Der Chorgesang in „Lyin’ Eyes“ ist überirdisch schön, passt aber nicht zu der traurigen Geschichte über eine junge Frau, die erzählt wird. Der Song hat eine geheime Botschaft. Er handelt von den Eagles selbst.
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Lyin’ Eyes
City girls just seem to find out early
How to open doors with just a smile
A rich old man
And she won’t have to worry
She’ll dress up all in lace and go in style
Late at night a big old house gets lonely
I guess every form of refuge has its price
And it breaks her heart to think her love is only
Given to a man with hands as cold as ice
So she tells him she must go out for the evening
To comfort an old friend who’s feelin’ down
But he knows where she’s goin’ as she’s leavin’
She is headed for the cheatin’ side of town
You can’t hide your lyin’ eyes
And your smile is a thin disguise
I thought by now you’d realize
There ain’t no way to hide your lyin’ eyes
On the other side of town a boy is waiting
With fiery eyes and dreams no one could steal
She drives on through the night anticipating
’Cause he makes her feel the way she used to feel
She rushes to his arms; they fall together
She whispers that it’s only for awhile
She swears that soon she’ll be comin’ back forever
She pulls away and leaves him with a smile
You can’t hide your lyin’ eyes
And your smile is a thin disguise
I thought by now you’d realize
There ain’t no way to hide your lyin’ eyes
She gets up and pours herself a strong one,
And stares out at the stars up in the sky.
Another night, it’s gonna be a long one.
She draws the shade and hangs her head to cry.
She wonders how it ever got this crazy.
She thinks about a boy she knew in school.
Did she get tired or did she just get lazy?
She’s so far gone she feels just like a fool.
My oh my, you sure know how to arrange things.
You set it up so well, so carefully.
Ain’t it funny how your new life didn’t change things?
You’re still the same old girl you used to be.
You can’t hide your lyin’ eyes
And your smile is a thin disguise
I thought by now you’d realize
There ain’t no way to hide your lyin’ eyes
There ain’t no way to hide your lyin’ eyes
Honey, you can’t hide your lyin’ eyes
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Wenn eine Band wie die Eagles in den siebziger Jahren einfühlsame Lieder über einsame Frauen sang, war Vorsicht geboten. Oder ist es etwa glaubhaft, dass sich die durchsetzungsstarken Musiker, die 1975 bereits Stars waren, ganz ohne kommerzielles oder anderes Kalkül, ehrlich für das Schicksal einer jungen Frau interessierten, die aus Komfortgründen einen älteren Mann geheiratet hat („A rich old man/And she won’t have to worry“) und jetzt der echten Liebe nachtrauert? „We were all alphas“, sagt der Gitarrist Joe Walsh in dem Dokumentarfilm „History oft the Eagles“ – und der Film gibt ihm auf schlagende Weise recht. Erfolg haben mit aller Gewalt, sich durchschlagen, das trieb die beiden Köpfe der Eagles, Don Henley und Glenn Frey, beide Sprösslinge von Autobauern übrigens, lebenslang an.
Nur – wenn es nicht um Mitgefühl mit dem anderen Geschlecht oder um die unerfüllte Liebe schlechthin geht, worum geht es in dem Song dann? Glenn Frey hat die Entstehungsgeschichte laut „Rolling Stone“ und anderen Quellen folgendermaßen erzählt: Er und Don Henley sitzen in ihrer Lieblingsbar in L. A., da sehen sie eine attraktive junge Frau in den Laden treten, begleitet von einem „fat, over-the-hill rich guy“ und Glenn Frey sagt spontan zu Henley: „She can’t even hide those lyin’ eyes.“ Originell ist diese Beobachtung nicht, als Liedtitel wird sie allerdings ungemein erfolgreich sein.
Textlich hätte man bei dieser Vorgeschichte eigentlich etwas durchweg Spöttisches erwartet, etwas im Stil von Dylans „Like a Rolling Stone“. Doch die Sache bewegte sich in eine etwas andere Richtung. Frey hat erklärt, wie leicht es ihm fiel, das Lied zu Papier zu bringen, nur zwei Abende habe er daran gearbeitet. Herausgekommen ist dann etwas, das wegen seiner räsonierenden Passagen eher an eine Moritat erinnert.
Auffällig ist, wie fein der Song gewebt ist, es gibt viele Perspektivwechsel, man sieht förmlich einen prallgefüllten Video-Clip vor dem geistigen Auge vorüberziehen. Da wird in der ersten Strophe zunächst von einem „city girl“ erzählt, das sich einen reichen Mann geangelt hat, den sie, wie sich in der zweiten Strophe herausstellt, aber nicht liebt, seine Hände sind „as cold as ice“, das bricht ihr das Herz.
