In Iran ist der Hochschulabschluss fast ein „Muss“ für Jugendliche. Die Zwänge sind vielfältig. Allerdings ist es nicht ganz leicht, Student zu werden. Ein Besuch in der Universität Teheran.
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Der Weg zur Teheraner Universität wird in der Enghelab Straße gesäumt von hundert Buchhandlungen. Vor ihren Geschäften tun die Buchverkäufer ihre jeweilige Spezialisierung kund: „Wissenschaft! – Mathematik! – Psychologie! – Second-Hand! – Out-of-Print!“, rufen sie, oder „Bücher von vor der Revolution!“.
Nach etwa 500 Metern enden die Buchhandlungen unvermittelt und lange grüne Eisenstäbe wachsen aus dem Boden, um einen parkähnlichen Bereich abzutrennen. Wie alle iranischen Universitäten ist auch die Teherans irgendwie vom Rest der Stadt abgetrennt – ein Erbe aus der Zeit des Shahs.
Einige Universitäten haben sogar noch getrennten Eingangstore, über denen “Brüder” und “Schwestern” steht, was wiederum ein Relikt der islamischen Revolution ist. Aber das hat keine große Bedeutung mehr, innen sind fast alle Universitäten gemischt.
Der Konkour entscheidet über die Zukunft
Wenn man sich dem Tor nähert, erhöht sich die Zahl der jungen Leute. Mädchen tragen lockere bunte Schals, kurze oft körperbetonte Kleidung, die auch schon mal überm Knie beginnt, das Make-up ist in Farbe und Stil abgestimmt, Jungen nehmen an den Vorlesungen in T-Shirts und Skinny-Denim-Jeans teil. Immer wieder sieht man Nasen- oder Ohrenpiercings – bei beiden Geschlechtern. So frei wie die Mode ist auch der gegenseitige Umgang untereinander. Jungen und Mädchen sitzen bunt gemischt in den Hörsälen.
Um die Universität betreten zu können, muss der Besucher einen guten Grund haben. Der beste ist: Student zu sein! Allerdings ist der Weg dorthin nicht ganz einfach.
Zunächst muss man an dem Hochschulzugangtest „Konkour“ teilnehmen. „Konkour“ ist eine Transliteration des französischen Wortes “Concours”. Jeden Juni nehmen High-School-Absolventen an einer landesweiten, standardisierten Prüfung teil, die auf den Lehrinhalten der letzten vier Jahre basiert. Die Punktzahl der Tests bestimmt, für welche Fachrichtung und welche Universitäten sie zugelassen werden: je besser die Punkte, desto breiter die Auswahlmöglichkeit.
Um zum Beispiel in der medizinischen Fakultät der Teheran Universität zugelassen zu werden, muss man beim Konkour unter den Top hundert Studenten von 500.000 Testteilnehmern mit naturwissenschaftlichem Abitur sein! Geschlechtsunabhängig kann jeder bei entsprechender Qualifikation alles studieren, die einzige Ausnahme ist das Studium der Geburtshilfe, die seit der islamischen Revolution nur Studentinnen vorbehalten ist.
Die Hälfte der Studenten sind weiblich
An der Cafeteria der Literarischen Fakultät der Teheraner Universität treffen sich Studenten aller Fachrichtungen. Sie ist die beste auf dem Campus, die Preise dort sind deutlich höher als in der Mensa. Ein Sandwich kostet umgerechnet 2 Euro, während ein warmes Essen in der Mensa für 30 Eurocent zu haben ist.
Siavash, 19, und seine Kommilitonen haben sich zum Mittagessen Panini in der Cafeteria gekauft und setzten sich außerhalb an den Rand des leeren Fischteichs in der Mitte des Hinterhofs. Siavash kommt aus Zanjan, einer kleinen Stadt im Nordwesten von Iran, er studiert im zweiten Semester Metallurgie. Er spielt auch E-Gitarre und sagt, während er sich eine Zigarette anzündet: „Ich hatte eine Band in Zanjan und hoffe, dass ich auch in Teheran eine neue gründen kann. Eigentlich wollte ich Musik studieren, aber mein Vater hat es mir nicht erlaubt. Jetzt bin ich froh. Es gibt bessere Chancen, einen guten Job als Ingenieur zu finden, und daneben kann ich immer noch Gitarre spielen“.
Aus einer kleinen Stadt kommend, spürt Siavash noch immer die Unterscheide zu den großstädtisch geprägten „Tehranis“: „Ich weiß nicht warum, aber ich kann ihnen nicht voll vertrauen. Sie wollen dir nur das Geld ihrer Väter zeigen. Wenn ich meinen Abschluss habe, werde ich entweder zurück in meine Heimatstadt oder ins Ausland gehen“, sagt er beim Anzünden seiner nächsten Zigarette.
Top-Universitäten in Iran finden sich in Teheran, aber auch in anderen großen Städten wie Tabriz, Isfahan, Shiraz und Mashad. Wer sein Studium im Ausland fortsetzen will, konzentriert sich auf eine der Top-Universitäten.
