Zwei der besten deutschen Pop-Songs sind auf Kölsch geschrieben. Nach einem Treffen mit Wolfgang Niedecken erscheinen „Do kanns zaubre“ und „Verdamp lang her“ noch rätselhafter als zuvor.
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Erfolgreiche Songtexte führen oft ein Eigenleben. Weder hat der Autor sie immer bewusst hervorgebracht, noch kann der Hörer sie, an den Stellen, an denen sie gelebtes Leben wiedergeben, angemessen verstehen. Trotzdem macht sich der Hörer einen eigenen Reim auf die Verse. Es entsteht ein Sinn, der sich zu verselbständigen beginnt und sich allmählich mit der Lebensgeschichte des Hörers verbindet. Die beiden beliebtesten Lieder der Kölner Rockgruppe Bap sind dafür ein besonders gutes Beispiel: „Do kanns zaubre“ und „Verdamp lang her“, ein Liebeslied das eine, ein Lied über Tod und Trauer das andere.
Zu Beginn der Achtziger waren beide Nummern große Hits, die Bap-Alben, auf denen sie veröffentlicht wurden, verkauften sich millionenfach. Doch wurden „Do kanns zaubre“ und „Verdamp lang her“ allein wegen der verwendeten Kölschen Mundart wohl insgesamt weit weniger verstanden als mancher englische Titel dieser Zeit. Viele Radiohörer sollen sich in den Achtzigern bei der ersten Bap-Begegnung sogar gefragt haben, ob es sich überhaupt um eine Variante der deutschen Sprache handele.
Ein Gespräch mit dem Bap-Sänger und Songwriter Wolfgang Niedecken, den wir vor einigen Tagen in der Kölner Südstadt trafen, machte überdies deutlich, dass gerade bei „Verdamp lang her“ das „bissje jet“, was man als Hörer „kapiert“ zu haben glaubt, im Grunde in die Irre führt. Wolfgang Niedecken, als Sohn eines Lebensmittelhändlers zum Realisten erzogen, sagt es im Gespräch folgendermaßen: „Man muss sich nichts vormachen, das zufällige Erfolgsding von ‚Verdamp lang her‘ ist natürlich, dass jeder seine eigene Geschichte da reininterpretiert. Jeder hat seine Klassenfahrt, an die er sich gern erinnert, oder denkt an seine Fußballmannschaft, als sie noch in der ersten Bundesliga gespielt hat – oder irgendwas.“
Wie hat es der von Niedecken so verehrte Bob Dylan am Dienstag in seiner „Nobel Lecture“ angesichts zweier Verse des englischen Dichters John Donne gesagt: Sie seien zwar nicht zu verstehen, aber – „it sounds good“. Wird das Detailverstehen überschätzt?
Wir beginnen unsere Tour durch die lyrics von Wolfgang Niedecken mit dem am 2. Juni 1982 in Kölns Teutoburger Straße 5 geschriebenen Liebeslied „Do kanns zaubre“:
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Gleich zu Beginn des Songs beeindruckt, mit welch sparsamen Mitteln der ausgebildete Maler Niedecken einen Erlebnisraum skizziert, den er immer weiter öffnet. Das Song-Ich sitzt mit Papier und Bleistift am Fenster, hört die Geräusche von draußen, kann aber seinem Vorhaben nicht nachkommen, etwas aufzuschreiben, weil er gedanklich – jetzt öffnet sich ein Raum auch nach innen und in die Vergangenheit – seiner Geliebten nachhängt. Hierdurch entsteht eine eigentümliche Spannung: Das Song-Ich singt den Text, den es eigentlich aufschreiben will. Die Phantasie treibt den Verliebten dabei derart davon, dass er in der letzten Strophe bedauert, „kaum jet notiert“ zu bekommen. Was nur dann nicht als Widerspruch gelten kann, wenn man das gesungene Wort als das eigentliche Medium – vor dem geschriebenen – auffasst.
