Die Hochschulen sind chronisch unterfinanziert und die Lage wird immer brenzliger, finden die Rektoren der baden-württembergischen Hochschulen und die Landesstudierendenvertretung. Unter dem Motto NoScienceNoFuture haben die Rektoren und Studenten an diesem Mittwoch zu Demonstrationen in ganz Baden-Württemberg aufgerufen. Wir haben uns mit Andreas Bauer, Sprecher der Landesstudierendenvertretung, über Fehler der Landesregierung, Torschlusspanik und warum er nicht mit Theresia Bauer tauschen möchte, unterhalten.
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Ihr ruft Studierende dazu auf, auf die Straßen zu gehen. Bei “Fridays for Future” machen das schon Zehntausende. Haben junge Leute wieder den Protest entdeckt?
Andreas Bauer: Ich würde das so nicht unterschreiben. Das mag vielleicht auf das universitäre Milieu insgesamt zutreffen, bei mir an der Hochschule Mannheim ist das anders. Die Hochschule ist technisch geprägt, die Studierenden sind eher unpolitisch, es ist schwer, meine Kommilitonen für die meisten solcher Fragen zu sensibilisieren. Aber im Gegensatz zu fernen Themen wie die Demokratiebewegung in Hongkong sind die Unterfinanzierung unserer Hochschulen oder das Klima nahbare Dinge mit akutem Bezug. Da merken viele, dass Handlungsbedarf besteht.
Die Unterfinanzierung der Hochschulen ist bundesweit nichts Neues. Was ist jetzt so besonders, dass ihr auf die Straße geht?
Der Hochschulfinanzierungsvertrag läuft nächstes Jahr aus und gerade verhandelt man in Stuttgart über die Details des fünfjährigen Folgevertrags. Der Vertrag wurde in Anbetracht von G8 und dem Aussetzen der Wehrpflicht beschlossen, um den Hochschulen zusätzliche Mittel für die schlagartig ansteigenden Studierendenzahlen zur Verfügung zu stellen. Die letzten fünf Jahre gab es mehr Geld, zweckgebundene Programmmittel wurden zu Grundmitteln verstetigt, über die die Hochschulen mehr oder weniger frei entscheiden können, und es wurde eine Dynamisierungsrate von drei Prozent eingeführt, um die Kostensteigerungen auszugleichen. Die Studierendenzahlen sind aber nach wie vor hoch, der Vertrag geht in die nächste Runde.
Das hört sich doch schön an. Worin liegt das Problem?
Selbstverständlich hört sich das alles super an. Der Vertrag ist auch ein cleveres Werkzeug, weil er den Hochschulen für fünf Jahre Planungssicherheit verschafft, aber die Ausgestaltung ist der Knackpunkt. In absoluten Zahlen wachsen die Mittel für die Hochschulen und das lässt sich für das Land gut verkaufen, aber der Anstieg ist viel zu gering. Die Gelder sind nicht adäquat mit dem steigenden Studierendenzahlen gewachsen. Ich weiß nicht, warum die Rektorate der Hochschulen den Vertrag 2015 unterzeichnet haben. Vielleicht waren sie blauäugig, jetzt hat man zumindest Torschlusspanik: Mit der Ausgestaltung des neuen Vertrags werden in Stuttgart die Weichen für die Zukunft der Hochschulen gestellt. Das ist wie Weihnachten, das kommt auch jedes Jahr überraschend.
Die Finanzierung des Landes kommt dem Wachstum der Studentenzahlen also nicht nach. Ist das System gescheitert?
Im Endeffekt heißt es genau das. Es ist politisch gewollt, dass wir so viele Studierende haben. Sie stellen ja einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für Baden-Württemberg dar. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat erst kürzlich gesagt, dass kein Interesse daran besteht, die Studierendenzahlen zu verringern. Aber unsere Hochschulen sind mittlerweile zu Lernfabriken geworden, die für immer geringere Stückkosten immer mehr Absolventinnen und Absolventen produzieren sollen. Das geht so aber nicht, man kann hier nicht betriebswirtschaftlich denken und annehmen, dass sich die Kosten pro Studentin oder Student in der Masse verringern. Je mehr Studierende es gibt, desto mehr wissenschaftliches Personal braucht es für eine hochwertige Lehre. Das setzt sich in der Verwaltung fort, die schon jetzt hoffnungslos unterbesetzt ist. An der Hochschule Mannheim etwa muss man im Durchschnitt vier Monate auf die Aushändigung seines Abschlusszeugnisses warten.
Was fordert ihr als Landesstudierendenvertretung?
Die Verhandlungen für den zweiten Hochschulfinanzierungsvertrag laufen nebulös hinter verschlossener Türe. Wir möchten wissen, was Sache ist. Selbst die Rektorinnen und Rektoren, die am Ende den Vertrag unterschreiben sollen, beklagen das. Die Landesrektorenkonferenz hat konkrete zahlenmäßige Forderungen gestellt, wir haben das nicht getan. Wir bemerken vorrangig Dinge, die falsch laufen. Wenn die Digitalisierung an den Hochschulen schleppend läuft oder die Gebäude marode sind, dann sehen wir da den Zusammenhang mit einer mangelnden Finanzierung. Ob es da jetzt 1000 Euro mehr braucht je Studierenden, wie die Rektorinnen und Rektoren fordern, oder mehr oder weniger, das können wir als Studierende nicht abschließend beurteilen.
