Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Prebischtor – „The most romantic thing“

Das Prebischtor war für eine irische Schriftstellerin im Jahr 1836 der romantischste Eindruck, den sie auf ihrer Deutschlandreise gewann. Wie romantisch ist es dort heute noch? Eine Wiederentdeckung.

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Wegen der Corona-Pandemie gesperrt: das Prebischtor in der Nähe von Herrnskretschen

Es sei das Romantischste, was sie je gesehen habe, schrieb Maria Frances Dickson in ihrem Reisebericht „Souvenirs of a summer in Germany in 1836“. Der Originalsatz lautet: „The little Gast-haus at the Prebisch-thor is the most romantic thing I ever saw in real life.“ Ich muss gestehen, dass ich als Chinese, der sich mit den europäischen Landschaften nicht besonders gut auskennt, nie von diesem Prebischtor gehört hatte, als ich bei einer Recherche im Rahmen meiner Romantikforschungen darauf stieß.

Eigentlich wollte ich nur wissen, wie das englische Wort „romantic“ vor ungefähr 200 Jahren verwendet wurde. Dank vieler Digitalisierungsprojekte kann man in diesem Zusammenhang inzwischen zahlreiche historische Texte am Computer durchsuchen. Ein solches Projekt ist das „Women‘s Travel Writing, 1780-1840“ an der Universität von Wolverhampton in Großbritannien. Dort ist eine Textdatenbank erstellt worden, die viele Reiseberichte von Frauen zwischen 1780 und 1840 enthält. Um meine Forschungsfrage zu beantworten, habe ich einfach das Suchwort „romantic“ eingegeben – und fand unter mehreren Treffern den oben zitierte schwärmerischen Satz von Maria Frances Dickson.

Obwohl ich weder die Schriftstellerin noch das Prebischtor kannte, war ich neugierig geworden, wie „the most romantic thing“ aus der Perspektive einer Britin aussehen mochte. Dann habe ich ein paar Bilder vom Prebischtor im Internet gefunden und wurde sofort von der Erhabenheit dieser größten natürlichen Sandsteinfelsbrücke Europas fasziniert.

Beliebtes Reiseziel in der Romantik

Das Prebischtor befindet sich im heute tschechischen Teil des Elbsandsteingebirges. Bereits im frühen 19. Jahrhundert kamen nicht nur Deutsche, sondern auch Russen, Niederländer, Engländer und viele mehr – wie Maria Frances Dickson damals anhand der Wandinschriften feststellen konnte. Wahrscheinlich waren auch Franzosen unter den Besuchern, denn es hieß in einem 1833 von Ewald Christian Victorin Dietrich geschriebenen und später ins Französische übersetzten Reiseführer: „Wer das Prebischthor nicht sah, kann nicht sagen: Ich war in der böhmischen und sächsischen Schweiz!“ Aus dem Norden kam Hans Christian Andersen im Sommer 1831, um unter dem Prebischtor den „mächtigen Naturgeist“ zu bewundern.

„Das Thor am Prebisch Grunde“. Ein Kupferstich von Christian August Günther, gedruckt in Götzingers 1804 erschienenem Buch. Der Titel zeigt, dass die heutige Bezeichnung „Prebischt(h)or“ damals noch nicht geläufig war.

Es ist kaum zu glauben, dass diese „überaus sehenswerthe Naturmerkwürdigkeit“ einige Jahre zuvor „noch wenig bekannt“ gewesen sein soll, wie Wilhelm Leberecht Götzinger – heute bekannt als der Erschließer der Sächsischen Schweiz – 1804 berichtete. Götzingers Werke legten den Grundstein für die touristische Entwicklung der Region.

Dass ein Tourist zuerst durch visuelle Darstellung von seinem Reiseziel überzeugt werden muss, ist heute nicht anders als damals. Wobei heute die Gefahr eher darin besteht, von zu viel Visualität überflutet zu werden. Wenn man auf Instagram den Hashtag #prebischtor oder #pravcickabrana eingibt, findet man mehr als 30.000 Fotos sowie hunderte Videoclips. Nachdem ich mir alle Videos und über eintausend Fotos angeschaut hatte, dachte ich zunächst, nun müsste ich nicht mehr hinreisen, denn ich kannte das Ziel ja schon in allen Jahres- und Tageszeiten, unter allen Wetterbedingungen, aus allen Perspektiven. Was könnte es mir noch bringen, es in der Realität zu sehen? Schließlich bin ich doch hingereist.

Reisebeschränkung – nicht nur wegen Corona

So wie Maria Frances Dickson anzureisen, ist dieser Tage nicht nur wegen der Corona-Pandemie nur eingeschränkt möglich. Denn wie vor zweihundert Jahren üblich, tat sie es auf einem Sessel, der von mehreren Trägern gestemmt wurde: zwölf Stunden von Bad Schandau auf dem sogenannten „Fremdenweg“, vom Kuhstall über den Kleinen und Großen Winterberg bis zum Prebischtor.