Während die ersten vier Verse inhaltlich noch ganz gut zu verstehen sind, erweist sich der fünfte Vers für Nicht-Rheinländer als eher babylonisch. Spätestens an der Stelle, an der Niedecken von einem „LewwefürmDachIks“ singt, entsteht wohl für die meisten Hörer eine erste Verständnislücke. Erst der niedergeschriebene Text macht klar: Es geht um das „Leben vor dem Tag X“.
Doch inzwischen hat der Refrain den aus der Textbahn geworfenen Hörer schon wieder unter den Arm geklemmt, er holt ihn ab mit „Do kanns zaubre“, bevor er ihn mit dem zweiten Halbvers („wiedingMammdieKaateläät“) abermals den Fliehkräften der Lautmalerei überlässt.
Es ist eine magische, rätselhafte Welt, die sich jetzt auftut: Die Liebe ist Zauberei, die Mutter der Geliebten versteht sich auf das Kartenlegen, also die Weissagekunst, womit sich der Song-Raum nun auch in die Zukunft öffnet.
„Irjendsujet muss et sinn“ / „Irgend sowas muss es sein“ – das Song-Ich versteht sein Liebesglück selbst nicht so recht, denn es bezeichnet sich als „fertigen Typ“, auf den eigentlich keiner mehr etwas gegeben hatte – eine Urszene der überraschend erfüllten Liebe, die auch den Schlusssatz von Goethes „Wilhelm Meister“ prägt: „ich weiß, dass ich ein Glück erlangt habe, das ich nicht verdiene, und das ich mit nichts in der Welt vertauschen möchte.“
„Das ist meine Geschichte“
Die nach Vergewisserung suchende Bewegung des Song-Ichs geben die einzelnen Liedstrophen auch formal wieder. Das Reimschema entspricht meistens einem „ab-ab-cc“, manchmal auch einem „aa-aa-cc“, wobei sich die Endreime, die zum Teil mitten im Satz stehen, und auch die Wortgleichheit nicht scheuen („ich/ich“, „kohm/kohm“), oft wie eine Art Cliffhanger verhalten. Im Gespräch antwortet Wolfgang Niedecken auf den Hinweis, dass er dieses Reimschema wohl besonders schätze, da es auch „Verdamp lang her“ zugrunde liegt, lachend: „Kann sein, ich weiß es nicht.“
Erstaunlich bandwurmartig für einen Pop-Song sind die beiden Schlussverse der zweiten Strophe, die übersetzt wohl folgendermaßen lauten würden: „Das Schlimmste war, als mir, als du mich endlich registriert, entsetzlich klar wurde, dass es jetzt oder nie mit uns beiden passiert“. Dass sie auf Kölsch gesungen werden, macht die Sache nicht leichter. Andererseits sollen sie ja gerade Schwere ausdrücken.
„Das ist das, was ein Lied spannend macht, wenn Sachen auftauchen, die man nicht erwartet hätte. Ein Lied darf, wie ein Film, ein Bild, nie predictable werden. Aber in dem Fall beschreibt es Eins zu Eins die Situation, in der ich mich befunden habe, als ich meine spätere Frau Carmen kennengelernt habe. (zeigt auf das Blatt mit dem Songtext) Das ist meine Geschichte.“ (Wolfgang Niedecken)
Die Entstehungsgeschichte des Songs erzählt Wolfgang Niedecken ausführlich am Schluss dieses Beitrags. Hier soll die Tatsache, dass die Melodie von „Do kanns zaubre“ schon einmal auf der B-Seite einer Beuys-Single veröffentlicht worden war, die erstaunliche Zufallskette nur andeuten, die diesem Hit zugrundeliegt.
„Do kanns zaubre“ war einer der schnellsten Liedtexte, die Wolfgang Niedecken, so sagt er, je zu Papier gebracht hat. Entstanden ist ein für viele Hörer stellenweise eher lautmalerisches Liebeslied mit einigen allerdings sehr prägnanten Halbversen, die im Grunde schon genügen, um das Urszenische der beschriebenen Liebesanbahnung durchklingen zu lassen.