Ein erzählendes und kommentierendes Ich schaltet sich in der zweiten Strophe ein und befindet kühl, jede Zuflucht habe wohl ihren Preis. Und dieses Ich weiß auch, dass der „rich old man“ die Eskapaden seiner jungen Frau, die jetzt vorgibt, eine hilfsbedürftige Freundin besuchen zu müssen, längst durchschaut hat.
Im Refrain wird das „city girl“ dann von einer Art Über-Ich direkt angesprochen: „You can’t hide your lyin’ eyes“, stellt es fest und bedauert etwas ungeduldig, dass die junge Frau das immer noch nicht kapiert habe:
I thought by now you’d realize
There ain’t no way to hide your lyin’ eyes
Nach dem ersten Refrain folgt ein fast reportagehafter Ortswechsel: „On the other side of town a boy is waiting“, dieser junge Mann mit feurigen Augen und „dreams no one could steel“ (wie hingebungsvoll Frey das singt!) ist der Geliebte der jungen Frau. Auch er ist ein Betrogener, wie sich herausstellt, die junge Frau verspricht ihm, bald für immer bei ihm zu bleiben und schenkt ihm ein Lächeln, das wohl ebenso unecht sein soll wie das im Refrain erwähnte.
Nach dem abermaligen Refrain geht die junge Frau die sich einen „strong one“ eingeschenkt hat, in sich. Der Ich-Erzähler weiß: „She wonders how it ever got this crazy“ und fragt sich selbstkritisch: „Did she get tired or did she just get lazy?“ Hat sie aus Müdigkeit oder Faulheit einen Fehler begangen? Das alles klingt ungemein handfest, irgendwie eher männlich.
Vor dem letzten Refrain, der mit einem tantenhaften „Honey, you can’t hide your lyin’ eyes“ endet, schenkt das Song-Ich dem City-Girl nochmal ganz schön ein:
Ain’t it funny how your new life didn’t change things?
You’re still the same old girl you used to be.
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Fast durchgängig täuscht der einfühlsame Gesang Glenn Freys über die deutlichen Worte hinweg, die eine schier ausweglose Situation beschreiben, ohne eine Lösung auch nur anzudeuten.
Doch bei allem Respekt vor der Verdichtungskunst Glenn Freys muss man sagen: Die Song-Story ist etwas zu klischeehaft geraten, das Ganze hat etwas Verbrämtes, womit man einen Aspekt der Band trifft, der in dem Film „The Big Lebowksi“ von der Hauptfigur, dem Dude, recht unverblümt beleuchtet wird: „I had a rough night and I hate the fuckin Eagles, man!“, der Stoßseufzer eines Menschen, der es gerade heraus mag – und zur Strafe für diese Äußerung im Film aus dem Taxi geworfen wird.
Gewissermaßen geschieht ihm das auch recht, denn das Lied, das 1976 einen Grammy für die beste Gruppenperformance (Pop) gewann, wird von den Eagles unwiderstehlich schön gesungen, man kann spüren, dass es eine Wahrheit auszudrücken versucht, die sich außerhalb der schablonenhaften Song-Erzählung bewegt. Und wenn man, einmal auf diese Fährte gesetzt, die Dokumentation „History oft the Eagles“ von Alison Ellwood anschaut, fällt es einem irgendwann wie Schuppen von den Augen: In „Lyin’ Eyes“ geht es nicht so sehr um Mann und Frau, Liebe und Schicksal, sondern vor allem um die Eagles selbst, diese wechselnde Vereinigung von Alphatieren – Glenn Frey, Don Henley, Bernie Leadon, Don Felder, Joe Walsh (Randy Meisner gehörte nicht dazu, er wurde aus der Band gedrängt, als er sich weigerte, weiterhin mit seiner hohen Kopfstimme „Take it to the Limit“ zu singen) -, die sich, wie im Fall Frey und Felder, zumindest zeitweilig sogar umbringen wollen. Für diese beiden, aber auch schon für Leadon und Frey, muss es auf Tournee höchst anstrengend gewesen sein, dem jeweils Anderen Abend für Abend auf der Bühne in die „lügenden Augen“ zu blicken.
Damit hätte der Refrain von „Lyin’ Eyes“ eine geradezu performative Ebene. Was gesungen wird, stimmt nicht nur als Erzählung im Lied, sondern auch in der jeweiligen Aufführungssituation, zumal Glenn Frey, der Sänger des Liedes, in der Regel auf der Bühne direkt neben mindestens einem seiner beiden Intimfeinde positioniert war.