Eine alte Steinsäule in der Nähe vom Großen Winterberg weist den Weg in Richtung Prebischtor. Daran sollte man sich heute nicht orientieren, denn der historische Fremdenweg ist nicht mehr passierbar.

Doch auch wenn man denkt, dass heutzutage das Reisen viel schneller und einfacher ist als früher, wird es in unserer Zeit kaum jemand schaffen, innerhalb eines Tages alle vier oben genannten Stationen zu besuchen. Der Grund dafür ist nicht die Corona-Pandemie, sondern die Grenzziehung. Seit 1945 ist der historische Fremdenweg an der Staatsgrenze zwischen Deutschland und Tschechien nicht mehr passierbar. Wer heute vom Großen Winterberg zum Prebischtor auf legale Weise wandern möchte, müsste nach Schmilka an der Elbe absteigen. Von dort aus kann man dann viele Möglichkeiten nutzen, um die Staatsgrenze zu überschreiten, egal ob mit Auto, Bahn, Fähre, Fahrrad oder, wie ich, zu Fuß. Oben im Wald zeigt sich der historische Fremdenweg dann gesperrt. Es ist zwar schade, aber manchmal ist gerade das am schönsten, was nicht mehr da ist.

„Ewige Sehnsucht“

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt’.
(Eichendorff, „Mondnacht“)

Dieses berühmte Gedicht der deutschen Romantik entstand um 1835 und wurde 1837 erstmals veröffentlicht. In der Zwischenzeit, also im Jahr 1836, ist Maria Frances Dickson durch Deutschland gereist, bis zum Prebischtor, wo sie den romantischsten Eindruck ihrer Reise fand. Dieser romantische Moment, so wie der Kuss vom Himmel in Eichendorffs “Mondnacht”, ist nur einmalig und lässt sich nicht wiederholen. Dennoch kann man sich davon inspirieren lassen und sich nach einer idealisierten Welt sehnen. Nur dann wird man motiviert, die Realität zu ändern. Wer als EU-, Asyl- oder Wolfs-Romantiker bezeichnet wird, sollte sich nicht beleidigt fühlen. Gemeint sind Menschen, die nicht durch Träume, sondern durch Kraft und Bemühungen versuchen, eine bessere Welt zu schaffen.

So romantisch wie ein Vögelein im Käfig

„Und? Findet ihr es romantisch?“ fragte ich meine beiden Mitreisenden, als wir endlich unter dem riesigen Felsenbogen standen. Von dort aus blickt man auch auf ein Gasthaus im Blockhausstil – das Ausflugsschlösschen „Falkenhorst“. Es wurde im Jahre 1881 im Auftrag von Fürst Edmund Clary-Aldringen erbaut – 35 Jahre nach dem Besuch von Maria Frances Dickson. Heute befindet sich in seinem ersten Geschoss ein Restaurant, in dem man sich nach der Wanderung mit einem Bier – viel mehr gibt es hier nicht – belohnen kann. Im zweiten Geschoss ist eine kleine Ausstellung mit Fotos von der Böhmischen Schweiz zu sehen, die jedoch nicht viel besucht wird.

Aber wo ist das kleine Gasthaus, das laut Maria Frances Dicksons Beschreibung wie ein Vogelkäfig am Felsen hing?

Das 1853 von Hermann Krone abgelichtete Häuschen am Prebischtor dürfte das Gebäude sein, das 1836 von Maria Frances Dickson als „the most romantic thing“ beschrieben wurde.

Obwohl die Schriftstellerin nicht erklärt hat, warum sie das Gasthaus als besonders romantisch empfand, können wir ihren Eindruck mithilfe der Beschreibung eines Zeitgenossen flankieren. Karl August Friedrich von Witzleben schrieb im selben Jahr in seinem Reisebericht mit dem Titel „Romantische Wanderung durch die Sächsische Schweiz“ über das Prebischtor: „Ueberhaupt war die Aussicht von hier für mich die schönste, die ich in der sächsischen Schweiz noch sah, denn sie vereint das Liebliche mit dem Erhabenen.“ Diese Erklärung ist insofern gut nachvollziehbar, als nur diejenigen, die wie ein Vogel im Käfig gut versorgt sind und nicht in der wilden Natur ums Überleben kämpfen müssen, von einer romantischen Welt träumen dürfen. Ob Maria Frances Dickson sich selbst wie ein gut versorgtes Vögelein gefühlt hat, können wir heute nicht wissen. Allerdings kann jeder, der heute unter dem Prebischtor steht, sich fragen: Bin ich gut versorgt? Träume ich noch von einer romantischen Welt?

Auf meine Frage, ob sie das Prebischtor romantisch fänden, kam keine Antwort von meinen Mitreisenden. Vielleicht um mich nicht zu beleidigen oder zu enttäuschen, haben sie nicht “Nein” gesagt. Aber ich bin nicht enttäuscht.