Die oft behauptete, aber in diesem Song sehr wörtlich genommene Magie der Liebe trifft dabei auf die ähnlich oft zitierte Magie der Poesie. Gegen alle lebensweltlichen Widrigkeiten behauptet sich sowohl im als auch durch den Text ein Gefühl, das so stark ist, dass es, während es sich noch ordnet, schon den Hörer sucht. Ähnlich verhält es sich auch bei dem einige Monate früher entstandenen Trauerlied „Verdamp lang her“.
„Es ist ein Privileg, Songtexte schreiben zu können. Ich lege mich eigentlich zu mir selbst auf die Couch. Ich brauche keinen Psychiater, weil ich beim Psychiater Niedecken alles raus lassen kann. Ich muss nur ab und zu entscheiden: Geht das die Öffentlichkeit überhaupt noch was an?“ (Wolfgang Niedecken)
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Verdamp lang her
Verdamp lang her, dat ich fass alles ähnz nohm,
Verdamp lang her, dat ich ahn jet jejläuv,
Un dann dä Schock, wie’t anders op mich zokohm,
Merkwürdig, wo su manche Haas langläuf.
Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert –
E’ bessje jet hann ich kapiert.
Wer alles, wenn dir’t klapp, hinger dir herrennt,
Ding Schulder klopp, wer dich nit all hofiert,
Sich ohne ruut ze weede dinge Fründ nennt
Un dich daachs drop janz einfach ignoriert.
Et ess lang her, dat ich vüür su jet rootlos stund
Un vüür Enttäuschung echt ni’ mieh kunnt.
Ich weiß noch, wie ich nur dovun gedräump hann,
Wovun ich nit woss, wie ’sch et sööke sollt,
Vüür lauter Söökerei et Finge jlatt versäump hann,
Un övverhaup, wat ich wo finge wollt.
’Ne Kopp voll Nix, nur die paar instinktive Tricks,
Et duhrt lang, besste dich durchblecks.
Dat wohr die Zick, wo ich noch nit ens Pech hatt,
Noch nit ens dat, ich hatt se nit ens satt.
He wohr John Steinbeck, do stund Joseph Conrad,
Dozweschen ich, nur relativ schachmatt.
’T ess paar Johr her, doch die Erinnrung fällt nit schwer,
Hück kütt mer’t vüür, als wenn et jestern wöhr.
Verdamp lang her, verdamp lang,
Verdamp lang her.
Verdamp lang her, verdamp lang,
Verdamp lang her.
Frööchs mich, wann ich zoletz e’ Bild jemohlt hann,
Ob mir e’ Leed tatsächlich jetz jenüsch,
Ob ich jetz do benn, wo ich hinjewollt hann,
Ob mir ming Färv op die Tour nit verdrüsch.
Ich jläuv, ich weiß, ob de nu laut mohls oder leis,
Kütt nur drop ahn, dat de et deiß.
Verdamp lang her, verdamp lang,
Verdamp lang her.
Verdamp lang her, verdamp lang,
Verdamp lang her.
Verdamp lang her, dat ich bei dir ahm Jraav wohr
Verdamp lang her, dat mir jesprochen hann
Un dat vum eine och jet beim andre ahnkohm –
Su lang, dat ich mich kaum erinnre kann.
Häss fess jejläuv, dat wer em Himmel op dich waat,
“Ich jönn et dir“, hann ich jesaat.
Verdamp lang her, verdamp lang,
Verdamp lang her.
Verdamp lang her, verdamp lang,
Verdamp lang her.
(Übersetzung hier)
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Es ist Rosenmontag 1981. Auf der Flucht vor Kölns Jecken ist Wolfgang Niedecken mit seiner Freundin Carmen in dem kleinen fränkischen Ort Morlitzwinden untergetaucht und versucht, den Tod seines knapp sechs Monate zuvor verstorbenen Vaters zu verarbeiten. Die beiden haben sich innig geliebt, wie er sagt, zum Schluss aber nicht mehr richtig verstehen können oder wollen. Das bedauert Wolfgang Niedecken schon damals zutiefst. Nach zwei Tagen steht der Text, der von Niedeckens Band allerdings als so traurig empfunden wird, dass eine Übernahme auf das Album „Für usszeschnigge!“ lange fraglich bleibt, zumal der Refrain noch fehlt. Dann hat der Gitarrist Klaus Heuser in letzter Minute eine zündende Idee, er setzt den Textanfang einfach auf ein paar naheliegende Harmonien: „Verdamp lang her, verdamp lang, verdamp lang her“ – der Refrain ist da, der Song ist fertig. Doch zum Hit entwickelt er sich erst auf Umwegen – Niedeckens Zusammenfassung dieser sonderbaren Erfolgsgeschichte findet sich am Artikelschluss.