In den vergangenen mehr als 25 Jahren, nach Beendigung des Kriegs mit dem Irak und den einsetzenden Universitäts-Reformen hat sich die Zahl der Universitätsstudenten verneunzehnfach und erreichte im Jahr 2016 eine Zahl von 4,8 Millionen bei einer Einwohnerzahl von 78 Millionen. Die Bevölkerung wuchs in dieser Zeit „nur“ um das 1,6-fache. Der Anteil weiblicher Studentinnen erhöhte sich um 3000 Prozent und machte, nach den durchaus glaubhaften Zahlen des „Statistikzentrums des Iran“, im Jahr 2016 fast die Hälfte der Studierenden aus.
Oft ist es gut, wenn die Eltern nicht alles wissen
Doch auch private Universitäten gibt es in Iran. Nach der islamischen Revolution im Jahr 1982 gründete der frühere Präsident des Iran, Ayatolah Hashemi Rafsanjani mit der Islamic Azad University (IAU) eine Privatuni, die er unter das Motto „Iranische Bestrebungen für die Globalisierung“ stellte. Die IAU eröffnete bald mehrere Niederlassungen im ganzen Land und hält auch Büros in England, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Libanon und in Afghanistan. Heute ist sie mit 1,7 Millionen Studenten eine der weltweit größten Privatuniversitäten.
Die iranischen Universitäten stehen in dem Ruf, sehr gut in Ingenieur- und Naturwissenschaft auszubilden. Öffentliche Universitäten in Iran waren traditionell kostenlos, aber seit einigen Jahren sind Studiengebühren kein Tabu mehr. Diejenigen mit einer hohen Konkour-Examenspunktzahl können gebührenfrei studieren, die mit schlechtem Ergebnis müssen bezahlen.
Für Fachrichtungen wie Medizin kann die Jahresgebühr bis zu umgerechnet 6100 Euro betragen, für andere etwa 2500 Euro. Im internationalen Vergleich mag dies nicht sehr hoch erscheinen, aber unter Berücksichtigung des jährlichen Einkommens eines durchschnittlichen städtischen Haushaltes von 6800 Euro sind diese Universitätsgebühren erheblich.
Iranische Familien wünschen eine höhere Bildung für ihre Kinder, in erster Linie eine Universitätsausbildung, sie sind aber sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, sie für ihr Leben finanziell verantwortlich zu erziehen.
Mona, 20, studiert BioTech. Neben ihrem Studium wollte sie in einem Café arbeiten, aber ihre Mutter hat es ihr nicht erlaubt: „Für Studenten, die aus anderen Städten kommen und im Wohnheim leben, ist es einfacher zu arbeiten – weil ihre Eltern nicht Bescheid wissen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Eine Mischung aus Nostalgie und Moderne
Von der Cafeteria der Literarischen Fakultät aus laufe ich mit Zahra, PhD-Studentin in Bioinformatik, über den Campus. Zahra, 35, kritisiert: „Es gibt einerseits kein Stipendium für Doktoranden, andererseits bittet uns die Universität, keine Jobs nebenbei anzunehmen. Die Universität befürchtet, dass sich dadurch die Ausbildungszeit verlängern könnte. Dabei ist es doch so: Die Hälfte meiner Kurskollegen ist verheiratet, aber wenn sie nicht arbeiten – wie sollen sie ihre Familie ernähren?“ Zahra ist noch Single und lebt bei ihren Eltern.
Die Universität Teheran, gegründet 1934, hat jetzt mehr als 55.000 Studenten. Sie war die erste moderne Universität in Iran und ist ein Symbol für Hochschulbildung. Das Haupt-Tor ist das südlich gelegene, es wurde 1967 aus Beton errichtet und weist eine besondere Form auf. Manche sehen darin die Flügel eines Vogels, der nach oben fliegt, andere sprechen von einem offenen Buch.
Wegen ihrer zentralen Lage in der Stadt, der Nähe zu den wichtigsten Theatern und Kinos, ist die Universität umringt von Cafés. Viel Studentenlebenszeit steckt in ihnen.
Wenige Minuten zu Fuß von der Universität entfernt befindet sich das Café Null im Untergeschoss eines Einkaufszentrums. Seine Plastiktische und Stühle schmiegen sich in eine Ecke; es gibt zwei Gasträume mit Glaswänden: einen zum Rauchen und einen für die Arbeit. Das Raucherzimmer hat auch ein Digital-Piano für jeden, der spielen will. Die Tische sind mit altmodischen Baumwolltischdecken belegt: weiß mit kleinen roten Rosen. Es gibt auch eine Playstation und einen 42-Zoll-Monitor, auf denen Jugendliche FIFA oder Dota2 spielen, die beliebtesten Spiele in Iran. An einem großen Tisch amüsiert sich eine Gruppe Jungen und Mädchen bei „Mensch ärgere dich nicht!“. Eine Mischung aus Nostalgie und Moderne tritt einem hier entgegen.