Die Rektoren fordern 450 Millionen Euro mehr pro Jahr, im Doppelhaushalt 20/ 21 sind aber nur noch etwas mehr als 1 Milliarde Euro zu verteilen. Wie soll das funktionieren?
Die Hochschulen machen ihre Ansprüche geltend für das, was sie leisten. Bei Forderungen darf man keine Rücksicht auf das nehmen, was der Partner leisten kann. Man muss mit seiner Maximalforderung ins Rennen gehen und dann das beste rausholen. Wir haben das Gefühl, dass unsere Ministerin nicht mit so einer Maximalforderung ins Rennen gegangen ist. Andere Ministerien verhandeln einfach besser, dementsprechend verraten fühlen wir uns vom Wissenschaftsministerium. Auch beobachte ich zwischen Ministerin und den Hochschulleitungen ein angespanntes Verhältnis, kürzlich wurden etwa alle Rektorinnen und Rektoren sehr kurzfristig zur Dienstbesprechung einbestellt. Die Rektorate und wir sitzen im gleichen Boot, das kommt ja nicht so häufig vor. Sie sind nicht dafür bekannt, dass sie auf die Straße gehen. Das zeigt diesmal aber eben den Ernst der Lage.
Zuletzt standen von Seiten des Ministeriums 125 Millionen Euro mehr für die Hochschulen im Raum, das ist weit entfernt von dem errechneten Bedarf der Rektoren. Wo können die Hochschulen sparen?
Wenn die Hochschulen sparen müssen, heißt das langfristig “Dienst nach Vorschrift”. Sie müssen also zusätzliche, freiwillige Aufgaben jenseits von Forschung und Lehre abgeben, zu denen sie nach dem Gesetz nicht verpflichtet sind, die sie die letzten Jahre aber übernommen haben. Aber wo man sonst sparen kann, das erschließt sich uns nicht. Eine Verringerung der Kapazitäten ist keine Option. Denn es sollte all jenen ermöglicht werden, einen Studienplatz zu bekommen, die studieren möchten. Daher sprechen wir uns auch klar gegen Studiengebühren aus.
Ich fasse zusammen: Der Landeshaushalt ist ausgeschöpft und die Hochschulen brauchen mehr Geld, Sparen ist schwierig und Studiengebühren kommen nicht in Frage. Woher soll das Geld kommen?
Im System ist ja grundsätzlich genug Geld da. Ich denke zum Beispiel aktuell an die Strafzahlungen im Dieselskandal, das Geld wäre in den Hochschulen gut angelegt. Aber es ist überhaupt nicht unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, woher die Hochschulen Geld bekommen können. Wir sind ja die Studierenden. Wir sehen, dass im System etwas quer steht, die Lösungen müssen die Verantwortlichen finden.
Wenn Sie tauschen könnten mit Theresia Bauer, was würden Sie anders machen?
Das ist schwer zu sagen, denn ich weiß nicht genau, was sie konkret macht. Sie hat einen verantwortungsvollen Job und ob ich dafür geeignet wäre, weiß ich nicht. Ich möchte an der Stelle auch klarstellen: Die Ministerin ist für die Unterfinanzierung der Hochschulen nicht alleine verantwortlich. Das ist ein strukturelles Problem, das nicht erst seit vorgestern besteht.
Woran könnte das liegen?
Der Haushalt ist das Produkt einer politischen Entscheidung, die letztlich auch durch den öffentlichen Diskurs geprägt wird. Über Hochschulfragen gibt es aber keine große gesellschaftliche Debatte, die zu einem politischen Druck führen könnte. Bei Schulen ist das ganz anders, dass wir bessere Schulen brauchen, ist ein Thema in den Köpfen der Menschen. Die Politik reagiert dann darauf. Mehr Debatte würde also helfen.
Die Fragen stellte Leon Igel
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Andreas Bauer studiert Informationstechnik im Master an der Hochschule Mannheim. Neben seinem Engagement im Asta seiner Hochschule ist er einer der fünf Sprecher der Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg.
Infos und Zahlen:
Im Wintersemester 2017/18 begannen nach Zahlen des Statistischen Landesamts in Baden-Württemberg 59 Prozent mehr junge Menschen ein Studium als 2007, damit sind die Studierendenzahlen schneller gestiegen als die Finanzierung der Hochschulen. Zwar steigen die Ausgaben der Länder in absoluten Zahlen, rechnet man das pro Studenten um, sind die Ausgaben jedoch geringer als früher. Nach Berechnungen der Rektoren fielen auf einen Uni-Studenten nach heutigem Geldwert 3540 Euro weniger als 1998, für Hochschul-Studenten sei der Betrag von 2007 bis 2017 um 1000 Euro gesunken. Das Wissenschaftsministerium kann aufgrund unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen solche Zahlen nicht einfach bestätigen, gibt jedoch zu, dass die Beträge seit dem Jahr 2000 deutlich weniger wurden. Durch den Hochschulfinanzierungsvertrag I sind die Mittel pro Student seit 2015 aber wieder leicht gestiegen. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes stehen die Hochschulen in Baden-Württemberg im Vergleich gut da, ein Student dort bekommt mehr Geld als im Bundesdurchschnitt, auch sind die Förderbeträge pro Student weniger stark gesunken als im nationalen Vergleich. Aktuell erhalten die baden-württembergischen Hochschulen etwa 3 Milliarden Euro jährlich, 2007 waren es noch 2 Milliarden Euro. Die Rektoren fordern 1000 Euro mehr pro Student, insgesamt melden sie einen Zusatzbedarf von 450 Millionen Euro im Jahr.