Für das Textverständnis gibt Wolfgang Niedecken im Interview den folgenden Hinweis: „‚Verdamp lang her‘ ist ein fiktives Gespräch zwischen meinem Vatter und mir, bei dem kein Mensch mehr weiß, wer was gesagt hat. Das sind alles Gesprächsfetzen, die irgendwann mal zwischen uns hin- und hergeflogen sind, auch Lebensweisheiten, die er mir vermitteln wollte: ‚Wer alles, wenn dir’t klapp, hinger dir herrennt‘ – das ist ein Spruch von meinem Vatter.“
Der Vater brachte den Erfolg
Wobei schon dieses letzte Detail erstaunt. Erscheinen die zitierten Verse doch als Klage eines immer erfolgreicher werdenden Musikers viel wahrscheinlicher als die eines eingesessenen Kaufmanns. Hinzu kommt, dass der Vater im Songtext erst in der letzten Strophe, und hier auch nur incognito, auftritt: „Verdamp lang her, dat ich bei dir ahm Jraav wohr“.
Die Text-Collage ist derart verwickelt, dass Wolfgang Niedecken in unserem Gespräch über die erste Strophe zunächst sagt: „Ja, das bin ich. Das meiste sehe ich auch heute noch so“, bis ihm einfällt: „aber ‚dä Schock, wie’t anders op mich zokohm‘ ist von meinem Vatter, ‚wo su manche Haas langläuf‘ ist auch von meinem Vatter. Die zweite Strophe ist ganz mein Vatter.“ Durch die enge Verschränkung der Redeanteile kommt es rein formal zu der innigen Verbindung zwischen Vater und Sohn, die den beiden zuletzt fehlte.
Die dritte Strophe, die davon handelt, wie schwer es ist, seinen Weg im Leben zu finden, und die im Hochdeutschen wohl viel unspektakulärer klingen würde als in der drängenden Kölsch-Version von Wolfgang Niedecken, ist dann zwar eindeutig von ihm selbst, ebenso die vierte Strophe, die poetische Reflexionen über die Zeit anstellt. Am überraschendsten aber ist, dass der Vater auch einen großen Anteil an der fünften Strophe hat, in der es um die Frage geht, für was sich das Song-Ich denn nun entscheiden soll – ob für die Malerei oder die Musik?
Warum sollte diese Frage den Vater interessieren, der die künstlerischen Ambitionen seines Sohns grundsätzlich mit Argwohn betrachtete? Und doch ist die poetisch anmutende Frage, ob dem Song-Ich nicht allmählich „die Färv … verdrüsch“, also die Farbe vertrocknet, nicht etwa Teil eines Selbstgesprächs, sondern stammt von Josef Niedecken, der, wie sein Sohn im Gespräch sagt, einfach „unfassbar sparsam“ war und wohl eine Fehlinvestition in die teuren Ölfarben fürchtete.
„‚Verdamp lang her‘ würde wahrscheinlich auch auf Hochdeutsch funktionieren, es wäre aber nicht so geschmeidig. Kölsch hat eine unglaubliche Geschmeidigkeit. Es fühlt sich gelebt an. Es ist ja auch alles gelebt.“ (Wolfgang Niedecken)
Wolfgang Niedecken liest den Songtext von „Verdamp lang her“
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Erst durch Details wie diese wird deutlich, wie sehr „Verdamp lang her“ eine Liebeserklärung Wolfgang Niedeckens an seinen Vater und dessen Sprache ist. In keinem anderen Bap-Song kommen auch so viele der wunderbaren kölschen Zwielaute vor – „jejläuv / langläuf“, „gedräump / versäump“ -, die für Nicht-Rheinländer wiederum wie höchst artifizielle Lautmalerei klingen.