Die Speisekarte ist ein altes mit der Hand beschriebenes Notizbuch. Die Abwesenheit von Alkohol hat iranische Cafés sehr kreativ werden lassen. Es werden neben Kaffee und Tee auch die verschiedensten Mixgetränke mit Kräutern oder Früchten und mehrere Arten von Smoothies angeboten. Die Preise sind ganz schön hoch. Ein Single Espresso kostet umgerechnet 2 Euro, ein Smoothie 4,50 Euro und ein Snack 10 Euro. Das billigste Getränk ist Tee, 1 Euro.
Die Familie des Mädchens würde nicht zustimmen
Marzieh, Amir und Emad, alle 18, kommen oft hierher, um zu arbeiten oder zu entspannen. Sie kennen sich von internationalen RoboCup-Wettbewerben, den IranOpen, bei denen sie verschiedene Titel gewonnen haben.
Marzieh ist eine Chemie-Studentin aus Teheran und lebt bei ihren Eltern. Sie sagt: „Viele Studenten aus anderen Städten können sich diese Preise nicht leisten. Oft sieht man Jugendliche, die sich einen Snack teilen. Doch der Besitzer ist sehr freundlich, er erlaubt uns, auch eigenes Essen mitzubringen!“
„Ein sehr häufiges Hobby unter den Studenten ist es”, erzählt sie weiter, “in traditionellen Cafés Shisha zu rauchen. Für Kino und Theater erhalten wir Rabatt, aber nicht für Konzerte. Konzerte sind teuer, sie sind offenbar nicht für Studenten gedacht!“
Sehr beliebt bei Studenten ist auch das Wandern – ob als Sport oder als Spaß. Teheran ist von hohen Bergen umgeben, die auf mehr als 4000 Meter reichen. Und es ist viel einfacher, von den Eltern die Zustimmung zu einer Gruppenreise zu bekommen, wenn diese von der Hochschule organisiert wird.
Amir und Emad sind im ersten Jahr für Imformatik eingeschrieben. Teilzeit arbeiten sie als App-Entwickler bei einem Start-up. Jeder verdient 500 Euro pro Monat. „Es ist eigentlich nutzlos, sich an der Universität einzuschreiben“, sagt Amir lachend, „ich tue es nur, um dem Militärdienst zu entkommen. Was sie uns an der Uni in vier Jahren beibringen, können wir in zwei Monaten bei der Arbeit lernen“.
Emad fügt hinzu: „Abgesehen vom Militärdienst erwarten unsere Familien von uns einen Hochschulabschluss. Und wenn wir heiraten wollen, würde die Familie des Mädchens nicht zustimmen, wenn der Junge keinen Universitätsgrad vorweisen kann.“
Taxifahren war nicht, was ich wollte
Ein zweijähriger Militärdienst ist für iranische Männer obligatorisch, doch solange sie studieren, kann der Dienst hinausgeschoben werden. Die Universität ist dann Mittel zum Zweck. Dies gilt auch für im Ausland Studierende. Diese müssen ihren Dienst zwar, sobald sie nach Iran zurückkehren, ableisten, aber unter wesentlich besseren Voraussetzungen: Die Hochschulausbildung verkürzt die Dauer ihres Militärdienstes und befördert sie in einen höheren militärischen Rang. Ein Kandidat mit Promotion zum Beispiel erhält bereits beim Eintritt den Rang eines „Zweiten Leutnants“ und muss nur 40 Tage statt zwei Jahre Lang dienen. Manchmal wird der Militärdienst auch durch Forschungsarbeiten für die Regierung ersetzt, und im Falle einer patentierten Erfindung kann der Besitzer ganz vom Wehrdienst befreit werden.
Insgesamt muss man sagen: Der Wettbewerb in Iran ist hart, denn dreißig Prozent der Bevölkerung sind zwischen 20 und 35 Jahren alt. Reza, 28, ist ein Tap30-Fahrer. “Tap30” ist die iranische Version von Uber und funktioniert mit einer App, die von Amir und Emad entwickelt wurde. Im stürmisch-chaotischen Verkehr Teherans beschwert sich Reza über sein Leben: „Ich habe so viel Zeit und Geld verschwendet, um einen Master in Informatik zu bekommen. Jetzt arbeite ich als Taxifahrer, weil ich keinen richtigen Job finden kann. Ist es das, was ich im Sinn hatte, als ich mich für die Universität entschied?“
Die überwiegende Anzahl von Hochschulabsolventen geht ohne direkt umsetzbare Fähigkeiten von der Hochschule in den Job. Die Arbeitslosenquote bei Uniabsolventen in Iran liegt laut dem Statistikzentrum des Landes bei über 40 Prozent.
Für iranische Eltern ist das Studium eine ausreichende Begründung dafür, ihre Kinder finanziell zu unterstützen und ihnen ein angenehmes Studentenleben zu ermöglichen. Ob das wohl der Grund ist, warum sich in reiferen Jahren so gut wie jeder Perser seine Universitätszeit zurückwünscht?
Sämtliche Folgen unserer Reihe “Feldforschung”
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