine der beiden Welten, die hier aufeinanderprallen, zur überlegenen zu küren. Die Serie erlaubt es dem Zuschauer nicht, vom hohen Ross herunter über die schielenden Dorftrottel zu kichern. Auch Sophie Haas muss immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden, das Dorf ruft ihr im Vorübergehen zu: „Bedenke, du bist sterblich.“ Die Kontraste zwischen den Figuren trennen diese voneinander, das stimmt. Aber der Humor, das Lachen, das daraus entsteht, eint die Figuren wieder.

Meike Droste als Dorfpolizistin Bärbel Schmied ist die Dritte im Bund.

Kommt es darauf an, so ist ohnehin nach wenigen Folgen klar, dass man zusammenhält auf der Hengascher Wache. Dann wird Dietmar Schäffer, der dritte Polizist im Auftrag Hengaschs, in der elften Folge der dritten Staffel eines Diebstahls bezichtigt. Er soll die Kasse mit dem Erlös des Feuerwehrfestes gestohlen haben. Der Verrat Delilas, die Ermordung Cäsars und selbst Watergate verblassen angesichts dieser rohen Störung der Dorfidylle. Doch für Sophie Haas und Bärbel Schmied steht die Unschuld des gemütlichen Polizisten zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Als das Diebesgut plötzlich in seiner Schreibeisschublade auftaucht, will Schäffer schon seinen Dienstausweis abgeben. Doch Haas nimmt ihn nicht an, obwohl ihr durchaus bewusst ist, dass es für den Kollegen nicht gut aussieht. Die letzten Worte, die in der Szene gesprochen werden, gehören Dietmar Schäffer: „Ich vertrau Ihnen, Chef.“

Deutlich wird, dass die Figuren einander mögen. Die grundverschiedene Art, den Alltag zu bestreiten, steht der Sympathie nicht im Weg. Doch vor allem zählen die Figuren aufeinander. Als die Kriminaloberkommissarin den Fall am darauffolgenden Tag löst, stellt sich heraus, dass Schäffer verleumdet wurde. Er ist unschuldig. Das Vertrauen beider Seiten war berechtigt.

Das Geheimnis der Serie

Am Ende der Folge hat Sophie Haas ironischerweise gerade jene Ordnung in das Dörfchen zurückgebracht, die sie eigentlich für kleinbürgerlich hält. Wie der Regenbogen nach der gnadenlosen Flut friedlichere Zeiten ankündigt, so verbildlicht in der Schlussszene ein letztes Stück Schokolade aus den hinteren Regionen von Bärbel Schmieds Schreibtischschublade die allumfassende Harmonie. Ohne groß zu überlegen, teilen die drei Kollegen dieses wohlwollend. Eigentlich eine durch und durch alltägliche Geste, die aber genau das transportiert, was die Serie so außergewöhnlich macht: Denn die drei Polizisten teilen nicht, weil der jeweils Andere etwas brauchte. Nicht aufgrund einer Notwendigkeit, sondern aus echtem Wohlwollen gönnt man sich die kleinen Freuden des Lebens gegenseitig. Ein seichter Treueschwur im Regen oder eine pompöse Rede können da nicht mithalten.

© dpaGegensätze vergrößern die Verteidigungslinie in Hengasch

Alle Figuren haben zahlreiche Marotten. Von Dietmar Schäffers Frisur über Bärbel Schmieds nachdrückliches „Find ich!“, mit dem sie Unsicherheiten zu überspielen sucht, bis zu Sophie Haas mit ihrem lebensmüdem Fahrstil. Sie kommt in der ersten Folge angerauscht und verschmäht die Sentimentalitäten ihres Vorgängers. Doch gleich zu Beginn hatte sich die Disposition zur Gemeinsamkeit im Detail verraten. Denn die Holztierchen des Vorgängers werden zwar entsorgt, sogleich aber durch eigenen mitgebrachten Kram ersetzt: Eine unironisch aufgestellte Schneekugel mit Kölner Dom ziert von nun an den Schreibtisch von Sophie Haas. Wie ausgesprochen geschmackvoll.

Die Marotten hindern die Figuren nicht am Zusammenfinden, sie machen als menschliche Regungen das Zusammenfinden erst möglich. Gerade, weil sie so verschieden sind, all die Pappenheimer in Hengasch, tut es so ausgesprochen gut, dass sie herzlich miteinander lachen können, über ihre Marotten, über die Kollegen und vor allem über sich selbst. Das ist das Geheimnis der Serie.

Wäre doch gelacht, wenn uns Pappenheimern das nicht auch gelingen könnte.