„Verdamp lang her“ ist nicht nur ein Bap-Song über den Bapp – so das von Wolfgang Niedecken häufig gebrauchte Kosewort für seinen „Vater“, das ihm selbst den Spitznamen „Bapp“ einbrachte, der dann wiederum gekürzt auf seine Band übertragen wurde -, sondern auch einer, in dem der Bapp großzügig zu Wort kommt und sogar mehr als indirekt zu dem Erfolg von „Bap“ beiträgt.
Man muss sein Blut auf die Schienen legen
Nach dem Einspielen glaubte die Band zunächst nicht an den Erfolg des Songs und koppelte ihn nicht als Single aus. Dann aber spielte der WDR dieses sonderbare Lied, in dem der Refrain erst nach der vierten Strophe kommt, trotzdem in einer Radiosendung, die eigentlich Singles vorbehalten war. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich „Verdamp lang her“ zu einem Hit und machte die Band berühmt. Und all das, obwohl den Text, wie Wolfgang Niedecken mit dem Brustton der Überzeugung sagt, damals „keiner verstanden“ hat. Den Bezug zu seinem Vater hat er öffentlich allerdings auch erst recht spät hergestellt.
Und doch – obwohl das genau Textverstehen in der Musik von Bap offenbar nicht entscheidend ist -, sagt Wolfgang Niedecken über das Texten insgesamt: „Man muss alles reinlegen, seine Seele reinlegen, alles zulassen. Man muss – das ist ein schöner Albumtitel von Bob Dylan: ‚Blood on the tracks‘ – man muss sein Blut auf die Schienen legen, beziehungsweise auf die Tonspuren.“
Die Tatsache, dass die Kölsche Sprachbarriere für den Hörer von „Do kanns zaubre“ und „Verdamp lang her“ offenbar kein großes Hindernis darstellt, lässt dabei eigentlich nur einen Schluss zu: Möglicherweise genügt es dem Hörer in der Pop-Musik, inhaltliche Intensität über weite Strecken allein den Lauten, der Musik und der Art des Gesangs abzuhören. Wobei der Text dabei nicht austauschbar wird: Denn ohne stark verdichtete Verse könnte wohl nicht die Energie entstehen, die den mitreißenden Vortrag erst ermöglicht.
Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Kunst von Wolfgang Niedecken und Bap in „Do kanns zaubre“ und „Verdamp lang her“ ist nach außen hin eher eine abstrakte – auch wenn sie ihren extrem wahren Kern nicht verbirgt.
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Entstehung von „Do kanns zaubre“ (aus dem Interview mit Wolfgang Niedecken vom 31.5.2017)
Wir waren gerade dabei, das Material für das „Vun drinne noh drusse“-Album zusammenzustellen, da kam unser damaliger Gitarrist, Klaus Heuser, mit der Melodie von „Do kanns zaubre“ an, die er sogar schonmal verwendet hatte. Das war ursprünglich eine Instrumentalnummer auf der Rückseite der doch eher unsäglichen Beuys-Nummer „Sonne statt Reagan“ – Beuys hatte damals mit einigen Leuten von Bap und Wolf Maahn ein Lied für die Grünen aufgenommen. Die Nummer auf der Rückseite hieß „Kräfte sammeln“ und Klaus Heuser schlug sie zum Betexten vor. Und ich war damals in der Situation, dass ich mich in der Beziehung mit der späteren Mutter meiner Söhne sehr glücklich fühlte. Ich saß dann tatsächlich in der Teutoburger Straße 5, fühlte mich gut aufgehoben, und fragte mich: Was schreibst du jetzt auf die Nummer? Und dann kam wörtlich: „E wieß Blatt Papier, ne Bleisteff, Jedanke bei dir, setz ich …“ Ich sitze dort am Fenster, guck raus und denke: „Schreibst du das am besten schonmal“ – und ich habe es dann bis zur letzten Zeile durchgeschrieben. Das war einer meiner schnellsten Liedtexte.