Auffällig ist weiter, dass Frey sich gesanglich in das komplette Lied geradezu identifikatorisch hineinhängt, und tatsächlich hält es für ihn eine Reihe weiterer Anknüpfungspunkte bereit. Auch das zeigt die Eagles-Dokumentation: Von einem recht frühen Zeitpunkt an hatten die Mitglieder der Band das Gefühl sich – wie die Frau im Lied – an den Erfolg verkauft zu haben, an den janusköpfigen amerikanischen Traum, der sich auch in „Hotel California“ in der Doppelzeile „You can check out any time you like,/But you can never leave!“ widerspiegelt.
Aber auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit über „Lyin’ Eyes“. Denn aus Band-Problemen und der schwierigen Situation von Künstlern in der Musikindustrie entsteht noch kein Lied, das beim Zuhörer immer wieder ein so zuverlässiges Wohlbehagen auslöst, im Gegenteil.
Die entscheidende Frage lautet, warum die bittere Geschichte eines unwahrhaftigen Lebens mit so viel Hingabe und Harmoniesucht gesungen wird? Man sieht es in vielen Live-Videos, der Ablauf ist immer der gleiche: Die Band spielt „Lyin’ Eyes“ routiniert vor sich hin, dann steht der Refrain bevor, alle schauen sich kurz an, drehen sich wie ferngesteuert brav dem Publikum zu und singen gemeinsam, jeder in sein Mikro, mit einem überragenden Ohr für den Anderen, die eigentlich niederschmetternden Worte:
You can’t hide your lyin’ eyes
And your smile is a thin disguise
I thought by now you’d realize
There ain’t no way to hide your lyin’ eyes
Wenn man als Zuschauer ein Vergleichsmoment zu dieser sonderbaren Szene sucht, fällt einem eigentlich nur eine Erzählung Kleists ein: „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“. Da wollen vier Bilderstürmer den Aachener Dom demolieren, doch dazu kommt es nicht, denn sie werden kurz vor Ausführung ihrer Tat, schon im Gotteshaus, von der anwesenden heiligen Cäcilie und der Gewalt der Musik erfasst, ja geradezu niedergestreckt. Sie finden sich im „Irrenhaus“ wieder, wo sie hinfort jeden Abend zu gleicher Stunde einer Eingebung folgend gemeinsam das „Gloria in excelsis“ singen. Ihre Stimmen klingen schrecklich, heißt es bei Kleist, denn sie sind musikalisch nicht so begnadet wie die Eagles, aber sie singen mit gleicher, irgendwie auch erschreckender Hingabe.
Der Refrain von „Lyin’ Eyes“ wäre in diesem Sinne nicht die fünfstimmige Anklage einer jungen Frau, sondern eine abstrakte Hymne an die Kraft der Musik, die alle Dissonanzen, die im Text ausgebreitet werden, echte Eagles-Dissonanzen, übertönt. Was wiederum den Wert des Songtextes herabmindert und eine bemerkenswerte Differenz zur „reinen“ Lyrik darstellt.
Zumal das Grundproblem des „You can check out any time you like,/But you can never leave!“, das „Lyin’ Eyes“ durchzieht, gedanklich keinesfalls unlösbar erscheint. Es hindert einen ja niemand daran, siehe „Big Lebowski“, aus dem amerikanischen Traum, der Erfolgsfixiertheit und dem Konkurrenzdruck auszusteigen. Es ist hart, aber es geht. Die Eagles aber wollten ihren amerikanischen Traum offenbar – wie die junge Frau im Lied – so lange aufrecht erhalten, bis es beim besten Willen nicht mehr ging und die Trennung 1980 unvermeidbar wurde. Wie unausweichlich dieser Schritt letztlich war, kann man sogar schon in dem berühmten Gitarrenduell am Schluss von „Hotel California“ (1976) hören, einer Mischung aus nach Erlösung schmachtendem Fingerballett von Don Felder und den aufbegehrenden Rock ’n‘ Roll-Läufen Joe Walshs, die sich immer wieder abwechselnd hochpeitschen und zum Ersterben bringen, bis Don Henleys Schlagzeug dem allen ein Ende setzt.
Paradox an der ganzen Sache bleibt: Für die vielen Millionen Fans der Eagles – die Band veröffentlichte mit ihren „Greatest Hits“ eines der erfolgreichste Alben aller Zeiten – sind „Lyin’ Eyes“ und „Hotel California“, diese Umschmeichler der Schattenseiten des Lebens, ein ungetrübter Glücksfall, aus den Radioprogrammen sind sie bis heute nicht wegzudenken.