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Entstehungsgeschichte von „Verdamp lang her“ (Interview mit Wolfgang Niedecken vom 31.5.2017)
Über die Entstehung von „Verdamp lang her“ habe ich sogar ein Lied geschrieben, für das Bap-Album „Lebenslänglich“: „Et ess lang her“. Es war so, mein Vater war am 18. September 1980 gestorben. Wir waren zu der Zeit als Rockband viel unterwegs, richtig durch die kleinen Clubs, das war eine echte Maloche. Das Verhältnis zu meinem Vater war merkwürdig, die Phase der Auflehnung und Revolte war eigentlich schon lange gegessen. Aber wir haben in den letzten Jahren nie mal richtig miteinander reden können. Wir haben uns nicht mehr erreicht. Das war sehr schade, denn wir haben uns wirklich geliebt. Er hat sich ohne Ende Sorgen um mich gemacht, begründeterweise, aber er hat mich auch nicht richtig verstanden.
Mein Vater war ein einfacher Mann, 1904 geboren, und 1951, als ich auf die Welt kam, schon ein alter Vater, er hatte ein Lebensmittelgeschäft hier in der Severinstraße. Er konnte mit dem, was mir wichtig war, nichts anfangen. Auch schon vor seinem Tod bin ich immer rumgelaufen mit dem Gedanken: Wie können wir das nochmal hinbekommen? Dann war er tot. Und ich wollte das immer – vom September ’80 bis zum Rosenmontag ’81, an dem ich den Text geschrieben habe – in einem Lied verarbeiten. Ich hatte mich mit Carmen über Karneval nach Morlitzwinden, einen winzigen Ort zwischen Rothenburg ob der Tauber und Nürnberg, verdrückt. Auf der Karnevalsflucht hatte ich endlich die Gelegenheit, mir tiefergehende Gedanken zu machen, und dann habe ich dieses Lied geschrieben.
Und beinahe wäre es noch nicht mal aufs Album gekommen. Das war so ein trauriges Ding, es hatte auch noch nicht mal einen Refrain, so dass wir es bei den Proben für das Album immer wieder nach hinten geschoben haben. Ganz am Schluss, als wir schon am Abbauen waren, habe ich gefragt: Was machen wir jetzt mit dem Lied von meinem Vatter? Da sagte der Major, Klaus Heuser: „Wat willste denn damit machen? So vielleicht?“ Und dann spielte er dieses Police-Lick: ditditditditditditditdit, wie ’ne Nähmaschine und dann sang er den Refrain, der ja noch fehlte, auf die naheliegendsten Refrain-Harmonien: „Verdamp lang her, verdamp lang, verdamp lang her“. Alle gucken und sagen: „Ja, lass uns das mal probieren.“ Dann haben wir es probiert, haben es aufgenommen, haben uns aber nichts davon erwartet.
Man muss sich das mal vorstellen: Der Refrain kommt in dem Lied erst nach der vierten Strophe – nach heutigen Radioformat-Kriterien: unmöglich. Die Single war dann auch ’ne andere: „Jupp“, wir dachten das wäre ’ne tolle Nummer, die hat aber kein Mensch gespielt. Ein DJ beim WDR, Wolfgang Neumann, hat „Verdamp lang her“ dann einfach laufen lassen, obwohl es keine Single war – in einer Sendung in der Singles vorgestellt wurden! Und dann ging es los. Wir mussten uns tierisch beeilen, das Ding endlich als Single rauszubringen, wir hatten nicht mal ein Foto fürs Cover und haben dann ein Live-Foto draufgedruckt, unglaublich. Das Ganze hat uns so überrollt wie nur was. Das war praktisch der Startschuss für Weiteres. Durch „Verdamp lang her“ haben wir dann ein Angebot vom Rockpalast bekommen, mit lauter Neue-Deutsche-Welle-Bands sind wir für eine ZDF-Sendung in der Dortmunder Westfalenhalle aufgetreten. Wir dachten, wir wären die Kleinsten, aber die Leute haben uns abgefeiert ohne Ende. Auch die Möglichkeit, ’82 vor den Stones zu spielen, kam durch „Verdamp lang her“.